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Die Neue Welt. Illustrirte Unterhaltungsbeilage.
" Ja, ich dachte, zehn Mark auf den Monat." " Das ist reichlich genug. Es ist ja nur ein junges Mädchen."
" Na, die wird sich heute Abend freuen!"
Ja, weißt Du, das kann ich mir denken. Gott , mir wird ganz weich... ein junges Mädchen, und dann solch plötzliches Aufrücken."
Und in ihrer unbewußten Hartherzigkeit fiel es ihnen garnicht ein, daß sie den Einen in's Unglück stürzten, um den Anderen zu erfreuen. Sie waren Beide ganz gerührt ob ihrer Giite.
Agnes aber ward es erst jetzt klar, was es bedeutete, wenn sie in Herrn Höft's Stelle rückte. Dann war er ja brotlos! Und sie hatte geglaubt, daß er hier eine Lebensstellung habe, die ihnen die Heirath ermöglichen würde. Denn das glaubte sie bestimmt, daß er sie heirathen wolle. Und nun, wer weiß, wann er wieder einen Posten fand... Da mußte sie ihm schließlich mit Geld aushelfen. Und was nüßte es da, daß sie etwas mehr ver= diente; unter solchen Umständen war noch lange nicht an die Einrichtung eines Heims 3 denken. Und die Freude über die Aner.ennung durch den Geschäftsbesizer und seine Frau konnte garnicht auffommen bei all' den Sorgen und Grübeleien.
Ganz verwirrt ging fie im Laden umher. Und als Herr Höft wiederkam, mußte sie sich durch die Mittheilung des Gehörten befreien.
Er war einen Augenblick verblüfft. Daun sah er sie traurig fragend an:" Und Sie freuen sich so garnicht?"
hat!"
"
Ach... wenn ein Anderer solch' Unglück dabei
Agnes... Agnes... ich... ich komme morgen friih zu Euch!" Er drücke ihre Hand und setzte sich mit erzwungener Ruhe auf seinen Drehschemel.
Sie hatte bei dem erregt hervorgestoßenen Satz die Leidenschaft über sein Gesicht leuchten sehen. Noch verwirrter als vorher ging fie an ihre Arbeit. Als sie wieder zu sich selbst kam, sah sie ihn stolz an. Sie wurde ja so hoch geschäßt, daß sie seine, von ihr lange beneidete Stellung einnehmen sollte. Ihr Selbstbewußtsein erwachte. Na, eine Unterwiirfige, aus unglücklichen Verhältnissen durch die Heirath Erlöste brauchte sie nicht zu sein. Sie hatte ihre Position! Sie wußte und konnte was! Und ihre Position! Sie wußte und konnte was! Und sie wollte mit am Heim zimmern. Muthig mit durchhalten und selbst ihr Theil mit herbeischaffen halten und selbst ihr Theil mit herbeischaffen... und nicht abhängig sein... nicht abhängig, wie ihre Mutter von den Kindern. Und mit schmerzlicher
Heiterkeit lächelte sie ihm zu und scherzte mit den Kunden.
Wie sie ihrer Mutter gegenüber treten wollte, wußte sie noch nicht. Wenn sie ihr auch die Kapotte gekauft hatte...
Als sie endlich spät am Abend nach Hause kam, sagte sie faum hörbar:" Guten Abend!" Während die Mutter in der Küche wirthschaftete, schmückte sie den Baum. Kurz vor Mitternacht war es so weit, daß sie die Lichter anzünden konnte. Sie rief die Mutter und die anderen Schwestern. Und als in deren Augen die Lichter glänzten, reichte sie rash die Schachtel mit der Kapotte der Mutter und sagte, immer noch barsch:" Na... sonst wärst Du ja doch nicht zufrieden gevesen!"
Dabei aber drückte sie ihre Mutter zärtlich an sich und sagte:„ Morgen muß zeitig rein gemacht werden Herr Höst besucht uns."
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Die alte Frau hielt ihre Tochter umschlungen und schluchzte vor Freude. Sie wußte selbst nicht, ob über ihre Tochter, die immer erst lärmte, dabei aber schon den Vorsaz gefaßt hatte, Alles zu besorgen, oder ob über die prächtige Kapotte, oder über den Besuch am Weihnachtsmorgen.
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Der heilige Abend. Eine ergreifende Winterstimmung: Die Nacht bricht an. Die schneeberwehte Landstraße führt an Gehöften vorbei, ein roh gefügter Zaun und junge Bäume, die ihr kahles schwarzes Geäst wie frierend in die kalte Winterluft emporstrecken, hegen sie zu beiden Seiten ein. Dort hinten in der Ferne verliert sich der Weg am Horizont, wo Ebene und dunkelgrauer Himmel nicht scharf zu scheiden sind. Nur die weite weiße Schneedecke leuchtet noch hell auf und erfüllt den Vordergrund mit einem ungewissen flimmernden Licht. Aus dem Mittelgrunde heraus leuchten ein paar helle Fenster aus den schon in der Lämmerung versinkenden einsamen Häusern. Schwer und trüb ist die Stimmung dieser Winterlandschaft, kein Leben ist in ihr, und der düster verhangene Nachthimmel drückt auf die Grde... Zwei Wanderer sind des Weges gekommen, ein Mann, der Arbeitsgeräth und das nothwendigste Gepäck auf der Schulter trägt, und sein Weib. Sie sind wegmüde, man sieht ihnen an, daß fie den ganzen Tag schon unterwegs sind. Neue Arbeit zu suchen, nachdem die alte beendet worden, mögen sie ausgezogen sein; vergeblich haben sie schon an viele Thüren geklopft, an denen sie vorübergekommen. Jetzt winfen ihnen die freundlichen Lichter, fie müssen es von Neuem versuchen. Aber der ungebahnte Weg durch den tiefen Schnee ist mühsam, der Mann will allein hinübergehen und anfragen, das Weib bleibt zurück; vielleicht, um sich nicht wieder umsonst zu mühen. Sie befürchten wohl auch, die Bewohner jener Häuser könnten noch weniger willig sein, sie aufzunehmen, wenn sie gewahr würden, daß die Frau gefegueten Leibes ist... Und nun lehnt sich das gequälte Weib gegen den Baun, fast zusammensinkend vor Müdigkeit, frierend trotz der dicken Tücher, in die es gehüllt ist. Wie sie ihrem Manne nachblickt, leuchtet noch einmal auf ihrem vergrämten Gesicht die Hoffnung auf... Wer genauer zusieht, wird eine Gloriole über ihrem Haupte erkennen. Auch der Titel des Bildes: „ Der heilige Abend" und der Name des Künstlers, der es geschaffen, lassen feinen Zweifel, daß dieser die bekannte Erzählung hat wiedergeben wollen. Von Frizz von Uhde stammte, wie den Lesern der„ Neuen Welt" in Erinnerung ist, auch unser voriges Weihnachtsbild: Eine arme Frau geht mit ihrem Kinde an einem Winterabend über ein Feld, während im Hintergrunde die finstere Stadt droht. Schon damals ward erwähnt, daß uhde den Versuch gemacht hat, die in der Bibel überlieferten Erzählungen im Gewande unserer Zeit darzustellen; die Menschen, die er schildert, sind einfache Leute unserer Tage. Aber wie wenig für die künstlerische Wirkung diese Deutungen besagen, das zeigt gerade unser Bild; wären die Gloriole und die Unterschrift nicht, so würde nichts die Beschauer auf die Idee bringen, daß noch etwas Anderes, als der rein menschliche Gehalt gemeint sein fönnte. Im Gegentheil, diese Deutung scheint uns fünstlich hineingetragen; wir vermöchten, auch wenn wir es wollten, nichts Anderes, als die Winterstimmung unseres Landes und das Geschick einfacher Menschen unserer Zeit darin zu erkennen. Und da der rein menschliche Gehalt des Vildes von so tiefgreifender Wirkung ist, so können mit ihm allein wir uns begnügen.
Feuilleton.
Die letzte Gnadenbezeugung.
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Im tiefsten, verborgensten Winkel von Kronborrigs Kasematten affurat dort, wo Ole Steenwinkel seine lezten Tage verbrachte, ehe daß er emporgeführet und justifiziret ward- lag der unehrliche Sklave Jens Tibberup.
Volle fünfunddreißig Jahre war er Galeerensflave in Bremerholm; denn er war ein baumstarfer Kerl gewesen, und dieserhalb mit den Anderen nach Helsingör gesandt worden, um die Seemauer abzureißen. Doch war er jetzt vollständig verbraucht durch die schwere Arbeit im Eise und hatte sich dazu noch das falte Fieber geholt, sodaß er null und nichtig geworden.
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während Meister Casper speisete. Es war ihm ein Au schub, eine Hinterlist, ob er dadurch vielleicht dem Henker entschlüpfen könne.
Und während Meister Casper speisete, sagte er:„ Num, Kamerad, f.ischen Muth! Viel schlechter als hier kann es unmöglich werden, selbst wenn Du dort hingelangen solltest, wo es gratis Wärme giebt... Thu' mir doch zur Kurzweil erzählen, um welcher Ürsach' willen Du Galcerensklave worden bist. Vor mir brauchst Du Dich nicht z11 schämen, denn mir ging es wie Dir und kam ich mur frei auf gewisse Konditionen hin."
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Jens huftete ein Weilchen, dann sagte er:„ Um welcher Ursach' willen- ja, das will ich berichten. Es sind jezt reichlich fünfunddreißig Winter darob vergangen... ich war Fischer, arm, aber ich hatte meine Karen und meine fleine Tochter Jnger. Doch dann ward solch' hündische Kälte, das Wasser gefror; und keine Möglichkeit, irgend einen Fanz zu thun. Unsere fleine Habe verkaufte ich, damit wir essen konnten, nachher borate ich, solange es ging; lange dauerte es nicht, so blieb denn nur die Hungersnoth uns übrig. Meine Karen und Klein Inger dahinfiechen sehen, das vermochte ich nicht zu ertragen, da ward ich Wilddieb. Eine Weile ging Alles gut. Doch dann in einer Nacht ward ich ergriffen... es war auf des Königs Grund und Boden... so ward ich denn nach dem Gesetze verurtheilt, aufgehängt zu werden, bis ich todt sein würde... doch ward ich zu lebenslänzlicher Sklaverei begnadigt." Herr Pedor ging,
Ward also befohlen, da Ihrer Majestät Kasse nicht unnöthig beschwert werden sollte durch Souteniren solch' unartigen Dinges und solch' inkommoder Person, daß Meister Casper ihn denn in Gottes Namen empfahen, aushängen und ihm die letzte Gnade erweisen solle, doch mit möglichst wenig Anstalten von wegen der Kosten. Herr Pedor obgleich Jens ja als Sklave nicht einmal zu seiner Gemeinde gehörte, Herr Pedor, cin eiftiger Diener des Wortes Goties , ehemaliger Informator beim seeligen Holger Jörgensen Rosenkranz zu Rosenholm, welch' ehrlicher und wohlgeborener und ganz besonders gottesfürchtiger Mann die Sitte hatte, an jedem Stillfreitag seine Söhne mit eigenen Händen bis auf's Blut zu peitschen, auf daß sie desto besser Christus lieben und seiner Pein gedenken möchten: flugs als es ruchbar ward, zu Jens und sprach ihm liebevoll zu vom Teufel und der ewigen Höllenpein, sodaß er jetzt vorbereitet war zu sterben.
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Darnach erschien Meister Casper, in der rechten Hand eine brennende Fackel, in der Linken ein Stückchen Tau von mehreren Ellen Länge; doch hielt er wohl aus Courtoisie die linke Hand hinter dem Nücken verborgen. Er mußte vorsichtig gehen; denn der Boden war schlüpfrig von allerlei Feuchtigkeit und die Fackel leuchtete nur schwach. Aber schließlich langte er doch am Bestimmungsorte an, fand Jens aus dem Stroh heraus und hob ihm ein wenig den Kopf, worauf er dann die Fackel im Ringe befestigte und folgendermaßen zu reden anhub:
" Ja, Jens Tibberup, Du weißt, weshalb ich komme. Herr Pedor that es Dir ja schon verkünden; doch laß es Dich nicht fümmern. Der Tod ist ja Jedermanns Loos: Heute dir, morgen mir', wie der Deutsche sagt. Und was mich anbelanget, so werde ich Dir so galant entgegenkommen, wie Du nur immer wünschen kannst."
Jens antwortete mit Mühe:„ Danke, Meister Gasper... doch hat es solch' große Eile?"" Gebt Euch doch etwas Zeit, und verspeiset vorerst mein Essen... wenn es auch nur gering ist... doch ein Schelm nur giebet mehr als er hat."
Meister Casper empfing das Brot und antwortete: ,, Dank dem Spender! Ich verspeise gerne Dein Effen. Denn Dir ist es doch platterdings unnütz. Und gerne lasse ich Dir auch noch etwas Zeit; denn davonlaufen fannst Du mir ja doch nicht, haha."
Aber gerade das war seine Intention. Oftmals hatte sich Jens den Tod ersehnet, doch jetzt, da Meifter Casper gefommen war, fürchtete er sich jämmerlich und wünschte, es möcht ihm ein natürlicher Tod werden,
Meister Casper fragte:„ Aus Barmherzigkeit?" Jens antwortete:„ Mag' schon sein; aber eher wohl wegen der Ursach', daß ich groß und stark war und wohl im Stande, mir mein Essen abzuverdienen."
Meister Casper fragte:„ Und Guer Weib und Eure Tochter?"
Jens antwortete: Meine Karen verschieb, furz nach dem ich in Fesseln gelegt worden war; ich bekam ihren letzten Gruß.
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Klein Inger". Chier ward seine Stimme stark und er riß die Augen weit auf und hob die schwachen Arme gen Himmel)" Ja, ich sehe Dich, klein Inger, mein Hühnchen! Welche Sehnsucht ich nach Dir und Deiner Mutter haite! Du rufft! Jaja, jezt komme ich." Hier sant er zurück, seine Augen schlossen sich, seine Hände tasteten in Stroh, und weiter murmelte er umber ständliche Worte. Meister Gasper sprang empor und fah ihn durchdringend an, und da es ihm scheinen mochte daß es jezt die allerhöchste Zeit sei, so schlang er eiligst den Strick um Jensens Hals und zeg aus Leibeskräften zu und eine Minute später hatte Jens die lezte Gnadens Bezeugung erhalten.
Jest fonnte Meister Casper mit gutem Gewissen seinen rechtmäßi en Lohn von zween guten Thalern beim LehnsHerrn fordern.
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Königliche Lehnsre.hnung vom 19. Mai 1602: Für das Hängen von vier franken, früher zum Tode vers urtheilten, Gefangenen bekam der Henker acht Thaler. Nach dem Dänischen des Woldemar.
Nachdruck des Juhalts verboten!
Berantwortlicher Rebatteur: Oscar Kühl in Charlottenburg. - Berlag: Hamburger Buchdruckeret und Verlagsanstalt Auer& Co. in Hamburg . Druck: Max Bading in Berlin .
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