B4 Die Neue Welt. Illustriertes Unterhaltungsblatt. Wer er sah mit seinen eigenen Augen, daß ihr alles schwerer ward als sonst. Wie mühsam sie das Messer nach der Butter aus- streckte, stand nicht auf, machte ihren Arm immer länger— und dann, als die Brot- schnitte fertig vor ihr lag, ah sie nicht, son- dcrn saß bleich und heiß und lieh Margarets kommen, damit sie den Ofen oollpackte. Denn eigenttich war es ja wohl ungcwohn- sich kalt sür diese Jahreszeit... Bor dem Abendbrot schon ging sie wieder ins Bett, und sie schlief bald ein, doch im Traum litt sie bitterliche Schmerzen. Da war ein schwarzer Ziegenbock, der sie immerfort mit seinen Hörnern gegen den Leib stieß: das ging die ganze Nacht durch. Am Morgen kriegte David es mit der Angst, und er schickte nach der Hebamme. Sie kam und blieb den ganzen Tag da, denn die Sache nahm in aller Ordnung ihren Anfang. » Anfang der Ostcrwoche war es, ein hoher windiger Tag. Jasper lief bis zur Feier- abendzeit hinter seinen Pferden aus dem Feld, und sein Herz David ließ das Pferd los und trat zu- rück:„Jag' zul Jag' das Krack tot!" schrie er dem wegrollenden Wagen nach. Und Jasper jagte zu: die Steine flogen vom Weg, in den Dörfern dröhnte das Ge- rasiel an den Mauern hin. Wenn die auf- gestörten Hunde richtig loslegten, war das Fuhrwerk schon wieder draußen auf der freien Landstraße. Als Jasper nach einer Stunde vor dem Dottorhause hielt und dem Pferde die Decke überwarf, wurde seine Hand warm und glitschig von Schaum. Zehn Minuten später war der Wagen schon auf den» Heimweg. Diesmal ging es in den Stall zurück, der Fuchs klemmte das Gebiß zwischen die Zähne und wetterte los: zu mancher Zeit wußte Jasper nicht, wer die Gewalt hatte, er oder das Tier. Alles umsonst, zu Hause standen die Dinge mehr als schlecht. So schnell der Doktor kam, so kam er doch zu spät. Wer mag wissen, ob er Überhaupt hätte helfen können. Er trat über die Schwelle, grad' in dem Augenblick, wo das Kiud seinen ersten Schrei war voll von Gedan- ken an die schöne liebe Frau, die dalag In ihren Schmerzen, und konnte keiner bei ihr sein und ihr etwas abnehmen. David traute sich gar nicht ins Haus hinein, und als es Schlafenszeit wurde und noch immer keine Erlösung da war, warf er sich auf der Tenne ins Stroh, wühlte sein Gesicht und seine Ohren tief hinsüi und fiel zuletzt in einen Halbousel, in dem alle Schrecken der Welt sich gegen ihn aus- richteien. Jasper stand un- beweglich drinnen mit dem Rücken amKachel- ofen, hörte die dumpfe Unruhe im Haus und den Sturm draußen, und dachte: vielleicht hilft es ihr doch, wenn sie weiß, daß ich hier stehe. Die Zeit rückle vor: schwer und schwerer ward alles um ihn herum, und mit einem Maie kam ihm eine unheimliche Erinnerung aus der Kinderzeit: man durfte ein Tier, das sterben mußte, nicht bedauern, sonst starb es nicht. Er entsetzte sich, daß dieses, gerade jetzt in seine Gedanken trat. Im selben Augenblick wurde die Tür hinter ihm aufgemacht, und die Frau stand da in ihrer großen weißen Schürze und sagte, sie wolle es nicht mehr allein verani- warten: es war wohl besser, der Doktor würde geholt. Jasper ging hinaus und rief nach David. Der fuhr auf, hilflos und beinah von Sinnen Sie zündeten die Laterne an, häng- tcn sie an d.e Leitersprosse und kriegten den jungen wcligen Düsterjuchs vor den Einspänner Das Tier stieg in der Deichsel, seine Eisen klangen auf den Steinen, kaum konnte Jas- per mit Peitsche und Zügel in der S)aiid auf den Sitz hinauskommen. helfen wollte... Und dann halle das tote Kind auf der Decke zu murksen an- gesangen und hatte die Lunge freigekriegt — ja, sie hatte manches mitangefchen auf der Welt, aber dies war sie sich denn doch nickst oermutend gewesen... Der Doktor sah, daß nichts mehr zu machen war. Er wusch seine Hände, sprach sich nicht aus— es kamen ja so Dinge vor im Wochenbett. Zum letztenmal horchte er nach einer De- wegung an der stillen Brust. Dann gab er dem jungen Vater die Hand und sagte etwas vom Schicksal, das getragen werden muß, und daß ihm doch mit dem kleinen Mäd- chen da seine Frau das beste von sich dagelassen. � Noch vor Tagesanbruch, zwischen Mond und Dämmerung, fuhr Jasper den Arzt nach feinem Wohnort zurück. Diesmal hatte er den alten Schimmel vorgespannt, der trottete still und nahm sich Zeit: auf dem Heimweg wandte er ein paar- mal den Kopf, weil er nicht sicher war, ob da überhaupt noch je- s-- 'i In einem zerschossenen Vogescngehölz. und seine Mutter den letzten Atemzug tat. Das hatte nicht so sein müssen— ein Unglück war geschehen, ein gottverlassener Zufall. Man durste nicht sagen, daß irgend jemand die Schuld trug! Die kluge Frau konnte kaum sprechen vor Ausregung: nichts war versäumt, alles war richtig und zur rechten Zeit bedacht worden— dann blieben, die Wehen weg: sie hatte nichts weiter tun wollen, bis der 5)err Doktor kam. Und dann war plötzlich doch das Kind dagewesen, ohne Laut halte es gelegen, niemand hatte anders denken können, als daß es tot sei.„Es ist tot!" hatte Luise geschrien und sich hochgeworsen und das Kind in ihre Arme verlangt. Das dürfe sie nicht tun, hatte sie der jungen Frau ge- sagt— nicht sitzen, nicht die Arme über den Kopf heben! Und dann hatte sie versucht, das Kind zum Leben zu bringen... alles vergeblich. Und als sie nach heißem Masser gelaufen wär und zurückgekommen, da war inzwischen das Unglück geschehen? die junge Frau lag in ihrer letzten Not, das Herzblut war fortgegangen— das einzige, was sie noch tat, war die Hand wcgwehrcn, die mand auf dem Wa- gen saß, um den sich »in kleiner Zuckeltrab «rlohnte. Jasper lehnte still mtt dem losen Zügel in der Hand. Der Hängestuhl war aus seinem vorderen Rie- men herausgehakt und stieß schief hin und her während der Fahrt. Jasper nahm sich nicht dle Mühe, es zu än- dern. Diese Nacht stand ganz allein in seineln Leben. Sie ge- hörte nickst zu dem, was all die Jahre ge- wsfen war. Mit ihr hörte die Zeit auf, und die unveiäuderliche fing an. Irgendwie war es hell geworden. DerHimmelblutete.die jungen Weizenfelder lebien, vor den Eehöl- zen dampfte ein blaues Licht. Jasper wunderte sich, daß all dies ge- schah. Als er daheim ankam, schien schon die Sonne aufs Dach. Kein Mensch mochte sich auf dem Hof zu tun. Im Haus braurtten noch die Lampen: niemand hatte daran ge- dacht, sie auszulöschen. David hockte ganz verstört drinnen vor dem Bett: er begriff noch kaum, was das alles hieß. Manchmal jedoch schreckte er auf, und dann heulte er wie ein Tier und warf sich über die kalte Hand, die sich nicht mehr leise aus feiner zog, wie jie's im Leben jo gein getan hatte. Jasper ging umher, inwendig ganz mit kühler Erde angefüllt. Er war der einzige, der war wie sonst und alles tat, was geeau fein mußte, obgleich er von der ganzen Welt nichts wußie als dies: sie war tot, ausge- löscht von einer schwarzen Hand wie eine Fliege am Fenster. In der dritten Nacht, als David selber wie ein Toter lag und schlief, saß Jasper drinnen bei Luise und nahm das Tuch von ihrer Stirn: das beruhigle Gesicht log so wunderbar wirtlich unter dem lichUu Haar, das wehte und lebendig ward, jis fei»
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35 (7.4.1918) 14
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