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Die Neue Welt. Illustriertes Unterhaltungsblatt.
fesseln konnte. Mit der Zeit erlahmte auth der eifrige Beistand der Mutter. Sie empfand schließlich den Jungen als ständige Ursache dieser fortwährenden Zänkereien des „ Schnatterers", als Last. Das Verhältnis war zum Schluß derartig schlimm geworden, daß der Junge aus eigenem Antrieb ausgerissen wäre, wenn ihm sein Stief, vater nicht zuvorgekommen wäre und ihn buchstäblich zum Tempel hinausgeworfen hätte. Die Gelegenheit zu diesem Hinaus. wurf sollte fich eines schönen Tages bieten. Der Junge war allein im Rest zurückgeblie ben, während die Mutter und der Stief. vater zusammen nach dem Blaubeerenried gegangen maren.
Der Schnatterer" mußte sich wohl schon vorher den Plan zurechtgelegt haben; denn sehr bald hörte ihn der Kleine mit heiferem Wutbrüllen durch den Wald zurückkehren. Wie alle männlichen Vertreter jener Gattung, äußerte er feinen wildwüligen Zorn dadurch, daß er von Zeit zu Zeit still hielt und mit den Fäusten auf der Brust herum. trommelte. Der
Junge erkannte sofort die Hilflosigkeit seiner Lage und duckte sich zitternd im Neft. Nun fam der„ Schnatterer" direkt auf den Eich baum los und kletterte unter beständigem Schimpfen in die Höhe. Als er zur Afigabel gelangte, war ber Kleine in seiner Angst schon auf den großen, horizontalen Aft hinausgeflohen; der
„ Schnatlerer"
flugs hinter ihm drein. Immer wei ter troch das Kind hinaus, bis auf die dünnsten Neste und 3weige, zu denen ihm der Schnatte rer" nicht folgen fonnte. Dazu war er zu vorsichtig; denn vermöge seines großen Gewichts hätte er unbedingt durchbrechen müffen.
Zerschunden, zerfragt und wimmernd blieb er liegen, wo er aufgefallen war. Beim Emporschauen fonnte er den„ Schnatterer" durch das Blattwerk erkennen, der ein
dämonisches Freudengeheul ausstieß und dazu im Tafte mit dem Aste wippte. Schnell hörte der Kleine auf mit Wimmern. Er war jetzt nicht mehr im Schuhe der Bäume, und er wußte, daß jeder zu sehr hörbare Ausdruck seines Jammers sofort die wilden Tiere herbeiloden mußte.
Während sein Schluchzen verstummte, beobachtete er verwundert die Lichteffekte, die durch das teilweise Deffnen und SchlieBen seiner tränennassen Augenlider ent standen. Dann taftete er an sich herum und überzeugte sich, daß er keinerlei großen Schaden genommen hatte. Hier und da freilich hatte er ein wenig Haut und Haare laffen müssen. Ein scharfes und zadiges Aftende hatte fich etwa zolltief in feinen Unterarm eingebohrt; nur die rechte Hüfte, die den Aufprall hatte aushalten müssen, schmerzte unerträglich: Doch das waren
Manchmal im Frühling...
Bon W. Reimes.
Manchmal im Frühling, in endlosen Gaffen,
Muß ich dem Herzen den Willen lassen, Dann führt mich ein würziger Wind in das Land,
Das mich geboren, dem ich verwandt, Das mir, wenn auch die Zeit mich vertrieben,
Jmmer ein Stüd meines Lebens geblieben. Kommt so ein Frühlingswind ange sprungen,
Träum ich von Dingen, die lange verflungen,
Rommt so ein Frühlingswind über die Felder,
Seh ich im Norden die Heiden und
Wälder,
Eeh ich die Marschen, den grauen
Sch ich das Ländchen vom Meere um
und abstürzen
Der niederträchtige Bursche wußte, daß er den Jungen selbst gar nicht zu erreichen brauchte. Sein häßliches Gesicht erglänzte vor lauter Bosheit; die fleinen Augen glühten auf in grausamer Lust, als er letzt anfing, den Aft auf und ab zu wippen.- 3u wippen! Und der Junge hing ganz draußen am äußersten Astende, sieben Me ter über dem Erdboden und flammerte sich frampfhaft an die Zweige, die unter seiner Last tnickten und brachen. Wilder und wilder wippte der Unmensch und globle den Kleinen an in grinfendem Haß. - Dann fam das Ende. Alle vier Griffe brachen gleichzeitig und Großzahn" stürzte rücklings in die Tiefe, Hände und Füße noch trampshaft um die gebrochenen Zweige geflammert mit dem Blick auf seinen Beiniger. Glücklicherweise waren feine Wildschweine unter ihm, und die Wucht des Falles wurde durch zähes und elastisches Buschwert gemildert.
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Strand, fpannt.
fremden Welt, sah er sich besonders vor. Die Marschrichtung war ihm höchst gleichgültig. Nur ein Gedanke trieb ihn: Fort aus dem Bereich des„ Schnatterers". Er flomm nun wieder auf einen Baum und wanderte so stundenlang durch die grünen Wipfel, ohne den Boden aufzusuchen. Eine bestimmte Richtung hielt er nicht ein, auch wanderte er nicht ohne Aufenthalt. Unbeständigkeit lag ja in feiner Natur, in der seines ganzen Stammes. Zudem war er noch ein Kind, und so machte er auch ost Halt, um zu spielen..
Die
Er erinnerte sich nur an mehrere Lichtungen, die er durchqueren mußte. Dazu mußte er auf den Boden hinabsteigen, und in größter Angst rannte er dann, so schnell er konnte, hinüber. Tage mit Regen und Sonnenschein löften sich in seinem Gedächtnis ab; er mußte demnach ziemlich lange gewandert sein. Besonders unangenehm war die Erinnerung an die Regentage, an seinen Riefenhunger und die ungewöhnlichen Mittel zu seiner Stillung. Nachhaltigeren
Sch ich die Stadt an dem Dünenhang, Ueber den Wiesen, flußentlang, Sch ich das Kreuz der Mühle schwingen, Hör ich Geschichten der Kindheit flingen. Laß ich dem Herzen dann freien Lauf, Hellen die Nebel der Jugend sich auf, Spiegeln die Wege und Weiten ein Glüd Stillerer Tage mir wieder zurüd. Die alten Wege sind knidumhedt Und finten in Fernen und Tiefen verfledt, Das Hügelstädtchen, grau überdacht, Liegt schützend von alten Linden bewacht, Die blaue Weite, das Aderland, Zieht irgendwohin in den Himmelsrand, Das Flüßchen blinit, ein Segel zieht, ' S ist alles wie ein Friedelied. Und still wie die Weiten der Menschen. schlag.
Auf der Scholle fich mühend Tag um Tag, Ich hör ihn die Sprache der Heimat reden Und möchte dorthin
alles nur geringfügige Kraker. Die Knochen waren unversehrt, und die Fleischwunden der damaligen Tiermenjchen heilten viel schneller und besser als heutzutage. Die Hüfte machte ihm schon mehr zu schaffen; reichlich eine Woche lang hinfte er heftig.
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Wie Großzahn" so im Gebüsch lag, mit dem trostlosen Gefühle des Berlafsenseins, der Heimatlosigkeit, faßte er den Entschluß, niemals zu seiner Mutter und dem verhaßten Schnatterer" zurückzukehren. Weit fort in den schredlichen Urwald wollte er gehen, einen Baum suchen, auf dem er sein eigenes Rest bauen konnte. Nahrungsjorgen hatte er vorerst feine; denn schon feit Jahr und Lag hatte er gelernt, für sich felbst zu sorgen; die Mutter hatte ihn nur noch geführt und beschützt.-
Leise troch er durch das Unterholz. Nur einmal noch blidte er zurück zu dem heulenden und wippenden„ Echnatterer". Es war fein schöner Anblick. Der Kleine hatte schon längst gelernt, Vorsicht zu gebrauchen; jett, auf sich allein angewiesen in der
dann weer id tofreden!"
Eindruck hatte bei ihm eine Eidechsenjagd auf einem fahlen Felsrüden hinterlassen. DIE behenden Tierchen schlüpften unter das Gestein und ent tamen ihm meist; zuweilen nur, wenn er einen Stein schnell umdrehte, geTang es ihm, eins zu erwischen. Durch Schlangen wurde er von dem Platz vertrieben. Sie taten ihm zwar nichts, fondern fonnten sich nur auf dem flachen Felsrücken, aber feine ererbte Furcht vor Schlangen war so groß, daß er wie gehetzt entfloh, als wären fie an einen Fersen.
Ferner nagte er an der bitteren Rinde junger Baum. stämme. Dunkel ent fann er sich auch, einmal eine Menge grüner Nüsse, mit weichen Schalen und Milchfernen ver speist zu haben. Auch der darauf folgen. den, nachhaltigen Magenbeschwerden entfann er sich. Ob die nun von den Nüssen oder von den Eidechsen herstammien, fonnte er nicht entscheiden, nur das wußte er, daß er von Glüd sagen fonnte, daß er nicht aufgefressen wurde, als er fich stundenlang, von heftigen Schmerzen geplagt, auf dem Boden wälzte.
Er stand am Ende eines großen, freien Plazzes, deffen eine Seite ein hoher, steiler Klippenrand abschloß, die andere wurde von einem Flusse begrenzt. Die Uferböschung fiel nach dem Wasser zu steil ab, nur hier und da, wo das Erdreich stellenweise abgerutscht war, sah man ausgetretene Pfade, die Zugänge zu den Trintplätzen des Höhlenvoltes.
Er war auf die Hauptwohnstätte des Höhlenvolles gestoßen, auf das Hauptdorf. Im Gegensatz zu diesem Mittelpunkt wohn