Die Heue Weft

Nr. 20

Illustriertes Unterhaltungsblatt

Vor Adam.

1918

Ein vorgeschichtlicher Roman von Bad London

G

roßzahn" erinnerte sich genau an den ersten Winter nach seinem Abschied von Hause". Bis an sein Ende träumte er von falten Tagen, die er frierend und zähne flappernd verbrachte. " Hängohr" und er kro­chen dicht aneinander, umarmten sich mit allen vier Gliedern und blick­ten zitternd vor Frost und mit blauen Gesich tern in die veränderte Welt hinaus. Besonders gegen Morgen pflegte eine bittere Kälte ein­zufezen. In diesen falten Morgenstunden schliesen die Freunde wenig, hoc­ten starr und trübselig beisammen und warteten auf die Sonne, die ihnen endlich etwas Wärme spenden sollte. Gingen fie ins Freie, so knirschte der Reif unter ihren Füßen. Eines Morgens entdeckten sie Eis auf der Oberfläche des stillen Wassers neben dem Strudel am Trinkplatze. Darüber machte die Hor­de viel Aufhebens. Der alle Klapperknochen", wohl das älteste Mit­glied der Horde, hatte dergleichen noch nie er­lebt. Ein kläglicher und hilsesuchender Ausdruck fam in seine Augen, als er das Eis untersuchte. Diesen Ausdruck be­merfte ,, Großzahn" stets in den Augen seiner Genossen, wenn ihnen etwas unverständliches in den Weg kam, oder wenn ein dunkler und unerklärlicher Trieb in ihnen erwachte. Sogar " Rotauge" tah trostlos

und besorgt aus, als er

das Eis berührte. Düfter starrte er nach dem Nordosten, als hielte er das Feuervolk für die Ursache dieser Erscheinung.

Zum Glück war dies der einzige Mor­gen, an dem es Eis gab, und nie wieder

Rudolf Sied: Fraueninsel im Chiemsee .

Fact

( Fortegung.) hatte Großzahn" einen so falten Winter durchzumachen. Bielleicht war jener Winter der Borbote von vielen, die später famen, als die große Eisschicht von Norden her sich über die Länder schob. Doch Groß­

( Aus dem Kalender: Runst und Leben". Berlag Friz Heider, Berlin- Zehlendorf.)

zahns" Volk sah nie etwas von dieser Eis­zeit. Unzählige Genera­tionen müssen vergangen sein, ehe die Enkel dieser Horde weiter südwärts wanderten oder zurück­blieben und so genötigt wurden, sich den ver­änderten Verhältnissen anzupassen! Das Volk lebte ziellos in den Tag hinein. Sellen wurde ein Plan gemacht, noch seltener ausgeführt. Sie aßen, wenn sie hungrig waren, tranfen, wenn sie Durst fühlten, hüte­ten sich vor Raubtieren, suchten des Nachts in den Höhlen Schuh und spielten sich im übrigen durchs Leben. Große Neugier mar eine ihrer Haupteigenschaften. Sie waren leicht zu unter­halten und steckten voller Streiche. Ernsthaftes Wesen war ihnen fremd. Nur in der Gefahr oder im Zorn wurden sie überlegter, doch ver­gaßen sie schnell und mechselten häufig von Stimmung zu Stim­mung. So fam es, daß sie unbeständig waren und keine Entschlossen­heit zur Durchführung bestimmter Absichten be faßen. In dieser Hin­sicht war das Feuervol ihnen voraus. Diese Feuermenschen zeichne ten sich gerade durch jene Eigenschaften aus, die dem Höhlenvoll