Die Reue Welt. ZLustriertes UnterhaltungSblatt. 131 ZNimaturen. ' o mancher wird nicht wissen, was eine Mi- niaiur ist. Viele wer- den vielleicht antwor« ten: eine Miniatur sei irgend eine Sache im fleinen Format. Sprechen wir doch z.B. von Mtnialurousgaben bei Büchern, wobei wir kleine, handliche, zier- ltche Drucke und Ein- bände im Sinne haben. Mit den verschiedensten Dingen und Gegenständen können wir den Zusatz.en minjstiire"(aus dem Französischen übernommen) verbinden, um ste damit schon als von kleinem Formate zu kennzeichnen. Und doch hat der Begriff Miniatur Ursprung- ltch mit einem kleinen Formate gar nichts zu schaffen. Ihrer Entstehung nach ist die Minia- tur ein handschriftlich hergestellter Text, sei es in der älteren Rollen-, sei es in der neueren Buchform. Wie kommt nun diese Vszeich- nung zustande? Das Wort leitet sich ab von dem lateinischen Worte„minium", das die von uns als Mennig benannte Farbe bezeichnet. Auf der Unterlage nämlich, die man zum Schreiben benutzte, gleichgültig, ob es der ägyptische natürliche Papyrus oder schon das künsllich hergestellte Papier war, trug man die gera- den Hilfslinien, die man zur Gleichmätzigkeit und Korrektheit der Schrift brauchte, mit Mennig- färbe ein, ähnlich den hellblauen, eingedruck- ten Hilfslinien in den ersten Schreibheften un- ferer Schuljugend. Von diesem Minimum nun*' erhielten alle Handschriften und alle geschriebe- nen Bücher den Namen Miniatur. Aber, so wird man fragen, wie kam denn nun dieses Wort, das demnach wirtlich mit der Bezeichnung einer ge- ringen Größe nichts zu tun hat, zu dieser heute so geläufigen Bedeu- tung? Das erklärt sich auf einigen Umwegen folgendermaßen. Wenn es gleich Miniaturen gibt, die ausschließlich Text enthalten, über- wiegen doch jene, die außer dem Text und in ihn htneingesetzt, B i l- der enthalten. Die ersten haben ihren größten Wert für den Sprach- forscher, den Religions - forscher usw., die zwei- ten, jene mit Bildern, aber sind es in erster Linie, die den Kunst- Historiker enteresiieren. Wenn also der Kunst- Historiker von Mmiatu- ren spricht, so denkt er eigentlich nur immer an Handschriften mit Bil- dern, und bei diesen Handschristen wiederum sind es— eben die Bil- der, auf die er achtet, so daß im Munde des Kunsthistorikers das Wort Miniatur ge- radezu die Bedeutung:„gezeichnetes Bild In einer Handschrift" angenommen hat, namentlich auch deshalb, weil feit Guten- berg und seiner Erfindung die geschriebenen Bücher sehr schnell aus dem Gebrauch ka- men, da das gedruckte Buch seinen Sieges- lauf begann. Entsann man sich in dieser späten Zeit noch der Miniatur, so stand da- bei der geschriebene Text völlig im Hinter. gründe, man dachte nur an das Bild, das in den Text gezeichnet war, und da dieses Bild natürlich an Umfang ein kleines war, wenn man es mit den mehr und mehr üblich gewordenen Landschaften, Porträts, Still. leben oder gar den Wandbildern verglich, so konnte es wohl kommen, daß der Aus- druck„Miniatur" allmählich die Bezeichnung für ein k l e i n e s B i l d wurde, ganz gleich, ob es nun wirtlich noch ein handgezeichne- tes, für ein Buch gedachtes Bildchen war oder ein in Oel gemaltes kleinen Formats. Namentlich bürgerte sich der Ausdruck in der Zeit des 16. Jahrhunderts und dann in der Zeit des Biedermeier für kleinere Porträt- darstellungen ein, die meistens auf Elsenbein, Papier oder ähnliche zarte Stoffe gemalt waren. Recht häufig wurden solche Por» träts in kostbare goldene Medaillons eingc- setzt und als Schmuck getragen. Als es nun soweit war, daß man jedes kleine zierliche und kostbare Bild eine Miniatur nannte, schien der Sprung nicht mehr groß, wenn man es für die verschiedensten Dinge gebrauchte, sobald sie nur zierlich, klein und kostbar waren, für besonders zierliche Aus- gaben wertvoller Bücher usw. Das wäre in kurzem die Geschichte des Begriffs Miniatur. Unsere Abbildungen ihre öffentliche Ausstellung durch die ganze Zartheit und Hinfälligkeit ihres Ma- terials zur Genüge ver- bietet. Und doch gehört das Kapitel Miniawrma- lerei zu den weitaus an- ziehendsten und genußreich- sten der gesamten Kunst- geschichte, auch wenn man die indischen, persischen, ostasiatischen Miniaturen für heute außer Betrocht läßt. Für diesmal einige kurz'erläuterte Proben deutscher Miniaturmalerei. Aus der ältesten Zeit der deutschen Miniaturmaleret stammt der Hase aus dem Sakrameniarium(Meß- buch) von Gelone aus dem 8. Jahrhundert. Mit gro- ßem dekorativen Geschick ist der Hase mit dem Lor- beerzweig in einheitlicher Rundung zu einem zier- lichen Schlußstück gemacht worden. Mit besonderer Lust haben die Miniato- ren(so nennt man die Vor- fertiger von Miniaturen) von jeher die großen An- fangsbuchstaben, die söge- nannten Initialen(„ini- tiurn", Ornamontfries von einer Wand in St. Georg zu Oderzeil. jedoch halten sich für diesmal an den strengen Begriff der echten alten Miniatur. Damit führen sie uns in eine Well köstlicher Genüsse, die leider den meisten Menschen, auch denen, die sich ernster für Kunst inier- essieren, verschloffen geblieben ist. Denn selbstverständlich ist es hier schwerer, als auf anderen Gebieten der Kunst, die wirtlich wertvollen Originale zu sehen, weil sich lateinisch„der Anfang')dekoratio.zcich- nerisch ausgeschmückt. Davon gibt ein Beispiel das als Anfangsbuch- stabe dieses Artikels ab- gebildete große„L" aus einem Aatiphonar(Gesangbuch) zu St. Peter zu Salzburg . Drache und Bär verfolgen sich hier in den beiden Run- düngen des 5. Die Ent- stehungszeit dieser Zeich» nung wird um 1116 an- zusetzen sein. Aus dem Ende des 12. Jahrhun- derts stammt d,c Zeich» nung der Mütter des bethlehemitischen Kinder- Mordes, die durch ihre leidenschaftliche Erregt- hell unbedingt Eindruck macht. Ungefähr gleich» zellig ist die einer ganz anderen Stoffwelt an- Schärende berühmte ieichnung aus der„Ene- ide" des Heinrich von Veldegke, die sich im Besitz der Berliner Bi- bliothet befindet. Was hier dargestellt ist. lind Szenen aus der„Äenets" des Virgil, des großen römischen Dichters, der auf dem Bilde in mittel- alterlichem Rittergewan- de erscheint. Wie sehr diese Schiffs- und Tur- nierdarstellungen heute auch kulturhistorisch inler- efsieren, bedarf keines weiteren Wortes. Von ganz besonderem künst- lerischen Interesse aber ist eine Handschrift de« „Wilhelm von Oranje ", eines Gedichtes des Wolfram von Eschen- dach, die sich in Kassel befindet. Von den KOBildern dieser wertvollen Handschrift sind nämlich nur 33 vollendet, die übrigen- 25 sind nur in der Skizze und in mehr oder weniger weit gediehener malcri- scher Andeutung vorhanden, so daß man durch
Ausgabe
35 (18.8.1918) 33
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