Die Rene West

Nr. 36

Illustriertes Unterhaltungsblatt

Maria Thurnheer

Erzählung von Baul 3lg:

n einem jener rauhherrlichen Sonn tage erschien ich nach vorheriger Abrede wieder einmal im Pfört­nerhäuschen, um den alten Gries­

gram zu bitten, mir sein allzu be­hütetes Töchterlein auf einen Nachmittag anzuvertrauen. Maria wollte natürlich auch ihr Teil am fröhlichen Eisreigen; nur durfte ber Bater nichts davon wissen; dazu gab er die Erlaubnis nie. Ihn deuchte der Auf­Tauf lächerlich. Zur Ab­schredung erzählte er von einer gotiweiß ob und wann geschehenen Schlittenfahrt über den See, bet dem ein vor. nehmes Hochzeitspaar, Berwegenheit ftait An­bacht im Herzen, ein­gebrochen und einer Rotte Korah   gleich vor den Augen der Ver­wandten verschwunden war. Auf uns machten jedoch kaum die neuesten Opfer des Sports, auf

welche die Zeitung Lag für Tag mit schwarzer Hand hinwies, gebüh­renden Eindrud.

Nie fonnte ich vor bas Bleichegitter treten, ohne an meine ersie Einkehr zu denken. Sechs Jahre, das heißt diel Freude, Liebe, Förde­cung lagen bazwischen. War tch gleich noch ein Gebundener, noch lange

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ordentlich recken, um nur ihrem Körper­paß nichts nachzugeben. Meine stumme Bewunderung nahm sie als etwas Selbst­verständliches hin und fragte nur, leise ge­schmeichelt: Steht mir das Erwachsensein gut? Gelt, du haft mich doch lieber im furzen Kleid gesehen?

Ach ja, sie hatte meine Stimmung auf den ersten Blick erraten. Fühlte ich doch, wie sie mir mit Leib und Seele vorauseilte,

Spätsommer

1918

( Fortfehung)

,, Dem Vater sag nur, wir möchten zum Konzert in Uhligs Bierhalle und deine Mutter sei auch dabei. Bitte ja. Dann läßt er mich schon gehen," flüsterte sie mir auf der Treppe gebieterisch zu. Meine Beden­fen schnitt sie vorsorglich ab, indem sie schnell die Stubentür aufmachte.

Seit sich Herr Thurnheer von meiner Selbständigkeit überzeugt hatte, traf ich in seinen vier Wänden nur noch Wohlwollen an, was Maria trefflich in den Kram paßte. Da tommt unser Musterfnabe! Wie steht es, hat es auf Neujahr eine fette Gehaltszu­lage gegeben?" begrüßte mich der Alte, der die Wintersonntage am lieb ften in allerlei Gelehr­famfeit schwelgend auf dem Kanapee zubrachte. Mit dem Eijer, dem Respett eines wissens. durftigen Laten flu­dierte er ein in monat­lichen Heften erscheinen­des illustriertes Werk

Geht ein Gilben schon durch Strauch und Bäume? Stebn die Gräfer nicht schon braun und bart? Nebellchleier spinnen weiche Träume

Und die Vögel rüften sich zur Fahrt.

Tausend Wunden wieder bluten wollen- Wunden, die der Krieg dem Leben schlug... In den erntetoten Stoppelichollen Feuchter Frühberbitfelder wühlt der Pflug... Wühlt der Pflug die Zukunft neuem Leben: Jeder Tod fchafft jungem Werden Raum! Hoch am Himmel Wildgansfchwärme schweben... Gebt ein Gilben nicht durch Strauch und Baum?

nicht feind genug ben Retten zumeten vernahm ich doch schon den haben Ruf und geiftwedenden Erzflang der Freiheit.

Und sie, die mir an dieser Stelle zuerk bie Hand zum neuen Leben bot?

Maria hatte mich erwartet unb tam mir entgegen, prunkenb mit dem langen Meid, bas sie zu Weihnachten   bekommen hatte. Ich erschrat bei ihrem Anbiid. Weit über ihren Lebenstag erwachsen, fraulich, ziet. bewußt tam sie mir vor. Sie wich

und daß ich, trog allen reblichen Anstren gungen anporzufommen, in ihren wunsch nächtigen Augen zurückblieb. Nach zwet. drei Jahre bann war sie schon reif zum traulichen Bunde, eine feltene Blume im Bleichegarten, wo Hunderte vergeblich des Lichtes harrten und vorzeitig wellten.

Bleib bei mir, Maria! Balb bin ich beiner wert," hätte ich ihr kümblich zurufen mögen. y tat es nie mit Borten. Aber ihrem blieb das Gebet fdmerfich erborgen.

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Der Mensch und die

Erde", woraus er Gallin  und Lochter mehr zu feinem als zu ihrem Bergnügen ausgiebig vorlas. Wehe ihnen, wenn sie nicht geduldig, Mißbegierde heuchelnd, zuhörten. Dann schalt er fie eine zerfahrene, topischeue Sippe, bei bec die Bildung nur durch siende Rigen Eingang finde jebes Jahr ein paar armselige Späne. Ich faß noch taum, als er schon wieder in diese Rerbe bieb. Frau Thurn­heer, die ihr sonntägliches Strickzeug hand­habte, entgegnete scheinbar gefaffen: bah, das ist etwas für Männer; so ein junges Ding har eben andere Sprüche im Kopf. Es möte[ leber etwas vom Leben sehen, als fold trockenen Büchertram. Aber bas witist du nicht begreifen. Warem fell