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Die Neue Welt. Jlluftriertes Unterhaltungsblatt.
„ Schlaf Deinen Rausch aus," murrte Denier zurück
Der Streit war ganz nahe. Michel kannte fich selbst nicht mehr. Da trat Marianne zu ihm und pacte seine auf dem Tisch lie. gende Hand. Du fommst?" sagte sie. Er fühlte, wie ihre Hände vor Angst eistalt waren. Das ernüchterte ihn. Mit einer Art dumpfen, murrenden Grolls gab er nach, ließ sich von ihr aus der Stube führen, und als sie ihn draußen schweigend der Treppe zuschob, stieg er diese tappend hinan.
Was ist in den hineingefahren," fragte Denier, als Marianne wieder bei ihm eintrat.
„ Das weiß ich nicht," antwortete sie mit erstickter Shimme
Denier fragte nicht weiter. Sie ließ ihm auch nicht Zeit dazu, sondern machte sich braußen zu schaffen. Bald darauf brachte
sie ihn zu Bett. nur damit er nicht rede Aber sie merkte, wie er das fahle und entstellte Geficht oft und schnuppernd hob, als sei er auf der Spur deffen. mas den Michel verändert habe.
In der darauffolgenden Nacht, wie nun schon in vielen, fand Marianne den Schlaf nicht.
Spaan
Sie wälzte sich im Bett. Die Gedanken warfen sie hin und her. Einen Ausmeg, einen Ausweg! Bar ihre Jugend nichts? Sollte sie nichts von ihrer Jugend haben! Mein doch nein! Sie gehörte zu dem da, brüben im Bett zu Aber das Berlangen fonnte einen zugrunde richten! Es es richtete auch einen anderen zugrunde ben den Michel! Wie eine Best war es ihm angelprungen! Seit er im Hause war, hatte er sich nie anders als mäkig, arbeitsam und ernsthaft erwiesen! Und heute, als breche eine Wut an ihm aus, hatte er getan, was die Lagediebe und Säufer im Dorie taten! Das durfte fie zugeben fie?
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Auch die wilde Nacht brachte feine Mar heit. Mit Schwerem Kopf erhob sich Marianne am Morgen. Es war noch stodfinster, und die Betroleumlampe mußte zum Früh stüd leuchten, das fie mit Knecht und Mäqden in der Stube einnahm. Raum laßen fie am Tisch, als Michel dazu tom. Er tat, als ob nichts vorgefallen sei, wünschte furz guten Tag und nahm.schweigend und hastig die Mahlzeit ein Beim Aufstehen machte er eine Bemerkung bezüglich der Arbeit. die er eben vorhatte. Als Melf und die Mädchen nach ihm die Stube verlassen hatten, fam er zurüd, um etwas Bergessenes au holen.
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Er trat zu Morianne, ehe er sich wieder entfernte. Ueberlege, mas werden foll," raunte er ihr zu.„ Es muß einen Weg geben."
Sie antwortete nicht und ließ ihn gehen. Ihr Sinn war wirr Mühjam aina sie baran, die Stube aufzuräumen. Heinrika fam herein und half ihr. Sie öffneten die Fenster, und die eisfafte Luft quoll in Bellen herein.
Diz Mahlzeit war bald vorüber. Reins mochte reden. Melt, der Knecht, Schoß heimlich neugierige Blide auf Michel und bie Frau Die Heinrile schaute personnen auf ihren Teller und schien fich nicht um die andern zu kümmern; die Aloisia aber faß mit gefenftem Kopf und betete lange, als fie mit dem Effen fertig wur Dann stand das Gefinde aleichzeitia auf. Michel allein blieb fiken: er Ichnitt fich, nachdem er wie die andern zu effen aufgehört, plöklich noch ein Stüd Brot ab.
Wer ist noch da?" fragte Denier. Ich bin noch ba," gab Michel laut aurüd. Dann stand er auf. Den. Ichten Biffen Brot marf er auf den Tich, daß die Bro famen stoben, ging bis zur Tür und faßte diz Klinte
Marianne war im Begriff ihm zu jolgen. Dann blieb sie stehen. Michel, der wie ein Stier, die Stirn voran, zur Tür gegangen war, drehte den Kopf nach ihr und fragte:„ Nun? Was ist jetzt?"
Sie verstand nicht, was er meinte. Aber fie blidte ihn zornig an. Es empörte sie, daß er ihr das Leben noch schwerer machte.
Da versperrte er mit dem Rücken die Tür. Die eine Hand legte er von rückwärts um die Klinke. Seine Schultern waren breit, seine Beine stämmig, und an seinen Armen lagen die Musfein wie graue Granitbrocken unter der Haut. Wie es ist, will ich jet wiffen!" wiederholte er.
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Nun erriet sie, wo hinaus er wollte. ,, Bist Du nicht bei Troft, Michel!" sagte sie.
Er hielt die Tür zu und blickte höhnisch auf die beiden, denen er den Ausweg versperrte. Der Gedante, daß er sie in seiner förperlichen Gewalt hatte, machte ihm Freude.„ Soll ich schweinen, weil der bort hört, was ich sage?" antwortete er Marianne. Was fümmert es mich, mas der dort hört! Menn er einen Funken Ehrgefühl im Leibe hätte, hätte er lange gewußt, was Pflicht wäre!"
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Was was wäre das?" fragte Denier. Er lehnte fich fo heftig im Stuhle vor, daß diefer mit ihm einen Schritt vorrutschte. " Die Frau loszugeben! Du!" schrie Michel ihn an.„ Blutsauger, giftiger! Beil Dich ein Unglüd getroffen, hältst einen andern neben Dir im Unglüd fest! Weil Du vom Leben nichts mehr haben fannst, läffeft einen andern Menschen neben Dir verfümmern! Ich habe Dich für einen rechten Mann gehalten, aber ein Schinder bist, einer der
Sekt ist es genug, Michell" fagte Marianne.
Bom Augenblid getrieben, trat sie dicht neben den Stuhl Deniers und leate die eine Hand auf die Lehne. Ihre Augen die fonit häufia unter den langen meiken impern verborgen waren. ftanden groß offen, und die Errequna des Augenblics zudte in allen 3ünen des starten Gefichts.
Michel stukte. Ihre poffe frauliche GeStaft schien fich geftredt zu haben, und er hatte sie noch nie in folchem Ton reden gehört. Verftell Dich doch nicht. Du." fuhr er dann, zu ihr gemandt, zornig meher. „ Sei ehrlich und fag ihm, zu wem Du gehörft. au mir oder zu ihm!"
Geines Rechtes sicher, staunte er fast. bak fie noch immer neben ihres Donnes Stuhl ftand. Er ließ die Türflinte los und fam näher Sahaha!" lachte er.„ Du hast 2nast vor ihm Ich mill Dir helfen. Ich mill Dich schon megbringen von ihm." Er ftrete die Band aus und wollte ihren rm foffen.
Da lehnte fich Marianne über den Stuhl Deniers zurüd, um ihm auszumeichen. Sie mor fo bleich, als ob fie im näiten Augenblid umfiele. Und plöhlich stieß sie heraus: Beh, pod zusammen, Michel; wir zahlen Dich aus!"
Michel zog die ausgeftredte Hand zurück, fah fie an fchludte und fab fiz mieder an; dann verzoa fich sein Geficht. Er Spudte ihr nor die Füße und ging. Es war aber nicht fein gelenfiger und doch lauter Schritt, mit dem er fich entfernte. Es börte fich an, als bliebe er immer wieder stehen, um fich zu belinnen
Marianne perfiek die Stelle, wo sie stand und trat zum Schrant, wo Denier fein Geld hatte Sie entnahm ihm ein Buch. Dann begann fie mit dem Blinden zu unterhandeln. Das unb bos bätte Michel au qut. Was ie ihm bezahlen follte?
Denier gab in einer halb verfahrenen, halb mißtraulichen Art Boichoid. Es mar, als marte er ned immer auf bas, mas tommen follte Weher das, was geschehen war, robete er fein Wort.
Marianne schickte die Aloista mit einem Zettei, auf dem die Ausrechnung stand, und mit dem Geld zu Michel hinauf, den sie in seiner Kammer wußte. Die Aloisia sah fie ungläubig an. Dann ging fie doch. Nach einer Weile fam sie mit dem Zettel zurück. Michel hatte ihn mit festen Schriftzügen unterschrieben:„ Mit vielem Dank für das schöne Geld. Michel Denier."
Marianne fah ihn vor jich, wie er zornig sich hingeseht und die Feder ins Bapier gefragt hatte. Es fchen ihr eine Dronung in den Worten zu liegen, und sie wartete den ganzen Abend darauf, daß er diese Drohung wahr mache. Sie glaubte nicht daran, daß Michel gutwillig aus dem Hause gehe. Den ganzen Abend blieb sie wie zur Verteidigung gerüstet. Sie ging mit lauten Schritten hin und her, hatte eine barsche Simme, wenn fie mit dem Gesinde oder mit Denier sprach, und gab sich den Anschein, als ob die Sache mit Michel ihr schon aus dem Sinn gefallen wäre. Aber sie fah die lauernde Spannung, die immer noch in des Blinden Geficht stand, und alle ihre Gedanken gipfelten in dem einen: Er muß aus dem Hause, der Michel! Fort muß er, fobald es fein kann!"
Michel ging an diesem Abend nicht. Er verließ zwar bei Einnachten das Haus und Marianne hörte ihn die Haustür zuschla.. gen, aber sein Roffer stand doch in seiner Rammer. als fie nachsah.
Denier fragte, ob er gegangen fei. Darauf gab sie Bescheid, daß er wohl noch einmal wiederkomme und fügte hinzu:„ Er soll micht machen, daß ihn ber Polizist hinausbringen muß!"
Das Wort stach sie wie ein Messer, als fie es fagte, aber sie wollte es fagen. Sie hätte in diesem Augenblick selbst mit den Fäusten den Michel gepackt, wenn es nötig gewesen wäre.
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Dann kam die Nacht. Die Heinrita ging Schlafen Melf der Knecht, tam herein, jagte mit feiner halb neugierigen, halb unterwürfigen Miene„ Gut' Nacht!" und ftieg nach seiner Rammer hinauf. Marianne brachte ihren Mann zu Bett, wobei fie fein Wort miteinander Sprachen. Zuleht Schlurfte die Aloisia über die Treppe hinauf nach ihrer Schlafftube Ein Knarren fam noch von oben herab, als fie ihre Türe schloß. Dann wurde es ganz ftill. Marianne laẞ noch, ein Reidungsstüd ihres Mannes ausbessernd, am Tisch, hörte das Kwar ren und lauschte mit eingezogenem Atem, Ohne daß sie ganz flar darüber gewesen, hatte sie es miterlebt und miterlauscht, wie es im Hause stiller und stiller geworden war. Nachdem das Knarren jener Türe verftummt war, erschreckte sie das jähe. tiefe Schweigen. als ob etwas Drohendes und Gefürchtetes plöglich vor ihr stehe. Sie legie die Arbeit auf den Tisch und hob den Ronf. Langsam und fcheu ch fie fich im Bimmer um Es war, als hätte bie Stille Geftalt nicht eine, fondern vielfache, als fäme sie aus dem unteren Stodmert heraufoffenen mit lautins Ihlennenden Schritten und von unterm Dache her und der buntein Rüche, selbst von nebenan aus der Rammer des Mannes. Diefes unlichthar Mahende, Schemenhafte und Dunkle fteffte fich rings um fie, Marianne an den Bänden auf und stierte sie an. Nicht. daß fie fich fürch tele! ber der mühlam in fich aufgerüttelte Born. Die Stärke der Erreouna föften fich von ihr ab, als nähmen unlichtbare Hände. fie von ihr. Es war nichts mehr de mas ihren Widerstand herausforderte. Michel war noch nicht zurüdaefammen! Michel! 9fuf einmal forana ihr des Bemustein auf, bak jener nicht mehr lanne hier lein mürde, menn er auch zurüdfam! Er nina fort aus dem Hause, aus ihrem Beben hinaus, für immer! Schluk folgt)
Nachbrad bes Jaballs verbofen! Berantwort! Rebatteur L. Salomon Belien Berlin.( Alle für die Medaktion bestimmten Gendungen find zu richten nach Berlin , Lindenstr. S. Berlag Hamburger Buchdruderei und Berlagsanstalt Auer& Co.. Sambura Drud Rormärts Budruderei und Berlaasanftalt Baul Singer& Co., Berlin SB. 68.