Nr. 12.Berlin, Dienstag den iL. Januar 1866.Zweiter Jahrgang.Zocial-Deinolirlit.Diese Zeitung erscheint täglichmit Ausnahmeder Sonn- und Festtage.Organ der social-dcmolratischen Partei.Redigirt von I. L. v. Hosstctteu und I. B. V. Schweitzer.Redaction und Expedition:Berlin,Dresdnerstraste Nr. 8b.Abonnements- Preis fitr Berlin incl. Bringerlobn: vierteljährlich 18 Sgr., mo-natlich ö Sgr., einzelne Nummern 1 Sgr.; bei den Königl. preußischen Post-ämtern Sgr., bei den preußischen Postämtern im nichtprenßischen Deutsch-land 183/4 Sgr., im übrigen Deutschland 1 Thlr.(fi. 1. 4b. südd., st. 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Cour du Commerce Saint-Andrd-dea-Arts.Die reine Demokratie und die Zonal-Demokratie.i.Welcher Gegensatz besteht zwischen der reinenoder bürgerlichen»nd der Social- Demokratie inder industriellen Gesellschaftsordnung?Dies ist die Frage, deren Beantwortung wiruns zur Aufgabe machen wollen.Unter der industriellen Gesellschaftsordnung ver-stehen wir diejenige, in welcher als Grundprincipanerkannt ist: die(formelle) Gleichheit Aller durchdas(formelle) gleiche Recht eines Jeden auf jedenErwerb und auf jeden Besitz, somit eine Gesammt-heit von zu gleichem Erwerbe Berechtigten, und,daraus abgeleitet, die Theilnahme der Gesammtheitan der Leitung des Staates oder die Souveränetätdes gesammlen Volkes.Wir verstehen also darunter den„modernenRechtsstaat" der Bourgeoisie.Daß und warum in dieser Gesellschaftsordnung,im modernen Rechtsstaate der Bourgeoisie, allerKapitalerwerb, über die Grenzen der Befriedigunger täglichen Lebensnothdurst hinaus, nur auffxund des Besitzes von Kapital möglich ist, dembettenden Kapital also die capitallose Arbeit, dertzenden Klasse eine nichf besitzende gegenüber-. dies Alles darf um so inehr als bekanntnsgesetzt werden, da es Niemanden! einfällt,bestreiten.rf Grund dieses Sachverhalts aber sehen wirötaat der industriellen Gesellschaftsordnung,er praktisch wollend und handelnd auftritt,ei entgegengesetzten Interessen bestimmt wer-n dem der besitzenden Klasse einerseits undm der nichtbesitzendcn andererseits.o zwar stehen sich diese Interessen sowohl inang auf die Verfassung, als auch in Be-z auf die Verwaltung des Staates1.scheu den Interessen beider Klassen abers abstracte demokratische Princip der reinen»tie.Forderungen treffen mit denen der nichti Klasse und der Social-Demokratie zu-sobald die industrielle Gesellschaft zurnetät gelangt.n für die reine Demokratie ist die Ungleich-Besitzes etwas Zufälliges und daher Un-dies; ihr gilt vielmehr die Gleichheit alszte Voraussetzung; daher hält sie sich auch>ch für möglich, wenn die Verwaltung desnickt im Interesse der nichtbesitzendenusgeübt wird.befindet sick daher fast in gleichem Wider-mit der besitzenden Klasse, der sie bezüglichrfassung— zu weit geht, wie mit dersitzenden Klasse, der sie bezüglich der Ver-ng— nicht weit genug geht.Daher sehen wir sie auck, erst nach dem Siegeder behcrrsckten besitzlosen Klasse über die herrschendebesitzende für den Augenblick zu gemeinschaftlicherGründung der Verfassung vorangestellt, nichtfrüher zur Herrschaft gelangen und sofort wiederverdrängt, wenn das Klasseninteresse die Verwal-tungsgrundsätze zu bestimmen beginnt.Sehen wir nun, welche Anforderungen an denStaat die Interessen der beiden Gesellschaftsklassenerheischen, und zwar zuerst bezüglich der Verfassung,sodann hinsichtlich der Verwaltung.Daraus wird sich sodann auch im Besonderender bereits ini Allgemeinen gekennzeichnete Gegen-satz zwischen der reinen oder bürgerlichen und derSocial-Demokratie ergeben.Als erste Forderung an die Staatsverfassungbedingt der Besitz jederzeit die des Census, d. h.die Forderung, daß ein gewisses Maß des mate-riellen Besitzes die nothwendige Voraussetzung derTheilnahme am Staatswillen sei, mag nun dieserCensus größer oder kleiner, offener oder versteckter>auftreten.Die zweite Forderung dieser Klasse an die Ver-fassnng ist das Vorhandensein eines Regiernngs-organs, in welchem ihre Staatsidee selbstständigund selbstthätig zum Ausdruck gelangen kann.Denn das erwerbende Kapital, der Besitz über-Haupt— gleichviel, ob Grundbesitz oder Kapital-besitz, da in der industriellen Gesellschaftsordnungauch der Grundbesitz ein industrieller geworden ist,— bedarf vor Allem der Ruhe, der ungestörtenEntfaltung seiner Functionen im industriellen Er-werb und diese Ruhe gilt es, gegen die leicht be-wegliche, mit der besitzenden Klasse um die Staats-gewalt streitende nichtbesitzende Klasse, sicherzu-stellen. Bleibt die besitzende Klasse im Besitze derStaatsgewalt, so muß sie selbst diese gegen dieBesitzlosen vertheidigen, was, wie gesagt, für siestörend und zeitraubend ist, und ihr daher mehrSchaden zufügt, als ihr der Besitz der eigent-lichen Staatöhohheit Nutzen bringt. Sie ziehtdaher, jedoch nur unter gewissen Voraussetzungen,die königliche Gewalt vor, wenn nämlick das König-thum sich zu einer Verfassung entschließen kann,welche die Herrschaft der Kammermajorität, reprä-sentirt durch die besitzende Klasse, auch praktischanerkennt. Wo kein König da ist, stellt sie an dieSpitze des Staates einen vom Volke gewähltenunverantwortlichen Präsidenten und dessen Ministe-rium, und in ihm die Staatsgewalt über die Machtder besitzenden sowie der nichtbesitzenden Klasse,womit die Idee des selbstständigen Staatesihren Ausdruck gefunden hat.Die dritte Anforderung der besitzenden Klassean die Verfassung res Staates ist die Verant-wortlichkeit der Minister, nicht als juristischeVerantwortlichkeit, sondern als Herrschaft der Kam-mermajorität, also als Herrschaft der Majoritätder Interessen der besitzenden Klasse.Diese Anforderung wird stets um so entschie-dener gestellt, je reiner die Herrschaft dieser Klaffeihren Ausdruck im Census gefunden hat.Jedoch fordert die Bourgeoisie diese Minister-verantworlichkeit nur als eine Kammerverant-wortlichkeit und spricht dem Volke, trotz derAnerkennung seiner Souveränetät, alles Recht ad,die Minister durch ein anderes Organ zu beHerr-schen, als durch die Kammer. Der Grund davonist bereits angedeutet: durck die Herrschaft derMajorität der Interessen in der Herrschaft derKammer über das Ministerium.Deutlicher wird dies jedoch erst durch einen Blickauf die Verwaltung, wie sie das Interesse der be-sitzenden Klasse erfordert.Hievon im nächsten Artikel.politischer TheU.Deutschland.* Verlin, 15. Januar.[Eröffnung desLandtags.) Um 1 Uhr heute Mittag versam-melten sich, nachdem im Laufe des Vormittags inder(evangeschen) Domkirche und der(katholischen)St. Hedwigskirche Gottesdienst stattgefunden haste,die Mitglieder der beiden Häuser des Landtags imweißen Saale des Königl. Schlosses, worauf derMinisterpräsident in Gegenwart aller Minister undder anwesenden Landtagsmitglieder(der PräsidentGrabow war gleichfalls anwesend) die nachstehendeThronrede verlas:Erlauchte, edle und geehrte Herren vonbeidenHäusern des Landtages!Seine Majestät der König haben mir den Auftragzu ertheilen geruht, den Landtag der Monarchie in Aller-höchstihrem Namen zu eröffnen.In der letzten Sitzungsperiode ist wie in den Bor-jähren in Ermangelung der nothwendigen Uebereinstim-mung der Häuser des Landtages unter einander und mitder Krone das in Artikel 29 der Bersassungs- Urkundevorgesehene Etatsgesetz nicht zu Stande gekommen. Eshat daher auch im abgelaufenen Jahre die Staatsvcr-waltung ohne ein solches Gesetz geführt werden müssen.Die Nachweisung der Einnahmen und Ausgaben,welche der Finanz-Berwaltung des verflossenen Jahre»als Richlschnnr gedient hat, ist amtlich zur öffentlichenKenntniß gebracht worden.Der StaatshauShalts-Etat für da» laufende Jahr wirddem Landtage nnverweilt vorgelegt werden. Aus dem-selben werden Sie die Ueberzeugung gewinnen, daßunsere Finanzen sich fortdauernd in günstiger Lage befinden.Bei den meisten Berwallungszweigen ist nach denbisherigen Ersahrungen eine Erhöhung der Einnahme-Ansätze zulässig gewesen, welche die Mittel geboten hat,im Etat die Befriedigung zahlreicher Mehrbcdllrfnissevorzusehen und zur weiteren Verbesserung de« Dienstein-kommen» der geringer besoldeten Beamtenklaffen eineangemessene Summe zu bestimmen, ohne das Gleichge-wicht zwischen Einnahme und Ausgabe zu stören.Den Häusern de« Landtages wird, dem Vorhehaltim§. 8 des Grundsteuer-Gesetzes vom 21. Mai 1861