Nr. 12. Berlin  , Dienstag den iL. Januar 1866. Zweiter Jahrgang. Zocial-Deinolirlit. Diese Zeitung erscheint täglich mit Ausnahme der Sonn- und Festtage. Organ der social-dcmolratischen Partei. Redigirt von I. L. v. Hosstctteu und I. B. V. Schweitzer. Redaction und Expedition: Berlin  , Dresdnerstraste Nr. 8b. Abonnements- Preis fitr Berlin   incl. Bringerlobn: vierteljährlich 18 Sgr., mo- natlich ö Sgr., einzelne Nummern 1 Sgr.; bei den Königl. preußischen Post- ämtern Sgr.  , bei den preußischen Postämtern im nichtprenßischen Deutsch  - land 183/4 Sgr., im übrigen Deutschland 1 Thlr.(fi. 1. 4b. südd., st. I. bO. iisterr. Währ.) pro Quartal. Bestellungen werden auswärts auf allen Postämtern, in Berlin   auf der Expedition, von jedem soliden Spediteur, von der Expreß-Compagnie, Spandauerbrücke 3, sowie auch unentgeltlich von jedemrothen Dienstmann" entgegen geuoinnien. Inserate(in der Expedition aufzugeben) werden pro dreigespaltene Petit-Zeile bei Arbiiter-Annoncen mit l Sgr., bei sonstigen Annoncen mit 3 Sgr. berechnet. Agentur für England, die Colonieen und die überseeischen Länder: blr. kenäer, 8. l-ittle New-Port-Street, Leicester-Square W. C.   London  . Agentur für Frankreich  : G. A. Alexandre, Strasabonrg, 5. Kue Bnilee; Paris  , 2. Cour du Commerce Saint-Andrd-dea-Arts. Die reine Demokratie und die Zonal- Demokratie. i. Welcher Gegensatz besteht zwischen der reinen oder bürgerlichen»nd der Social- Demokratie in der industriellen Gesellschaftsordnung? Dies ist die Frage, deren Beantwortung wir uns zur Aufgabe machen wollen. Unter der industriellen Gesellschaftsordnung ver- stehen wir diejenige, in welcher als Grundprincip anerkannt ist: die(formelle) Gleichheit Aller durch das(formelle) gleiche Recht eines Jeden auf jeden Erwerb und auf jeden Besitz, somit eine Gesammt- heit von zu gleichem Erwerbe Berechtigten, und, daraus abgeleitet, die Theilnahme der Gesammtheit an der Leitung des Staates oder die Souveränetät des gesammlen Volkes. Wir verstehen also darunter denmodernen Rechtsstaat" der Bourgeoisie. Daß und warum in dieser Gesellschaftsordnung, im modernen Rechtsstaate der Bourgeoisie, aller Kapitalerwerb, über die Grenzen der Befriedigung er täglichen Lebensnothdurst hinaus, nur auf fxund des Besitzes von Kapital möglich ist, dem bettenden Kapital also die capitallose Arbeit, der tzenden Klasse eine nichf besitzende gegenüber- . dies Alles darf um so inehr als bekannt nsgesetzt werden, da es Niemanden! einfällt, bestreiten. rf Grund dieses Sachverhalts aber sehen wir ötaat der industriellen Gesellschaftsordnung, er praktisch wollend und handelnd auftritt, ei entgegengesetzten Interessen bestimmt wer- n dem der besitzenden Klasse einerseits und m der nichtbesitzendcn andererseits. o zwar stehen sich diese Interessen sowohl in ang auf die Verfassung, als auch in Be- z auf die Verwaltung des Staates 1. scheu den Interessen beider Klassen aber s abstracte demokratische Princip der reinen »tie. Forderungen treffen mit denen der nicht i Klasse und der Social-Demokratie zu- sobald die industrielle Gesellschaft zur netät gelangt. n für die reine Demokratie ist die Ungleich- Besitzes etwas Zufälliges und daher Un- dies; ihr gilt vielmehr die Gleichheit als zte Voraussetzung; daher hält sie sich auch >ch für möglich, wenn die Verwaltung des nickt im Interesse der nichtbesitzenden usgeübt wird. befindet sick daher fast in gleichem Wider- mit der besitzenden Klasse, der sie bezüglich rfassung zu weit geht, wie mit der sitzenden Klasse, der sie bezüglich der Ver- ng nicht weit genug geht. Daher sehen wir sie auck, erst nach dem Siege der behcrrsckten besitzlosen Klasse über die herrschende besitzende für den Augenblick zu gemeinschaftlicher Gründung der Verfassung vorangestellt, nicht früher zur Herrschaft gelangen und sofort wieder verdrängt, wenn das Klasseninteresse die Verwal- tungsgrundsätze zu bestimmen beginnt. Sehen wir nun, welche Anforderungen an den Staat die Interessen der beiden Gesellschaftsklassen erheischen, und zwar zuerst bezüglich der Verfassung, sodann hinsichtlich der Verwaltung. Daraus wird sich sodann auch im Besonderen der bereits ini Allgemeinen gekennzeichnete Gegen- satz zwischen der reinen oder bürgerlichen und der Social-Demokratie ergeben. Als erste Forderung an die Staatsverfassung bedingt der Besitz jederzeit die des Census, d. h. die Forderung, daß ein gewisses Maß des mate- riellen Besitzes die nothwendige Voraussetzung der Theilnahme am Staatswillen sei, mag nun dieser Census größer oder kleiner, offener oder versteckter> auftreten. Die zweite Forderung dieser Klasse an die Ver- fassnng ist das Vorhandensein eines Regiernngs- organs, in welchem ihre Staatsidee selbstständig und selbstthätig zum Ausdruck gelangen kann. Denn das erwerbende Kapital, der Besitz über- Haupt gleichviel, ob Grundbesitz oder Kapital- besitz, da in der industriellen Gesellschaftsordnung auch der Grundbesitz ein industrieller geworden ist, bedarf vor Allem der Ruhe, der ungestörten Entfaltung seiner Functionen im industriellen Er- werb und diese Ruhe gilt es, gegen die leicht be- wegliche, mit der besitzenden Klasse um die Staats- gewalt streitende nichtbesitzende Klasse, sicherzu- stellen. Bleibt die besitzende Klasse im Besitze der Staatsgewalt, so muß sie selbst diese gegen die Besitzlosen vertheidigen, was, wie gesagt, für sie störend und zeitraubend ist, und ihr daher mehr Schaden zufügt, als ihr der Besitz der eigent- lichen Staatöhohheit Nutzen bringt. Sie zieht daher, jedoch nur unter gewissen Voraussetzungen, die königliche Gewalt vor, wenn nämlick das König- thum sich zu einer Verfassung entschließen kann, welche die Herrschaft der Kammermajorität, reprä- sentirt durch die besitzende Klasse, auch praktisch anerkennt. Wo kein König da ist, stellt sie an die Spitze des Staates einen vom Volke gewählten unverantwortlichen Präsidenten und dessen Ministe- rium, und in ihm die Staatsgewalt über die Macht der besitzenden sowie der nichtbesitzenden Klasse, womit die Idee des selbstständigen Staates ihren Ausdruck gefunden hat. Die dritte Anforderung der besitzenden Klasse an die Verfassung res Staates ist die Verant- wortlichkeit der Minister, nicht als juristische Verantwortlichkeit, sondern als Herrschaft der Kam- mermajorität, also als Herrschaft der Majorität der Interessen der besitzenden Klasse. Diese Anforderung wird stets um so entschie- dener gestellt, je reiner die Herrschaft dieser Klaffe ihren Ausdruck im Census gefunden hat. Jedoch fordert die Bourgeoisie diese Minister- verantworlichkeit nur als eine Kammerverant- wortlichkeit und spricht dem Volke, trotz der Anerkennung seiner Souveränetät, alles Recht ad, die Minister durch ein anderes Organ zu beHerr- schen, als durch die Kammer. Der Grund davon ist bereits angedeutet: durck die Herrschaft der Majorität der Interessen in der Herrschaft der Kammer über das Ministerium. Deutlicher wird dies jedoch erst durch einen Blick auf die Verwaltung, wie sie das Interesse der be- sitzenden Klasse erfordert. Hievon im nächsten Artikel. politischer TheU. Deutschland  . * Verlin, 15. Januar.  [Eröffnung des Landtags.) Um 1 Uhr heute Mittag versam- melten sich, nachdem im Laufe des Vormittags in der(evangeschen) Domkirche und der(katholischen) St. Hedwigskirche Gottesdienst stattgefunden haste, die Mitglieder der beiden Häuser des Landtags im weißen Saale des Königl. Schlosses, worauf der Ministerpräsident in Gegenwart aller Minister und der anwesenden Landtagsmitglieder(der Präsident Grabow   war gleichfalls anwesend) die nachstehende Thronrede verlas: Erlauchte, edle und geehrte Herren vonbeiden Häusern des Landtages! Seine Majestät der König haben mir den Auftrag zu ertheilen geruht, den Landtag der Monarchie in Aller- höchstihrem Namen zu eröffnen. In der letzten Sitzungsperiode ist wie in den Bor  - jähren in Ermangelung der nothwendigen Uebereinstim- mung der Häuser des Landtages unter einander und mit der Krone das in Artikel 29 der Bersassungs- Urkunde vorgesehene Etatsgesetz nicht zu Stande gekommen. Es hat daher auch im abgelaufenen Jahre die Staatsvcr- waltung ohne ein solches Gesetz geführt werden müssen. Die Nachweisung der Einnahmen und Ausgaben, welche der Finanz-Berwaltung des verflossenen Jahre» als Richlschnnr gedient hat, ist amtlich zur öffentlichen Kenntniß gebracht worden. Der StaatshauShalts-Etat für da» laufende Jahr wird dem Landtage nnverweilt vorgelegt werden. Aus dem- selben werden Sie die Ueberzeugung gewinnen, daß unsere Finanzen sich fortdauernd in günstiger Lage be­finden. Bei den meisten Berwallungszweigen ist nach den bisherigen Ersahrungen eine Erhöhung der Einnahme- Ansätze zulässig gewesen, welche die Mittel geboten hat, im Etat die Befriedigung zahlreicher Mehrbcdllrfnisse vorzusehen und zur weiteren Verbesserung de« Dienstein- kommen» der geringer besoldeten Beamtenklaffen eine angemessene Summe zu bestimmen, ohne das Gleichge- wicht zwischen Einnahme und Ausgabe zu stören. Den Häusern de« Landtages wird, dem Vorhehalt im§. 8 des Grundsteuer-Gesetzes vom 21. Mai 1861