Nr. 91,Berlin, Sonntag den 6. Mai 1866.Zweiter Jahrgang.Dtmolnnt.Dies« Zeitunz erfditint drei Mal wöcheinlichund zwar l Dienstag«. Donnerstag« undSonnabends Abend«.Organ der social-demokratischen Partei.Redigirt von Z. V. v. Hosstetten und Z. 8. v. Schweitzer.Redaction und Expedition:Berlin,Alte Jakobstraste Nr. 67.Nbonncmenl«-Prei? für Berlin incl. Bringerlohn: vierteljädrlich 15 Sgr., monatlich 5 Sgr., einzelne Nummern 1 Sgr.; bei den Königl. preußischen Post-ämtern 15 Sgr., bei den preußischen Postämtern im nichtvreußischen Deutsch-land 12'/« Sgr., im übrigen Deutschland A) Sgr. sfl. 1. IV illdd., st. 1. österr.Währ.) pro Quartal.Bestellungen werden auswärt« auf allen Postämtern, in Berlin auf der Erpedition.von jedem soliden Spediteur, von der Exprcß-Eompagnie, Zimmerstraße 46», sowieauch unentgeltlich von jedem„rothen Dienllmann" enlgegen genomnien.Inserate(in der Expedition aufzugeben) werden pro dreigespaltene Pem-Zeile beiArbeiter-Annoncen mit 1 Sgr., bei sonstigen Annoncen mit 6 Sgr. berechner.Agentur für England, die Eolonieen und die überseeischen Länder: btr. Lcuüer, 8. I-ittle X«»-I'c>rt-8trevr, I.ojee,ter-8g»»ro W. C. London.Agentur für Frankreich: G. A. Alexandre, Straasbonrg, 5. Rue Brulee; Paris, 2. Cour du Commerce Saint-Andrä-des-Arts.Die deutschen Arbeiter und das neuesteGrostpreustenthum*)bilden den Gegenstand eines von uns bereits er-wähnten und„Die Arbeiter" überschriebenen Leit-artikels des halbosficiöfen Berliner„Publicist."Der Artikel, ein seltsames Gemisch von wahrenund unwahren Behauptungen, von richtiger undverkehrter Auffassung, von Thalsachen und Erfin-düngen, veranlaßt uns, in Kürze unsere Anstchtenüber die Stellung auszusprechen, welche die Arbeiter-parte! gegenüber der neupreußischen GroßmachtS-Politik einzunehmen hat und unserer Ansicht zufolgewirklick einnimmt.Wir lasten zu diesem BeHufe erst den ArtikeldeS„Publicist" hier folgen, welcher schreibt:Die Arbeiter haben zu der Wahlrechlssrage»nd znder deutschen Frage bekanntlich bereit« eine andre Post«tion genommen, al« die Führer der Fortschrittspartei,theil« stehen sie im Begriff, e« noch zu tbnn.Die Laffallcaner, die StaatShilse wollen,»nd dieSchulzeaner, die ihre Sache auf Selbsthilfe stellen, stim«men darin überein, daß sie nicht blo« da« allgemeinegleiche Wahlrecht, sondern auch directe Wahl fordern,weil, wie sie gleichmäßig erklären, beide« die erste Be-dingung sei, um die Jnteresten der Arbeiter und denWillen der Arbeiter staatlich zur Geltung zu bringen.Die Führerschaft der Fortschrittspartei kann sichzwar natürlich gegen die Forderung de« allgemeinengleichen Wahlrecht« nicht sperren; desto weniger behagtihr bis jetzt die directe Wahl. Augenscheinlich ist sieinißtrauisch gegen die Handhabung und die Resultatediese« Wahlmodu«. Das ist auch durchaus erklärlich,nachdem sich da« in Preußen bestehende Wahlgesetz inseiner Anwendung und seinen Erfolgen so günstig fürdie Partei gezeigt hat.In der deutschen Frage findet uutcr den Arbeitern,wie man au« dem Di«cussion«gange in ihren Bersamm-lungen entnehmt» kann, ein Schwanken statt. Ueberden Principalsatz, daß die Einheit Deulschlaiid« zu er-streben ist, herrscht allerdings kein Schwanken, desto mehraber über die Frage, wie sie zu erstreben und zu errei-chen ist.Die Kleinstaaterei»nd die aus ihre Erhaltung, jaFörderung gerichtete deutsche Politik findet in dem ansich gesunden Sinn und in dem urwüchfigen Urtheilcder Arbeiter keine Vertretung, daher denn auch nicht dieAugustenburg'sche Färbung der SchleSwig-HolsteinschcnFrage. In dieser Beziehung weicht die Arbeiterpolitikvon der Politik der Führer der Fortschrittspartei merk-lich ab.Wa« dagegen an Stelle der Kleinstaaterei»nd derparticularistischen Zerrissenheit treten soll, darüber fehltebenso Klarheit al« Einigkeit. Man möchte wohl Preu«ßen den Berus übertragen sehen, da« Einheit«werk zu*) Die Fortsetzung unserer begonnenen Leitartikel-„Habsburg, Hohenzollern und die deulscheDe-m okratie" mußten wir leider wegen Mangel« an Raumbi«her zurückstellen. Nachdem aber fast alle unterdeffendri»glichkeit«halber behandelten Themata un« Gelegen-heil gegeben, die Grundzüge unsere« Verhältnisse« zurgegenwärtigen Phase der deutschen Frage klarzustellen, istwohl der besagte Uebelstand weniger fühlbar geworden.vollziehen; aber da« Ministerium in Berlin ist ja ein„freiheitfeindlich«!", da« die von den Abgeordneten de«Volke« an« der Verfassung beanspruchten Rechte nichtgewähren zu können erklärt hat. Ergo: e« muß erst ein„sreiheitsreundliche»" Ministerium kommen, d. h. ein Mi-nistcrium, da« die Forderungen der Majorität de« Ab-geordnetenhause« stricte erfüllt; dann„wollen wir Weilerdarüber nachdenken."Eine zweite Ansicht, die sich in den Arbeiterversamm-lungen ausspricht, drückt ein enges Anschließen an diePolitik au«, die in der äußersten Linken de« preußischenAbgeorduetenhause« und überhaupt in der Führerschaftder deutschen Fortschrittspartei ihre Vertretung bat:nicht Preußen, al« Staat, sondern allein da» Volkhabe de» Beruf, Deutschland frei und durch die Frei-heit einig zu machen. Daher, al« Resultat der Volk«-anstrengung und de« Volkswille»»: erst ei» deutsche« Parlament und„dann wollen wir weiter reden."Nun ist aber da« Eine genau so verkehrt, al« da«Andre. Mit dem später» Nachdenken und dem spä-lern Reden, wenn erst die« oder da« erreicht sein wird,ist e« in politischen Dingen sehr faul. Damit lockt mankeinen Hund au« dem Backofen, und damit haben gradewir Deutschen immer noch die beste Zeit versäumt. Da«Eisen will geschmiedet sein, wenn e« heiß ist; heiß ist e«aber grade jetzt, und darum inuß man zum Hammergreifen, ehe unter dem Stickstoff der Wenn und Aberda« Feuer wieder verlischt.In der Vorgeschobenhcit der Situation ist grade nurda« jetzige„sreiheitsseindliche" Ministerium in Preußenim Staude, da« mit Ernst und Thalkraft Unternommeneauch wirklich zu vollbringen; kein nach folgende«, etwagar mit dem schwächlichen Programm der„moralischenEroberungen", würde aus dem betretenen und wohl nichtmehr zu verlassenden Wege da« Vollbringen ermöglichen.Kommt Dentschland jetzt und aus diesem Wetje nicht zurEinigung, dann legen wir die ganze Geschichte wiederaus lange ad acta. Denn da« Volk ist nur etwa«,wenn e« an der Hand einer starken Regierung marschirt;ohne die« erreicht e« nicht«, oder e« bleibt ihm nur dieRevolution.Interessant und lehrreich für da«, was wir soebensagten, ist der gestern berichtete Verlauf einer in Leipzig*)stattgehabten großen Arbeiterversammlung. Die Richtungder Leipziger Arbeiter ist ausgeprägt Lassalleanisch.Dieser Richtung nack haben also gerade die LeipzigerArbeiter keine sonderliche Ursache, aus Preuße» und da»„sreiheitscindliche" Ministerium gut zu sprechen zu sein.Denn in Preußen wurde Lassalle verurtheilt; in Berlinnnd Magdeburg wurde der Allgemeine deutsche Arbeiter-Berein geschloffen. Nichtsdestoweniger hat die LeipzigerVersammlung e« über sich vermocht, alle« specisisch Klein-liche über den großen Zweck zu vergessen; sie hat de«i Eisen« Schmiedezeit crkanpt und männlich zum Hammergegriffen, wie er von Preußen geboten ist.Und wer die That will, die entschlossene That, ohneWenn und ohne Aber, der kann nur hingehen nnd einGleiches thun.Das in Betreff des Berhältniffcs der Parteienzum Wahlrecht Gesagte ist vollkommen richtig undI können wir von A bis Z unterschreiben.Nicht so ganz ist dieses hinsichtlich der Stellung� der Arbeiterpartei zur deutschen Frage der Fall.*) Die betreffende Versammlung fand bekanntlichi nicht in Leipzig, sondern in Dresden stall.Anm. d. Red. d.„Soc.-Dem."Wir müssen nämlich entschieden dagegen Ver-Währung einlegen, daß eS über das, was an dieStelle der jetzigen particularistischen Zerrissenheitund Kleinstaaterei treten solle, unter den Arbeiternan„Klarheit" und„Einigkeit" fehle.Von„Preußens Beruf", an die Stelle der; Kleinstaaterei zu treten, weiß man gerade in denArbeiterkreisen erst reckt nichts. Dies hat sogar diejüngste Berliner Arbeiterversammlung in erfreu-licher Weise an den Tag gelegt.Dagegen leuchtet es den Arbeitern vollkommenein, daß mau— schon weil eS unmöglich ist—keinen vernünftigen Grund haben kann', Preußenan der Zertrümmerung der Kleinstaatenwirlhschaft,d. h. an einem Kriege mit Oesterreick— falls eSden Muth dazu hat— verhindern zu wollen.„Was dann weiter daraus wird"— so sagensich die Arbeiter—„werden die Umstände lehren: wasuns betrifft, so wissen wir, daß wir weder ein Groß-preußen, noch ein Großösterreich wollen, sondernein freies und einheitliches Deutschland,frei und einig durch den Willen der Na-tion."„Will Preußen dieses verwirklichen helfen,—gut, so niag es den Versuch machen, das geradeGegentheil von dem zn werden, was eSbis heute war."„In diesem Sinne, wenn es seine Sache zuder unsrigen gemacht hat, wollen wir bis auf Wel-teres zusammen gehen, aber in keinem andern."„Entweder Bundesgenossen oder unversöhnlicheFeinde bis zum letzten Alhemzuge! Etwas anderesist zwischen unS nicht möglich."„Mag man es darauf hin versuchen!"„Wir werden nicht vertrauensvoll, sondernmißtrauisch auf unserem Wachtposten verharren,bis es a» der Zeit ist auf den Kampfplatz zu eilen� und die Geschicke Deutschlands, den Wunsch derNation zu erfüllen."So, nicht mehr und nickt weniger günstig fürdas Großpreußenthum, scheint unS die Stimmungder Arbeiter beschaffen zu sein, die« die Stellungzu bezeichnen, die ihnen der preußischen Regierungund ihren Machtgelüsten gegenüber geziemt.Alles Uebrize gehört in das Gebiet officiöserWünsche und Illusionen.politischer Lheit.Rundschau.Verlin, 5. Mai.In Deutschland keine Veränderung in deriHabsburg-Hohenzollern'scken Situation.Gerückte und Telegramme der widersprechendstenArt schwirren, sich kreuzend, wie Mückenschwärmedurcheinander, um hier erstorbene Friedenshoffnungenzu galvanisiren, dort noch lebende zu tödten. Sowirb von FriedenSunterhanblungen gefaselt, mit