Nr. 93. Berlin  , Sonntag den 13. Mai 1866. Zweiter Jahrgang. Diese Zeitung erscheint drei Mal wöchentlich und zwar- Dienstage Donnerstag« und Sonnabends Abends. Organ der social-demokratischcn Partei. Redigin von Z. L. v. Hosstetten und Z. B. v. Schweitzer. Redaction und Expedition- Berlin  , Alte Jakobstraße Nr. 67. Abonnement?-Preis für Berlin   incl. Bringerlohn: vierteljährlich 15 Sgr., mo­natlich 5 Sgr., einzelne Nummern 1 Sgr.; bei den Königl. preußischen Post- ämlern 15 Sgr., bei den preußischen Postämtern im nichtpreußischen Deutsch­ land   l2>/z Sgr.  , im übrigen Deutschland   2t> Sgr.(st. 1. 10. südd., st. 1. österr. Wäbr.) pro Quartal. Bestellungen werden auswärt  « auf allen Postämtern, in Berlin   auf der Expedition, von jedem soliden Spediteur, von der Expreß-Lompagnie, Zimmerstraße 4La, sowie auch unentgeltlich von jedemrolhen Dienstmann" entgegen genommen. Inserate<in der Expedition auszugeben) werden pro dreigespaltene Petit-Zeile bei A'.beiler-Annoncen mit 1 Sgr., bei sonstigen Annoncen mit 3 Sgr. derechnet. Agentur für England, die Colonieen und die überseeischen Länder; blr. Bender, 8. Little New-Port-Street, Leicester-Square W. C.   London  . Agentur für Frankreich  : G. A. Alexandre, Strassbonrg, 5. Rue Brulee; Paris  , 2. Cour du Commerce Saint-Andre-des-Arts. h,Die Abschaffung des Mietzinses. Bon Emil Lepissicr."') Diese gediegene social-ökoupiiiiscbe Arbeit, welche noch nicht vollständig in der WochenschristAsso- ciation" erschienen ist, wird nächstens als Broschüre veröffentlicht werden. Wir sind in den Stand ge- seyt, schon jetzt unfern Lesern eine Analyse der- selben zu geben. Schon Aristophanes   geißelte die zu den absur- besten Resultaten führenden Zinsrechnungen mit den Worten;Der Zins! Was ist das für ein Thier?! Es wächst monatlich, täglich, stündlich, unaufhörlich mit der Zeil ins Unendliche fort!" Wo findet man in der That ein ähnliches Wesen in der ganzen Natur, sei es in der Thier- oder Pfianzenwelt, ans der Erde oder im Wellraum!; Es ist wirklich ein übernatürliches Wesen, wenn man in der Weise der ivkaihematiker und Kanfleute bei der Berechnung der Zinsen und Zinseszinsen nur die Quantität, die Zahl in Betracht zieht. Nach den gewöhnlichen Rechnungen dieser Art wachsen die Zinsen dergestalt an, daß ein Kapital sich in ungefähr 14 Iahren verdoppelt, in 23 vcr- dreisacht, in 28 vervierfacht, in 33 versünfsacht, in 37 versechsfacht, in 40 versiebenfacht, in 43 ver- achtfacht, in 45 verneunfacht. In 61>/z Jahren ist das ursprüngliche Kapital 20 Mal größer; in 69'/, I. 30 Mal; in 76 I. 40 Mal; in 80 I. 50 Mal; in 84 I. 60 Mal; in 87 I. 70 Mal; in 90 I. 80 Mal; in 92'/, I 90 Mal und in 94'/, I. 100 Mal größer geworden, als es im Anfange war. Da nichts geigncter ist, sagt unser Berfasjer, die Falschheit eines Prinzips zu beweisen, alö die absurden Resultate, zu welchen es führt, wenn man die Consequenzen daraus zieht, so neh- men wir einmal an, der Gründer der Abtei Saint Denis habe seiner Zeit(Anno 638) zur Stiftung eines frommen Werkes einen einzigen Centime auf Zinsen angelegt, und zwar zu dem für dama- lige Zeit sehr mäßigen Zins von 6 pCt. Dieser Centime würde heute, nach den üblichen Zinsrech- nungen, de» Werth eines Goldklumpens repräsen- tiren, der über 46 Millionen Meter im Umfange, d. h. einen größern Umfang hätte, als unsere Erde, welche, da der Meter eben der vierzig Millionste Theil des Meridians ist, nur vierzig Millionen Meter im Umfange hat. Da sich i�eder davon überzeugen kann, daß diese Rechnung mathematisch richtig ist und sie doch zu praktisch unmöglichen Resultaten führt, so müssen die Zinsrechnungen einen Jrrlhum bergen, der zu den ungeheuersten Fehlern und Ungerechtigkeiten führen muß. Dieser Jrrtbum liegt in der Vernachlässigung der natürlichen Ur- fache des Kapitalwerthes. Das Kapital vermehrt sich nur durch die Arbeit. Hat es eine gewisse Größe erreicht, die sehr bald *) Unter dem Titel: La k�so-Propriöts. Lolution de la question de logers. Paris  . Librairie des sciences sociales. 1866. Vergl.Social-Demokrat" vom 29. April. erreicht wird, wenn eS sich an einem Punkte an- häuft, ohne sich unter den Arbeitern zu vertheilen, so nimmt seine Fruchtbarkeit ab, statt zuzunehmen, und reducirt sich schließlich auf Null. Die abstracten mathematischen und kaufmännische» Zinsesrechnungen nehmen von diesem Gesetze keine Notiz, und die Civilgesetzgcbung, welche, wie schon Necker, der Minister Ludwig des Sechszehnten schrieb, nur zu Gunsten der Eigcntbümer und Kapitalisten gemacht wird, vernachlässigt ebenfalls soviel wie möglich diesen Rechnungsfehler. Die Productivität des Kapitals bewegt sich, wie jede andere in der Natur, innerhalb sehr enger Grenzen von Geburt, Leben und Tod. Seine Fruchtbarkeit nimmt nicht nur mit der Zeit, sondern, wie gesagt, mit seiner Anhäufung überhaupt ab. Es muß ein Disserenzialzins gesucht werden, der aus dem Unterschied der Zu- und Abnahme der Kapitalfruchtbarkeit den jährlichen Durchschnitt reprä- sentirt. Wird dieser DifferenzialzinS in Annuitäten ausgedrückt, welche zugleich die Zinsen deS Kapitals, den c>gentlichen Disserenzialzins, und das Kapital selbst in einer gewissen Reihe von Jahren tilgen, so sind diese Annuitäten nicht größer, als die Zinsen, namentlich die Mielhszinsen, die man selbst dem Hauseigenihümer zahlt. Wir haben hier begreiflicher Weise nicht auf die algebraischen Formeln einzugehen, durch welche der Verfasser den Disserenzialzins findet; Mathema- tiker mögen diese Rechnung in der Schrift selbst nachlesen und modisiciren. Wir begnüge» uns mit der Bemerkung, daß dabei die Arbeit eines Menschen- lebens zur Basis genommen, und daß auch jedes Risiko dabei in Rechnung gebracht wird. Obgleich bei der HauSmiethe daö Kapital gar keiu Risiko läuft, da es sich durch erste Hypothek auf das vom Käufer bewohnte Haus decken kann, so schlägt doch der Verfasser, mehr zu Gunsten der Erben deS Hausbewohners, als zur Deckung eines nicht vor- handenen Risiko's des Verkäufers, die Bedingung vor, daß der Käufer sich gleichzeitig in eine Lebens- verflcherung einkauft, wodurch dem Verkäufer auch für den Fall eines frühzeitigen Todes des Käufers die Annuitäten von der Lebensversicheruugsanstalt garantirt werden können. Wo es sich um andere Zinsen, als Miethe handelt, werde die Association dem Kapital die nöthige Garantie bieten, nöthigen- falls mit derselben Hinzuziehung der Lebensver- sicherung. Doch um diese Zinsen handelt eS sich hier nicht. Bleiben wir also bei unserem Mieth- zins. Ein Beispiel, welches der Verfasser selbst giebl, mag seinen Gedanken erläutern. Wir lassen ihn von nun an selbst sprechen. Ich werde mir eine Hypothese erlauben, die meiner Eitelkeit schmeichelt, und den Fall setzen, ich würde Ihr erster Miethsmann, Herr Geier. Sie treten mir kraft eines MieihskontrakleS auf dreißig Jahre die Benutzung des Hauses ab, welches Ihnen 233,547 Franke» und 40 Centimes gekostet hat, gegen einen jährlichen Hauszins von 20,318 Fran- ken und 34 Centimes. DaS macht 8'/,«/,, Zinsen, 1 die man jetzt in ihren; Quartiere ja mit Vergnügen j bezahlt für ein so schönes, im Mittelpunkte der Stadt gelegenes Haus, und froh ist, wenn man nicht inchr Zins dafür zu bezahlen hat." Demnach kann ich nicht umhin, eine ziemlich trostlose Reflexion darüber anzustellen. Wenn ich einst die Ehre gehabt haben werde, Ihnen dreißig Jahre hindurch meine Miethe zu bezahlen, werden Sie von mir 609,550 Franken empfangen haben, ohne die Interessen zu rechnen, ober diese zu 3°/o gerechnet: 966,652 Franken. Obgleich nun diese Summen 2'/z Mal den Kaufpreis Ihres Hauses betragen in de», ersteren Falle, 4 Mal den Kauf- preis in; letzteren, so werde ich darum doch nicht einen einzigeu Stein Ihres Hauses mein Eigen- lhum nennen können. Und das wird sich wieder- boten, nicht nur so lauge Sie leben, lieber Herr Geier, sondern auch, nachdem Ihre Erben das Ver- gnügen, ich will sagen, den Schmerz gehabt haben werden, Sic zu Grabe zu geleiten. Alle diejenigen, welche Ihnen in aller Zukunft als Erben folgen werten, haben das Iiechl, nieinen unglücklichen Nachkommen nach jener Periode von dreißig Jahren eine Feder ausrupfen, im Werthe von sechs oder neun hundert tausend Franken. O, Herr Geier! ! Ihr Vater darf, stolz aus seine Arbeit sein! Kein zu prachtvolles Grabmal kann zum ehrenden An- denken eines Mannes errichtet werden, der durch seine einzige Lebensarbeit das Glück aller seiner Nachkommen für die Ewigkeil gegründet hat! Aber wie oft, Herr Geier, haben Sie nicht in der Fabrik Ihres seligen Herrn Papas seine mächtige Maschine bewundert, welche iu allen Abtheilungen der großen Werkstätte Bewegung und Leben brachte durch den vom Dampf auf- und abwärts gelriebe- nen Kolben? Sie haben gewiß auch noch nicht ver- gessen, wie dabei unter den; Danipfkcssel ganze Lasten von Steinkohlen regelmäßig verzehrt wurden. ' Diese Consumtion von Kohlen war die unerläßliche Bedingung der Bewegung, ohne welche auch die vollkommenste Maschine unproductiv geblieben wäre. . Dabei ging sogar noch ein großer Theil der be- wegenden Kraft durch Reibung, Luftwiderstand und Erschütterung der umgebenden Massen verloren; ohne einen solchen Verlust wäre ja die Chimäre des Perpetuum Mobile   verwirklicht! Um so un- möglicher wäre eine Maschine, welche stets productiv bliebe, ohne ohne etwas zu consumiren. Sehen Sie, Herr Geier, was in der Mechanik eine Un- Möglichkeit, ein Unsinn ist, die Theorie der Zinsen hat es möglich gemacht, hat es verwirklicht: Ein ein Mal gegebenes oder geerbtes Kapital bringt ohne neue Anstrengung, ohne irgend eine weitere Ausgabe oder Consumtion von Kraft, unaufhörlich dasselbe hervor, ist stets productiv ohne etwas zu consumiren. Wunderbare Maschine, die, ohne sich abzunützen stets schafft! Wer diesen Talisman be- sitzt, kann eine unendliche Reihe von Generationen von jeder Arbeit befreien!" tFvrisetzung folgt.)