Raum minder lächerlich, als diese vorgenannten Stückchen ist aber das Vorgehen unseres strebsamen Staatsanwaltes Marschall ( conserv. Reichstagsabg.). Derselbe hat nämlich an der, durch die in Ihrer No. 2 erwähnte gerichtliche Entscheidung in dem Prozeß unseres Genossen Ottenthal amtlich konstatirte Blamage noch keineswegs genug. Vielmehr hat er an das Oberlandesgericht appellirt, welches daher demnächst noch einmal und endgültig darüber zu entscheiden haben wird, ob eine Mittheilung eines Bruders an seinen Bruder durch das Sozialistengeseh berboten sein tann. Daß solche Fragen nur gestellt werden können, ist gewiß recht heiter; aber wir gestehen doch, daß uns der Humor ausgeht über der unerhörten Infamie, welche in solcher Anklage liegt und über der damit gemachten Erfahrung, welchen hohen Grad ecfelhaftester Verderbtheit die Zustände in Deutschland schon erreicht haben.
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gbg. Aus Franken, Ende Oktober. Heraus mit Eurem Fledermisch!" schrieb mir neulich ein Züricher Genosse, was einer Aufforderung gleichkam, für den Sozialdemokrat" einmal eine Korrespondenz über fränkische Verhältnisse vom Stapel zu lassen. Nun, der Flederwisch wäre fast nicht aus der Scheide gegangen, denn unter den dermaligen Zuständen im Reich kann es nicht Wunder nehmen, wenn Einem die„ Seele" in den Leib und die Feder in's Tintenfaß rostet. Ter, Sozialdemo krat", von dem wir allerdings über 3 Wochen nichts weiter als die Probenummer in Händen hatten, ist hier, wie wohl über all, von allen treugebliebenen Parteigenossen auf's Freudigste be grüßt worden. Bei dem Mangel jeglicher Parteipresse in Deutschland ( denn die wenigen Blätter, welche im Reich noch unter der Leitung von Parteigeroffen erscheinen, tönnen sich mit Sozialismus oder auch nur halbwegs radikaler Politik nicht befassen, weil ihnen sonst einfach der Kragen umgedreht würde; sie dürfen sich nicht einmal den„ Radikalismus" fortschrittlichjesuitischer und jesuitisch- volksparteilicher Windfahnenblätter er lauben, sondern müssen sich darauf beschränken, die politischen Nachrichten ohne jede Kritik wiederzugeben und können sich höch stens ein wenig" mit lokalen Interessen beschäftigen), also bei dem gänzlichen Mangel einer Parteipresse in Deutschland ist das Erscheinen des neuen Parteiorganes eine wahre Wohlthat und man bebauert, wenn man dem lange entbehrten Hochgenuß der gewohnten Lektüre erst wieder fröhnen gelernt hat, nur doppelt, daß das Parteiorgan erst jetzt und nicht schon viel früher erschienen ist. Indessen wollen wir von dem Vergangenen nicht weiter reden und uns nur freuen, daß wir jetzt wieder ein zuverlässiges Organ haben, welches als treues Spiegelbild der Parteiverhältnisse gelten kann. Was nun für das Gedeihen des Blattes am meisten zu wünschen ist, das ist eine sorgfältige Spedition*), die zwar unter den vorhandenen Umständen keineswegs leicht, aber bei der nöthigen Umsicht doch möglich ist. Denn es ist ja doch gar zu scheußlich, wenn man mit Spannung auf eine liebge= wordene Sonntagslektüre wartet und schließlich von Polizei- und Postdieben( die letzteren sind allerdings bei uns nicht so häufig, wie im Gebiete der Reichspost, da der bayerische Postbeamtenstand noch nicht so forrumpirt ist wie die Stephanschen Kosaken, und noch etwas auf Ehre und Anstand häft) darum geprellt wird.
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Ueber die gegenwärtigen Parteiverhältnisse bei uns läßt sich nicht viel sagen; eine Probe hatten wir noch nicht auf's" Gefeß" abzulegen, und ohne eine solche läßt sich ein richtiges Urtheil nicht leicht abgeben. Wahr ist, daß wir leider so manche Umgefallene und darunter solche, von denen man's nicht vermuthet zu verzeichnen haben( aus Feigheit und aus Schlech: tigkeit resultirt diese hinfallende Krankheit"); andrerseits aber ist in allen Orten, wo die Partei ernstlich Boden gefaßt hatte, nicht nur der gute Kern geblieben, sondern die ganzen Zu stände und vor allem der neue Reichsschwindel mit den Zöllen und sonstigen indirekten Steuern, sowie neuerdings die Erhöhung des Malzaufschlags um 50% in Bayern unser Herzbluet wollen's uns nehmen", riefen die Münchner 1847 haben auch rechtschaffen dazu beigetragen, uns neue Rekruten zuzuführen. Das Bedauerliche ist nur dabei, daß wir dieselben jetzt nicht regelrecht abererziren können. Das Einzige, was zu diesem Zwecke noch an Mitteln übrig blieb, ist die Wirthshausagitation, die Bierbankpolitik, und die werden wir uns auch durch die Vertheue: rung des Stoffs" nicht beschneiden lassen, trotz der zahlreichen Spitzel, die sich als„ Gäste" häufig bei den Parteiwirthen einfinden. Was ein ehrlich Sozialistengemüth am meisten wurmen muß, das ist der Umstand, daß die„ fortschrittlichen" Organe, welche durch ihre seinerzeitige Verhimmelung aller Reichszustände und durch ihre blödsinnigen, selbst von den Kreuzzeitungsrittern nicht übertroffenen Attentatshetzereien wesentlich zur Herbeiführung der jetzigen niederträchtigen Verhältnisse beigetragen, jetzt das freifinnige Mäntelchen wiede. heraushängen, riesige ,, Opposition" gegen Bismard und die Schutzzöllner machen, und sogar die indirekten Steuern, welche sie früher nicht entbehren zu fönnen erklärten, und theilweise den Militarismus, der ein„ Blümchen ruhr mich nicht an" bei allen Wahlen für sie war ,,, verurtheilen", ohne von uns auf die schmutzigen Finger geflopft werden zu können. erklärte dieser Tage der in Nürnberg erscheinende Fränkische Kurier", eines der perfidesten Windfahnen- und Denunziations. Organe, bei Gelegenheit einer Besprechung der Malzsteuer- Erhöhung die indirekten Steuern als einen Betrug am Volke, sowie, daß man sie der direkten Besteuerung deshalb vorziehe, weil durch die letztern das Volk zu sehr merken würde, wie viel es und zwar hauptsächlich für den Militarismus zahlt! Das hört sich genau so an, wie es früher von uns in den Volksversammlungen zergliedert wurde, wofür uns das= selbe Organ dann in den Koth zog! Wegen des Programm punktes Abschaffung der indirekten Steuern und Ersetzung der selben durch eine einzige progressive Einkommensteuer" wurde im Jahre 1874 der sozialdemokratische Wahlverein zu Nürnberg , der sich nach Auflösung der Parteimitgliedschaft doriselbst gebildet hatte, vom„ fortschrittlichen" Magistrat unter dem Jubel des " Fränk. Kurier" aufgelöst. Die hohe Polizei erklärte diese Bestrebung damals für geeignet, die sittlichen Grundlagen der Gesellschaft zu untergraben", überhaupt für eine„ destruktive Ten. denz", da dadurch die Massen ihre Steuerpflicht auf die armen Millionäre u. s. w. abwälzen wollten!!
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*) Soviel an uns liegt, geschieht wie wir unsern Lesern in jeder Nummer( am Kopf des Blattes) versichern in dieser Beziehung gewiß alles Mögliche. Aber die Genossen dürfen auch niemals die großen Schwierigkeiten vergessen, mit welchen der von der gewaltigen Macht der Regierung auf jede Weise bekämpfte Vertrieb des Sozialdem." in Deutschland verknüpft ist, und müssen daher in Fällen, wo all unserer Sorgfalt und Vorsicht ungeachtet einzelne Sendungen infolge postpolizeilichen Diebstahles nicht an ihre Adresse gelangen oder wegen unvorher. gesehener Zwisenfälle bei unseren Agenten in Deutschland verspätet eintreffer, billige Rücksicht walten lassen und sich vor allem gegenseitig D. Exped. außhelfen.
Apropos, kürzlich hatten die Nürnberger Sozialisten eine kleine| Menge sozusagen wortlos geworden, wenn nur hie und da ein ge
unterhaltende Abwechslung in dieser Cede des Daseins. May
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Hirsch, der große Wunderdoktor, der mit Invalidenkassen und großsprecherischen Resolutionen die soziale Frage löst, war mit Gefolge da, um einen„ Verbandstag" abzuhalten. Ganze 23„ De legirte", davon aus Berlin , waren erschienen; der berüchtigte Nüssel, chemaliger Herausgeber der kürzlich selig entschlafenen „ Süddeutschen Arbeiterzeitung", im Volksmund Blech" geheißen, wurde als Delegirter der Nürnberger Blecharbeiter, welche vor mehr als 5 Jahren schon sich von der Hirsch- Dunkerei lo s gefagt und bei Kreirung des Sozialistengesetzes ihren Verein freiwillig aufgelöst hatten, aufgeführt! Die Verhandlungen zeichneten sich selbstverständlich durch tödtliche Langeweile aus und wurden nur durch das Bekenntniß, daß die Mitglieberzahl der Gewerkvereine im steten Abnehmen begriffen( angeblich noch 16,000 in ganz Deutschland , während die Herren vor einigen Jahren noch mit 36,000 prahlten und von diesen 16,000 ist höchst wahrscheinlich noch ein Viertel dazu gelogen) und durch einen Zwischenfall in der einzigen, öffentlichen" Versammlung einigermaßen interessant. Einige hundert Sozialisten machten sich nämlich das Vergnügen, diese öffentliche Versammlung, in welcher natürlich nicht einmal ein Bureau gewählt wurde, zu besuchen, sowohl wegen des„ Genusses", den eine Mar Hirsch'sche Rede" bereitet, als auch in der Hoffnung, den hiesigen Reichstagsabgeordneten Günther einen Erzhanswurst von einem deutschen Schulmeister, der sich ganz besonders durch eine gesunde Lunge und gute schauspielerische Anlagen auszeichnet- zu hören.
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Das Letztere war nun allerdings„ nischt"; Herr Günther hatte sein Sprüchlein über„ freie Rassen" schon Tags zuvor in geschlossener Sigung hergesagt und hütete sich, in einer öffent lichen Versammlung aufzutreten. Dafür weinte Märchen blutige Thränen über den undankbaren Liberalismus, der die braven Gewerkvereine als sozialdemokratisch behandle und verfolge u. s. w. u. s. m. Unter Anderm nannte Hirsch die Sozialdemokraten die Handlanger der Reattion, was einen großen Entrüftungssturm hervorrief. Wir lassen uns nicht insultiren" und " Pfui!" riefen unsere Genossen, während die zur Aufrechthaltung der Ordnung" fommandirten Turner- Erkneipiers brüllten, wie verrückt, um ſagen zu können, die Sozialisten hätten Spektakel gemacht. Am besten wäre es wohl gewesen, wenn unsere Freunde zur Strafe für die Hirsch'sche Ungezogenheit die ganze Gesellschaft use theit" hätten. Mar nahm sich übrigens die er: theilte Lehre zu Herzen und blieb dann bis zum Schluß seiner Rede anständig.
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Parteigenosse Scherm meldete sich nachher zum Wort, um Herrn Hirsch den„ Handlanger der Reaktion" gebührend zurückzuzahlen. Aber da hatte er vergessen, daß die Gewerk vereine unter hohem polizeilichem Schutz stehen. Schon zu e ginn der Versammlung hatte der überwachende Polizist( Offiziant Winckler) sehr eingehend mit den Größen des Abends konferirt, man war jedenfalls auf Alles gefaßt." Kaum hatte Scherm einige Worte gesprochen und Herrn Hirsch begreiflich ge macht, daß eine Partei, die noch freisinniger ist als die des Hirsch, unmöglich deswegen als der Reaktion Hilfe lei: stend bezeichnet werden dürfe als die bohe Obrigkeit sich erhob und feierlich erklärte, der Redner spreche im Sinne des Sozialistengefeßes", und den Vorsitzenden( einen rohen, auf der tiefsten sittlichen und gesellschaftlichen Stufe stehenden Schreier) aufforderte, Scherm das Wort zu entziehen, was natürlich bereit: willigst geschah. willigst geschah. Nun war die Gesellschaft„ gerettet." Man hatte vermuthlich gefürchtet, daß Scherm der ganzen FortschrittsKlique sehr unangenehme Dinge in's Gesicht sagen würde und daher bei Zeiten sich mit der Polizei verständigt, daß diese dem„ bösen Menschen" beim ersten nicht in den Gesammt fram passenden Wort die Schlinge zuziehe. Scherm verließ unter dem Rufe ich füge mich der Gewalt" die Tribüne, bedeckte sich und wie ein Mann verließen sämmtliche Sozialisten den Saal, ein dreifaches Hoch auf die Sozialdemokratie ausbringend. Die verblüfften„ Hirschen", welche nun in der Anzahl von etwa 100 ( die zur Dekoration anwesenden Proßen und Advokaten mit eingerechnet) sitzen blieben, suchten mit einigen faulen„ Spässen", welche der Berliner Budiker, frühere Maschinenbauer Andreack, zum Besten gab, über den Zwischenfall wegzukommen.
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Der ganze„ Verbandstag" blieb übrigens, trotz der von den Ordnungs" blättern gemachten riesigen Reklame, in Nürnberg und Fürth total unbeachtet. Die Beschlüsse der Herren, in Süd deutschland eine„ verstärkte Agitation" zu entfalten, haben in verständigen Arbeiterkreisen große Heiterkeit erregt. Man muß die Gesellschaft, welche in Franken Gewerkverein" spielt, nur fennen, um die Tragweite solcher Beschlüsse" richtig zu beurtheilen. Herr Hirsch, persönlich bereits eine Ruine, scheint übrigens das Schicksal der geliebten, von ihm für 3000 Mark jährlich beanwalteten Vereine selbst vorauszusehen, denn sein großer Sermon war die reinste Leichenrede.
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Sonst geht'swirthschaftlich allenthalben schlecht. Die Geschäfte sind mit wenigen Ausnahmen unter'm Hund, die Zölle fangen an, sich fühlbar zu machen, und wenn vollends das Bier theurer wird, so kommt die von Bismard für uns insze= nirte Agitation in besten Zug. Freilich, viele Einzelne müssen darunter schwer leiden, aber die Gesammtheit hat schließ lich den Vortheil davon. Bis zur hundertjährigen Jubelfeier der großen französischen Revolution wird ja wohl so oder so Wandel geschaffen werden! Also vorläufig abwarten, aber nicht„ Thee trinken" allein dazu, sondern agitiren, gleichviel wie's geht!
Sch. Paris , 19. Oft. In Ihrer letzten Nummer*) besprachen Sie schon das Wieder aufleben des Sozialismus in Frankreich und gaben ganz richtig als eine der Hauptstätten der Agitation die Friedhöfe an. Aber nichts war wohl in erster Linie anregender, nichts mehr geeignet, die alten Erinnerungen wieder wachzurufen, neues Leben in den etwas lethargisch gewordenen Körper des französischen Arbeitervolkes hineinzubringen, als die Rückkehr der Amnestirten, der Anblick dieser Märtyrer ein er Volkssache. Nie wird der, welcher einer solchen Ankunft beigewohnt hat, den Eindruck vergessen können, welchen die abgehärmten, physisch so heruntergekommenen und geistig doch noch so träftigen und muthigen Männer auf ihn gemacht hat.
Nehmen wir z. B. die Ankunft derer, melche mit der Picardie" gekommen waren und Morgens um 6 Uhr, also am Tage, anlangten- die Andern kamen meist zur Nachtzeit, und verhüllte so das Dunkel manches, was Jeder hätte sehen sollen, den Einen zur Ermuthigung, den Andern zur Beschämung, zur höchsten Schmach. Wer die laute Art des Parisers, sich öffentlich zu bewegen, fennt, wird es wohl zu würdigen wissen, was es heißt, wenn 100,000 Menschen beim Anblicke so schreck liche Spuren der Leiden an sich tragender Mitbürger, deren einziges Verbrechen darin bestand, für eine große Idee gekämpft zu haben und besiegt worden zu sein, wenn diese von der Erwartung aufgeregte
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dämpftes ,, vive l'amnistie ", den Ankommenden zugerufen wird und das Schluchzen der Freude des Wiederfindens und Wiedererkernens die bei nahe unheimliche Ruhe unterbricht. Er wird begreifen, welchen Anblick diese Leidensgestalten bieten, wenn selbst die zur Aufrechthaltung der Ordnung anwesenden Polizei- Kommissäre und Unterbeamten sich ebensowenig der Thränen enthalten fonnten wie die ganze große Masse, in der auch nicht ein einziges Auge ohne diese Perlenzierde des Mit leids geblieben war. Welcher Eindruck, wenn bei diesen Zeichen allge meiner Theilnahme aschfale, von Kummer und Leiden tiefgefurchte Gesichter sich plöẞlid) beleben, gebeugte Gestalten sich plötzlich aufrecken und jede Bewegung, jede Miene andeutet, daß sie trotz alledem bereit sind, wieder in die Reihen des um seine Rechte ringenden Volkes einzutreten! Das ist eine Agitation, die nachhaltiger wirkt, als die leider oft nur allzuschnell vergessenen Reden; das prägt sich tief ein, unvergeßlich. Ja, es ist eine große Umwälzung vor sich gegangen an jenem Dinge, das man öffentliche Meinung nennt; und es ist gewiß bemerkenswerth, daß heute, nach kaum 8 Jahren, selbst diejenigen, die bei der Verläumdung und Verurtheilung dieser Tapfen mit von den ersten waren, wenn selbst diejenigen, welche zu den geistigen und physischen Torturen der uns nun Wiedergegebenen ihr gutes Theil beigetragen, sich heute bewogen fühlen, in erster Linie sich an den Hilfs komite's zu betheiligen und in den Ruf nach voller Amnestie" am lautesten miteinzustimmen. Die französischen Sozialisten haben in Anbetracht dieser Umstände, in richtiger Beurtheilung der Gefühle der Heimgekehrten, von denen gewiß viele es unter ihrer Würde halten müssen, sich an diese politischen Wetterfahnen und Allerwelteredemacher um Unterstützung zu wenden, ihr eigenes Hilfskomite gebildet, und zwar nicht nur für die, welche bereits amueftirt sind, sondern auch für die, welche es noch werden müssen und auf den Erfolg können sie stolz sein. Auch hier hat es sich wieder gezeigt, daß gerade die, welche selbst Tag für Tag um das nackte Leben kämpfen, denen ihre eigenen Existenzmittel so knapp als möglich zugemessen sind, verhältnißmäkig mehr Opferwilligkeit zeigen, als diejeni. gen, die bet weniger Refleme mehr zu leisten im Stande wären.
Ja! das Gefühl der Solidarität ist gefräftigt, stärker geworden und gewiß sind auch die drei letzten, hiesigen Arbeitseinstellungen als ein vollgültiger Beweis anzusehen. Zuerst die Ofensetzer, die eine Lobnerhöhung von 6 Fr. 25 auf 7 Fr. durchsetzten, dann die Zimmerleute, die es ebenfalls von 7 auf 8 Francs brachten( obschon di Arbeitgeber ihnen u. A. auch Staatshilfe in Gestalt von zur Vollendung der Regierungsbauten tommandirten Genicsoldaten entgegenstellen konnten) und nun die schon von Ihnen erwähnte Arbeitseinstellung der Banschreiner. Dieselben verlangten: 1) Lohnerhöhung von 60 auf 70 Centimes pro Stunde. 2) 10stündige Arbeitszeit und doppelte Bezahlung der lleberstunden. 3) 14tägige regelmäßige Auszahlung, und 4) Abschaffung der„ Marchandage" in heutiger Form( wonach ein Arbeiter ein größeres Quantum in Afford übernimmt und dann andere Arbeiter für sich im Taglojn arbeiten läßt) und an Stelle dessen Vergeben der Arbeit in Gruppen von je 4, 5 oder mehr Arbeitern, von denen Jeder gleichberechtigt ist. Bemerkt muß hier noch werden, daß von der Art Staatshilfe, wie bei den Zimmerleuten, bei den Bauschreineru feine Rede war, sondern daß im Gegentheil an den Staatsbauten, wie am Luxem bourg, den Tuilerien u f. w., als dort die Unternehmer die Arbeit einstellen wollten, von dem Ministerium der öffentlichen Arbeiten die Fortsetzung der Arbeit und das Eingehen auf die Forderungen der Arbeiter bewerkstelligt wurde.
Daß bei allen diesen Bewegungen der Ruf nach Vereins-, Versammlungs, und Breßfreiheit immer allgemeiner und lauter wird, ist selbstverständlich, und ist man voller Erwartung, ob die Kammer sich endlich zur Behandlung dieser lang genug hinausgeschobenen Angelegenheit wird entschließen können. Jedenfalls ist das Volk gerade reif genug, um zu zeigen, daß es seine Forderungen nicht nur zu stellen, sondern ihnen auch im entscheidenden Augenblicke den gehörigen Nachdruck zu geben weiß, und daß es sich nicht mehr mit schönen Redensarten und vielversprechenden Phrasen von Seiten seiner Maudatare abspeisen läßt.
Was die schon gemeldete Wahl Humberts betrifft so soll dieselbe ungültig erklärt werden und zwar, weil derfelbe nicht, wie vorgeschrieben, einen sechsmonatlichen, vorherigen Aufenthalt in Paris gehabt hat. Möge man von gewisser Seite thun, was man will, das Voit hat gezeigt und zeigt jeden Tag, was es will. Es hat Blanqui und Hum bert auf den Schild gehoben und andere werden noch nadkommen, das möge man sich betreffenden Ortes ad notam nehmen. Nur von dem, wenn auch noch so unvollkommenen Stimmrecht fleißig Gebrauch gemacht, dann wird das Volk schon begreifen lernen, daß es nicht dazu da ist, um von Einzelnen geleithammelt zu werden und seinem Willen wissen. Die Bahn wird dann bald frei werden zu unserm Endziele mit der Zeit schon den gehörigen Ausdruck und Nachdruck zu geben dem sozialistischen Staat!
*) Es ist die Nummer 3 gemeint. Wir waren leider durch Stoffüber. häufung gezwungen, diesen Bericht, gleich mehreren andern, zurückzustellen. Wir müssen unsere Mitarbeiter überhaupt hinsichtlich des Zeitpunktes des Abdruckes ihrer Einsendungen ebensosehr um Nachsicht bitten, als unsere Leser wegen der Verspätung so mancher wichtiger Nachrichten. Am guten Willen, über alles für uns wichtige, und zwar schnellmöglich, zu berichten, fehlt es dem ,, Sozialdem." wahrlich nicht, desto mehr aber am nöthigen Raum hiezu. D. Red.
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Nach Schluß des Blattes eingetroffen:
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Altona , 28. Okt. Soeben Abends 9 Uhr ist das Urtheil in dem Prozeß der 13 hiesigen Sozialisten wegen Verbreitung der Freiheit" und Theilnahme an dem Verbrechen der Majestätsbeleidigung" erfolgt. Nachdem der Staatsanwalt Strafen von 10-15 Monaten beantragt hatte, wurden die Angeklagten, welche sich seit 8. September in Untersuchungshaft befinden, kostenlos freigesprochen!
Im unterzeichneten Verlag erscheint demnächst:
Rechenschaftsbericht
der
socialdemokratischen Mitglieder
des deutschen Reichstages. über ihre parlamentarische Thätigkeit während des Jahres 1878-79.
Separatabdruck aus dem ,, Sozialdemokrat." Bestellungen auf dieses, für die Kenntniss der politischen Geschichte Deutschlands und der Stellung und Entwicklung der deutschen Sozialdemokratie seit den Attentaten sehr wichtige Aktenstück werden schon jetzt entgegengenommen und zwar ausser beim Verleger bei allen bekannten Agenten des ,, Sozialdemokrat", sowie bei der Schweizerischen Volksbuchhandlung in Hottingen - Zürich .
Abonnements
auf den„, Sozialdemokrat" auf den 99
für November und Dezember werden für den Preis v. 2 M.( ö. fl. 1. 20) für Deutschland und Oesterreich, Fr. 1. 40 für die Schweiz und Fr. 1. 70 für die übrigen Länder ausgeführt.
Verlag des ,, Sozialdemokrat".