-as. Berlin  , 29. Januar. Wenn irgendein neues angebliches oder wirkliches Heilmittel entdeckt wird, so fährt in die Menschen eine förmliche Wuth, alle und jede Krankheit mit diesem Remedium zu kuriren: es fommt in die Mode und beherrscht die Menschheit mit der ganzen Tyrannei der­selben. Ganz dasselbe ist der Fall in der Politik, und speziell bei uns heißt das jest moderne Mittel Ausweisung. Bis jetzt wies man nur Sozialisten aus und in der öffentlichen Meinung hatte sich troß der deut­lichen Gefeßesbestimmung über den Belagerungszustand die Ansicht festgefeßt, daß die Ausweisung überhaupt nur gegen Sozialisten verhängt werden könne. Diese Ansicht ist nun durchbrochen worden durch zwei letzter Tage gemachte Ausweisungen. Die Polizei glaubte nämlich, daß sich die Ausweisung nicht nur gegen Sozialisten, sondern auch gegen gemeine Verbrecher mit Erfolg anwenden lasse. Sie wies nämlich zwei mit dem Sozialismus ab­solut außer jedem Zusammenhang stehende Geschäftsleute( einen Barbier und einen Wollenwaarenfabrikanten) aus, welche früher längere Zuchthausstrafen erlitten hatten, und kann sich dabei mit Fug auf§ 28 Nro. 3 des Sozia­liftengefeßes berufen, welcher der Polizei das Recht gibt ,,, Personen, von denen eine Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung zu besorgen ist", den Aufenthalt in den betr. Bezirken oder Ortschaften zu versagen und wonach diese Befugniß sich nach einem Reichstage beschluß auch auf Einheimische erstreckt. Wer weiß, ob nicht über kurz oder lang auch Fortschrittsmänner und weiter noch andere Oppositionelle die Annehmlichkeiten des Belager­ungszustandes kennen lernen werden. Es ist noch nicht aller Tage Abend!

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Auch zwei Neuausweisungen von Sozialdemokraten sind wieder zu mel­den: die des( verheiratheten) Tischlers Peege und des Cigarrenmachers Windhorst. Wie ich erfahre, soll die projektirte Hochverrathsklage in der famosen Geheimdruckerei Affäre zurückgezogen sein und Werner lediglich auf Grund des Sozialistengesetzes angeklagt werden. Uebrigens soll sich auch herausgestellt haben, daß Werner keinerlei Verbindungen mit russischen Sozialisten hatte, sondern ganz auf eigene Fauft handelte. Uebrigens hat das sensation luftige Bourgeoispublifum für das schnell in Nichts zer­ronnene nihilistisch- sozialdemokratische Verschwörungsbündniß bereits wieder ein anderes Schauderthema als Erfaß. Gelegentlich einer Recherche in der Wohnung eines hiesigen Kaufmanns fand ein Polizeibeamter nämlich auf einer Kommode ein Artilleriegeschoß, ein sog. Shrapnell mit Kugeltüllung und Schwefeleinguß jedoch ohne Sprengladung das der Betreffende vermuthlich der Kuriosität halber, vielleicht sogar aus Mordspatriotismus, aufbewahrte. Troßdem schien aber die Sache gefährlich genug, daß das Geschoß beschlagnahmt und eine großartige Untersuchung eingeleitet wurde. Jedenfall wird der Kaufmann wegen Uebertretung des Sozialistengeleges verurtheilt; denn auf den Besitz von Waffen aller Art will sich der Staat allein das Monopol gewahrt wissen, wie er sich allein das Recht des Mor­wahrt wie er diſſen, wie er fich dens zugesteht!

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Aus bei

Sonst ist von nichts als Noth und Elend zu erzählen. Selbstmords­und Entbehrungstodesfälle sind etwas Alltägliches. Kürzlich kam in einem bejammernswerthen Zustand, nur nothdürftig bekleidet und halb ohnmächtig bor   Hunger und Kälte, Abends ein etwa 50 Jahre alter Mann in eine Benne" und bat um Aufnahme. Obwohl er das Schlafgeld von 10 Reichs­Pfennig nicht entrichten fonnte, wurde ihm in einem Stall eine Schlafstätte angewiesen, die er auch aufsuchte. Als er des andern Morgens geweckt werden sollte, fand man, daß der Mann eine Leiche war. ihm vorgefundenen Papieren ging hervor, daß der Unglückliche ein früherer wohlhabender Kaufmann Namens Gottlieb B. aus Nilbau bei Groß- Glogau  war. Vergangenen Sonntag erhängte sich ein Stepper. Auf einem Brett hatte er, mit Kreide geschrieben, hinterlassen, daß Arbeitslosigkeit ihn in den Tod getrieben. Und so fort Andere suchen der Noth wieder auf andere Weise zu entgehen. So stand kürzlich vor dem hiesigen Landgericht I ein alter Mann, der Silergeselle Moldenhauer. Derselbe, schon wiederholt wegen Landstreicherei bestraft, sollte am 11. Novem er v. 3. wiederum im Landarmenhaus zu Straußberg   internirt werden. Die Verwaltung verwei­gerte jedoch seine Aufnahme, weil der Angeklagte das 65. Lebensjahr be= reits überschritten hatte. M., der auch in seiner Vaterstadt Schwedt   a. D. teine Aufnahme mehr gefunden, sah sich nun des ersehnten Obdachs im Korrektionshause beraubt. Um nicht auf der Straße zu ver­hungern oder zu erfrieren, beging er das erwähnte ,, Verb: echen" was ihn zunächst in Untersuchungshaft und schließlich auf die Anklagebank brachte. Der Staatsanwalt beantragte vier Monate Gefängniß, auf welche die Straffammer auch erkannte. Der Angeklagte bat zufrieden, seine Strafe sofort antreten zu dürfen!

Und während das Elend im Volt solche Früchte zeitigt, prahlt die Bour­geoispresse, daß jüngst auf einem einzigen Ballfest in Kroll's Etablissement die noble Welt für 10,000 Mark Champagner( abgesehen von den andern Weinen) verschlemmt habe. Kann es eine vernichtendere Kritik für unsere gesellschaftlichen Institutionen geben, als diese trockene Aufzählung von Thatsachen?!

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* Frankfurt, 31. Januar. Entgegen dem schmählichen Urtheil des Hannover  'schen Landgerichts über Kaufmann sprach das hie­fige Landgericht gestern den ebenfalls wegen angeblicher Verbreitung der Freiheit" angeklagten Salomon Kaufmann frei und ver urtheilte den Staat zur Bezahlung der im Gefängniß aufgewandten Kosten, sowie der Kosten der Rückkehr Kaufmanns nach London  . Das Gericht nahm vollkommen sachgemäß an, daß die Mitwir­fung an der Fortsetzung einer im Ausland erscheinenden, wenn auch verbotenen Zeitung nicht strafbar sein könne. Voraus­fichtlich wird die Staatsanwaltschaft Berufung ergreifen, da dies Erkenntniß für die verfolgungslustige Regierung überaus un­angenehm ist. Wir kommen auf die Sache noch zurück.

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X. 3. Berden, 25. Januar. Wir haben ein Jahr des Stillstandes hinter uns, in welchem am hiesigen Orte für die Ausbreitung des Sozialismus nur wenig gethan worden ist; ja es herrschte eine Zeitlang eine Lauheit, die den Anschein erweckte, als habe das Sozialistengesetz die Sozialdemokratie gelähmt. Je­doch erklärt sich dies dadurch, daß wir nach Einführung des Sozialistengesetzes die Tattit befolgten, uns die erste Zeit ruhig zu verhalten, damit die Polizei ihren ersten Feuereifer erst aus­tobe, welche Taktik sicherlich auch die richtigste war. Anderseits brachte fie freilich die schlimme Folge mit sich, daß das Aus­ruhen zur Gewohnheit zu werden drohte; denn es ist leichter in den Schlaf, als aus ihm zu kommen. Indessen gab es doch auch außer durch die ausländische Presse bisweilen Er­eignisse, welche eine Bewegung unter die Genossen brachte, und wirkten hier namentlich die polizeilichen Haussuchungen günstig. Doch find letzter Zeit leider auch diese weniger geworden, weil fie für die Polizei resultatlos ausfielen, indem ein Sozialdemokrat so einem dummen Polizeischergen leicht eine Nase dreht. Mit Beginn dieses Jahres aber fam plößlich ein reges Leben unter die hiesigen Genossen und Arbeiter. Am Neujahrstage wurden als Neujahrsgruß unserer Partei hunderte von sozialistischen  Flugschriften vertheilt, zum großen Schrecken und Aerger der Bourgeois, Ausbeuter, Pfaffen 2c. Dafür riefen unsere Flug­schriften aber bei den Arbeitern desto größere Freude hervor. Sahen sie doch, daß es trotz aller Ausnahmegesetze und der schwärzesten Reaktion in Deutschland   noch immer Leute gibt, welche sich die Wahrheit zu sagen und für die Interessen des gedrückten arbeitenden Volkes einzustehen getrauen. Der Erfolg dieser Agitation unter den Arbeitern für unsere Prinzipien ist, gerade angesichts der gegenwärtigen Noth, ein sehr bedeutender und er wird auch ein dauernder, fortwirkender sein. Bei den Gegnern mag die Ueberraschung nicht gering gewesen sein, da die Schwachtöpfe die Sozialisten für längst tobt hielten, während fie doch jetzt ein so deutliches Lebenszeichen von ihnen erhielten. Bei den Gesinnungsgenossen aber hat sie eine große Begeisterung

hervorgebracht.

Kaum hatte sich die Aufregung etwas verringert, da kam ein neues Ereigniß, das zur weiteren Anfeuerung für die Sozialiſten

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diente. Unsere gute Polizei, der ich eben den Vorwurf machte, daß sie nachlässig geworden sei und nicht mehr wie früher für uns wirke, erfaßte nämlich eine gute Gelegenheit, ihre Versäumniß wieder nachzuholen. Es hielt sich hier ein Schweizer  , Namens Freudiger, auf, der bei der Polizei bald als Sozialist bekannt wurde. Als bei einer Haussuchung im Privatbesitz Freudigers mehrere sozialistische Schriften gefunden wurden, da warnte ihn die Polizei, daß er unfehlbar ausgewiesen würde, wenn er sich ferner an sozialistischen   Experimenten" betheilige; die vorgefun­denen Bücher aber wurden rechtswidrig konfiszirt. Freudiger be­schwerte sich nun bei der Aufsichtsbehörde, welche die Beschwerde jedoch nicht berücksichtigte, worauf Freudiger Berufung an das jedoch nicht berücksichtigte, worauf Freudiger Berufung an das Ministerium ergriff. Nach längerer Zeit, den 11. Januar, erhielt F. endlich Antwort durch die hiesige Polizei, welche ihm eröffnete, daß seine Beschwerde von dem Ministerium als berechtigt aner­fannt sei, weshalb er hiemit seine Bücher zurüd erhalte. Aber zugleich wurde ihm eröffnet, daß die Vermuthung nahe liege, daß er noch in sozialistischem Sinne thätig wäre, weshalb er als Ausländer ausgewiesen werde! Nun, der eigentliche Grund von Freudigers Ausweisung liegt klar zu Tage: er hatte das Sozia­Freudigers Ausweisung liegt klar zu Tage: er hatte das Sozia­listengeset nicht verletzt; aber er mußte fort, weil er sein Recht verlangte! Derlei ist in einem Polizeistaate unverzeihlich da hat man nur zu gehorchen. Als dieser gemeine Polizeistreich be­kannt wurde, entstand unter den Gesinnungsgenossen eine große Aufregung, denn Freudiger war ein tüchtiger und beliebter Ge­sinnungsgenosse. Aber diese Aufregung führte nicht zur Ent muthigung, wie die Polizei vielleicht gehofft hatte; im Gegentheil, muthigung, wie die Polizei vielleicht gehofft hatte; im Gegentheil, durch die Erbitterung wurden die trägen Genossen angeregt. Es wurde dem Ausgewiesenen eine Unterstützung zu Theil, wie wir sie hier noch für keinen Genossen hatten auftreiben können; einer wollte noch lieber thätig für ihn sein, wie der andere und jeder wollte bei seiner Abreise ihm noch eine Gefälligkeit erweisen. Und obschon die Polizei befohlen hatte, daß jede Demonstration unter­bleiben solle, so hatten die Gesinnungsgenossen den Morgen vor seiner Abreise sich ungefähr 100 Mann stark mitten in der Stadt in einem Lokale zusammengefunden, von wo F. in seine Wohnung ge eitet wurde, um seine Frau abzuholen. Auf dem Bahnhof hatten sich während dessen außer diesem Geleit noch zahlreiche Genossen und deren Frauen und Neugierige eingefunden, so daß der Perron überfüllt war. Und als Freudiger in den Zug stieg, wurde ihm ein Sängergruß gebracht und auf ihn und seine Frau ein dreifaches Hoch, sowie auf die Sozialdemokratie ein rauschendes Hurrah gebracht. Alles dieses ist ein Beweis dafür, daß die hie figen Genossen durch dieses Polizeistückchen nicht entmuthigt worden sind; ja wir sind fest überzeugt, ein solcher Opfermuth und eine solche Begeisterung hätte sich der Genossen ohne die gute Polizei nicht bemächtigt und wenn die Polizei so fortfährt, verspricht dieses Jahr gut zu werden. Unser Lokalblättchen, das Verdener Anzeigeblatt" ein miserables Abklatschblatt, dessen - Verleger nicht einmal im Stande ist, die Scheerenarbeit selbst zu leisten, sondern sich dazu eines Mannes bedient, der von Glück sagen kann, daß man ihn übersehen hatte, als man damals auf Grund der Maigeseße die Jesuiten   auswies stellte gelegentlich der Ausweisung die naive Frage: ob F. wohl freudig Deutsch­ land   verlassen. Als ob es Einem schwer werden könnte, einen Staat zu verlassen, der sich immer mehr in Eine große Kaserne umwandelt, wo Armuth, Bettelei und Verbrechen epidemisch werden, wo das Recht mit Füßen getreten wird, der Gründerschwindel blüht, und der Hungertyphus auf der Tagesordnung steht! Das eine, was ihm am Herzen liegt, das Bewußtsein, daß es einmal der Schweiz  ! und in nicht zu ferner Zeit besser wird, das nimmt er mit nach

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Mannheim  , 17. Januar. Auch wir fühlen uns ver­pflichtet, unsere Ansicht über die in neuerer Zeit so viel besprochene Taktik der Partei kundzugeben und zwar einestheils, um unsern gewählten Vertretern zu wissen zu thun, daß auch wir die Wege, die sie eingeschlagen, für die richtigen halten, anderntheils, um der Freiheit" zu beweisen, daß sie, trotzdem wir sie jetzt bereits ein ganzes Jahr unparteisch gelesen, nicht im Stande war, uns zu ihrem nagelneuen Abstentions- und Aktions- Evange lium zu bekehren. Es verräth eine totale Unkenntniß unserer Bewegung um nicht mehr zu sagen-, gleich der Redaktion der Freiheit" zu behaupten, die deutschen   Sozialisten ständen nicht mehr auf dem Boden, auf dem wir früher gestanden, und wir seien jetzt, da die Zeit für uns ernster wird, zu feig", um mit allen Kräften für unsere Prinzipien zu kämpfen; oder wenn man ferner glaubt, die Betheiligung an den Wahlen ver­leite das Volk zu dem Wahne, daß unsere Prinzipien nur durch das Parlament verwirklicht werden könnten. Wir bleiben bei der Ansicht, daß wir uns so lange an den direkten Wahlen selbst ständig betheiligen sollen, als wir an Zahl im Verhältniß zu unsern Gegnern Fortschritte zu verzeichnen haben oder unsere alte Stellung behaupten können, und zwar nur aus agita­torischen Gründen. Daß wir uns aber mit Erfolg an den Wahlen betheiligen können, das haben wieder die vergangenen Wahlen bewiesen, und können wir mit Bestimmtheit sagen, daß wenn die nächste Wahl an uns herantritt, nicht nur die Partei im Allgemeinen, sondern auch wir hier neue Fortschritte aufzu weisen haben werden. Und nicht allein bei der Reichstagswahl weisen haben werden. Und nicht allein bei der Reichstagswahl werden wir unsere Stimmenzahl vermehren, sondern auch bei den Stadtverordnetenwahlen werden wir die Anzahl unserer bis jetzt gewählten Vertreter mindestens verdoppeln. Daß das Volk durch unser Wählen nicht irre geführt und falsch erzogen wird, dafür unser Wählen nicht irre geführt und falsch erzogen wird, dafür werden die deutschen   Sozialisten trop Verschärfung des Ausnahmegesetzes schon zu sorgen wissen! Mögen die Begründer der Freiheit" daher recht bald zu der Einsicht gelangen, daß sie durch ihre Polemik gegen unsere Vertreter welche uns sehr empört hat, wie z. B. die unqualifizirbaren Aeußerungen über empört hat, wie z. B. die unqualifizirbaren Aeußerungen über Liebknecht und andere Genossen gelegentlich der Eidfrage" unserer Bewegung einfach nichts nüßen, sondern ihr nur schaden, unserer Bewegung einfach nichts nützen, sondern ihr nur schaden, und darnach handeln.

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Bei dieser Gelegenheit fühlen wir uns veranlaßt, zu erwähnen, daß der Korrespondent von der Bergstraße(? oder sitzt er in London  ?) in Nr. 1 der Freiheit" vollständig falsch unterrichtet ist, wenn er glaubt, das Zentralorgan Der Sozialdemokrat" sei uns zu schaal". Seine Umschau nach dem Eindruck der Offiziellen von Zürich  " kann nicht weit her sein, denn kein

Abonnent der beiden Blätter sowohl, als auch kein bekannter Genosse weiß etwas davon. Wir weisen das einfach zurück! Ein Mannheimer   Genosse im Namen Vieler.

w. n. Aus Schwaben, 17. Januar. Obgleich in Nr. 8 und 12 schon Korrespondenzen aus Schwaben   erschienen sind, die theilweise unser Parteileben und die Lage der unteren Volksklassen beleuchten, so finde ich mich doch veranlaßt, auch das Meinige dazu beizutragen, die Schäden, an denen unser Parteileben krankt, nach einer anderen Seite hin aufzudecken. Da ist es zuerst meiner Ansicht nach ein großer Fehler, warum unsere Partei noch nicht gehörig erstarkt ist, daß die Genossen fast immer und überall der fogen. Volkspartei den Vortritt überlassen. Der Grund, warum das geschieht, ist wohl hauptsächlich in der noch stark verbreiteten, ganz unrichtigen Ansicht zu suchen, als sei die Volkspartei das geringere von zwei Uebeln, und man müsse sie deshalb thunlichst bei den Wahlen unterstützen, auf ihre Blätter abonniren und die­selben möglichst zu verbreiten suchen. Als ob die Volkspartei als politische Partei überhaupt exiftirte und nicht lediglich ein Schein­leben fristet! Von Demokratie ist keine Spur in ihr vorhanden, ausgenommen vielleicht theilweise die einzelnen Organe, die sich aber größtentheils nur mit Ach und Krach über Wasser halten können und die, während sie im politischen Theil nicht genug zu zetern wissen, über die Schwindeleien und über die Gesinnungs­losigkeit der nationalliberalen Volksvertreter, gleichzeitig im Anoncen­theile spaltenlange Empfehlungen und Reklamen für jeden Schwindel abdrucken, die heute den schmählichen Geheimmittel­schwindel bei seinem wahren Namen nennen, morgen im Anoncen­theil die Dr. Ayr'sche Schrift und seine Heilmethode preisen- natürlich für Geld. Gehe man doch hin in die Städte, in welchen fogen. Demokraten in den Rathhäusern ſizen, und frage nach, ob irgend ein Unterschied zu finden ist zwischen den Preußen" und den Volksparteilern, und man wird finden, daß es höch stens der ist: daß die sogen. Preußen ihren Wählern weniger Freiheit und Verbesserungen versprachen, sie also weniger täuschen, während auf der demokratischen" Seite regelmäßig die Verspre­chungen, die den Wählern gemacht wurden, auch gebrochen wurden. Oder aber: man frage nach, ob die Ausbeutung des Arbeiters und Lehrlings nicht hier wie dort raffinirt betrieben wird, ob­und das möge jeder Parteigenosse bedenken die Volkspartei unsere Wahlvorschläge unterstützt, oder ob sie nicht fast regel mäßig ebenso oft Front macht gegen uns, wie die" Preußen"? Wozu uns denn immer nach dieser nichts weniger als demo­kratischen Partei richten?

Antwort: sie hat, weil sie der befizenden Klasse oder doch wenigstens dem Mittelstand zuzählt, die Mittel, um die Wahl­kämpfe so bezahlen zu können, und es ist so schön, Nichts mehr für unsere Parteizwecke leisten zu dürfen. Ueberhaupt steht es in legterm Punkte bei uns vielfach so faul, daß ich nicht vorbei fegeln kann, ohne dies konstatirt zu haben. Mit Ach und Krach wurden für Inhaftirte die wenigen Mark zusammengebettelt ich weiß feinen anderen Namen dafür. Einzelne Genossen find es gewesen, die immer und immer wieder Opfer brachten und es heute noch thun, während die Mehrzahl und nicht die am wenigsten Bemittelten einfach ,, sparten". Ja, ich muß ſparen" mit diesem Trost konnte der Beitragsammler abziehen, oder: 3'erste muß i' gfresse han!"

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Es ist das freilich ein heikler wunder Punkt, er ist aber wahr und deswegen heraus damit. Soll es in Schwaben   besser werden, so muß nicht blos die alte Opferwilligkeit wieder kehren, sondern sie muß noch bedeutend wachsen, damit wir zur nächsten Reichstagswahl nicht ungewappnet sind, und damit auch an uns herantretende Gemeindewahlen uns mit einer ergiebigen Kriegskasse versehen finden. Indem ich diese ernste Warnung erlasse, spreche ich dabei zugleich auch denjenigen Genossen meinen Dank aus, welche seither fest auf den Schanzen standen und die oft einzig und allein die Mittel beifteuerten, um uns die Agitation im Geheimen nicht ganz eingefrieren zu lassen. Die Volkspartei aber soll in uns stets und immer ihren Gegner finden bis sie demokratisch wird. Es ist dieß nicht allein meine persönliche Ansicht, ich habe sie schon( und speziell erst in der neuern Zeit wieder in dem gänzlich partei­losen Blatte Das Vaterland") häufig vorgefunden. Denke Jeder ein paar Jährchen zurück, vielleicht findet er in seinem Hirnkasten die Bestätigung des Obigen. Jedenfalls muß aber für die Agi­tation und die letztere ist, richtig angepackt, gar nicht so ge­fährlich mehr geschehen wie bisher; leider drückt sich so Mancher um die Ecke mit der Behauptung: Wirklich kann man nichts thun, es ist ja Alles verboten!" Nun, eben gerade weil ,, Alles" verboten ist, muß es geschehen; wir werden doch nicht so feig sein, blos das zu thun, was erlaubt ist?!

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Scheeren wir uns den Teufel darum, was Alles verboten wird und lassen wir die deutsche Postbehörde immer unsere Preßerzeugnisse verbreiten. Und Und an letzteren fehlt es nicht, so wenig als an Leuten, die verdammt froh sind, nur so ein verbotenes Blatt zu erhaschen. Unser oberster Grundsatz bleibe dabei eben: Laß dich nicht erwischen und letzteres kann bei einiger

Klugheit unschwer vermieden werden. Also frisch ans Werk!

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Frankreich  .

Paris  , 29. Januar. Die Affäre des von der republi­kanischen" Regierung dem russischen Zarenthum zu Liebe aus­gewiesenen Sozialisten Alissoff aus Nizza   geht doch nicht so un­bemerkt und ungerügt vorüber, wie es unser" liberales" Kabinet wohl wünschen möchte. Wir, die Freunde Alissoffs, haben die skandalöse Geschichte an die Offentlichkeit gebracht, indem wir den Hergang an die meisten Pariser Blätter berichteten. Aber die radikalen" Digane haben unserm Drängen, sich der Sache Aliffoffs anzunehmen, erst nachzugeben, nachdem wir sie zu wieder­holten Malen aufgefordert hatten. Und auch dann haben die meisten derselben, ihrer Gewohnheit gemäß, die Sache sehr oberflächlich, ich möchte fast sagen in wißelndem und tändelndem Tone be­handelt. Eine lobenswerthe Ausnahme hiervon hat unsern Parteiblättern natürlich nur die Lanterne" gemacht. Diese, mit der wir uns sofort in Verbindung gesetzt haben, hat sich des Ausgewiesenen mit Feuereifer angenommen. Seitdem wir die Lanterne", beren politischer Einfluß ein bedeutender ist, zur Bundesgenossin im Kampfe wider die Präfekten  ( ich wollte fast fagen Satrapen-) Willkür rechnen dürfen, haben wir gute Hoff­nung auf eine befriedigende Lösung der Alissoff'schen Frage. Wenn nicht alle Anzeigen trügen, so kommt wohl die Sache bald in Form einer Interpellation vor's Parlament. Welchen Ausgang die Debatte dort nehmen wird, muß bei der bekannten servilen Natur der Linken fürs erste dahingestellt bleiben. Soviel aber steht schon heute fest: künftig werden sich die Herren Präfekten

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