Wir müssen gestehen, daß wir uns trotz aller früheren Er­fahrungen in Frankreich   abermals getäuscht haben, indem wir einem namhaften Theil des Volkes nach so schweren Prüfungen die Fähigkeit zugetraut haben, einen solchen nationalen und chauvinistischen Standal sofort zu durchschauen und aufs äußerste zu bekämpfen. Solche Erfahrungen eröffnen für die Freunde des Volkes und der Völkerverbrüderung, für uns Sozialist en traurige Aussichten, desto bessere aber für diejenigen, deren Herrschaft auf Zwietracht, Unfrieden, Krieg und Trennung der Völker beruht, auf die Gewaltherrscher aller Länder und Klassen. Möge noch rechtzeitig in dem ganzen Umfang der sozialistischen   Partei Frank reichs und durch deren Propaganda in weiteren Schichten des französischen   Volfes eine Sinnesänderung in der Richtung der Beseitigung des verhängnißvollen Nationalitätswahnes erfolgen: sonst werden die unausbleiblichen Folgen nicht lange auf sich warten lassen und Deutsche wie Franzosen und vor allem der sozialistische Gedanke der Völkerverbrüderung werden darunter schwer zu leiden haben!

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Jm Nachstehenden wollen wir zur Kennzeichnung des Grades der Willkürlichkeit und Rohheit, welche die französische   Polizei bei den Ausweisungen an den Tag legte, einige Schilderungen, welche wir Ausgewiesenen selbst: Frau Heß( jezt in Zürich  ), Petersen( in Genf  ) und Nüßler( in London  ) verdanken, hier wiedergeben. Man wird staunen, was im letzten Fünftel des 19. Jahrhunderts in einer Bourgeois Republik noch alles möglich ist.

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In der Woche vor dem Nationalfest", da man in Paris   sich rüstete, um mit Pomp und Pracht die Zerstörung der Bastille, jenes alten Bollwerkes der verruchtesten Polizeiwillkür zu feiern, erschienen früh morgens bei der Wittwe zwei Polizisten und sagten:" Madame, packen Sie etwas Wäsche in Ihren Koffer und folgen Sie uns." Die Angesprochene bat um Auf­klärung. Sie hatte sich nie verfehlt", hatte nie eine Verwarnung erhalten, es war das erste Mal, daß sie solchem Besuch aus­gesetzt war. Packen Sie ungefäumt Ihren Koffer, Sie werden nicht mehr hierher zurückkehren!" ward ihr kurz entgegnet. Unmittelbar vorher war die 60jährige Frau vom Krankenlager aufgestanden, ihr Aussehen bestätigte, daß sie in hohem Grade leibend war doch nicht eine einzige Minute Frist wurde ihr gewährt. Die Polizisten stopften selbst in aller Eile einen Koffer und schleppten ihre Gefangene zur Präfektur. Dort angelangt, ließ man sie über eine Stunde warten und geleitete sie dann zum Kommissär, der ihr eröffnete, sie würde unverweilt über die Grenze geschafft. Ich protestire nicht gegen eine Ausweisung und will gern mein Geld anderswo verzehren, antwortete sie, ich bitte nur um einen oder zwei Tage Zeit, um mein Hauswesen zu ordnen."" Es wird Ihnen kein Aufschub bewilligt", versetzte der Kommissär. Die Deutsche  " hatte, als einige aus Berlin   verwiesene Familien nach Paris  tamen und aus Mangel an Arbeit dem Elend verfielen, sich Hergegeben, im engeren Kreise eine Rollette einzuleiten und sie hatte ferner am Sterbetage von Flourens, mit dem sie persönlich innig befreundet gewesen, dessen Grab mit einem Kranz geschmüdt. Nichts, gar nichts lag sonst vor. Das waren 6

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gegen Boven night dudden konnten. So ward denn die Wittwe Morib Heß', des besten Freun des der Franzosen  , der zur Zeit ihrer Niederlage und des deutschen Siegesrausches energisch für sie eingetreten, barsch ins Gefängniß geworfen, wie eine Gaunerin photographirt, hierauf nach vierundzwanzig Stunden zum Bahnhof geschafft,

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in einen Gefangenenwagen verladen und auf dem größtmöglichen Umwege über Lyon   an die schweizerische Grenze gebracht. Aber was für eine Fahrt war das! Zwei Nächte und einen Tag lang verbrachte sie da, steif, ohne Bewegung, mit geschwollenen Füßen, im engen Gelaß, wo von ordentlichem Sigen oder Ruhen keine Rede war. Ihr Flehen, man möchte doch wenigstens auf einige Momente das Thürchen öffnen, hatte nur ein Hohnlachen zur Folge und als die Reisegesell. schaft", aneinandergeschmiedete gemeine Verbrecher, " getränkt" wurde, da passirte der von Schmut starrende blecherne Wasserbecher erst die Lippen der unsaubern Gesellen, ehe er ihr gereicht wurde! In ähnlicher Weise wurde der 66jährige Petersen behan­delt. Von zwei Polizisten zur Präfektur geführt, wurde ihm jeder Aufschub zur Ordnung seiner Angelegenheiten verweigert und ihm nur die Wahl der Grenze freigestellt, an die er geschafft werden wollte. Gleich Frau Heß wurde er aufs peinlichste durch­sucht, wurden ihm sogar Schuhe und Strümpfe und das Geld weggenommen. Man führte ihn gefesselt zum Photographiren und ließ ihn dann noch dreimal vierundzwanzig Stunden im Depot, bis der Transport abging. Mit zwei anderen, wo­runter der russische Genosse G., zusammengefesselt, wurde

Feuilleton.

Pfaffentrug

oder

Ein Raddau- Abend bei Stöckern.

( Fortsetzung.)

Und wie ihm so der heilige Mist vom Munde rinnt, siehe, da rief eine Stimme von oben( nämlich von der Gallerie): Wo bleibt die Wissenschaft?" Eine Proletarierstimme, zornbebend. Ich hätte den Menschen küssen mögen. Natürlich wurde das verirrte Schäfelein mit echt christlicher Duldung sofort die Treppe hinuntergeworfen. Und das ge­schäftsmäßige Fertig!" verrieth dann die bewundernswerthe Schlag­fertigkeit, die Stöcker's Jünger im Widerlegen des Gegners schon besitzen. Ich aber betete brünstig zu meinem Gotte: HErr, ich danke Dir, daß ich nicht bin wie Jener-nämlich durchgeprügelt.

Er wisse aber, fuhr der Diener der Religion der Liebe nach dem scherzhaften Intermezzo fort, warum die Arbeiter das Jesulein nicht mehr wollen: weil die sozialistische Bewegung nur von und für die Geldjuden geschaffen wurde! Lassalle und E. Bernstein, Marr und Jak. Bamberger, und wie die Koryphäen des Sozialismus heißen lauter Heimathsberechtigte des gelobten Landes, die im Solde ihrer reichen Mitmauschel stehen.

Mir ward plötzlich alles klar wie Schuppen fiel's mir von den Augen. Wer hatte Lassalle angestiftet, das Volk zur Vernichtung der Geldmacht aufzurufen, als die Berliner   Börsenmillionäre? Ille Fecit, cui prodest. Wem's nützt, der hat's gemacht. Und ist's nicht wahr­scheinlich, ja gewiß, daß Marx erst ein gewisses dickes Packet( englische  

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er dann durch die gaffende Menge zur Bahn geführt, wo die Gefangenen wie wilde Thiere in die engen Einzelkäfige eines Zellenwagens gesteckt wurden. In unerträglicher Hitze und äußerstem Luftmangel mußte der alte Mann 36 Stunden hin­durch in derselben Stellung fahren ,, lieber sechsmal sechs­unddreißig Stunden im Depot, als einmal soviel im Zellen­unddreißig Stunden im Depot, als einmal soviel im Zellen­gefängniß", schreibt uns Petersen über dies Marterfahrzeug bis er an der Grenze anlangte, wo aber er und Genosse G. erst noch einen kleinen Kampf mit der schweizerischen Grenz­polizei zu bestehen hatten. Ein Beamter frug nach Papieren und Geld und meinte: Ich kann Sie nicht passiren lassen, denn von Frankreich   schicken sie uns jetzt alle auf den Hals; Sie scheinen freilich ordentliche Leute und keine Vagabunden zu sein, aber ich habe strengen Befehl. Der Präfekt von Pruntrut   mag thun, was er will, ich muß Ihnen einen Gensdarm mitgeben." Unser Freund bekam auch einen solchen Begleiter mit; durch eine nicht an die Oeffentlichkeit gehörige Vermittlung jedoch konnte er, ohne erst zum Präfekten zu kommen, gleich nach Genf   reisen. Nicht besser erging es Nüßler. Nach dreitägiger Haft in Paris   wurden er und seine Mitgefangenen, je zwei und zwei mit gemeinen Verbrechern zusammengefettet - und das so roh, daß die Spuren davon noch mehrere Tage zu sehen waren im Gefangenenwagen zur Bahn gebracht. In einem Eisenbahn- Gefangenenzellenwagen( in dem der Gefangene weder recht sitzen noch stehen kann) mußte dann die Nacht durch­gemacht werden, worauf man morgens im Hafen Dieppe   an­langte, wo die Gefangenen die Freiheit zu erhalten glaubten. Aber weit entfernt davon, ließ man sie dort noch volle sieben

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Tage im Gefängniß, da angeblich keine geeignete Schifffahrts gelegenheit vorhanden war. Nun noch in Begleitung zum Hafen und dann endlich konnten die Verfolgten und Mißhandelten auf der freien See Abschied nehmen von dieser famosen Republik  ", welche in demselben Augenblick die Zerstörung der alten könig lichen Zwingburg durch ihre Väter mit Sang und Klang und Pracht und Pomp feiert, wo sie eine mindestens eben so gefähr liche Bastille und eben so schändliche und gewaltthätige Unter­drücker hat, als das alte Königthum, in dessen Gestalt die Freiheitskämpfer der großen Revolution aller Bevorrechtung und allem Herrscherthum den Kopf abgeschlagen zu haben wähnten. Die wahren Freiheitsfreunde Frankreichs  , die Kämpfer der sozialen Revolution werden die vernichtenden Streiche, die ihre Vorfahren gegen die alte Welt des Lehnswesens und des abso­luten Königthums führten, zu wiederholen haben und zwar mit verdoppelter Gewalt und unerbittlicher Rück: sichtslosigkeit gegen die neuen Herren, die Barone der Bour­geoisie und die Könige der Republik   zu wiederholen und so gründlich zu führen haben, daß die Schmaroßerpflanze der Beherrschung und Ausbeutung bis auf ihr letztes Samenkorn ausgetilgt ist aus dem Garten der Menschheit. Und gleich ihnen und mit ihnen haben dies ihre Gesinnungsgenossen und Brüder aller Länder und nicht zuletzt die deutschen Sozialisten zu thun. Des­halb: hinweg mit allen nationalen Trennungen- Proletarier aller Länder vereinigt euch!

on Justag vor Gericht.

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Die Reichstagsabgeordneten F. W. Fritzsche und W. Hasselmann hatten sich am 20. Juli vor der Strafkammer des Landesgerichtes II zu Berlin  zu verantworten. Es war ihnen bekanntlich zur Last gelegt worden,§ 28 Nr. 3 des Sozialistengesetzes verletzt zu haben. Sie, die auf Grund der Bestimmungen dieses§ aus Berlin   und dessen Umkreise verbannt worden sind, sollen durch ihre Theilnahme an den Sizungen des Reichstages, in der Zeit vom 14. Februar bis 12. Juli 1879 und durch einen kurzen Aufenthalt in Lichterfelde   zur selben Zeit, bannbrüchig" geworden sein. Den Vorsitz führte Landgerichtsrath Klotz( Reichs- und Landtags- Abgeordneter), die Vertheidigung Rechtsanwalt Dr. Max Sa­lomon. Der Angeklagte Fritzsche erklärt Dissident und einmal wegen Be leidigung fremder Monarchen im Jahre 1867 bestraft zu sein und gibt zu, im Juli eines Abends in Lichterfelde   gewesen zu sein. erklärt evangelischer Konfession und wegen Preßvergehen bereits zu 15 Mt. Hasselmann Lichterfelde gewesen(!). Wenn der Mitangeklagte Fritsche aussage, daß er Geldbuße verurtheilt zu sein, könne sich aber nicht besinnen, daß er in ihn in Lichterfelde   getroffen, so werde das ja wohl wahr sein, habe doch Bismarck   selbst in Bezug auf Fritsche gesagt, ein Abgeordneter könne nicht lügen(!). Hierauf wurde die Beweisaufnahme geschlossen.

Die Staatsanwaltschaft, vertreten durch Staatsanwalt von Alepsch, führte aus, daß ein Abgeordneter wohl bei einer Kollision der Gesetze, wie im vorliegenden Falle, nach seinem Pflichtgefühl Entscheidung treffen müsse und ein Dolus alsdann bei der Erfüllung dessen, was er für die Pflicht erkannt, nicht anzunehmen sei. Das, könne man annehmen, sei selbst. Der Aufenthalt in Lichterfelde   dagegen sei nicht aus einer Kollision zutreffend gewesen bezüglich der Anwesenheit der Angeklagten in Berlin  der Gesetze und daraus folgenden Erfüllung einer höheren Pflicht hervor­gegangen. Der Dolus sei also in diesem Falle als vorhanden anzunehmen und zwar um so eher, als die Stellung eines Mitgliedes der Gesetzgebung, welche die Angeklagten einnehmen, die nöthige Kenntniß und Tragweite eines Gesetzes unbedingt voraussetzen lasse. Der von einem Angeklagten in der Voruntersuchung geltend gemachte Einwand: der Polizeipräsident v. Madai sei zu einer Verweigerung des Aufenthalts der Angeklagten im Kreise Teltov nicht berechtigt gewesen, sei von demselben nicht wieder er­hoben worden, er wolle aber dennoch darauf eingehen. Das Ausweisungs­dekret des Berliner   Polizeipräsidenten   habe es lediglich mit der Person

Rente?) von Rothsch d vermochte, das Kapital" zu schreiben? Es fordert Epropriation der Expropriateure". Wer hätte den Vortheil da­von? Natürlich Rothschilds  . Sicher auch brachte ihm das Buch Dank­adressen von allen Börsen. Das ist so handgreiflich, daß mich nur wun­dert, daß man nicht längst die Judenverschwörung merkte. Freilich hat nicht Jeder den gewaltigen Schafblick des unsterblichen Gründers der Christlich- Sozialen Partei. Ja, ich wette, bei dem zähen Zusammenhalten dieser Semiten machen sie Herrn Marr noch zum Oberrabbiner. Meinen Sie nicht, Herr Redakteur? Wahrlich, ich sage Euch, Stöcker ist ein gewaltiges Weltlicht vor dem HErrn.

Daher, zeterte er, schwiegen die Sozialisten auch über die Gründer. Nun dächt' ich, wir haben beim Aufschwung"( 1873) als der jetzige große Tribun noch bescheiden unter den Betschwestern wandelte, nicht schlecht geschimpft. Machte es den Mann ein bischen klüger, so schickte ich ihm sogar Volksstaat"- Artikel meiner geschätzten Feder, so grob Damit hatte er glücklich sein Stöckerpferd bestiegen die Juden.

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Die Judenhatz ist die great attraction der Stöcker'schen Gauklerbude. Und er hat ja so Recht. Freilich meinen Mauschelfreunde, wie kurz erst der Jude Mensch sein dürfe und wie manches auf höchsten Schaffens­gebieten er schon gethan. Und die lange Reihe edler Namen, Märtyrer der Menschheit, vor denen jedes gute Menschenherz bewundernd erbebe! Und beweise nicht die vorgeworfene Theilnahme am Proletarier- Befreiungs­kampf wieder die geleugnete Begeisterungsfähigkeit dieses Volkes? Komme erst statt dieser Welt des Schachers die Welt der Arbeit, wer weiß, was dies langverkannte Aschenbrödel der Nationen, in vieltausendjähriger Schule der Leiden geistig hochentwickelt, dann noch nützen könne? Solle nun, was diese geistigen Kräfte schon gewirkt( Lassalle!) und noch fönnen, lieber ungethan sein, weil ihre Träger zufällig schwarz statt blond, adler- statt st ülp nasig sind, erst" anderthalb Jahrtausende hier wohnen, während Stöcker's Ahnherren allerdings schon lang vorher,

des Angeklagten zu thun gehabt, über diese sei die Landespolizeibehörde als welche der Polizeipräsident v. Madai gesetzlich bezeichnet worden sei, verfügungsberechtigt gewesen. Dieses, auf einem Ausnahmegesetz beruhende Verfügungsrecht sei nicht durch die auf gemeinem Recht fußende Abgrenzung der Wirksamkeit des Berliner   Polizeipräsidiums be­grenzt. Mithin sei diese Behörde auch zum Aufenthaltsverbot der Ange­flagten befugt gewesen. Er beantragt 150 Mart eventuell einen Monat

Gefängniß.

Der Vertheidiger hebt hervor, daß, um nach Berlin   und von dort zurück zu gelangen, das Betreten des Umkreises von Berlin   nicht zu umgehen sei. Wenn aber zugegeben werde, daß bei einer Kollision der Pflichten die Erfüllung der höheren, hier die Ausübung des Mandates, keine doloſe, also auch keine strafbare Handlung sei, so könne die unbedingt nöthige Betretung des Weges, der allein die Erfüllung der Pflicht ermöglicht, feineswegs als aus doloser Absicht hervorgegangen erachtet werden. Er beantrage die Freisprechung seines Klienten Fritzsche.

Der Abgeordnete Fritzsche bemerkte, er halte auch heute noch den von ihm in der Voruntersuchung erhobenen Einwand aufrecht. Der Aus­weisungsakt sei eine einheitliche Handlung gewesen, von einer Person aus­gehend und eine Person betreffend. Angenommen nun, aber nicht zuge­geben, v. Madai sei zu diesem Akte voll und ganz berechtigt gewesen, so habe er, Fritzsche, das Verbot ja schon vor seinem Aufenthalt in Lichter­ felde   durch seine Anwesenheit in Berlin   übertreten. Dann könne er aber auch nicht wegen seines Aufenthalts in Lichterfelde   bestraft werden, denn wegen ein und desselben Vergehens könne Niemand mehrmals bestraft werden. Der Aufenthalt in Lichterfelde   sei, wenn überhaupt ein Vergehen

vorliege, lediglich eine kontinuirliche Fortsetzung des in Berlin   begonnenen

Vergehens. Die Staatsanwaltschaft müsse demnach von der Ansicht aus­gegangen fein, daß die Ausweisung aus dem Kreise Teltov ein besonderer Akt der Ausweisungsverfügung sei, der speziell verletzt werden könne. Sonst würde sie die Anklage nicht aufrecht erhalten können, da die authen­tische Interpretation des Reichstags feststelle, daß auf Abgeordnete, welche sich in Berlin   während der Sitzungsperiode des Reichstags aushalten, die Nr. 3 des§ 28 feine Anwendung finde. Dem Polizeipräsidenten von Berlin   aber bestreite er das Recht, über seine Jurisdiktion hinaus, den Aufenthalt auf Grund irgend eines Gesetzes zu verweigern. Wenn der sekundäre Belagerungszustand über ganz Preußen, oder das ganze deutsche Reich verhängt werde, so könne, nach den Ausführungen des Staatsanwalts, der Präsident v. Madai oder jede andere, als Landes­

polizeibehörde bezeichnete Person denjenigen, die sie für gefährlich für die öffentliche Ordnung halte, den Aufenthalt in Preußen verweigern, ja selbst

in außerpreußischen Ländern untersagen. In dem bezüglichen Gesetze sei aber von einer Landes- oder Reichsverbannung nirgends die Rede. Eine solche Ungeheuerlichkeit, einen solchen Eingriff in die Rechte würde sich auch wohl keine andere Regierung gefallen lassen. Wenn die Auffassung des Staatsanwalts akzeptirt werde, so sei nicht nur v. Madai, sondern jede andere Landespolizeibehörde, über deren Bezirk der sekundäre Belagerungszustand verhängt werde, Herr über die Abstimmungen im Reichstage, zumal nicht nur Sozialdemokraten, sondern allen Personen, von denen ein solcher Polizeimensch eine Gefährdung der öffentlichen Ord­nung und Sicherheit befürchte, alsdann von ihm aus Berlin   ausgewiesen werden könnten. Wenn die Staatsanwaltschaft berufen sei, die Gesetze vor Verletzungen zu beschützen und die Uebertreter derselben zu verfolgen, so hätten die Richter das Recht und die heilige Pflicht, die Gesetzgebung zu schützen. Er hoffe, der Gerichtshof werde ihn demgemäß freisprechen. Denn dafür, daß der Reichstag   wieder einmal eine seiner schwachen Stun­den gehabt habe, als er das betreffende Gesetz, seinem Willen nicht ent­sprechend, abgefaßt, könne man doch nicht ihn bestrafen wollen.

Hasselmann erklärte hierauf nochmals, sich durchaus nicht mehr ent­finnen zu können, in Lichterfelde   gewesen zu sein, und verzichtete ,, als revolutionärer Sozialiſt" auf eine weitere Vertheidigung.

Der Gerichtshof erkannte auf Freisprechung und motivirte die­drücklich fügte der Vorsitzende hinzu, daß der Polizeipräsident selbe in ähnlicher Weise wie Fritzsche seinen diesbezüglichen Antrag. Aus­v. Madai seine Amtsbefugniß überschritten habe, indem er den Angeklagten den Aufenthalt in anderen, als zu seiner Juris­diktion gehörigen Kreisen untersagt habe. Dbsch.

* Wir erhalten folgende Erklärung mit dem Ersuchen um Ver­öffentlichung:

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Die Wiener Allgemeine Zeitung" vom 16. d. bringt fol­gendes Telegramm:" Dem Gaulois" wird von Berlin   tele­graphirt, Bebel und Liebknecht   ersuchten brieflich Roche  = fort, er möge Gambetta  , welcher der Demokratie noch Dienste leisten könne, schonen." Natürlich haben weder Bebel noch ich sich eines ähnlichen Blödsinnes schuldig gemacht. Ich habe überhaupt niemals in brieflichem oder mündlichem Verkehr mit Rochefort gestanden, und dasselbe gilt, glaube ich, von Bebel, der augenblicklich von hier abwesend ist. Mit sozialdemokratischem Gruß! Leipzig  , 21. Juli 1880.

W. Liebknecht.

Sozialpolitische Rundschau.

Schweiz  .

Es ist schon öfters von in der Schweiz   lebenden Genossen der Wunsch ausgesprochen worden, daß wir uns mehr mit schwei­zerischen Angelegenheiten überhaupt, sowie mit den Verhältnissen des schweizerischen Sozialismus beschäftigen möchten. Wir haben ba rauf zu erwidern, daß der Sozialdem." in erster Reihe das Organ der deutschen Sozialdemokratie ist, während anderseits die schwei­zerische Bewegung ihr eigenes berufenes Parteiorgan hat. Es er­

mit den Schwänzen an den Aesten baumelnd, im deutschen Urwald Eicheln fraßen? Eine kulturfeindliche Idee, würdig eines Pfaffenhirns. So reden sie. Thut nichts der Mauschel wird verbrannt. Genug davon. Schmach genug, daß 1880 dergleichen noch diskutirt werden muß. Ich denke, wir vernünftigen Leute haltens bei der Frage: ob Jude oder Christ, mit jenem polnischen Sohn Abrahams  , der, vom be­fehrungszudringlichen Pfaffen gefragt, warum er glaube, daß Moses zum Himmel gestiegen und nicht, daß Jesus   dahin geflogen sei, ärgerlich herausfuhr: Wie haißt? Nix gestogen, nix geflogen!" Halten wir trotz Stöckerei und Stänkerei an dem menschenversöhnenden: Nir gestogen, nig geflogen!

Was soll ich noch von dem Blödsinn erzählen, der da zu Tage fam? Bände füllte es; Sie haben aber wohl genug. Ich saß da und dachte nur: Wo nimmst du verflirter Pfaffe all die Dreiftigkeit her?" Gern hätte ich die bescheidene Anfrage laut gestellt; doch der Geist des Hinaus­geworfenen warnte mich.

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Aber ist's recht, daß wir den Schimpf, den der fromme Heren­sabbath unserer Intelligenz- Metropole anthut, schweigend dulden? Freilich hat er hohe Gönner. Denn daß man" trotz Leugnens dem doppelten Zwed Juden hatz und Arbeiterfang, gnädig lächelt, ist klar. Sonst brauchte man" ja Stöcker nur zurückzupfeifen, wie's mit bissigen Kötern eben geschieht. Denn Hof prediger haben mit Hofhunden u. A. auch das gemein, daß sie auf Befehl tuschen müssen. Daß die jüdischen Geldprozen trotzdem fpeichellecken, statt--, beweist ihr unverfälschtes Mastbitrgerthum.

( Schluß folgt.)

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