Erscheint
wöchentlich einmal
int
Verlag
N: 45.
Sonntag, 7. November.
Avis an die forrespondenten und
Da der Sozialdemokrat" sowohl in Deutschland als auch in Oesterreich verboten ist, bezw. verfolgt wird und die dortigen Behörden sich alle Mühe geben, unsere Verbindungen nach jenen Ländern möglichst zu erschweren, resp. Briefe von dort an uns und unsere Zeitungs- und sonstigen Sendufigen nach dort abzufangen, so ist die äußerste Vorsicht im Postverkehr nothwendig und darf keine Vorsichtsmaßregel versäumt werden, die Briefmarder über den wahren Absender und Empfänger, sowie den Inhalt der Sendungen zu täuschen, und letztere dadurch zu schützen. Haupterforderniß ist hiezu einerseits, daß unsere Freunde so selten
Abonnenten des ,, Sozialdemokrat". 201
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1880.
als möglich an den Sozialdemokrat", resp. dessen Berlag selbst adressiren, sondern sich möglichst an irgend eine unverdächtige Adresse außerhalb Deutschlands und Oesterreichs wenden, welche sich dann mit uns in Verbindung setzt; anderseits aber, daß auch uns möglichst unverfängliche Zustellungsadressen mitgetheilt werden. In zweifelhaften Fällen empfiehlt sich behufs größerer Sicherheit Rekommandirung. Soviel an uns liegt, werden wir gewiß weder Mühe noch kosten scheuen, um trotz aller entgegenstehenden Schwierigkeiten den, Sozialdemokrat" unsern Abonnenten möglichst regelmäßig zu liefern.
Parteigenossen! Vergeßt der Verfolgten und Gemaßregelten nicht!
Parteigenossen!
Der Belagerungszustand hat seinen Einzug in Hamburg , Altona , Ottensen , Wandsbeck und Umgegend gehalten. Zahlreiche Ausweisungen sind bereits erfolgt und weitere werden noch kommen.
Da ist es die Pflicht der deutschen Sozialdemokraten allerorts, im Inland wie im Ausland, die von der brutalen Gewalt um ihrer Ueberzeugung willen brotlos gemachten und vertriebenen Genossen und ihre des Ernährers beraubten Familien mit allen Kräften brüderlich zu unterſt ügen.
Steuere jeder, so viel als ihm seine Verhältnisse irgend gestatten und so schnell als möglich, sein Scherflein bei. Und sendet die gesammelten Gelder sofort an bekannte Vertrauensmänner, beim Mangel einer Adresse auch an
uns.
Thue jeder seine Parteipflicht! Zeigen wir unsern verfolgten Genossen, daß sie in der Noth nicht verlassen sind! Zeigen wir unsern Feinden, daß alle ihre Geschosse machtlos abprallen am undurchdringlichen Schilde unserer Ueberzeugungstreue und unserer Solidarität!
Die Redaktion.
Ein weiterer Schritt zum Ende!
Was längst zu erwarten war, ist endlich erfolgt: der kleine Belagerungszustand ist über Hamburg , Altona und Umgegend verhängt. Zu dem„ belagerten" Gebiet gehören außer den genannten Städten: die Kirchspiel voigteibezirke Blankeneje und. Rumburg , die Städte Pinneberg und Wedel , die Kirchspielvoigteibezirke Reinbeck mit 24 Ge meinden und Bargteheide mit 24 Gemeinden, sowie die in denselben eingeschlossenen Gutsbezirke, die Stadt Wandsbeck, die Landvoigteibezirke Schwarzenbeck mit 23 und Lauenburg mit 22 Gemeinden, sowie die von denselben eingeschlossenen Gutsbezirke, d. h. die sämmtlichen Güter des Fürsten Bismarck, und die Stadt Larenburg. Das neue Belagerungszustandsgebiet umfaßt 20 Quadratmeilen mit mehr als 600,000 Einwohnern. Aus diesem ganzen Bezirk können nunmehr auf die Dauer eines Jahres", vom 29. Oktober angefangen, Personen, von denen eine Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit zu befürchten ist", d: h. welche der Polizei unangenehm sind, ausgewiesen werden.
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Wie sich ebenfalls voraussehen ließ, hat die Polizei auch sofort begonnen, von dieser Befugniß den umfassendsten Gebrauch zu machen. Die von Gen. Blos herausgegebene„ Gerichtszeitung"," welche im größten Format erschien und eine Auflage von 12000 hatte, wurde trog ihrer überaus reser virten Haltung verboten. Vor allem aber machten die Gewalt= haber bereits weitgehenden Gebrauch von der Ausweisungsbefugniß; zur Stunde, wo wir dies schreiben 3. November ist uns zwar noch nichts näheres über die Anzahl und die Namen der Ausgewiesenen bekannt; aber eine Drathnachricht meldet uns, daß die Zahl Derer, welche nach einer dreitägigen Galgenfrist von ihrer Heimath und Arbeitsstätte vertrieben werden, eine sehr große" ist!
Was sollen wir zu dieser neuesten Gewaltthat sagen? Was man darüber sagen kann, ist schon bei Verhängung des berliner Belagerungszustandes bis zum Ueberdruß gesagt worden und neues läßt sich nichts geltend machen. Daß ein solcher Ausnahmezustand, die Unterdrückung der wichtigsten und unentbehrlichsten Menschen- und Bürgerrechte, eine Willfürhand lung ohne Gleichen ist, ein Akt, das keinem andern Recht entspringt als dem Faustrecht, dem„ Recht" des Stärkeren; daß fortan ein und dreiviertel Millionenen Deutscher, ungefähr der fünfundzwanzigste Theil der Bevölkerung des Reiches und ihre ganze Existenz dem jeder Verantwortlichkeit überhobenen Belieben der Polizei überantwortet sind; daß diese Waffe zwar wohl die einzelnen Sozialisten schwer schädigen und allen ihren Gesinnungsgenossen Opfer auferlegen wird, die Sache der Partei, welche zu Tod getroffen werden soll, aber nicht im geringsten zu beeinträchtigen vermag; daß aber durch diese Maßregel die Verbitterung nur immer vergrößert wird das alles weiß jeder politisch denkende Mensch und wissen ins
besondere unsere Feinde, die jene Waffe geschmiedet und ihre Wirkungslosigkeit bereits erprobt haben.
Oder sollen wir davon sprechen, was wir der Maßregel der Regierung gegenüber zu thun haben? Daß es unser aller Pflicht ist, den von der Willkür unserer gemeinsamen Feinde Betroffenen nach Möglichkeit helfend zur Seite zu stehen, das brauchen wir Sozialdemokraten wohl nicht erst zu sagen. Daß unsere hamburger Genossen sich durch den geführten Streich nicht im geringsten einschüchtern lassen, sondern nur desto eifriger, wenn auch geheimer wirken werden, das hoffen wir und werden wir uns in dieser Annahme sicher nicht täuschen. Daß dieser Streich den deutschen Sozialdemokraten den letzten, hie und da vielleicht noch zurückgebliebenen Rest sanfter Denkungsart und eitler Hoffnungsseligkeit gründlich austreiben und auch den Mildesten und Gleichmüthigſten hassen lehren wird mit ganzer Seele und allen Fasern des Herzens, bis zur Vernichtung, das ist zu natürlich, um erklärt zu werden und die weniger blinden unserer Gegner wissen das nicht nur, sondern schaudern auch vor dieser Drachensaat.
Oder sollen wir Drohungen aussprechen? Unsere Feinde wissen so gut als wir, daß wir im jezigen Augenblick nicht in der Lage sind, Gewalt mit Gewalt zu vertreiben; sie wissen aber nicht weniger genau, daß es uns am guten Willen nicht fehlt und daß wir im ersten Augenblick, wo wir die Macht dazu haben werden, unfehlbar ihnen ihre eigenen Mittel eintränken werden, daß ihnen darob Hören und Sehen vergehen soll und daß sie daran für inams gedenken sollten, wenn wir nicht dafür sorgten, daß ihnen mit der Herrschaft zugleich das Gedächtniß verloren gänge. Der Unterschied zwischen unserer und unserer Feinde Erkenntniß liegt nur darin, daß letztere entweder aus Uebermuth oder Angst oder sonstiger Beschränkt heit nicht glauben oder nicht glauben wollen, daß jemals eine Zeit kommen fönnte, wo wir Hammer und sie Ambos sein werden. Wir aber wissen, daß diese Zeit kommen wird, ja wir sind der Ueberzeugung, daß sie, wenn auch nicht sehr nahe, doch nicht mehr fern ist. Und wir beide werden nach unserer Ueberzeugung und unsern Wünschen weiter handeln. Die herrschende Klasse wird ihr Bedrückungssystem so lange fortsetzen und immer mehr zuspißen, bis des Volkes unendlich scheinende Geduld doch ein Ende hat. Wir aber werden dahin wirken, daß das Volk bald zur Einsicht kommt und die Waffen vorbereiten, mit denen es seinen Beinigern den Garaus machen wird. In jenem wird sich die herrschende Klasse, in diesem werden wir uns durch nichts behindern lassen; so war's zu allen Zeiten es ist der Geschichte ehernes Muß.
Wozu da die Sprache der Drohung? Oder sollen wir uns mit der der gerechten Empörung waffnen? Man würde sie nicht verstehen. Wozu überhaupt viel und große Worte machen? Ein Apell an die Gerechtigkeit wäre ebenso lächerlich, als einer an das Mitleid unwürdig wäre; die Stimme der bloßen, berechnenden Vernunft aber wird durch die Leidenschaft des Herrschens erstickt. Gewaltmenschen, Erfolganbetern imponirt nur die Gewalt, der Erfolg; sie verstehen keine andere Sprache, als die zwingende, vernichtende Sprache der Thatsachen. Benützen wir die Zeit der Belagerungszustände und Sozialisten gesetze, der wachsenden wirthschaftlichen Noth und der Steuererhöhungen dazu, um uns dies Sprache zu eigen zu machen; werben wir um die Gewalt und bereiten wir den Erfolg vor. Aber die Gewalt und den Erfolg in Wirk lichkeit, nicht blos in Träumen und auf dem Papier. Reden wir nicht, sondern handeln wir.
Was ist da noch zu sagen? Wir sagen einfach: Die Maßregel der Regierung ist ein weiterer Schritt zum Ende der Klassenherrschaft, zum Ende des Volkselende s. Die heutige Gesellschaft rollt unaufhaltsam dem Abgrund zu; jeder neue Belagerungszustand, jedes neue Ausnahmegesetz, jede neue Unterdrückung zeigt, daß sie einen weiteren Schritt auf der hoffnungslosen Bahn zurückgelegt. Stören wir also ihre Reise nicht, sondern bereiten wir uns auf den Augenblick, wo es gilt, die am Ende angekommene und sich in Todesangst an den Rand Klammernde in das Grab zu stoßen und über ihren Gebeinen den ewiggrünenden Freiheitsbaum des freien Volksstaats zu pflanzen!
Revolution oder Reform?
II.
Wir haben im Verlauf unseres vorigen Aufsatzes gezeigt, zu welchen Ergebnissen es führen müßte, wenn wir uns darauf verlegten, so schnell als möglich" eine Revolution zu„ machen". Die deutsche Sozialdemokratie hat denn auch diese Revolutionsoder besser Putschmacherei stets als Sache politischer Kinder
| und der Polizei betrachtet, und wenn Auer die„ blutige Revolution" in diesem Sinne meint, dann hat er vollkommen recht, daß die deutsche Sozialdemokratie nie eine Partei der bloßen Revolution, der Revolution um jeden Preis gewesen ist und daß sie es auch trotz des Ausnahmegesetzes nicht werden soll.
Wir glauben, wir können die Stellung der deutschen Sozialdemokratie zu der Putschmacherei nicht besser kennzeichnen, als indem wir zwei Aussprüche eines früheren sozialdemokra tischen Schriftstellers wiederholen. In seiner„ Die Lösung der sozialen Frage" betitelten Schrift schreibt Joh. Most bei Aufzählung der Vorgänger des heutigen Sozialismus:„ Endlich bleiben noch die Verschwörerklubs zu erwähnen, welche in den 30er und 40er Jahren in Frankreich existirten, und die auf Einführung einer sozialen Republik hinarbeiteten... Man weiß nicht, was man dabei mehr bewundern soll, die zu Tage getretene unglaubliche Kühnheit oder den Wahnwiz ihrer Illusionen. Was soll man z. B. dazu sagen, daß im Jahre 1839 Blanqui mit etwa 300 Gleichgesinnten mit bewaffneter Hand Paris zu nehmen und die Republik zu prokla miren sich anschickte? Man steht allerdings staunend vor einer solchen Thatsache, aber man muß nichtsdestoweniger sein Bedauern darüber aussprechen, daß sie stattgefunden hat. Denn daß sie auf dem Boden der Extravaganz gewachsen ist, ist bei weitem noch nicht das Schlimmste; dieses besteht vielmehr darin, daß selbst heutzutage noch.. den Sozialisten im allgemeinen der Vorwurf des Butsch machens an den Kopf geworfen wird." An einer anderen Stelle, in einem„ Revolutions Angstmichelei" betitelten Aufsatz*), sagt derselbe Joh. Most wörtlich:„ Diese ( gegnerischen) Dichtungen stellen die Sache so dar, als ob man im sozialdemokratischen Lager an nichts anderes denke, als an einen Kampf mit dem Knittel in der Faust, an Straßenfravalle und Petroleum- Mordbrennereien, kurzum an die allgemeine„ Verungenirung". Würden diejenigen, welchen derartige Mordgeschichten vorgetragen werden, nur einigermaßen über dieselben nachdenken, so müßten sie ganz von selbst zur Ueberzeugung gelangen, daß es mit dem Sozialismus gute Wege habe, wenn seine Anhänger mit Plänen von der gekenn zeichneten Art schwanger gehen. Denn es liegt auf der Hand, daß man mit Putschmachern mit leichter Mühe fertig werden kann, daß sie gründlich in die Pfanne gehauen würden, sobald sie Hand ans Werf legen wollten und daß mithin solche nur sich selbst gefährlich werden könnten.**) Die Zeit der Putsche, der Verschwörungen und Illusionen liegt aber glücklicherweise hinter un 8. Der moderne Revolutionär weiß, gewißigt durch die bitteren Erfahrungen seiner Vorgänger, mit den gegebenen Thatsachen zu rechnen. Weit entfernt, sich als Heraufbeschwörer oder„ Macher" von Volksbewegungen anzusehen, fühlt er sich lediglich als Organ der in Fluß gerathenen sozialen Elemente und handelt von diesem Gesichtspunkte aus..."
alles
Freilich hat der Schreiber der angeführten Aussprüche seine Meinung seitdem bedeutend geändert und was der ehemalige Sozialdemokrat Most als Illusionen, Extravaganz, Wahnwitz bezeichnet hat, was er als gegnerische Dichtungen und ungerechtfertigten Vorwurf zurückwies, was er als Dummheit verspottete, die glücklicherweise hinter uns liegt", das bildet die Glaubenslehre des heutigen Anarchisten und „ Sozialrevolutionärs" Most, den Inbegriff seiner Weisheit und seiner„ Thaten". Diese Verleugnung der alten Grundfätze kann aber uns, die wir uns nicht geändert haben, sondern Sozialdemokraten geblieben sind, nicht beirren. Was wir einmal als Wahrheit erkannt, das halten wir fest, und ändern unsere Ueberzeugungen nicht mit dem Wohnort.
Noch eine, zum Abschnitt der Revolutions- und Putschmacherei gehörige Frage müssen wir, bevor wir zur positiven Aufgabe der Sozialdemokratie übergehen, in Kürze berühren. Wir meinen die vereinzelte Auflehnung gegen die Unterdrückung, und den Königsmord oder die Atten täterei. Wie oft haben Unwissende und Unüberlegte es nicht den deutschen Sozialdemokraten zum Vorwurf gemacht, daß sie alle die unerhörten Unverschämtheiten und Herausforderungen der deutschen Polizei so„ schafsgeduldig" über sich ergehen ließen und nicht„ Vergeltung“ und„ Züchtigung" übten. Dagegen wird von gewissen Leuten jede Auflehnung gegen einen Arbeiterschinder, gegen die Polizei und vielleicht sogar gegen den Nachtwächter, jede Balgerei und jeder Krawall als ein
*) Noch in der Freih." vom 8. Febr. 1879 wieder abgedruckt. **) Doch nicht nur sich selbst, sondern dem ganzen Volk und seiner Entwicklung.