wenn das Volk die Vendôme- Säule umwirft; wer aber nichts| im Kopf hat, als Steine umwerfen nnd Hälse umdrehen, dem fehlt es an der nöthigen Grütze.

Die Lage der Dinge fordert anderes. Gewiß wollen wir die Verhältnisse total verändern; aber nicht so total, daß an die Stelle des Verstandes der Unverstand trete. Wer kein Bramarbas ist, muß gestehen, daß alle verständigen und un­verständigen Revolutionärs zusammengenommen nur erst eine winzige Minderheit ausmachen. Noch schäumt die große Masse nicht in Wuth; der Knechtssinn ist viel größer als der In­grimm; und das arme Volk so unwissend, daß es seinen Feind faum noch instinktiv erkennt. Da ist denn für die Einsichtigen viel mehr geboten, positiv vorzugehen, als nihilistisch.

Wohl ist die bürgerliche Gesellschaft mit ihrem Privateigen­thum und der Waarenfabrikation ins Blaue hinein, sammt den Stützen, die Papst, Kaiser und Reich zusammenschleppen, so morsch, daß sie vor einem mit Elan ausgeführten Volks­angriff zusammenbricht. Aber wo soll der Elan herkommen? Ihn mit Hasselmann'schen Parlamentsreden oder Most'scher Polterei herorrufen wollen, ist gar kindisch. Entweder muß er unverhofft, gleichsam von Naturereignissen, bei gebracht werden und dann sind wir gern mit dabei; oder die klare Einsicht von der Unhaltbarkeit und ruinösen Immoralität der herrschenden Gesellschaft und der leichten Weise, mit welcher der Volksstaat das soziale Elend beseitigen kann, muß sich der großen Masse bemächtigt haben.

Damit soll durchaus nicht in das Horn derjenigen mit ein­gestoßen sein, welche die stürmische Entwicklung mit der eigen­nützigen Ausrede zurückhalten möchten: die Sache sei gut, aber das Volk sei nicht reif für die Sache. Wenn das Volk ans Stürmen geht, so ist das der beste Beweis seiner Reife. Wenn aber die Revolutionärs" mit den Gänsefüßchen zu Butschen und Kravallen, zum Sturm mit dem Kopf auf die Wände verleiten wollen, wird damit die Unzurechnungsfähigkeit dieser Helden evident.

Die deutschen Nihilisten machen aus der Revolution einen Fetisch. Sie glauben das Stürmen und Poltern sei um seiner selbst willen da, sei heilsam und heilig, an sich". Das Stürmen ist nur gut und verständig im Zusammenhang mit den anderweitigen Verhältnissen, nur wo es Zweck hat und zum Zweck führt, wo der Zweck ein Allerweltszweck und nicht ein lokokaler Putsch oder eine persönliche Intrigue ist. Es geht dabei nicht um den Kampf, sondern um den Frieden, nicht um die Zerstörung, sondern um den Aufbau. Daß man nur durch Kampf zum Frieden, nur durch Niederschlagen des Waldes zu Holz für den Bau gelangt, ist eine Thatsache, die Kampf und Niederhauen wohl nothwendig, aber nicht zum Selbstzweck macht.

Verstand heißt Ordnung und Unterordnung des Kleinen unter das Große, der Nebendinge unter die Hauptsache. Den Fana­tikern, die stürmen wollen ohne Zweck und Aussicht auf Erfolg, fehlt es an Verstand.

Das frische Blut des Volkes und seine gesunden Knochen sind sein einziges Gut, mit dem es alle Ursache hat zu geizen und Haus zu halten. Mit Stürmen und Revolutioniren" hat es leider schon zu viel davon für seine Feinde vergeudet. Das soll aufhören. Es sollen ihm die Früchte des Sieges nicht mehr von übermüthigen Säbelhelden estamotirt werden. Dazu gehört denn ein demokratisches Regiment, gehört, daß jeder, daß die große Volksmasse auf ihrem Posten ist. Das aber ist und kann sie nur sein, wenn man vollständig darüber im Klaren, daß die erste Bedingung für Freiheit und Republik eine genügende Verproviantirung ist, und also die Führer­schaft nicht der nihilistischen Verwüstung, sondern der ökono mischen Einsicht zugehört, welche das Kleine dem Großen, die Nebendinge der Hauptsache organisatorisch zu unterordnen weiß.

Es ist nicht genug mit dem Poltern und Stürmen. Es will gestürmt sein mit einer geschulten Volksmasse, und muß deshalb die Schulung dem Sturm vorhergehn, und sollten wir, durch frühere Erfahrungen wohl gewigigt, mit letzterem solange zurückhalten, bis uns der Sieg voraussichtlich gleich­sam als reife Frucht in den Schooß fällt. Der Feind soll uns zu keiner verfrühten Schlacht provoziren.

J. Dieggen.

Nachschrift. Just indem ich dies zur Post geben will, fommt mir Nr. 42 mit dem Artikel von Genosse Auer zu Gesicht, mit dem ich herzlich einverstanden bin.

Noch einmal die Stellung unserer Partei

zur bürgerlichen Demokratie.

In dieser vielbesprochenen Frage erhalten wir noch zwei Einsendungen, welche zwar auch noch andere Dinge behandeln, deren Ausführungen fich aber in der Hauptsache mit der Stellung der Sozialdemokratie gegen­über den bürgerlichen Demofraten", namentlich gelegentlich der Reichs­tagswahlen befassen. Wir stellen deshalb die beiden Aufsätze hier zusam­men und werden uns nur zum Schluß eine kurze Bemerkung erlauben.

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Aus Schwaben , 1. Nov. Gefühlspolitik oder nicht? Ju Nr. 41 des Sozialdem." habe ich im Einverständniß mit einer An­zahl Genossen für die Eventualität einer Stichwahl zwischen einem Kon­servativen einerseits und Volksparteiler anderseits meine Ansicht dahin ausgesprochen, geschlossen Mann für Mann den Volksparteiler niederzu­stimmen und dem Konservativen zum Siege zu verhelfen, so sehr auch das Gefühl des einen oder andern Genossen gegen eine solche Taktik sich sträuben möge, da wir am allerwenigsten Gefühlspolitik treiben dürfen. Gerade ein solches Verfahren aber nennt Genosse Leo in Nr. 42 d. Bl. die schlimmste Gefühlspolitik, die nur denkbar sei und die schließlich zur Charakterlosigkeit führen müsse und hält es als dem Charakter unserer ganzen Bewegung entsprechend für ge­boten, nur für den am weitesten nach links stehenden Kandidaten, und sei er persönlich noch so unsympathisch, einzutreten".

Zuvörderst muß ich allen Ernstes den in der Erzählung ohne Namen" versteckt liegenden Vorwurf zurückweisen, als ob ich von irgend welchen Wenn persönlichen Sympathien oder Antipathien befan gen wäre. auch besonders bei Wahlfragen Person und Sache oft schwer von einander zu trennen sind, so weiß ich mich doch von jeder Voreingenommenheit gegen irgend welche Persönlichkeit frei, zumal da mir die demokratischen Größen fast alle persönlich unbekannt sind.

Welches wäre nun aber so ein am weitesten nach links stehender Kandidat" nach dem Herzen und Geschmack" des Genossen Leo? Doch nicht Eugen Richter , der, wie seine neuesten Expektorationen in Elberfeld - Barmen beweisen, noch immer fortfährt, den wehrlos und ge­Knebelt am Boden liegenden Gegner mit Koth zu bewerfen? Oder Karl

Mayer, der in der württemb. Ständekammer die Sozialdemokratie verächtlich für eine importirte Waare erklärte? Oder Herr Findel, der, im Trüben fischend, durch Verläumdungen die Partei zu diskreditiren sucht? Diese drei Persönlichkeiten habe ich herausgegriffen als die fort­geschrittensten Fortschrittler und röthesten ,, Demokraten ", die sogar manchem ihrer eigenen Parteigenossen zu weit gehen.

Was verspricht sich denn Genosse Leo von der Wahl solcher Linkser? muß ich vor allem fragen. Gesetzten Falls, es säße heute im Reichstag eine fortschrittlich- demokratische Majorität und obendrein am Bundes­rathstisch Eugen Richter als Präsident und dabei Carl Mayer als königl. württemb. und Herr Findel als königl. sächs. Bundesbevollmächtigter, glaubt er etwa, dann würde das Ausnahmegesetz gegen die Sozialdemo­fraten aufgehoben? Im Gegentheil; noch verschärft würde es. Denn da­rüber dürfen wir uns feinerlei Illusionen hingeben, da ja gerade in den Kreisen der bürgerlichen Demokratie unsere verbisfensten und bornirtesten Gegner zu suchen sind, die den ökonomischen Fragen der Gegenwart anch nicht das geringste Verständniß entgegenbringen. Genosse Leo soll nur einmal unsere Durchschnittsdemokraten in ihren eigenen Höhlen aufsuchen, wenn sie so ganz en famille bei einander sitzen und hinter dem Schoppen über die schlechten Zeiten, die vielen Steuern und Soldaten, über Bis­mard und last not least die Lumpen von Sozialdemokraten schimpfen, die das Ländle fechtend durchzögen und unsicher machten. In den Augen dieser Mastbürger nämlich ist jeder reisende, zur Inanspruch­nahme fremden Mitleids gezwungene Handwerksgeselle von Haus aus Sozialdemokrat, dem vor allen Dingen 25 wohlgezählte aufgemessen gehören".( Wörtliche Aeußerung einer demokratischen Leuchte!)

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Die Wahl solcher Menschen, die heute demokratisch- republikanisch renom­miren, um morgen konstitutionell- monarchisch zu ersterben, nützt uns nicht nur nichts, nicht nur Opportunitätsgründe sprechen dagegen; unser Prinzip schon, der Charakter unserer ganzen Bewegung als einer politisch, ökonomisch und religiös von Grund aus revolutionären gebietet es uns, die Charakterlosigkeit" in jeder Form bis auf's Messer zu bekämpfen, um die Extreme so schnell als möglich auf die Spitze zu treiben, die Katastrophe so bald als möglich herbeizuführen. Es ist also keine unklare Gefühlsanwandlung", keine Kaprize oder Marotte, auch keine Geschmacks­voreingenommenheit, sondern nüchterne, zielbewußte und prinzipientreue Verstandeserwägung, die den Entschluß in uns Schwaben reifen ließ, im gegebenen Fall für den Konservativen gegen den Demokraten " zu stimmen, um mit den Halbheiten endlich einmal gründlich aufzuräumen und Klarheit in die Situation zu schaffen. Darum noch einmal: lieber einen offenen ganzen Reaktionär als einen politischen Duckmäuser! Wenns sein muß, für Pastor Stöcker gegen Eugen Richter !

Zum Schluß noch ein Wort über das aus der alten Parteiwäsche hervorgezerrte und aufgehängte Stück ,, namenloser Geschichte". Aus ihr läßt sich in der That die recht beherzigenswerthe Lehre ziehen, von der Persönlichkeit eines Mannes, und wäre derselbe auch ein größerer als der bewußte große Sozialist", sich nicht in dem Grade beeinflußen zu lassen, daß man sogar dessen momentanen Launen blindlings und willen­los sich fügt und unterordnet. Eben dieses Schwören auf die Worte eines großen Meisters hat in der Partei hie und da einen leidigen Personen­fultus großgezogen, den wir erst allmälig zu überwinden beginnen ein tüchtiger Anfang wäre mit Most und Hasselmann gemacht! -, statt die Genossen zu selbstbewußtem Denken anzuspornen und zu selbst­thätigem Handeln anzufeuern.

Wenn zu Letzterem diese meine Zeilen eine kleine Anregung gegeben haben, so haben sie in ihrem Theile ihren Zweck erfüllt.

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Aus Schwaben , 3. Nov. Die Volkspartei " hat es nun doch für nöthig befunden, ihr bisheriges hochmüthiges Schweigen zu brechen, weil fie allgemach zur Erkenntniß fam, daß die Taktik des Ignorirens denn doch eine zu erbärmliche sei. Das offizielle Organ der Bourgeoisdemo­kratie, die ,, Demokr. Korresp." bespricht in einem längeren Artikel das Verhalten der süddeutschen, speziell der schwäbischen Sozialisten bei den kommenden Reichstagswahlen und die Angriffe, welche wir gegen die ,, Volkspartei " gerichtet. Auf die von uns aufgeführten Thatsachen, durch welche das energie- und prinziplose Treiben der Volksparteiler hervor­gehoben wird, geht man flüglicherweise nicht ein, weil man fühlt, daß hier jede Vertheidigung nußlos wäre. Dagegen nörgelt man an unserem Vorsatze, die Bourgeoisdemokraten nicht mehr zu unterstützen: Wir glauben unterstellen zu dürfen, daß es vor allem eine Regung der Eifer­sucht ist, welche jene Attaque inspirirt hat, der Eifersucht darüber, daß, wie Eugen Richter dies von der Fortschrittspartei im Norden sagt, im Süden die Volkspartei im Avanciren begriffen" ist. Nun sollte man freilich meinen, daß die schwäbischen Sozialisten über die Kräftigung des demokratischen Gedankens an sich im Volke, wie über die Aussichten auf eine Stärkung der entschiedenen Opposition im Reichstage nur erfreut sein müßten; statt dessen predigen Einzelne von ihnen den Kreuzzug gegen die Demokratie! Das ist auch eine Art Gefühlspolitik" aber keine be­sonders schöne! Weiter wird uns unterstellt, daß wir eventuell bei Stich­wahlen für Varnbiler und Hölder stimmen wollten. Das Letztere iſt einfach lächerlich, da gar keine Aussicht vorhanden, daß in den ein­schlägigen Wahlbezirken Cannstatt und Stuttgart die Volkspartei auch nur zur Stichwahl kommt. Jn Stuttgart wird vielmehr, wenn Stichwahl eintritt, der Kampf zwischen uns und den entschiedenen Bis­marcianern ausgefochten werden. Die Volkspartei ist hier bedeutend schwächer, als wir. In Cannstatt kommt es voraussichtlich überhaupt zu feiner Stichwahl.

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Ich will noch einmal kurz die Gründe darlegen, welche für unser Ver­halten entscheidend sind( das mag zugleich als Antwort für Leo dienen). Wir betrachten die Volkspartei " als eine schädliche Zwischenbildung, welche die Entwickelung des Freiheitsgedankens im Volke durch ihre Halbheit, Unzuverlässigkeit und ihr Phrasenthum hemmt. Wir kennen diese Leute aus nächster Nähe und wissen, daß sie, mit seltenen Ausnahmen, in wirthschaftlichen Fragen absolut reaktionär, in politischen Fragen energie- und prinziplos find. Wie können wir Hoffnungen setzen auf eine Partei, die bei ihren Schoppenkonventikeln ganz, aber ganz leise die Republik hochleben läßt, während ihr Führer Karl Mayer in der Kammer mit Pathos erklärt: Ich bin Anhänger der konstitutionell monarchischen Verfassung!" Was sollen wir erwarten von Leuten saal uns denunzirt, der mit seinen Rathhausfreunden das Zensuswahl­system verschärfen will, nur um unser Fortschreiten zu hemmen! Diese Menschen wollen mühelos ernten, wo wir gesät, sie wollen die Tribunen spielen aus Eitelkeit, sie denken aber gar nicht daran, wirklich etwas Ernstliches für das Volk zu thun. Dadurch aber, daß wir mundtodt sind, ist ihnen die Möglichkeit geboten, sich als Volksmänner aufzuspielen. Unfähig zur kleinsten Aktion, sind sie doch jetzt noch im Stande, einen Theil des Volkes glauben zu machen, daß mit der Erfüllung ihres aus­schließlich politischen Programmes Alles erreicht sei. Und wie kläglich sie sich sonst aufführen! Sie schließen ein Wahlbündniß mit den preußischen Fortschrittlern, mit politischen Hämmlingen, die am Knochen des Man­chesterthums nagen jahraus, jahrein, die sich in Berlin die Segnungen des Belagerungszustandes zu Nutze machen wollen, um uns ein paar Mandate abzujagen, die im Bunde mit der Polizei gegen uns auftreten und sogar vor zwei Jahren durch Hänel im Reichstage Verschärfung der Strafgesete offeriren ließen.

wie Ferdinand Schneider ( Mannheim ), der im badischen Landtags­

Eine gewisse Berechtigung hätte die Unterstützung der am weitesten links stehenden Partei" nur dann, wenn wir überhaupt von parlamen­tarischer Arbeit für uns Etwas erhofften. Ist denn das aber der Fall? Uns ist es zweifellos, daß sogar ein paar Dutzend Volksparteiler oder Fortschrittler mehr im Reichstage nicht das Mindeste zu Gunsten der Freiheit ändern würden. Nicht auf dem Boden des Parlamentes kann unser Sieg erkämpft werden und am wenigsten im Bunde mit Leuten, wie die Volksparteiler nun einmal in ihrer Mehrheit sind. Halten sie ja nicht einmal fest an ihrem eigenen, doch gewiß nach unseren eigenen Begriffen recht zahmen Programm! Was wir anstreben müssen, ist die Scheidung der wenigen ehrlichen Elemente von der durch und durch unfähigen Masse. Eine solche Scheidung wird jedoch nur verzögert, wenn wir jener Partei durch unsere Unterstützung einen Schein von Stärke verleihen, deren sie in Wahrheit ermangelt. Wir wollen reine Bahn. Wer für das

Volk einstehen will, der soll es ganz und voll thun, wer reaktionär ist,

der mag in das Lager ziehen, wohin er gehört.

Nun haben wir in Wahrheit gar nicht beschlossen, überall in den Stichwahlen gegen die Volkspartei zu stimmen. Wir haben einfach für Plätze wie Mannheim und Heilbronn erwogen, daß man keinem Volksparteiler mehr zum Siege verhelfen dürfe. Das werden wir auf­recht erhalten und vertreten. Das stimmt auch durchaus mit dem bezüg lichen Kongreßbeschluß über die Stichwahlen. Wenn in jenem Beschlusse

durch Einschaltung des Ausdrucks im Allgemeinen" eine Art Kautschuck­bestimmung geschaffen ward, so geschah das sehr gegen den Willen der süddeutschen Delegirten, die sämmtlich von einer Unterstützung der Volks­ partei " entschieden Nichts wissen wollten. Namentlich im Hinblick auf den Kompromiß Nürnberg- Fürth des Jahres 1878 wollen wir diesmal zur rechten Zeit klare Bahn schaffen, damit nicht über unsere Köpfe hin­weg Abmachungen eingeleitet werden, denen wir keine Folge geben

fönnten.

Unsere Aufgabe ists, dem Volke klar zu machen, daß die politische Freiheit von der ökonomischen unzertrennlich ist und in der Erfüllung dieser Aufgabe ist uns die Volkspartei " keine Förderung, sondern ein Hemmniß. Ehnd.

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Schlußbemerkung der Redaktion. Wir halten diese Frage nunmehr für hinreichend erörtert und erklären deshalb die allgemeine Besprechung derselben für geschlossen. Wir unsererseits wollen dem Ge­sagten unter Beiseitelassung aller nebensächlichen Umstände und ge­ein Wort zur legentlichen, sachlichen und persönlichen, Hinzukommnisse Kennzeichnung der grundsätzlichen Stellung hinzufügen, welche der wydener Parteifongreß zu dieser Frage einnahm.

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In der in der letzten Sitzung stattgehabten Verhandlung über die Wahl­angelegenheiten beschäftigte man sich mit der von unserer Partei bei allfälligen Stichwahlen einzunehmenden Stellung in eingehender Weise. Acht Redner sprachen sich bedingungslos gegen alle Bündnisse mit anderen Parteien bei Gelegenheit von Stichwahlen aus. Die einstimmige Auffassung war die, daß durch den bekannten hierhergehörigen Kongreßbeschluß Wahl­kompromisse grundsätzlich verboten seien. Daß die Worte ,, im allgemeinen" hinzugefügt werden, geschah keineswegs, um nach Ehuds Ausdruck eine Kautschutbestimmung" zu schaffen. Der Grund der Aufnahme dieser Worte war der, daß man sich für den allerdings wunderseltenen aber doch als möglich zu denkenden Fall, daß ein weißer Rabe der Demokratie, ein wirklich freisinniger Mann, der rückhaltslos wenigstens für alle politischen Forderungen unseres Programms eintritt und sich gegen unsere sozialen Bestrebungen sympathisch verhält, wenn er auch nicht direkt unserer Partei angehört daß man sich für einen solchen Fall nicht die Hände binde und sich am Ende in die Zwangslage versetze, unthätig zusehen zu müssen, wie ein solcher ächter Demokrat einem Reaktionär unterliegt, während wir die Niederlage des letzteren herbeiführen könnten. Diese Annahme war freilich mehr eine theoretische, denn es gibt solcher Männer wenige und wo sie leben, haben sie erfah­rungsgemäß feinen Einfluß in der bürgerlichen Demokratie; wer aber nicht ein Doktrinär ist, der über der Form den Geist zu Grunde gehen läßt, der wird in dieser Ausnahme keine Verletzung der Grundsatzes erblicken. Sie ist das umsoweniger und die Genossen brauchen keines­wegs zu befürchten, daß Abmachungen über ihre Köpfe hinweg gepflogen werden, denen sie nicht nachkommen können", weil ausdrücklich erklärt wurde, daß auch in dem angenommenen Fall die Partei als solche mit der Betheiligung an der Stichwahl nichts zu thun habe, sondern letztere Sache der Genossen des betreffenden Wahlkreises sein solle. Ueber­dies wurde von einem Redner ausdrücklich gefordert, daß auch in dem angenommenen Fall eine Betheiligung an der Stichwahl zu Gunsten des Betreffenden nur dann statthaft sei, wenn der Wahlanhang desselben schon vor der Wahl erklärt habe, daß er für den Fall, daß der sozialistische Kandidat in die Stichwahl komme, diesem seine Stimme gebe.

Man wird sagen, daß wir unter diesen Umständen so gut wie nie für einen Nichtsozialisten stimmen werden. Nun, desto besser! Wenn aber so durch den Kongreßbeschluß jedes Bündniß mit der Nicht- Fisch- nicht­Fleisch Partei der Volkspartei und ähnlichen Leuten verworfen ist, so ist es ohne jeden Zweifel ebenso ausgeschlossen, daß Sozialdemokraten für einen konservativen oder sonstigen Kandidaten der Ordnungs­partei" stimmen, wie es unsere zwei schwäbischen Genossen bedingungs­weise befürwortet haben. Schon auf dem Kongreß hat sich ein Redner unter Zustimmung entschieden gegen diesen Vorschlag gewandt.

Nun noch eine thatsächliche Berichtigung. Ehud meint, die von ihm angefochtenen Worte ,, im allgemeinen" seien sehr gegen den Willen der süddeutschen Delegirten, die sämmtlich von der Volkspartei nichts wissen wollten", aufgenommen worden. Der erste Theil dieser Behaup­tung ist, soweit man nach Thatsachen urtheilen kann, unrichtig. Nicht ein ein­ziger Vertreter hat gegen die Aufuahme der bezeichneten Worte gesprochen, offenbar weil alle dieselben in dem erläuterten Sinn auffaßten. Entweder waren also die süddeutschen Vertreter damals derselben Meinung und haben dieselbe die Richtigkeit der Ehud'schen Behauptung voraus­gesetzt erst später geändert, oder die Aufnahme der Worte war schon damals sehr gegen ihren Willen" und dann ist es nur zu verwundern, daß sie ihre Ansicht nicht geltend machten, wozu sie um so leichter Ge­legenheit hatten, als bei der Wahlbesprechung vier süddeutsche Ver­treter sprachen.

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Und nun zum Schluß. Die Erörterung der besprochenen Frage im Parteiorgan war ganz gut, indem sie nicht nur die Gefühle der sozia listischen Wähler und die allgemeine Forderung, daß sich die Sozial­demokratie rein halte von jedem Kompromiß mit anderen, scheinbar freisinnigen Parteien, an den Tag legte, sondern auch, weil man an solchen herausgerissenen Beispielen den praktisch politischen Sinn nur bilden und üben kann. Nach der freien Besprechung aber tritt der durch den Kongreß gefaßte Parteibeschluß in seine Rechte. Das abfällige Urtheil des Kongresses über die sogenannte demokratische" oder Volks­ partei " war ein einstimmiges und zwar sprachen sich nicht nur süddeutsche Vertreter, sondern auch solche aus Norddeutschland und der Schweiz in diesem Sinne aus. Diese Partei wird also jedenfalls gut daran thun, wenn sie ihre Wahlberechnungen so einrichtet, daß darin keine einzige sozial­demokratische Stimme angeschrieben steht. Die Sozialdemokraten werden eben im allgemeinen" d. h. mit einziger Aus­nahme des oben gezeichneten, ziemlich unwahrscheinlichen Falles sich mit keiner Parteieinlassen, sondern überall nur selbst­ständig auftreten und nur für einen gesinnungs­treuen Sozialdemokraten stimmen.

Die Fortsetzung der Tschigiriner Affäre" müssen wir diesmal Raummangels wegen ausfallen lassen; sie wird in nächster Nummer erscheinen. Uebrigens geht die Artikelreihe ihrem Schlusse zu. Wir werden demnächst aus der Feder unseres rus­sischen Mitarbeiters eine Darstellung des jüngsten peters­burger Nihilisten prozesses bringen.

Sozialpolitische Rundschau.

Schweiz .

- Die Sozialisten Zürichs vereinigten sich am letzten Sonn tag zu einer erhebenden Kundgebung für die Opfer des hamburger Belagerungszustandes. Der große Saal des alten Schützenhauses war bis auf den letzten Platz gefüllt denn nicht nur die deutschen Genossen, sondern auch Angehörige aller Länder und Gesellschaftsklassen waren erschienen, um gegen das barbarische Vorgehen der deutschen Behörden zu protestiren. Ein eigens für diesen Abend verfaßter Prolog( Das Grab zu Ottensen ") eröffnete die Unterhaltung; ihm schloß sich ein Gesangs vortrag der Gesangssektion des deutschen Vereins an, worauf ein Genosse in einstündiger zündender Rede die gegenwärtige Unter drückung der Sozialdemokratie geißelte und die Prinzipien der verfolgten Partei erörterte. Hiernach wechselten dem Zweck ent sprechende Gesangsvorträge, Deklamationen und Instrumental produktionen ab. Ein gemüthlicher Tanz beschloß die angenehm