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wöchentlich einmal
in
Verlag
Doppelporto.
N: 5.
Sonntag, 30. Januar.
Avis an die Korrespondenten und Abonnenten des Sozialdemokrat".
Da der Sozialdemokrat" sowohl in Deutschland als auch in Oesterreich verboten ist, bezw. verfolgt wird, und die dortigen Behörden sich alle Mühe geben, unsere Verbindungen nach jenen Ländern möglichst zu erschweren, resp. Briefe von dort an uns und unsere Zeitungs- und sonstigen Sendungen nach dort abzufangen, so ist die äußerste Vorsicht im Postverkehr nothwendig und darf keine Vorsichtsmaßregel versäumt werden, die Briefmarder über den wahren Absender und Empfänger, sowie den Inhalt der Sendungen zu täuschen, und letztere dadurch zu schützen. Haupterforderniß ist hiezu einerseits, daß unsere Freunde so selten
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Juferate
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1881.
als möglich an den Sozialdemokrat", resp. dessen Verlag felbft adreffiren, sondern sich möglichst an irgend eine unverdächtige Adresse außerhalb Deutschlands und Oesterreichs wenden, welche sich dann mit uns in Verbindung setzt; anderseits aber, daß auch uns möglichst unverfängliche Zustellungsadressen mitgetheilt werden. In zweifelhaften Fällen empfiehlt sich behufs größerer Sicherheit Rekommandirung. Soviel an uns liegt, werden wir gewiß weder Mühe noch kosten scheuen, um trotz aller ent gegenstehenden Schwierigkeiten den Sozialdemokrat unsern Abonnenten möglichst regelmäßig zu liefern.
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Parteigenossen! Vergeßt der Verfolgten und Gemaßregelten nicht!
Die zehn Gebote.
Die Religion ist unserem Volke abhanden gekommen, so wird allgemein geklagt, und auch wir gestehen betrübt zu, daß die öffentliche Moral tief untergraben ist. Pflicht einer wohlgesinnten Presse ist es daher, ihr Möglichstes zur Wiederher stellung der guten Sitten zu thun, und da auch wir auf den Titel„ Wohlgesinnt" Anspruch machen, so glauben wir dieser Aufgabe nicht besser nachkommen zu können, als indem wir nach und nach die heiligen zehn Gebote, die wohl mancher unserer Leser schon vergessen haben mag, an hervorragender Stelle abdrucken und mit Beispielen aus dem Leben näher erläutern.
Für die gegenwärtige bürgerliche Gesellschaft, deren Grundlage die„ Heiligkeit des Eigenthums" bildet, ist sicher das wichtigste das siebente Gebot. Beginnen wir daher mit diesem. Das siebente Gebot.
Du sollst nicht stehlen!
Unter Diebstahl versteht man im Allgemeinen jede heimliche widerrechtliche Aneignung fremden Eigenthums, gleichviel ob dasselbe Privatleuten oder einer Gemeinschaft, Gemeinde oder Staat gehört. War das Eigenthum der betr. Person zur Verwaltung, Verwahrung u. s. w. anvertraut, so nennt man die widerrechtliche Aneignung Unterschlagung. Die offene widerrechtliche Aneignung nennt man Raub.
Die Begünstigung von Rauh, Diebstahl und Unterichinowo dadurch, daß man hilft, das widerrechtlich angeeignete Güt in Sicherheit zu bringen, nennt man Hehlerei. Und der Volksmund sagt: der Hehler ist so gut wie der Stehler. Nehmen wir einige Beispiele:
Ein verhungerter Proletarier sieht einen Bäckerladen unbewacht. Schnell tritt er hinein, nimmt sich ein Brod und schleicht hinweg, seinen Hunger zu stillen. War das Diebstahl? Ja! Der Mann ist ein Dieb!
Ein schlechtbezahlter Subalternbeamter kann seine Miethe nicht bezahlen, und aus Furcht, mit Weib und Kind auf das Pflaster geworfen zu werden, entnimmt er einer ihm anvertrauten Kasse die nöthigen fünfzig oder hundert Mark. Ist das Unterschlagung? Ja! Der Mann wird, kommt die Sache heraus, infam kassirt. Von Rechtswegen!
Wenn Peter nach Verabredung mit Hans einen Hundert frankenschein stiehlt und Hans ihn, damit Peter nicht ertappt wird, gegen Entschädigung einwechselt, so ist Peter der Stehler und Hans der Hehler.
Es gibt aber auch Handlungen, die anscheinend den oben gekennzeichneten ähnlich, in Wahrheit aber gerade das Gegentheil davon sind.
Hierfür ein Beispiel aus der Wirklichkeit.
Es war im Jahre 1848. Der damalige Prinz von Preußen, jetzt Kaiser von Deutschland, hatte sich als Postillon Lehmann mit abrasirtem Schnurrbart aus Berlin und Preußen via Hamburg nach England geflüchtet. Die preußische Nationalversammlung war zusammengetreten, da stellte sich die wunderbare Thatsache heraus, daß der Staatsschatz vollständig leer war. Und doch wußte man, daß Anfang des Jahres noch viele Millionen Thaler im Schatz aufgespeichert gelegen hatten. Wo war das Geld geblieben?
Auf direkte Anfrage erklärte der Finanzminister Hansemann, der Vater des mit Bleichröder gleichzeitig geadelten Direktors der Berliner Diskonto- Gesellschaft, es sei das ein dunkler Bunkt, über den er nicht sprechen könne, man solle die Geschichte mit dem Mantel der Liebe zudecken.
Das Geld war und blieb verschwunden, die erstarkende Reaktion machte jede weitere Frage nach dem Verbleib unmöglich.
Sollte vielleicht eine Diebsbande? lag anders.
Gemach, die Sache
Nach Varnhagen von Ense's Tode veröffentlichte Ludmilla Assing dessen Tagebücher. Da steht zu lesen, wie der preußische Staatsschatz bei Nacht und Nebel aus dem Berliner Schloß keller in Spreekähne geladen und heimlich via Hamburg nach London geschafft worden ist. Die Thatsache ist konstatirt und nicht einmal bestritten worden.
König Friedrich Wilhelm IV. ließ das Geld in der Bank von England sicher anlegen. Der preußische Staatsschatz hat nie wieder etwas davon zu sehen bekommen.
War das Diebstahl?
n
is
Nein und tausendmal nein!
re
Oder war es vielleicht Unterschlagung?
Nichts weniger als das.
Raub war es aber auch nicht, da das Geld heimlich
fortgeschafft wurde.
Was war es denn?
Wir wissen es nicht, aber keinesfalls war es etwas Unrechtes, denn Könige begehen nie Unrecht, und preußische erst recht nicht.
Uebrigens ist Friedrich Wilhelm IV. todt und sein Bruder Wilhelm ist sein Haupterbe.
Wilhelm I. aber ist ein ganz besonders frommer Mann, der sich nie der tiefsten Rührung erwehren kann, wenn er die Glocken) der Potsdamer Garnisonkirche das schöne:„ Ueb' immer Treu und Redlichkeit" spielen hört, und wir sind seines allerhöchsten Beifalls gewiß, wenn wir nun wieder zu unserem allerhöchsten Beifalls gewiß, wenn wir nun wieder zu unserem Thema zurückkehren und dem arbeitenden Volke die Heilig haltung des siebenten Gebotes recht sehr ans Herz legen: Du sollst nicht stehlen!
Das winzige Mäuslein.
Sollten da im neuen preußischen Reiche deutscher Nation alle Arbeiter selig gemacht werden.
Des deutschen Reiches Kanzler setzte sich nieder in Friedrichs ruhe Monate lang und kreisete und es eilten ihm zu seiner Hülfe zahlreiche„ Sachverständige" aus alten Landen. Thier! So rief man in die Welt hinaus. Mindestens ein Elephant, ein gewaltiges und auch ein edles
wy, endlich, Er
Die Stunde der Gehurt gekommen; erwart peyen die Getreuen die Wegesture stöhnt gewaltig auf; Er ist entbunden!
Aber trotz der großen Schmerzen, welch' klägliche Geburt! Ein winziges piepsendes Mäuslein hat sich dem Schooße entwunden Enttäuschung, selbst bei der gesammten Gevatterschaft.
Der Arbeiter unfallversicherungsentwurf ist von dem Reichskanzler dem Bundesrath zur Berathung überwiesen worden wahrlich ein kleines Mäuslein trotz des 47 Para graphen langen Schwanzes.
Zuerst hieß es, daß die Arbeiter versichert werden sollten gegen Unfälle, Krankheit, Invalidität und Altersschwäche durch eine einzige große Reichsversicherungsanstalt und nun ist es bei einer einfachen Unfallversicherung geblieben, welche im Haftpflichtgesetz und den verschiedenen Privat- Unfallver sicherungen ähnlich schon besteht.
Und deshalb ein so großes Geschrei!
Nur einige Andeutungen mögen genügen, um zu zeigen, weß Geistes Kind der Entwurf iſt. Zunächst sind alle landwirth schaftlichen Arbeiter ausgeschlossen- der lieben Junker wegen und dann auch die Eisenbahnarbeiter des Reichseisenbahnprojektes wegen.- Das Haftpflichtgesetz schützt nur die Eisenbahnbeamten und Arbeiter, welche unmittelbar bei dem Eisenbahnbetrieb, d. h. bei dem Betrieb, welcher das Fortbringen der Züge direkt bezweckt, verunglücken. Zahlreiche Eisenbahnarbeiter, welche bei dem Rangiren der stehenden Züge verunglückten, sind von den Gerichten der unbestimmten Fassung des§ 1 des Haftpflichtgesetzes wegen mit ihrer Forderung abgewiesen worden. Und alle diese Arbeiter sind auch von dem neuen Unfallversicherungsgesetz ausgenommen!
Aber weiter: Das Haftpflichtgesetz bietet volle Entschä digung bei Unglücksfällen, während das Arbeiterversicherungsgesetz nur zwei Drittel Entschädigung des bisher bezogenen Arbeitslohnes in Aussicht stellt und noch dazu derart, daß in den ersten vier Wochen nach dem Unglücksfall gar nichts bezahlt wird. Außerdem aber wird bei Eintritt des Todes den Hinterbliebenen nur eine Summe höchstens bis zu 50 Prozent des Arbeitslohnes des Verunglückten ausgezahlt. Schon diese Härte allein genügt, um das Gesetz zu kennzeichnen.
Noch mehr: Das Haftpflichtgesetz bringt den Arbeitern keine direkten Ausgaben, während das Arbeiterversicherungsgesetz allen Arbeitern, die jährlich mehr als 750 Mark verdienen, die Hälfte der Zahlung der Versicherungsprämie auferlegt, während dem Betriebsunternehmer die andere Hälfte zufällt; bei Arbeitern unter 750 Mark Jahreslohn zahlt der Arbeiter selbst nichts, sondern es werden die Landarmenverbände mit einem Drittel der Versicherungsprämie heranzogen. Wie man aber den Jahresverdienst eines Arbeiters überhaupt festzustellen gedenkt gegenüber der Beeinflußung desselben durch Krankheit, Witterungsverhältnisse, vorübergehende Arbeitslosigkeit, Stellenwechsel u. s. w., davon sagt er uns nichts, der lang ausgebrütete Entwurf.
Natürlich wird der§ 2 des Haftpflichtgesetzes aufgehoben. Da liegt des Pudels Kern. Anstatt diesen zu er
weitern, denselben auf die Baugewerbe, auf alle Eisenbahnarbeiter und auf die Landwirthschaft mit Maschinenbetrieb auszudehnen, anstatt die Beweispflicht, daß das Unglück durch eigene Schuld des Verunglückten entstanden sei, dem Unternehmer zuzuschieben hebt man diesen Paragraphen einfach auf und schiebt das ominöse Arbeiterversicherungsgesetz an seine Stelle.
Gäbe es kein Haftpflichtgesetz, welches zwar, wie die häufigen Anträge der sozialdemokratischen Abgeordneten im Reichstage gezeigt haben, sehr verbesserungsbedürftig ist, dann könnte man in dem Arbeiterversicherungsgesetz- Entwurf wenigstens so etwas von gutem Willen erblicken; das Gegentheil aber ist der Fall, das Haftpflichtgesetz, auf dessen Grundlage für das Interesse des Arbeiters besser gesorgt werden könnte, soll beseitigt wer den, und daher muß dem neuen Gesetzentwurf von Seite der Arbeiter ein kühles Nein! entgegengestellt und die Erweiterung und Verbesserung des ersteren Gesetzes gefordert werden.
Die Blätter der Fortschrittspartei sehen in dem„ Mäuslein" übrigens schon einen sozialistischen, die„ Vossische Zeitung" gar einen kommunistischen Elephanten! Deshalb treten sie dem Gesetze entgegen, nicht aber aus Fürsorge für das Wohl der Arbeiter. Und vom Standpunkte der Manchestertheorie haben sie allerdings Recht, gegen den Entwurf aufzutreten, denn er ist unbestreitbar staatssozialistisch. Aber die Herren mögen sich beruhigen, gerade dieser Entwurf zeigt die er zeigt, daß der Staatssozialismus ebensowenig berufen ist, als die Lehre der Harmonicapostel, die soziale Frage zu lösen. Ebenso, wie es unmöglich ist, die Lage der Arbeiter auf dem Boden der kapitalistischen Produktionsweise zu heben, ebensowenig ist dies möglich auf dem Boden des mo dernen Staates. Als Militärstaat besitzt er nicht die Mittel, als Klassenstaat nicht den Willen zu wirklichen, einschneidenden Maßnahmen zu Gunsten der Arbeiter. Wer soziale Reformen vom modernen Staat zu erwarten, dem muß, noch daran gezweifelt hat, wer die Utopie hegte, wahrhafte wenn er Hirn im Kopfe hat, der Bismarck 'sche Entwurf der
Arbeiterversicherung die Augen geöffnet haben, der muß jetzt zur Einsicht gekommen sein, daß die Lösung der sozialen Frage nur durch Vernichtung der gegenwärtigen Gesellschaft, nur durch Vernichtung des bestehenden Staates erreicht werden
fann.
Das Bismarc'sche Machwerk wird, deß sind. wir sicher, feinen Arbeiter der Sache der sozialen Revolution entfremden, es wird ihr im Gegen
theile manchen zuführen, der bisher vom Staatssozialismus wenigstens eine Milderung des Elendes, wenn auch nicht dessen Beseitigung er wartet hatte.
―r.
Paris , Anfangs Januar. Blanqui todt und begraben! Als er starb, erfuhren die. meisten Bewohner von Paris erst, daß es einen Blanqui gegeben, und als er begraben ward, da erst wurde Blanqui lebendig für das Volk, für das er 55 Jahre lang gelebt hatte, wenn wir die Kinder und Jünglingsjahre abrechnen, davon 37 Jahre im Kerker.
Ja, die heutige Generation kannte Blanqui nicht. Es war nur ein kleiner Kreis von alten Revolutionären, und meist auch Revolutionären der alten Schule, welche die Erinnerung an ihn bewahrt hatten; und der vertrocknete alte Mann mit den spizzen Zügen, dem fest geschlossenen Mund, den blißenden Augen, der vor 2 Jahren aus der Steingruft von Clairvaux hervorstieg, und in Bordeaux zum Abgeordneten gewählt, aber an den Thoren der Deputirtenkammer zurückgewiesen ward, der seit seiner Auferstehung aus dem Gefängnißgrab zum Ehrenpräftbenten unzähliger Versammlungen ernannt ward, hunderten auch präsidirte er hatte für das Geschlecht von heute etwas Gespenstiges, er war ein Revenant aus einer Zeit, die es nicht mehr ganz versteht. Wäre es anders gewesen, er hätte den Kerker noch nicht verlassen und die Amnestie wäre vertagt worden. Denn die auf den Regierungsbänken die sich jetzt Republikaner nennenden ebensogut wie weiland die Orleanisten, Legitimisten, Bonapar tiften und Februar- Revolutionsmänner empfinden einen
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1) Das Revolutionsland comme il faut, Frankreich , dem Verständnisse des deutschen revolutionären Proletariats näher zu bringen, ist der Zweck dieser Briefe, die von einem bewährten, im Klaffenkampf ergrauten Genossen herrühren. Trotzdem der erste dieser Briefe auf Umwegen und daher verspätet an uns gelangte, bringen wir ihn seines interessanten Inhaltes wegen noch zum Abdrucke. Die Redaktion.