taren) von Europäern angebautes Getreideland, und 1878, also 36 Jahre später, hatte das den Europäern gehörige Getreideland sich erst auf 180,000 ha vermehrt. Damit vergleiche man, daß zwei Staaten Nord­ amerika's  , Minnesota   und Illinois  , 1869, also in einem ein­zigen Jahre, nahe an 200,000 ha Land für den Getreidebau urbar ge­macht haben.

Und was diese Zivilisation" in Algier   gekostet hat, das zeigen uns einige offizielle Ziffern. Von der Eroberung( 1830) an bis zum Jahre 1874 überstiegen die Ausgaben die Einnahmen jährlich um 111 Millionen. Inner­halb derselben Zeit beliefen sich die Ausgaben für das Militär auf zwei Milliarden 440 Millionen. Im Jahre 1874 hatte also Algier   bereits über dritthalb Milliarden gekostet! Bei dem letzten Zensus von 1876 belief sich die Anzahl der französischen   Kolonisten Männer, Frauen und Kinder auf 156,355 Personen. Die Okkupations­armee betrug zu gleicher Zeit 51,000 Mann, also tam immer ein Soldat auf drei Kolonisten. Wenn die Herren Zivilisatoren morgen aus Algier  verjagt würden, so wäre nach sechs Monaten von dem ganzen Zivili­sationswerk nichts mehr übrig als die Erinnerung an die Diebereien der Kapitalisten und die Grausamkeit der Bourgeoisoffiziere.

-

Aber Algier   hat sich an seinen Peinigern ger ä ch t. Offiziere und Generale sind dort barbarisirt und unfähig gemacht worden, einen regel­rechten Krieg zu führen; sie können nur noch waffenlose Streiker ermorden, und aufständische Kommunards, denen jede militärische Organisation fehlt, abschlachten. Algier   haben wir die Schmach der Nieder­Tage gegen Preußen und die Schrecken der blutigen Maiwoche zu verdanken; Algier   ist es auch, das unsern Speku­lanten den Vorwand geliefert hat, die merikanische Expedition in Tunis  zu wiederholen.

Die Bourgeoispolitiker, Monarchisten wie Republikaner, Radikale wie Anarchisten, haben den Arbeitern stets als große Weis­heit anempfohlen, sich nicht in die politischen Angelegen­heiten zu mischen. Die Geschichte von Algier   seit der Okkupation beweist, was diese Nichteinmischung dem Proletariat gekostet hat. Aber jetzt haben sich die Arbeiter endlich als klassen bewußte poli­tische Partei konstituirt und Ihr seid heute versammelt, um gegen die schmach bedeckte Kolonialpolitik der Bourgeois­republikaner zu protestiren.

Nach der Niederlage von 1870 hatte Frankreich   durch seine ruhige und besonnene Haltung sich die Sympathien Europa's   verschafft, und die übermenschliche Arbeit seines Proletariats, durch welche in wenigen Jahren die Verwüstungen des Kriegs gehoben und die ungeheuren Lasten des Etats erschwungen wurden, hatte ihm die Bewunderung aller Völker erworben. Aber dieser jesuitische Angriff auf einen kleinen Verbündeten, den seine Schwäche schon hätte schützen sollen, und die Begeisterung, welche diese Heldenthat in der gambettistischen und kapitalistischen Presse her vorgerufen hat, haben Europa   die Augen geöffnet, und es betrachtet uns jetzt mit Mißtrauen, ja mit Feindseligkeit. Der einzige Verbündete der Regierung der Bourgeoisrepublik ist heute Herr von Bismarck  , und wenn die Arbeiterklasse der Regierung einen einzigen Schritt weiter gestattet, so daß sie ihre Operationen auf Tripolis   ausdehnt, so steht uns ein europäischer Krieg bevor.

Was wir in einem solchen zu erwarten hätten, darüber gibt die schmachvolle Tunisaffaire in ihrem ganzen Verlauf uns recht harte Lehren. Das unvermeidliche Fiasko der Mobilisirung, welches organischen und nicht wie man gerne behaupten möchte- zufälligen Ursachen zuzuschreiben ist; die Unordnung in der Verwaltung; die Un­fähigkeit der Bourgeoisoffiziere vor dem Feinde, alles das beweist, wie die Enthüllungen des Prozesses Cissey es voraussehen ließen: daß unsere Armee in derselben Auflösung begriffen ist, wie vor dem Kriege mit Preußen, ja daß sie niemals mehr reorgani sirt werden kann.

Wohin wir blicken, sehen wir Korruption. Die Revolution allein wird im Stande sein, die Vertheidigungs­armee zu schaffen, welche dem ganzen verbismardten und kosakischen Europa   die Spitze bieten kann.

Eine fieberhafte Spekulationswuth hat sich der ganzen französischen  Bourgeoisie bemächtigt; sie hat die Gambetta und die Ferry dahin ge­bracht, Frankreich   mit leichtem Herzen" in finanzielle Kriege zu stürzen; sie hat massenhaft jene faulen Aktiengesellschaften aus dem Boden empor­schießen lassen, deren Aktien und Obligationen das ganze Land über­schwemmen.

-

Wenn die nächste Finanz- Krisis hereinbrechen wird, und das wird mit der Sicherheit eines Verhängnisses in etwa fünf Jahren ge­schehen, so wird sie Schichten der Gesellschaft aufs heftigste erschüttern, die bis jetzt von den politischen und ökonomischen Störungen verschont geblieben waren. Die zehnjährige Krisis von 1866 hat das Kaiserreich zu Grabe getragen, die zehnjährige Krisis von 1886 wird ganz Europa   in revolutionäre 3uckungen versetzen. Wenn dann die französische  Arbeiterpartei auf der Höhe ihrer Aufgabe steht, wird die letzte Stunde der Bourgeoisrepublik ge= schlagen haben und das rothe Banner der Arbeiter­republik wird in Frankreich   flattern.

In der alten und in der neuen Welt ist das Proletariat in voller Gährung begriffen; überall konstituirt es sich als unabhängige Klasse und organisirt es sich als Partei der That, welche entschlossen ist, sich bei der ersten Gelegenheit gewaltsam der sozialen Diktatur zu bemächtigen, um das Privateigenthum an den Arbeitsinstrumenten in Nationaleigen­thum zu verwandeln.

Diese nationale Organisation der Arbeiterparteien in Europa   wird sich nur dann schnell vollenden können, wenn keine internationalen Kriege die Arbeiter trennen und den Chauvinismus uns wieder erwecken. Daher muß unter den gegebenen Verhältnissen die Losung des Proletariats lauten:

Juternationaler Friede, Vorbereitung der Arbeiterklaffe auf den revolu tionären Krieg gegen die Kapitalisten aller Nationen, Verbrüderung des klaffenbewußten Proletariats von Amerika   und Europa  .

Der Zerseßungsprozeß der bürgerlichen Gesellschaft,

"

der Gesellschaft der Massenausbeutung, ist eine so offenkundige Thatsache, daß selbst ihre eigenen Vertreter sich gelegentlich gezwungen sehen, ihn einzu­gestehen. Freilich, und das ist das Bezeichnende dieser Epoche, lassen sie es bei ihrem Nothschrei Wohin gehen wir, wie soll das noch enden?" bewenden, denn sie sind selbst in ihren besseren Elementen so von der Fäulniß ihrer Umgebung angesteckt, daß es der höchsten Anstrengung ihres moralischen Muthes bedarf, um überhaupt auf die Symptome des Nieder­ganges hinzuweisen, den Untergang selbst aber offen zu konstatiren, find sie absolut unfähig, denn ihnen graut vor der Perspektive einer neuen, der sozialistischen   Gesellschaft.

Da lesen wir in einem Feuilleton der Berliner Volkszeitung" folgende Jeremiade aus der Feder des ziemlich unabhängig gesinnten Rudolph Elcho. Es handelt sich um die Lisztfeier in Berlin  .

,, Unsere Zeit ist die der Musikschwärmerei, damit allein läßt sich die großartige Huldigung erklären, welche wir dem berühmten Klaviervirtuosen und Komponisten darbringen. Die Musik drängt alle übrigen Künste weit in den Hintergrund. Als der Koburger Müller nach langer Abwesenheit von seiner Heimath uns seinen Prometheus hierherbrachte, eine Marmorgruppe, welche in Bezug auf künstlerische Vollendung jedenfalls ebensoviel Bewunderung verdient als der Promethens des Abbé, krähte kein Hahn nach

dem Schöpfer dieser Gruppe. Schaper hat uns in seinem Göthe­Denkmal ein Wert von fast unvergleichlicher Schönheit geschaffen und er hatte Mühe, den ausbedungenen Lohn für sein Werk zu erhalten. Heute dürften Defregger  , der verdienstvolle Maler, Gustav Freytag  , der berühmte Dichter, nach Berlin   kommen und keine Menschenseele bekümmerte sich um ihr Hiersein. Nur Spielhagen erfreut sich einiger Aufmerksamkeiten seitens der Polizei, weil er nach der Ansicht konservativer Journalisten allzu­sehr auf den Sinnenfibel hinarbeitete. Wollten wir aber den Sinnenfizzel polizeilich verbieten, wo blieben dann Wagner und Liszt? Die moderne Musik dient der Sinnlichkeit mehr als jede andere Kunst, und manche Werke zielen geradezu darauf ab, uns in einen sinnlichen Tanmel, in einen Rausch der Nerven zu ver­setzen. Die neuere Richtung führt zur Nervenüberreizung und aus diesem Grunde ist die Herrschaft der Musik, vor welche alle übrigen Künste weit zurücktreten, zu beklagen. Als die Musik­schwärmerei im alten Rom   alle vornehmen und gebildeten Kreise ergriffen hatte und Nero, der gekrönte Musiknarr, seine Festspiele mit dem Aufwand ungeheuerer Summen in Rom   und Griechenland   veranstaltete, ging der Verfall des Weltreichs mit Riesenschritten vor sich." Man sieht, Herr Elcho verwechselt Ursache und Wirkung, er leitet den Verfall aus der Musikschwärmerei ab und erweckt so den Glauben, als genüge die Bekämpfung derselben, um den Verfall aufzuhalten. Nichts verkehrter als das.

Uebrigens ist seine Anklage gegen die Musikschwärmerei auch höchst einseitig. Man kann mit gleichem Rechte auf den Stand der Malerei verweisen.

Gibt es denn etwas Bezeichnenderes als die Erfolge des Wiener Bordellmalers Makart, den die Weiber der höchsten" und durchaus ,, christlich" gesinnten Geburts- und Geldaristokratie Wiens überlaufen, dessen Metier es ist, die Waden der Baronin Z., den Busen der Fürstin K. und den H...... der Gräfin E. dem staunenden Publikum in der vortheilhaftesten Situation zu präsentiren.

Es ist nicht zufällig, daß kein Drama in dem letzten Dezennium einen größeren Erfolg aufzuweisen hatte, als Arria und Messalina  ".

Die Skulptur macht vielleicht eine Ausnahme, aber warum? Weil sie den Menschen von jeher nackt darstellt, und die volle Nacktheit, sowie der Marmor überhaupt, auf lüfterne Gemüther nicht den Reiz ausüben, welche die überreizte Gesellschaft heute beansprucht. Es ist aber auch hier das Menschenmögliche geschehen, man hat wenigstens versucht, durch die Art der Beleuchtung den ,, richtigen Effekt" zu erzielen, und nachdem man neuerdings dahinter gekommen, daß die Griechen und Römer ihre Statuen bemalten, eröffnet sich gewiß eine reizende Perspektive. Venus von Medici, fleisch­farben dargestellt mit den entsprechenden Schattirungen und Abtönungen das wäre so etwas! Welch verlockende Aussicht für hoffnungsvolle Jünger der Kunſt!

Wozu das Bild weiter verfolgen? Wohin wir blicken, überall das gleiche Schauspiel. Klagen über Abnahme der Religiosität, über die Ver­wilderung und die Genußsucht in den niederen Klassen des Volkes, über den um sich greifenden Geist des Materialismus, und die Klagenden selbst wissen nicht, was sie noch anstellen sollen, um den Sinnenfibel an­zuregen, um sich nicht vor Uebersättigung todtzugähnen.

Faul, durch und durch faul ist diese Gesellschaft, deren sogenannte Kultur sich nur zu erhalten vermag durch die schamloseste Auspressung und Unterdrückung eines hungernden und darbenden Proletariats.

Und um dieser Afterkultur willen sollte das Proletariat auf sein gutes Recht, das Recht auf eine menschenwürdige Eristenz, Berzicht leisten, ihr zu Gefallen sollte das arbeitende Volk sich auf ewig dazu hergeben, den Sündenbock einer Anzahl herz- und gewissenloser Spekulanten abzu­geben, diese Afterkultur sollte uns zurückhalten, das Volk immer und immer wieder aufzurufen zum Kampj, zum unablässigen Kampf gegen die heutige ausbeuterische Gesellschaft?

Nein und tausendmal Nein!

Sie mag nicht nur, sie soll, sie wird zu Grunde gehen mitsammt ihren Trägern. Mit dem privilegirten Mord, dem gesetzlichen Diebstahl, der " geordneten" Prostitution wird auch die Rohheit und Prostitution in Kunst, Wissenschaft und Literatur verschwinden. Wenn es keine Herrscher und keine Beherrschten, sondern nur Freie, wenn es keine Ausbeuter und keine Ausgebeutete, sondern nur Gleiche gibt, dann hat die geschminkte Liige, die Heuchelei ihre Rolle ausgespielt, dann herrscht auch auf geistigem Gebiete die reine, die edle, die nackte Wahrheit.

-

Sozialpolitische Rundschau.

3ürich, 17. August 1881.

Zur internationalen Sozialisten hat. Aus Leipzig  sind neue Ausweisungen erfolgt. Die Frau eines der Ausgewiesenen ist wahnsinnig geworden. Auch aus Berlin   neue Ausweisungen. Und Ham­ burg- Altona   wird wohl nicht lange zurückbleiben in diesem Wettlauf po­lizeilicher Niedertracht. In Ungarn   hat man auf russische Requi­

-

-

sition den Nihilisten Niemijowsky verhaftet und will ihn nach Ruß­ land   ausliefern. Eine Arbeiterversammlung, die in Best zusammen­berufen ward, hat einstimmig folgende Resolution angenommen: Die am 7. Auguft im Beleznay- Garten tagende Volksversammlung erklärt sich mit den internationalen Revolutionären solidarisch verbunden, und protestirt entschieden gegen die Verfolgungen und gegenseitige Auslieferung derselben, indem sie solche Ver­folgungen als die Schmach des neunzehnten Jahrhunderts, des Jahr­Die Behandlung hunderts der Aufklärung und Humanität, erkennt." unseres in Best gefangenen Genossen Leo Frankel   ist eine sehr schlechte; Genosse Ihrlinger, der ihn sprechen wollte, wurde ab­gewiesen und bedeutet, daß vor Ablauf von zwei Monaten Niemand vor­gelassen würde. Den Grund dieser Absperrung geben die Gefängniß­behörden nicht an. Die in der Strafanstalt Stein eingesperrten österreichischen Genossen Walecta und Schneider sind ebenfalls gegen die Außenwelt hermetisch abgeschlossen; sie dürfen u. A. nur alle zwei Monate einen Brief empfangen und abschicken. Eine raffinirte Grausamkeit! Einiger Humor steckt darin, daß den Genannten das Lesen der Werke J. St. Mill's, als den Kopf zu sehr verwirrend", verboten worden ist. Für Geister, die von den Jesuiten   ordonnanzmäßig dressirt sind, ist eine wissenschaftliche Nationalökonomie allerdings etwas ver­wirrend". In Serbien   ist ein Nihilist", Namens Grünberg,

-

der ein Attentat gegen den Zaren geplant haben soll, verhaftet worden. Die gutgesinnte Presse lügt von einer weitverzweigten, auch über Berlin  sich erstreckenden Verschwörung, deren Beschlüsse Grünberg auszuführen im Begriffe gewesen sei. Gegen Hartmann ist in den Ver­ einigten Staaten   ein förmliches Kesseltreiben arrangirt worden. Die amerikanischen   Bourgeoisrepublikaner benehmen sich dabei so hundsgemein, daß das monarchische Ordnungsbanditenthum Europa's   seine Freude an ihnen haben kann; und der Staatssekretär Blaine legt einen Servi­lismus an den Tag, der ihn eines Wolkenbruchs russischer und preußischer Orden würdig erscheinen läßt. Es fällt uns bei dieser Gelegenheit ein, daß der konservativ- reaktionäre Charakter der amerikanischen Republik längst von unseren Machthabern begriffen worden ist. Dieselben wissen sehr wohl, daß die Zeit der Kronen- und Szepter- Maskerade bald vorbei sein wird, und sind darauf bedacht, die Hauptsache, nämlich die kasse, in Sicherheit zu bringen. Die beste Sicherheit finden sie aber bezeichnender­weise in Amerika  . Fast alle europäischen   Fürsten  , die Königin von England, die Kaiser von Rußland  , Desterreich und Deutschland  großen an, haben den größten, oder doch einen Theil ihres" Familienvermögens in den Vereinigten Staaten  angelegt, wo es voraussichtlich etwas später konfiszirt wird, als in

vorn

Europa  . Die amerikanischen   Bourgeoisrepublikaner können auf diesen Beweis fürstlichen Vertrauens stolz sein! Hartmann läuft beiläufig keine Gefahr. Erwähnt sei noch, daß der sensationelle Bericht über das Moskauer   Attentat, welcher unter seinem Namen veröffentlicht wird, nur tie Wiederholung des vor Jahresfrist von dem berüchtigten Petersen alias Fleuron 2c. mit Hilfe eines gewissen Londoner   Redakteurs zusammen­gekochten, und unter Hartmann's Namen veröffentlichten Berichtes ist. Auf diese gemeine Fälschung wurde seinerzeit im Soz.- Dem." aufmerk­sam gemacht. Männer der That sind keine Renommiſten; wie um­gekehrt Renommisten und Maulhelden niemals Männer der That sind.

Die, Antisemiten bewegung", alias die von Bismarck  veranstaltete Judenhatz, hat in Hinterpommern zu großartigen Erzessen geführt, was der Regierung den willkommenen Anlaß gegeben hat, das

-

Vereinsrecht noch mehr zu beschränken. Hätten wir nicht zu viel Freiheit gehabt, wären diese Erzesse unmöglich gewesen. Bravo! Und der Erzschelm Stöcker sekundirt seinem Bismarck, indem er ausführt, daß die Juden in Hinterpommern sich absichtlich haben ausplündern und halb­todtschlagen lassen, um die heilige, reindeutsche Bewegung gegen Semiten­volk und Semiten wesen in Mißkredit zu bringen. Wir hätten den Herrn Hofprediger trotz seiner Kapuzinaden nicht für so witzig gehalten. Uebrigens hat Fürst Bismarck   mit seiner Antisemitenbewegung kein Muster­stück von Schlauheit geliefert. Wenn wie er sagt und sagen läßt alle Leute, die keine produktive Arbeit verrichten, den Volkshaß verdienen, dann fragen wir: welche produktive Arbeit verrichten denn die Hofpredi­ger, die Reichskanzler, die Könige u. Kaiser? Auch in dieser Beziehung bewährt sich der Herr Reichskanzler als Revolutionär wider Willen. Auf der Bahn, in welche er die Massen hineinheßt, werden heute die Juden todt­geschlagen und kommen logischer Weise morgen die Hofprediger, Reichs­fanzler, Könige, Kaiser an die Reihe, sammt dem ganzen ,, unproduktiven" Troß. Graf Eulenburg, der loyale" Geburtshelfer des Sozia­listengesetzes, welcher vor wenigen Monaten von Bismarck   mit einem Fußtritt öffentlich aus dem Amt spedirt ward, hat nun wieder ein Amt unter Bismarck   angenommen. Und diese adelige Sippschaft besitzt die Dreistigkeit, sich als die Hüterin wahren Ehrgefühls" hinzustellen. Pfui über dieses Ehrgefühl" und diese Sippschaft!

-

-

-

Am 16. August ist der dritte Jahrestag der Köpfung Södels. Ein schurkischerer Justizmord ist nie begangen worden. Die denn preußischen Richter wußten sehr wohl, daß der arme Lehmann das war der eigentliche Name auf seinen königlichen Namensvetter gar nicht geschossen hatte, und daß er geistig unzurechnungsfähig war, aber die Reaktion brauchte ein Menschenopfer, damit der Stempel der Lächerlichkeit, der dem Casus: Lehmann contra Lehmann" von vornherein ähnlich wie der Mord­aufgedrückt war, unter Blut verdeckt werde bube Bonaparte, nach Viktor Hugo, das Straßenmassakre des 3. Dezember blos in der Absicht veranstaltete, um sich dem Fluch der Lächerlichkeit zu entziehen, der in Frankreich   und andernorts bekanntlich zuweilen tödtet. Der Hödel- Lehmann wurde kaltblütig, wider besseres Wissen, vermittelst des Henkerbeils abgeschlachtet, einzig damit das Lügenmärchen von eine blutige Farce, den sozialdemokratischen Attentaten geglaubt werde wie sie von der Justiz kaum ein zweites Mal gespielt worden ist. Wenn der Tag der Abrechnung kommt, werden die Verbrecher, die jetzt an der Spitze des deutschen Reiches stehen, sammt ihren Mitschuldigen auch für diese Schandthat Rechenschaft abzulegen haben.

-

Der Monstre Hochverrathsprozeß wird erst im Herbst vor dem Reichsgericht stattfinden. Der Hochverrath" besteht darin, daß einige arme Teufel, auf die tapferen Rathschläge einiger im Ausland fitzenden Feiglinge hin, ein paar verbotene Flugblätter und Zeitungsnummern vertheilt haben. Der ganze Prozeß ist eine Komödie, inszenirt zu dem einzigen Zweck, den Spießbürgern bange zu machen. Die Wahlen stehen vor der Thür  .

Einen großen moralischen Triumpf hat das deutsche Reich errungen! Die russische   Regierung, der es mit dem Nihilismus nicht rasch genug vorwärts geht, will das Sozialistengesetz, speziell den Belagerungszustands- Paragraphen in Rußland   einführen und hat sich von der deutschen   Regierung nähere Auskunft über die Handhabung und Wirkung dieses famosen Gesetzes erbeten. Bravo! Wer will nun noch zweifeln, daß das Bismarck  'sche Deutschland   an der Spitze der Zivili­sation" marschirt?

-

Thron und Altar.

Der österreichische Kaiser be. suchte neulich das Jesuitenpensionat in Junsbrud und äußerte bei dieser Gelegenheit: Die Jesuitenpensionate sind noch immer Muster- Erziehungsanstalten." Dem Fürstbischof Leiß, der ihn in Innsbruck   empfangen, sagte er: Ich bin überzeugt von der Treue und Anhänglichkeit des Klerus und es ist erfreulich, daß derselbe in so gut konservativem Sinne auf das Volk einzu­wirken sucht und hierzulande hat Gottlob der Klerus noch großen Einfluß." Und der Vorsteherin eines Jesuiteninstituts zur Erziehung von Mädchen, bemerkte derselbe Monarch huldvoll: " Fahren Sie fort, die weibliche Jugend in Gottesfurcht, Tugend und Patriotismus zu erziehen. Es thut heute besonders Noth." Allerdings. In der Anerkennung der Verdienste des Jesuitenordens begegnet sich der österreichische Kaiser mit dem deutschen   Hausmeier. Schöne Seelen finden sich.

-

In der famosen Lobrede, die Bismarck Anfangs   der 70er Jahre im Reichstag auf die Jesuiten   hielt, betonte er ganz besonders deren Nütz­lichkeit für den Staat. Darnach tam allerdings der ,, Kulturkampf" zwischen Staat und Kirche, ist aber inzwischen glücklich beendigt worden. Wie war es auch anders möglich? Der reaktionäre Staat und die reaktionäre Kirche brauchen einander, und wenn sie einmal in Streit gerathen, muß man stets, des Sprichworts eingedenk sein: Pack schlägt sich, Pac verträgt sich.

-

c. Ein beachtenswerthes Wort. Auf dem schweize rischen Schützenfeste in Freiburg   verherrlichte Herr Bundesrath Ruchonnet den Emanzipationskampf der schweizerischen Bauern gegen die Aristokratie. Er pries in begeisterten Worten die Märtyrer der Volks­sache die schweizerischen Söhne der Revolution. Er sagte u. A.: Die Freiheit! Welche Zeit, welcher Ort, um von ihr zu reden! Hier, in diesem Jahre wird es just ein Jahrhundert, daß eine Kolonne, weniger fröhlich als die unsere, herangezogen fam, um für die freiburgischen Bauern um etwelche Erleichterungen der Abgaben und um weniger schwere Lasten zu bitten. Das Haupt ihres Führers, Nikolaus Cheneaux, auf dem Murtnerthore aufgepflanzt, von wo es noch nach seinem Dorfe zu blicken schien, erzählte dem Landvolke bald von dem Erfolge seiner Insurrektion und was es von einer selbstsüchtigen Aristokratie zu erwarten habe. Cheneaux, Davel, Pequinat, Leuenberger, un­glückliche, aber würdige Nachfolger der Männer vom Grütli, euer Blut ist es, das auf unsere Banner das Wort, Frei­heit" eingeschrieben hat!"

Welch' wichtiges Bekenntniß liegt in diesen Worten! Es ist die Be stätigung der trefflichen Worte von Regierungsrath Walter Hauser, daß die Schweiz   der Revolution Alles verdanke. In der That, was sie heute ist, das schuldet sie nur jenen ,, unglücklichen, aber würdigen Nachfolgern der Männer vom Grütli", deren Reihe mit den Namen, welche Bundes­rath Ruchonnet nannte, noch lange nicht abgeschlossen ist. Die Unglücks­genossen Leuenberger's, des Bauernführers im großen schweizerischen Bauernaufstande, z. B. sind sehr zahlreich. Die siegreiche schweizerische Aristokratie wüthete übrigens gegen die erliegenden Bauern nicht weniger wie die Versailler Ordnungsbanditen gegen die Helden der Kommune, wie die siegreiche Monarchie gegen die Männer des Volkes und die Vor­fämpfer seiner Freiheit nach jeder niedergeworfenen Revolution.