„ Wenn ihr( die Freiheitskämpfer), fährt Herr Bundesrath Ruchonnet fort, aus hohen Sphären dieses Schauspiel erblickt, seht ihr eure Wünsche erfüllt. An diesem Tage, wo wir die hundertjährige Erinnerungsfeier an Cheneaux begehen, in den Gegenden, für deren Freiheit sein Haupt gefallen, gibt es keine Unterdrückung, keine Privilegien mehr. Und diese Kolonnen, welche einstmals eine Macht, geschickt im Säen von Zwietracht, den einen gegen den andern zu werfen wußten, vereinigen sich nun, um gemeinsam, Hand in Hand, ihre gegenseitige Unabhängigkeit zu feiern und Waffen zu führen, die nur ihr dienen.
,, Was für Fortschritte in 100 Jahren! Aber vergessen wir, liebe Mitbürger, nicht, daß die Freiheit verdient sein will. Sie ist ein Gut, das nicht lange Denen gehört, die seiner nicht würdig sind. Wenn wir mit Dankbarkeit die Früchte des Baumes genießen können, welchen unsere großen Väter gepflanzt und mit ihrem Blute gedüngt, so vergessen wir nicht, daß unsere Nachkommen auch nach unserem Werk fragen werden. Unser Werk ist es, unsere Institutionen und Sitten zu vervollkommnen, die Bildung zu heben, mehr und mehr die wahre Unabhängigfeit zu schaffen, welche in der Moral, im Wissen und im befinden besteht."
Wohl
Wir begrüßen mit Genugthuung diese Definition der wahren Unabhängigkeit, die uns um so sympathischer berührt, als sie aus dem Munde eines der ersten Beamten der Republik kommt. Was ist die„ Unabhängigkeit" des Bürgers ohne sein materielles Wohlbefinden? Was ist der Patriotismus, wenn Hunger und Elend die täglichen Gäste des Bürgers sind, wenn der Kampf ums Dasein sein gesammtes geistiges Leben ausfüllt und Vaterland und Freiheit ihm gleichgiltig werden? Man sollte in der Schweiz diesen Worten des Bundesrathes Ruchonnet eifrig nachfinnen. Sie zeigen dem Schweizer Volfe die wundeste Stelle seines staatlichen und gesellschaftlichen Lebens. Diese Wunde geschlossen die Schweiz wird unüberwindlich sein!
und
Herr Bundesrath Ruchonnet ist sich über die Tragweite seiner Worte flar bewußt; es sind keine schönklingenden und dabei hohlen Phrasen, deren er sich bedient. Er weiß, was er spricht.
" Der Feind wühlt rings um uns, in mancherlei Gestalten, welche die Routine, der Egoismus, der Kastengeist und insbesondere die Intoleranz sind, die Intoleranz, welche schon von der Wiege an die Kinder bom gemeinsamen Vaterlande trennt."
Dies thut, was Herr Bundesrath Ruchonnet zu betonen vergißt, in gleichem Maße der Egoismus und der Kastengeist, indem beide das Vaterland nur insoweit lieben lehren, als es ihnen die erforderlichen Lebensbedingungen gewährt.
Bekämpfen wir die Feinde der Freiheit, des Fortschrittes, der Demofratie mit dem Patriotismus, der Selbstlosigkeit, mit der Hartnäckigkeit, für die uns die Davel und Cheneaux Beispiele sind."
Am Schlusse seiner trefflichen Rede verwies Herr Bundesrath Ruchonnet auf das von sozialen Kämpfen zerrissene Rußland und auf das unglückliche Frland, wo der Egoismus der Menschen uns zuruft: Ihr, die Ihr die Gewalt, das Glück besitzet, lasset es nie zu, daß in eurem schönen Lande es Bürger gibt, welchen das Elend die Waffen gegen eure Institutionen in die Hand drückt.
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Möchte dieses Wort überall in der Schweiz die vollste Beachtung fin den. Wehe dem Volke, das sich widerstandslos der egoistischen Strömung überläßt, sie uneingeschränkt wüthen läßt. Sie ist es, welche die bürgerlichen Tugenden erstickt und die Gesellschaft Zuständen entgegenführt, welche dem Unterdrückten die vaterländischen Institutionen verhaßt machen und ihm zu deren Sturz die Waffen in die Hand drücken.
Und nichts ist furchtbarer als eine Revolution, deren Hauptmotiv das gesellschaftliche Elend ist.
Die vielverlästerte Sozialdemokratie predigt nicht den Bürgerkrieg; sie deckt schonungslos die Uebelstände auf, an denen die Gesellschaft krankt, fie fordert ihre Abstellung und die Schließung jener unseligen Quellen, aus denen sie, sich stets erneuernd und vergrößernd, hervorgehen. Sie will die Ueberleitung des egoistischen Ausbeuterstaates in einen genossenschaftlichen Arbeiterstaat, der allen Bürgern, die arbeiten wollen, das denkbar höchste Maß von Freiheit und Wohlbefinden gewährt.
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Würden die Worte des Bundesrathes Ruchonnet nicht ungehört verhallen und würde das schweizerische Volk sich ernster als bisher der materiellen Lage seiner Bürger zuwenden Niemand würde das froher begrüßen als die Sozialdemokratie, deren Hauptwirken eben in der Aufklärung des Volkes und in der Sammlung aller Kräfte besteht, die von der Unsittlichkeit und Verwerflichkeit der bestehenden Zustände überzeugt und zu ihrer Umgestaltung fest entschlossen sind.
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( Auf dem Freiburger Schützenfest sind aber auch Reden aus einer anderen Tonart gehalten worden. So hat z. B. der Herr Bundespräsident Droz in zum Mindesten höchst überflüssiger Weise von turbulenten demagogischen Umtrieben" gesprochen und gegen Ausschreitungen" bei Venützung des Asylrechts geeifert, ganz wie die Reaktionäre des monar chischen Europa dies zu thun pflegen. Feftreden haben zwar wenig Be deutung, von Republikanern hat man aber ein Recht, republikanische Festreden zu erwarten, namentlich von dem obersten Beamten einer Republik.)
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Importirte Wa are. An den Präsidenten des Schweizerischen Bundesgerichts ist ein Dynamitbrief geschrieben worden: wenn der Bescheid in Sachen des Weltkongresses nicht zu Gunsten der Sozialdemokraten ausfalle, werde das Bundesgericht in die Luft gesprengt wer den. Warum nicht die ganze Schweiz ? Der Brief gehört in die Kategorie 3 des Berliner „ Ulf", von der jeder en gros für einen Pfennig geliefert werden kann, der Berliner Polizeikasse aber auf einige Mark zu ste hen kommt. Herr Bismarc muß in arger Verlegenheit sein, daß er feine Polizeiwaare zu exportiren beginnt.
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Die französische Wahlbewegung bietet kein neues Moment von Bedeutung. Interessant ist, daß Gambetta um sein verblassendes Prestige wieder herzustellen, in Belleville den Revancheflepper zu reiten versuchte, von Arbeitern, die im Interesse der Revolution den Frieden wollen, jedoch unsanft abgeworfen wurde. Der Erdiktator in spe mußte bei der letzten Wählerversammlung durch ein Hinterthürchen entweichen. Sic transit gloria mundi. Malon und Brousse haben bis zuletzt die Annahme einer Kandidatur verweigert. Desgleichen Rochefort, der die etwas sonderbare Entschuldigung vorbringt, wenn er gegen Gambetta kandidire( die Belleviller Kandidatur war dem Laternenmann angeboten), würde man seine Kandidatur gegen den ,, genuefischen Dickbauch" auf Mandatsfängerei zurückführen. Als ob das ein Unglück wäre!
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Das Ehrengericht in Sachen Malon- Lullier hat folgenden Spruch abgegeben: In Erwägung, daß am Abend des 18. März 1871 Ch. Lullier, welcher soeben erst zum Befehlshaber der Nationalgarde ernannt und mit der Aufsicht über die Sicherheit von Paris betraut war, nach seinem eigenen dem Kriegsgericht gemachten und in seinem Buche( Mes Cachots meine Gefängnisse) wiederholten Geständniß den Rückzug der Versailler Truppen, welche Paris angegriffen hatten und welche den Kern der Versailler Armee bildeten, erleichtert hat,
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In Erwägung, daß Lullier an demselben Abend, nach seinem eigenen ebenfalls doppelt vorhandenen Geständniß sich geweigert hat, die Mitglieder der Regierung zu verhaften, welche Paris angegriffen hatten und zwei Monate später den Massenmord daselbst veranstalteten,
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In Erwägung, daß Lullier am 20. März nach seinem gleichfalls doppelt vorhandenen Geständniß das 45. Linienregiment ermächtigt hat, Paris mit Menschen, Gepäck und Kanonen zu verlassen, um dann sogleich die Versailler Armee zu verstärken,
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In Erwägung, daß Lullier durchaus keine ernstlichen Schritte gethan
hat, um den Mont Valérien zu besetzen, welcher während des 18. und 19. März ganz von Truppen entblößt war und welcher dann in der Folge Paris beschoß, Versailles deckte und den Einbruch in Paris ermöglichte,
In Erwägung, daß Lullier am 22. März das Zentralkomité täuschte, indem er versicherte, daß der Mont Valérien neutral bleiben werde, eine Lüge, welche später die Verhaftung Lullier's auf Befehl der Kommune veranlaßte,
In Erwägung, daß Lullier nach seinem eigenen, wiederum doppelt vorhandenen, Geständniß während der Kommune Unterhandlungen mit den Versailler Regierungsagenten Camus und Baron Dutheil de la Tuque angeknüpft hat, um die Kommune ,, auszufegen" und Paris dem Herrn Thiers zu öffnen,
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wie er
In Erwägung, daß Lullier nach seinem eigenen doppelt vorhandenen Geständniß Geld gefordert hat, um Paris zu überliefern und sich ausdrückte den Vorstädten tüchtig einzuheizen"( chauffer les gosiers du faubourg),
In Erwägung, daß Lullier nach seinem eigenen doppelt vorhandenen Geständniß von Versailles die Zusage erhielt, daß ihm und den Offizieren, welche an seiner Verrätherei theilnahmen, nichts geschehen solle und daß man dem Marschall Mac Mahon und der Polizei den Befehl ertheilen werde, sie durchaus nicht zu belästigen,
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In Erwägung, daß Lullier nach seinem eigenen in seinem Buche gemachten Geständniß am selben Tage noch, an dem die Versailler Truppen in Paris eindrangen, von dem Versailler Agenten Camus 2000 Frs. erhielt,
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In Erwägung, daß, wenn Lullier trotzdem 14 Tage nach dem Sturze der Kommune von der Armee, welche man über die von Herrn Thiers eingegangenen Zusagen in Unkenntniß gelassen hatte, verhaftet wurde, dennoch diese Zusagen nicht wegzuleugnen sind und daß Lullier sie vor dem Kriegsgericht zu Protokoll gab, ohne Widerspruch zu finden, In Erwägung, daß Herr Thiers sich bemühte, die Lage Lullier's zu erleichtern, daß die gegen diesen ausgesprochene Todesstrafe in Zwangs. arbeit umgewandelt wurde, daß Lullier zwei Jahre lang diese Strafe in Frankreich in der verhältnißmäßig angenehmsten Lage verbüßte, während die Mehrzahl der Kommuneverurtheilten die größten Qualen in Neukaledonien erdulden mußten; daß Lullier endlich erst nach dem Sturze des Herrn Thiers nach Kaledonien verschickt wurde,
In Erwägung schließlich, daß Lullier von einigen seiner Gefährten auf der Insel Nou beschuldigt wird, sie denunzirt zu haben und daß er überhaupt von ihnen allen mit der größten Geringschätzung betrachtet wird,
Erklären die von B. Malon gewählten Ehrenrichter,
Daß die Aeußerung Malon's, welche den Anlaß zur Forderung Lullier's gab( nämlich, daß Lullier von seinen Kollegen in der Kommune als Verräther betrachtet werde) völlig gerechtfertigt war,
Daß Lullier nicht nur die Sache der Kommune verlassen hat, sondern sogar bemüht gewesen ist, die Kommune an Herrn Thiers zu verrathen,
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Daß Lullier hierfür Versprechungen und Geld von Herrn Thiers erhalten hat, Daß folglich B. Maton weder verpflichtet ist, einen Zweikampf mit Lullier einzugehen, noch ihm überhaupt irgend eine Ehrenerklärung zu geben.
Lissagaray . Paul Brousse . Paulard.
Dieser Wahrspruch, welcher der politischen Laufbahn des Herrn Lullier ein Ziel jetzt, beruht durchweg auf attenmäßig festgestellter Wahrheit. Die meisten der aufgeführten Thatsachen waren schon früher bekannt sie wurden aber vielfach damit entschuldigt, daß man dem durch Absynth vollständig ruinirten Lullier die volle Zurechnungsfähigkeit absprach.
Die Mitglieder des Ehrengerichtes sind die von Malon bestimmten; alle Versuche, Lullier seinerseits zur Ernennung von drei Ehrenrichtern zu veranlassen, blieben fruchtlos. Die Namen Lissagaray , Brousse und Baulard bieten jedoch ausreichende Garantie für gerechte und gründliche Behandlung der Sache.
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In England, dem Musterlande des Parlamentarismus, hat sich soeben eine spaßhafte Komödie abgespielt. Das Oberhaus weigerte sich, die Landbill unverändert anzunehmen, und modifizirte sie in einigen Punkten. Das Unterhaus verwarf seinerseits die Modifikationen und stellte die Bill wieder in der ursprünglichen Fassung her. Das Oberhaus steifte sich aber, und ängstliche Gemüther träumten schon von einem ernst haften Konflikt. Schließlich löste sich Alles in allgemeines Wohlgefallen auf, was sehr natürlich, sintemalen eine Krähe der anderen die Augen nicht aushackt. Das englische Unterhaus besteht nämlich, gleich dem Oberhaus, aus Vertretern des Grundbesitzes und Geldsackes und ist um kein Haar breit demokratischer als dieses. Was die Herren Gemeinen„ an Liberalismus“ leisten können, das hat auch für die Herren Lords nichts Erschreckliches, und die Herren Lords wissen geradesogut wie die Herren Gemeinen, daß der ganze Zweck der famosen Landbill der ist, dem irischen Volk möglichst wenig Konzessionen zu machen und möglichst wenig an dem Fundament des Eigenthums zu rütteln. Daß die Landbill die irische Landfrage nicht löst, brauchen wir den Lesern des„ Sozialdem." nicht zu sagen sie nimmt ihr nicht einmal momentan den brennenden Charakter: sogar die zahme Landliga hat sich gegen die Bill erklärt, und und der Protest des irischen Volkes gegen die abscheulichen Landgesetze dauert in Gestalt von„ agrarischen Verbrechen" ungeschwächt fort. Die Liverpooler, Höllenmaschinen" werden nun selbst von der „ Times" für unächt erklärt, zum unbeschreiblichen Aerger der„ Nordd. Allgem. Zeitung", deren Patron von„ Attentaten" lebt, und in Ermangelung einheimischer sich mit fremden zu versorgen eifrigst beslissen ist.
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-Der Kongreß der belgischen sozialistischen Partei, welcher am 14. und 15. d. M. in Huy tagte, hatte folgende Tagesordnung: 1) Regelung der Delegation auf den Weltkongreß; 2) Disfuffion des Programms und der Statuten der belgischen sozialistischen Partei. 3) Bewegung für das allgemeine Stimmrecht. 4) Agitation gegen das stehende Heer. Wir werden über die Verhandlungen des Kongresses berichten.
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Bei den bevorstehenden Deputirtenwahlen in Portugal wird sich zum zweiten Male die sozialdemokratische Arbeiterpartei betheiligen. Der Operario" veröffentlicht in seiner Nummer vom 7. d. die Namen der Arbeiterkandidaten für Oporto A. C. da Silva, Arbeiter und Redakteur des„ Protesto" und Mitarbeiter des Operario"; E. C. Azedo Gnecco, Graveur und F. S. Franco Ferreira Lisboa, Schriftsetzer; und für Lissabon A. J. da Silva, Arbeiter und J. C. Nobre Franca, Schriftsetzer und Redakteur des„ Protesto". In Portugal herrscht bekanntlich ein starker Zensus und das Wahlrecht ist auch sonst noch arg beschränkt und gefesselt, so daß an einen Sieg der sozialistischen Arbeiterkandidaten wohl kaum zu denken ist. Jedenfalls wird der Wahlkampf aber für die Partei von Nutzen sein, und zu ihrer Kräftigung wesentlich beitragen.
Neues Blatt. Unter dem Titel„ L'Insurrezione"( die Jn. surrektion) wird demnächst in London ein neues sozialrevolutionäres Blatt in italienischer Sprache erscheinen. Das Redaktionskomite besteht aus den Vollblut- Anarchisten Malatesta, Cafiero und Solieria. ,, Mit einer solchen Redaktion, meint die Pariser Revolution sociale", ist der Erfolg sicher." Wir wünschen gleichfalls den besten Erfolg, meinen aber: in London eine italienische Insurrektion schrei ben, anstatt in Italien eine zu machen, ist verteufelt oppor tunistisch.
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( Anf ihrem„ Weltkongreß", den beiläufig die deutsche Reaktionspresse von 800 Delegirten besucht gewesen sein läßt- bald werden sie auf etliche Tausende angeschwollen sein
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wurde der kühne Entschluß gefaßt:
daß die Stunde gekommen ist, aus der Periode der Versicherungen( Lebens, Hagel- oder was für sonstige Versicherungen?) in die Periode des thatkräftigen Handelns überzugehen und an die Propaganda des Wortes und der Schrift, deren ungenügende Wirkung sich bewiesen hat, die Propaganda der insurrektionellen That zu fügen." Die„ Insurrezione", anarchistisch- kommunistisches Organ", ist offenbar eine der beschlossenen„ insurrektionellen Thaten".)
Parteigenossen! Vergeßt der Verfolgten und Gemaßregelten nicht!
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Korrespondenzen.
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- Königsberg i. Pr., im August. Hochgeehrter Herr Oberstaatsanwalt Saro! Dank Ihnen, daß Sie unserer Bitte, Ihnen durch Uebersendung der Nrn. 24, 25 und 30 des„ Sozialdemokrat" übermacht, nachgekommen sind und Ihren ersten Staatsanwalt Hauptmann Hecht angewiesen haben, in erbetener Weise über das richtige Eintreffen der von uns per Kuwert übersandten Sozialdemokraten" zu quittiren. Freut uns, daß die Blätter richtig angekommen. Aber haben Sie auch bedacht, was sie gethan? Unterm 29. Juli verheißt Hauptmann Ehren- Hecht dem Verräther der Absender der qu. Blätter wieder eine Belohnung und zwar diesmal schon 300 Mark. Herausbekommen werden Sie natürlich nichts, es scheint uns aber für den Unglücksfall eines Verrathes das Geldgebot ein bischen hoch gegriffen zu sein. Erlauben Sie, daß wir Ihnen unsere Auffassung der Sache flar legen. Nach Obertribunals- Erkenntniß ist die einfache Mittheilung eines verbotenen Blattes oder Buches an einen guten Freund keine verbotene Verbreitung im Sinne des Sozialistengesetzes. Ist aber die Mittheilung an einen guten Freund erlaubt, so ist sie sicher auch gestattet an einen bösen Feind. Wollen Sie nun freundlichst die Kuwerts der Ihnen so mißliebigen und nach Ihrer Auffassung strafbaren Einsendungen genau ansehen, so werden Sie finden, daß es viele Absender, daß Jeder einen bösen Feind bedacht hat, die Sendungen also nicht unter das Strafgesetz fallen. Sehen Sie, hochverehrter Herr, würde Ihnen nun wirklich einmal ein Absender verrathen, so fämen Sie, da Sie den Staat doch sicher nicht betrügen würden, in die Verlegenheit, die leichtsinnig ausgesetzte Prämie ans eigener Tasche zu zahlen. Ans gutem Herzen machen wir Sie darauf aufmerksam, da für bloße Befriedigung der Neugierde 300 Mark doch ein bischen zu viel ist. Denken Sie einmal darüber nach, ob unsere Auffassung nicht die richtige?
Nun noch ein zweiter Punkt. Wozu, um die Leute gruselig zu machen, eitel Lügen hinzufügen und von beigefügten Drohbriefen faseln? Wir Absender wissen am besten, daß wir keine Drohbriefe beigefügt, daß das nur Mittel zum Gruseligmachen sind, und wahrlich, für einen so ehrendurftigen Beamten wie Sie, schicken sich solche Lügen nicht. Wer soll Ihnen schließlich glauben, daß Jemand unserer Partei so dumm sein wird, einen Brief an Se. Majestät den Kaiser und König nach Königs berg zu adressiren, da die reaktionären Zeitungen ja täglich bekannt machen, wo sich das Staatsoberhaupt aufhält? Die Lüge von Ihnen war zu dumm! Im Uebrigen, quittiren Sie nur in angefangener Art weiter, dafür loben wir Sie; setzen Sie sich nur mit Geldversprechungen nicht selbst in Verlegenheit und lügen Sie fürder nicht. Mehrere Briefabsender.
des
r. Dresden . Obgleich verspätet, wird es, glaube ich, für die Leser Sozialdemokrat" von Interesse sein, Etwas aus der sächsischen Residenz zu hören. Wie in allen größeren Orten, so gibt sich auch hier die Polizei die größte Mühe, die Sozialdemokratie zu vernichten, was ihr indeß nicht gelingen wird. Hier einige Proben, mit welcher Brutalität Polizei und Richter einander in die Hände arbeiten, um unsere Genossen zu verderben.
Der Maschinenbauer Lange wurde siebzehn Wochen in strenger Untersuchungshaft gehalten, um dann freigesprochen zu werden, weil absolut kein Grund zur Bestrafung vorlag! Einige Wochen nach der Haftentlaffung Lange's erzählten die„ Dresdner Nachrichten", daß man beim großen Ostra- Gehege die Leiche eines anständig gekleideten Mannes aus der Elbe gezogen habe, welcher schon längere Zeit an Tiefsinn gelitten". Damit hatte unsere alte Klatsche ihrer Leserschaft Genüge geleistet. Sehen wir uns aber die Sache genauer an, so finden wir, daß das erbärmliche Blatt nicht den Muth hatte, die nackte Wahrheit zu bringen. Genosse Lange befand sich vor seiner Verhaftung in guten Verhältnissen. Da er Alles sehr ernst nahm und eine zum Grübeln hinneigende, nachdenkliche Natur war, so empfand er die Freiheitsberaubung um so tiefer; er konnte den Schlag nicht überwinden und legte selbst Hand an sich.
Wie man diesen jungen kräftigen Mann behandelt haben muß, erhellt daraus, daß er am Tage der Prozeßverhandlung kaum aus dem Gefängniß in den Verhandlungssaal gehen konnte. Aber was fümmert das unsere Richter und Polizeischergen? Sie haben die Augen nur nach Oben gerichtet, und als richtige Streber hoffen sie über die Leiche eines Sozialdemokraten eine Stelle höher zu rücken. O, Volf, habe nur ein gutes Gedächtniß, daß Du die Schulden heimzahlen kannst! O, Volk, denke daran, daß Lange gemordet wurde!
Verurtheilt wurden wegen angeblicher Schriftenverbreitung im Sinne des Sozialistengesetzes" die Genossen: Vetters zu zwei, Weidner zu drei Monaten, während Lindner freigesprochen wurde. Bewiesen wurde nichts, aber die Richter( pardon, die Bedienten) nahmen an, es sei möglich, daß die Genannten Schriften verbreitet hätten. Und da mit Punktum! Strafe muß sein.
Am 12. d. standen Kayser, Schönfuß und Liebert, ebenfalls wegen Verbreitung verbotener Schriften, vor Gericht. Beweise: 0. Trotzdem Verurtheilung. Kayser 2 Monate Gefängniß und Aufenthaltsbeschränkung, Liebert 6 Wochen und Schönfuß 4 Wochen. Untersuchungshaft nicht angerechnet. Kayser wurde in Haft behalten, die beiden anderen vorläufig auf freien Fuß gesetzt. Kayser, der seit Monaten eingesperrt ist, wird natürlich nicht appelliren. Er würde dadurch seine Haft nur verlängern. Schöne Justiz das! Einstweilen ist er ruinirt, sein Geschäft zu Grunde gerichtet. Und einen anderen Zweck hatte die ganze Prozedur ja nicht.
Einige Tage vor der Landtagswahl war hier ein lustiges Treiben. Die Druckerei von Zumbusch u. Tom p. wurde geschloffen, das ganze Personal verhaftet und die bereits im Druck befindlichen Flugblätter für Bebel konfiszirt. Nun meinte die Polizei:„ Jetzt haben wir dem Treiben der Sozialisten Einhalt gethan." Aber irren ist menschlich. Warum sollte sich unser Pascha Paul nicht auch irren? Und daß er sich geirrt hatte, erfuhr er bald, denn drei Tage vor der Wahl erschienen neue Flugblätter, die in der von Polizei besetzten und zugesiegelten Buchdruckerei gedruckt sein sollten! Das war dem Paul aber zu stark. In ihrer sinnlosen Wuth verhaftete die Polizei Jeden, der beim Austragen betroffen wurde. Es half aber Alles nichts. Die Flugblätter kamen doch unter die Leute. Sind wir in dem Wahlkampf auch nicht Sieger geblieben, so haben wir wenigstens ein Lebenszeichen von uns gegeben und den Feinden bewiesen, daß wir noch schlagfertig sind. Und zu gleicher Zeit haben wir die ganze Niedertracht der Polizei und unserer Gegner kennen gelernt, was nur nüglich sein kann.
Noch muß ich einen Fall erwähnen, welcher zeigt, wie die Polizei Recht und Gesetz mit Füßen tritt. Wie schon oben gesagt, hatte die Polizei die Wahlaufrufe für den Genossen Bebel in der Druckerei konfiszirt, mit Ausnahme einiger tausend Exemplare, welche schon in sicheren Händen, nun aber nutzlos waren und nicht ausgetragen werden konnten. Dessenungeachtet brüstete sich nach der Wahl der konservative Holzhändler und Oberförster a. D. Müller zu Löbtau in einer Reſtauration, daß er ein tonfiszirtes Flugblatt gelesen habe. Auf die Gegenrede mehrerer Gäste, daß dies nicht möglich, weil keine ausgegeben worden seien, erklärte Müller, daß er das Flugblatt vom Grafen von Vitthum