Soviel Abschaum in der Verwaltung einer nur mittelgroßen Kommune müßte ein skeptisches Gemüth zur Verzweiflung treiben, wenn man nicht genau wüßte, daß auch die dichteste Nacht immer der Vorbote des nahenden Morgengrauens ist. Dann wehe Euch Ihr Mordgesellen, wenn der vom Alpdruck aufschreckende Proletar Euch an seiner Lagerstätte er­blickt, die Ihr ihm heute die Gurgel zuhaltet, dann übt erst seine Riesenfauft ihre natürlichen Funktionen bis dahin mögt Ihr Euch das schöne Zuchthaus unweit Eurer Raths- Räuberhöhle noch von Außen besehen!

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Sozialpolitische Rundschau.

9821

3 ürich, 19. April 1882.

- Der Reichstag einberufen. Die Frühjahrssession, vor der unsere Liberalen eine so entsetzliche Angst haben, wird also Ende dieses Monats beginnen. Die komische Hoffnung der Spießbürger, daß der Bundesrath das Tabakmonopol beseitigen und dem altersschwachen Liberalismus damit eine Zentnerslast vom Rücken nehmen würde, erfüllt sich natürlich nicht. Zwar ist die ungeheuere Mehrheit des Volks gegen das Tabakmonopol, das nicht einmal von den Konservativen rück­haltlos vertheidigt wird, allein was kümmert das die deutschen Regie­rungen? Sie suchen wohl hier und da der Reichsregierung in die Suppe zu spucken; wenn's aber gilt, das Volk zu scheeren und ihm neue Ketten anzulegen, dann sind sie stets mit der Reichsregierung ein Herz und eine Seele.

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Die Frühjahrssession wird, wie die Bismarck 'schen Blätter verkünden, in erster Linie dem armen Manne" gewidmet sein. Tabakmonopol, Unfallversicherung, Revision des Hülfskaffengesetzes,( Regelung des Krankenkassenwesens) von der Reform der Gewerbeordnung, das ist einigen verschämten Zunftalterthümern, zu geschweigen das ist das ,, sozialreformatorische" Angebinde, welches dem glüdlichen, armen Mann" in Aussicht gestellt ist, der nun doch sicherlich auch so dankbar sein wird, bei nächster Gelegenheit brav für den guten Herrn Reichskanzler zu ftimmen so denken die Herren Offiziösen, und so denkt auch der ,, Anwalt" des armen Mannes".

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Wir fürchten, die Herren Offiziösen haben sich in dem armen Mann" arg verrechnet, und der Anwalt wird schlechte Geschäfte machen. ic

Der arme Mann" ist so oft genasführt worden, daß er glänzenden Versprechungen von unerprobter Seite ein hartnäckiges Mißtrauen ent­gegensetzt; und so kommt es denn, daß kein armer Mann" sich finden will, der an die silbernen Nirchen und goldenen Nautchen des zwar nicht finn aber phantasiereichen Junkers Bismarc glauben will.

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Und wie sollte es auch anders sein? Bismarck hat bei Empfehlung und Entwickelung seiner sozialreformatorischen" Pläne ein wahrhaft geniales Ungeschick an den Tag gelegt. Nicht genug, ihnen den Mantel der Bauernfängerei in plumpster Weise um die Schultern zu hängen, hat er auch den vom praktischen" Standpunkt aus unverzeihlichen Fehler begangen, erst goldene Berge zu versprechen, und hintennach die goldenen Berge zu ignoriren und seine Versprechungen auf ein sehr be­scheidenes Maß zu reduziren. Das ist eine Unsolidität, die der so oft betrogene arme Mann" nicht verzeiht. Und wenn noch die auf ein bescheidenes Maß reduzirten Versprechungen erfüllt worden wären! Wie sie erfüllt wurden, zeigt das Schicksal des Unfallgesetzes.

Und ist etwa das Schaugericht, welches jetzt, zu Beginn der Frühjahrs­session, vor den armen Mann" gesetzt wird, etwa so besonders appetittlich und verlockend?

Mit nichten.

Zunächst ist's meist alte Waare, und zwar solche, auf die das bekannte Wort Reuleaux Billig und Schlecht" uur deshalb nicht anzuwenden ist, weil sie verwünscht theuer zu stehen kommt. Und, abgesehen hievon, was hat der arme Mann" mit dem größten der aufgetragenen Braten zu thun, mit dem Tabakmonopol? Das Tabakmonopol, das mindestens zwei Drittel unserer Tabaks und Zigarrenarbeiter brodlos machen würde, ist doch wahrhaftig keine Hülfe, feine Wohlthat für den ,, armen Mann"!

Die Offiziösen haben auch nicht mehr die Stirn, es zu sagen. Vom ,, Patrimonium der Enterbten", dieser kolossalen Ente, welche der zum Latai Bismard's degradirte Professor Wagner vorigen Herbst( vor den Wahlen) in die Welt flattern ließ, ist es mäuschenstill geworden. Selbst das schamloseste Reptil hat nicht die Stirn, diesen grandiosen Lügen­schwindel zu wiederholen. Man begnügt sich zu versichern: Bismarc braucht das Monopol um das Ensemble( die Gesammtheit) seiner Reformpläne durchzuführen; hat er die nöthigen Mittel, so wird er für den armen Mann" aufs großmüthigste sorgen. Einstweilen kann er seine brünstige Liebe für den armen Mann" nur in beschränktem Um­fange bethätigen.

Jn sehr beschränktem Umfang". Allerdings. Doch lassen wir das. Also das Monopol soll, so zu sagen, die finanzielle Basis für die Sozialreform abgeben! Leider hat der preußische Finanzminister jüngst bei Gelegenheit des famosen Verwendungsgesetzes das fatale Geheimniß

Feuilleton.

ausgeplaudert, daß Bismarck im Ganzen

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an die

bis auf Weiteres 300 Millionen Mart neue Steuern nöthig hat, von denen das Tabakmonopol höchstens die Hälfte ergeben würde. Kurz, wir wissen bereits, daß das Monopol die Bismarck 'schen Geldbedürfnisse nicht befriedigt, und daß schon für ziemlich eben so viel Millionen, wie das Tabakmonopol nach offizieller Schäßung einbringen soll, andere neue Steuern in Aussicht genommen sind.

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Ist das Tabaksmonopol durchgesetzt, so wird es heißen: wir können nichts anfangen, ehe wir nicht die anderen neuen Steuern haben. Sind die anderen neuen Steuern bewilligt, dann wird es wieder an Geld fehlen, werden wieder neue Steuern erforderlich sein und so fort in infinitum( ins Unendliche). Bismarck ist sich selbst der Nächste, und er braucht so viel Geld, daß er nie etwas Ernsthaftes für den ,, armen Mann" übrig haben wird, auch wenn er wirklich ein Herz für den, armen Mann" hätte. Jedenfalls repräsentirt das, was Bismarck in dieser Frühjahrssession dieser dem ,, armen Mann" bietet, das Aeußerste was er bieten kann. Und es ist so gut wie nichts. Der Kern der sozialen Frage wird nicht berührt, bloß die Schaale. Und Alles zusammengefaßt auch das noch in nebelhafter Ferne liegende Invalidengesetz im Voraus eskomptirt läuft der Bismarckische Staatssozialismus darauf hin­aus, den Arbeiter vor dem buchstäblichen Verhungern zu schützen. Das ist der gemeinsame Zweck des Unfall-, des Kranken­kassen- und des Invalidengesetzes.

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Diese Verpflichtung, den Arbeiter vor dem Verhungern zu schützen, hat aber der moderne Staat von jeher anerkannt, erkennt sogar die bürgerliche Gesellschaft im Prinzip an, so daß der Bismarck'sche Staats­sozialismus" sich thatsächlich auf eine bureaukratische Regelung der öffentlichen Kranten und Armenpflege reduzirt. Das ist Alles! Und um dieses jämmerlichen Mäuschens willen, das der kreisende Bismarck 'sche Berg geboren, so viel Lärm! Viel Geschrei und wenig Wolle. Doch freilich, auf den Lärm und das Geschrei wars ja abgesehen. Klappern und schreien gehört zum Handwerk. Der bankrotte Politiker Bismarck ist eben gezwungen, soziale Kurpfuscherei zu treiben, und für seinen Charlatansruhm die große Trommel zu schlagen und schlagen zu lassen. Unsere Genossen im Reichstag haben dafür zu sorgen, daß die Trommel ein Loch bekommt.

Wie das Reichsgericht die Geseze fennt. Wir er­halten folgende Zuſchrift: misinis sis diod

,, Geehrter Herr Redakteur!

Ju Nr. 15 d. Bl. werfen Sie gelegentlich der Besprechung des Ent­scheides des Reichsgerichtes, daß Stimmzettel, die den Namen eines Sozialdemokraten tragen, als Druckschriften im Sinne des Preß- und Sozialistengesetzes aufzufassen sind, die Frage auf:" Ob die Regierung den Muth haben wird, dem Zaunpfahlwink des Reichsgerichts zu folgen?" Diese Frage ist insoferne, als die deutsche Reichsregierung diesen Be­schluß provozirt hat, unbedingt zu bejahen, vorausgesetzt, daß der Reichstag dem Dinge nicht einen Riegel vorschiebt. sensgelightf

Gelegentlich der Berichterstattung über die Handhabung des Sozia­listengesetzes in der vorigen Session des Reichstages kam auch die Be­schlagnahme der sozialdemokratischen Stimmzettel seitens der Polizei in Kiel zur Sprache. Dabei äußerte Herr v. Puttkamer: Ich habe in­deffen geglaubt, aus politischen Gründen diese Aufhebung aussprechen zu sollen, weil ich der Meinung war, daß zwar die Sozialdmokratie bei den Wahlen zu bekämpfen sei, daß wir aber nach Maßgabe des vorliegenden Gesetzes was ich übrigens sehr bedauere(!!) nicht in der Lage find, ihre Wahlagitation auf diesem Gebiete und durch Verbreitung von Wahlzetteln zu verhindern." esgized

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Das Bedauern des Herrn v. Puttkamer wird nun wohl einer hellen Freude über den Beschluß des Reichsgerichtes gewichen sein.

Auch das, was an Vorstehendes anschließend, Herr v. Puttkamer über Inserate sagt, in welchen ein Sozialdemokrat zum Abgeordneten vor­geschlagen wird, ist sehr lieblich und loyal", und es darf uns deshalb gar nicht wundern, daß die Begräbniß, genannt Reichskommiffion", im Sinne des Herrn Ministers entschieden und das Blatt, worin ein solches Juserat gestanden, dem Vernichtungstode geweiht hat.

Was nun den Beschluß des Reichsgerichts bezüglich der sozialdemo­fratischen Stimmzettel betrifft, so steht nun unzweifelhaft fest, daß das­selbe in seinem Eifer, dem Minister zu gefallen, weit über das Ziel hinaus geschossen hat. Im§ 2 des Preßgesetzes werden alle Erzeugnisse der Buchdruckerpresse, sowie alle anderen, durch mechanische oder chemische Mittel bewirkten, zur Verbreitung bestimmten Vervielfältigungen von Schriften und bildlichen Darstellungen als unter das Preßgesetz fallend bezeichnet.

Nach diesen Festsetzungen hat sich das Reichsgericht unzweifelhaft ge­richtet und Stimmzettel als zur Verbreitung bestimmte Erzeugnisse der Buchdruckerpreffe aufgefaßt. Dies als richtig angenommen, tönnte auch jede Polizei sozialdemokratische Stimmzettel auf Grund des Ausnahme gesetzes verbieten und der russische Despotismus wäre vollständig etablirt! Allein so schnell geht die Sache denn doch nicht und hätten die Herren Richter vom Reichsgericht sich die Zeit genommen, im Preßgesetz etwas weiter nachzusehen, so hätten sie, ein Blatt umgeschlagen, im Preßgesetz

ist noch unbekannt. Nach dem Wortlaut des Zirkulars von Loris Melitow sollten sie nur angesiedelt werden, aber es ist wahrscheinlicher, daß sie nach der Kara zur Bergwerksarbeit kommen. Eigenthümlich ist, daß sie Alle, trotzdem sie ihre Gesundheit stark zerrüttet und ihr Geist start er­schöpft ist, doch die Hoffnung auf die Zukunft nach achtjähriger qualvoller

Aus der neuesten Nummer der Narodnaja Bolja". Einzelhaft nicht verloren haben.

II.

Kerker und Verbannung. ( Schluß.)

Ueber die

Sehen wir nun, was aus den Andern, die noch früher verurtheilt wurden, geworden ist, deren ganze Schuld darin bestand, daß sie von der Jdee der Gleichheit hingerissen und voll Entrüstung gegen jede Bedrückung des Menschen durch den Menschen in die Reihen des Volkes gingen, um mit ihm Leiden und Noth zu theilen, ihm die Wissenschaft, die Ideen der allgemeinen Brüderlichkeit und der kollektiven Arbeit zu bringen. Sie wurden wegen dem Verkehr mit den Arbeitern, denen sie nur Gutes gethan haben, zu schrecklichen Qualen verurtheilt. Zentralgefängnisse wollen wir uns nicht weiter auslassen, darüber ist in der Semljai Wolja und Narodnaja Wolja " schon geschrieben worden. Ju dem Charkower Zentralgefängnisse wurden die Gefangenen so weit gebracht, daß sie beschlossen, entweder Hungers zu sterben oder eine bessere Behandlung zu erreichen. Aber man hat sie bekanntlich betrogen; man hat ihnen versprochen, ihre Forderungen zu gewähren und keine Einzige ausgeführt. Physisch und moralisch gepeinigt, konnten sie damals ihren schrecklichen Protest nicht erneuern und ertrugen fünf Jahre schweigend ihre Martern. Viele hielten es nicht aus und starben oder wurden wahnsinnig. Alle, die mit ihnen in Berührung kamen, sagen aus, daß sie sich wie wahre Märtyrer einer Idee aufführten. Aber je ruhiger fie waren, desto frecher und unverschämter wurden die Behörden; man schien sie provoziren zu wollen. Und so beschlossen sie, den Inspektor zu tödten. Das 2008 zu dieser That fiel auf Zizianoff. Aber der Inspektor erfuhr von diesem Vorhaben und er kam zu Zizianoff, allein nnd un­bewaffnet, heuchelte Neue und den Willen sich zu bessern und brachte Bizianoff dahin, daß er ihm zu verzeihen versprach. Aber kaum zwei Wochen vergingen und die Gefängnißbestie wurde wieder dasselbe Thier, das es früher war. Nun übernahm es Myschkin , ihn zu bestrafen. Ein­mal versetzte ihm Myschkin in der Kirche einen Faustschlag auf den Kopf in der Hoffnung, daß er betäubt auf den steinernen Boden fallen würde; allein der Juspektor hatte Kraft genug, um Myschkin mit gezogenem Säbel einige tiefe Wunden beizubringen. Aus dem Charkower Zentral­gefängniß wurden alle Sträflinge nach Mzenst überführt, und von da find voriges Frühjahr 39 nach Sibirien gebracht worden. Ihr Schicksal

Jetzt wollen wir die Gegend betrachten, wohin man unsere politischen Verurtheilten schleppt. 7000 Werst von Petersburg , inmitten wilder Gebirge, von undurchdringlichen Sümpfen und Wäldern umgeben, liegen in einer Kesseltiefe eines nach dem andern die Karischen Bergwerke. Sie liegen in folgender Reihenordnung: Ust- Kara, wo eine Telegraphenstation und ein Frauengefängniß, dann die untere Kara, Domizil des Inspektors der Bergwerke, der gemeinen Verbrecher und der politischen Frauen. Nahe der Nischnaja Kara wird ein neues Gefängniß für die politischen Verbrecher gebaut. Sodann die mittlere Kara mit einem Gefängniß für alle Staatsverbrecher; daselbst ist die Bergindustrieverwaltung und der Befehlhaber aller am Orte befindlichen Truppen.( Dieser Mensch hat sich selbst am Besten charakterisirt, indem er sagte, daß er sich sehr gefreut hätte, wenn ein politischer Verbrecher ihn beleidigt hätte, da der Letztere dann gehängt worden wäre.) Endlich noch die obere Kara mit einem Gefängniß für die gemeinen Verbrecher.

Politische Bergwerksarbeiter( die aus dem Zentralgefängniß nicht mit eingerechnet) sind jetzt 91, davon 83 Männer in der mittleren und 8 Frauen in der unteren Kara.

Das politische Gefängniß in der mittleren Kara ist ein Holzgebäude, das aus zwei Hälften besteht, gleich einer Bauernhütte, umgeben von einem hohen Zaune. Darin wohnen nun 83 Männer, der Kälte und der Näffe preisgegeben, ohne Tische und Bänke, nur Bretter( Nari) zum Schlafen und Liegen, wie in den russischen Kasernen. Die Nahrung be­steht fast ausschließlich aus Brod, da die Suppe fast ungenießbar ist. Morgens und Abends gibt es Thee, aber nur Morgens mit einem Stüdchen Zuder. Wegen Ueberfüllung herrscht Mangel an Luft und Reinlichkeit. Die Wirthschaft wird in Assoziation geführt unter Leitung einer erwählten Kommission. Die Gefangenen dürfen aus eigenen Mitteln die Nahrung verbessern, aber die Mittel sind sehr mangelhaft.

Ein Spital für die politischen Gefangenen gibt es nicht, die Kranken bleiben mit den Gesunden zusammen. Ein Arzt ist zwar da, aber die Gefangenen ziehen es vor, ihn nicht zu konsultiren. Zu seiner Charakte rifirung diene, daß eine Frrsinnige Kowalewskaja auf seinen Befehl schrecklich geschlagen wurde. Die Arbeit ist eine Werft weit entfernt und besteht im Goldgraben.

Die Frauen der Verurtheilten wohnen in der unteren Kara, und Be­suche werden ihnen zweimal die Woche gestattet.

Der einzige und größte st der in Katorga Befindlichen sind Bücher

§ 6 Absatz 1 unter denjenigen Erzeugnissen, auf die das Preßgesetz keine Anwendung findet, auch aufgeführt gefunden: Stimmzettel für öffent­liche Wahlen, sofern sie nichts weiter als Zweck, Zeit und Ort der Wahl und der zu wählenden Personen enthalten."

Allerdings kann die Polizei auf Grund des Ausnahmegesetzes Druck schriften verbieten, aber sie kann doch nur Druckschriften verbieten, welche im Sinne des Gesetzes als Druckschriften aufzufassen sind. Da nun aber Stimmzettel ausdrücklich davon ausgeschlossen sind, so kann der Reichstag der artige Entscheide des Reichsgerichtes auf keinen Fall gutheißen.

Und nicht das Reichsgericht hat, wie Sie meinen, der Regierung, son­dern, wie aus den oben zitirten Worten des Herrn v. Puttkamer ersichtlich, die Regierung hat dem Reichsgericht mit dem Zaunpfahl gewinkt und letzteres hat diesen Wink auch verstanden.

Und warum auch nicht?"

Eines neuen Justizmordes schmachvollster Art hat sich dieser Tage das Reichsgericht schuldig gemacht, indem es das' von Hanno­ ver 'schen Bourgeois Geschwornen gegen den Weber Hartmann aus­gesprochene Urtheil auf sechs Jahre 3uchthaus wegen Meineids ohne ein Wimperzucken bestätigte. Was war das Verbrechen Hart­manns? Um seinen Freund Dabers, welcher der Verbreitung der Londoner Freiheit" angeklagt war, zu entlasten, hatte er, als Zeuge zitirt, wie die Anklage behauptet, mehrere Thatsachen ver­schwiegen, andere zu Gunsten seines Freundes zu drehen gesucht, und die Unvorsichtigkeit begangen, seine Aussagen zu beschwören. Hartmann bestritt bis zuletzt, die unwahrheit gesagt, die Wahrheit verschwiegen zu haben. Der einzige Stüßpunkt der Anklage bestand in dem Zeugniß eines ver­rufenen Subjetts, des Schneiders Genthe aus Ofterrode, der die Ber­urtheilung des Dabers ermöglichte und in der Gerichtsverhandlung auf seinen Eid id hin die Aussagen Hartmann's im Dabers'schen Prozes für unwahr erklärt hatte.n

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Nachdem Genthe, offenbar ein bezahlter Spizel, Hartmann so be­lastet hatte, ver duftete er, und konnte infolge dessen in dem Meineids­Das prozeß gegen Hartmann gar nicht vernommen werden. genirte indeß den Hannover 'schen Gerichtshof und die Hannover 'schen Ge­schwornen nicht man begnügte sich mit dem 3eugniß der Richter im Dabers'schen Prozeß über das Beugniß des Genthe, fand Hartmann trog der energischften Betheuerungen seiner Unschuld für schuldig und verurtheilte ihn zu sechs Jahren 3uchthaus und sechs Jahren Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte ( die Aberkennung der Zeugnißfähigkeit fann nicht als Strafe aufgefaßt werden eher umgekehrt).

Bei der Revision am Reichsgericht machte der Vertheidiger Hartmann's geltend, daß der Belastungszeuge durch seine Flucht, die auf ein böses Gewissen schließen lasse, den Werth seines Zeugnisses in ein sehr zweifel. haftes Licht gestellt habe; daß Genthe notorisch ein Lump sei, während Hartmann im besten Ruf stehe, und daß es ein Verstoß gegen jede Rechts­regel sei, Jemanden und noch dazu in einem so schwere Bestrafung involvirenden Prozeß einzig und allein auf ein in einem anderen Prozeß abgegebenes 3eugniß hin zu verurtheilen, dessen Urheber obendrein gar nicht persönlich anwesend sei, deſſen in einem anderen Prozeß gemachte Aussagen also weder durch den Vertheidiger noch durch den Angeklagten geprüft und widerlegt, turz nicht kontrolirt werden konnten. if diff

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Endlich machte die Bertheidigung auch noch auf die schuftige Motivirung des unerhört hohen Strafmaaßes aufmerksam, Hartmann", so heißt es in den Entscheidungsgründen, hat durch seinen Meineid ein sozia­listisches Bergehen verdecken wollen das ist als Er­schwerungsgrund in Betracht zu ziehen; desgleichen der Umstand, daß er selbst Mitglied der sozialistischen Partei ist."

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Nach dieser Argumentation wäre Hartmann mit einer geringeren Strafe davon gekommen falls er dann überhaupt bestraft worden wäre wenn er statt eines sozialistischen Vergehens" eine monarchistische, eine diplomatische, eine polizeiliche, eine pfäffische oder sonst ,, gutgefinnte" Schandthat und Niedertracht zu vertuschen gesucht, d. h. statt der Verbreitung mißliebiger Schriften einen Staatsstreich à la Bona­parte, eine Depeschenfälschung à la Bismarck( Emser Depesche); einem Rattenkönig von Fälschungen, Meineiden, Betrügereien, Unterschlagungen à la Stieber, und Unzuchtsverbrechen, wie sie unter den( ebenfalls unfehlbaren) Pfaffen im Schwunge sind, Vorschub geleistet hätte. id minigna

Daß dies den einfachsten Rechtsgrundsätzen widerspricht, bedarf feiner näheren Ausführung.

Und daß Hartmann ein Sozialdemokrat, oder Sozialist ist, soll ein er­schwerendes Moment sein!

Damit wird ja dem Ur- Fundamentalsatz der Rechtspflege ins Gesicht geschlagen, daß der Richter, daß das Gericht sich nur mit den, einem An­geklagten zur Laft gelegten Handlungen, nicht aber mit dessen Person zu beschäftigen hat! Weshalb wird denn die Göttin Justitia mit einer Binde um die Angen und der Wage in der Hand dargestellt? Nur um diesem Ur- Fundamentalsay symbolischen Ausdruck zu geben.gund

All dies machte der Vertheidiger Hartmann's geltend. Umsonst. Hart­mann ist Sozialist; die Verurtheilung Hartmann's paßte den Bismarc

und Zeitungen, deren Empfang gestattet ist. Bei einem solchen Leben, bei einer Nahrung aus Schwarzbrod, bei Kälte, Feuchtigkeit und dumpfer Luft, ohne Kleider, bei beständiger Androhung von Bajonettstichen und von Schlägen mit dem Gewehrkolben und der Knute leben diese Mär­tyrer, erhalten und erwärmt von der einen Hoffnung, einmal noch ihre theure Heimath wiederzusehen, einmal noch ihre Genossen zu erblicken. Diese Hoffnung ist so unauslöschlich, daß sie sie beständig im exaltirten Zustande hält. 107

So leben sie, einen Tag wie den a den andern, in fürchterlicher Monotonie. Nur von Zeit zu Zeit wechseln die ruhigen Tage mit den kriegerischen ab, und dann riecht es nach Blut. Erst ganz neulich ist die Armfeldt mit Kolben­schlägen blutig geschlagen worden und zwar wegen bloßer Unehrbietigkeit. Wegen größeren Vergehen werden ganz andere Strafen verfügt, den Einen werden die Straftermine verlängert, die Anderen werden nach entlegeneren Gegenden versetzt. So werden die Fluchtversuche schrecklich geahndet. Uebrigens find Ruthen und Knuten noch kein einziges Mal zur Anwendung gekommen, was natürlich nur von der Willkür der Be­hörden abhängt. Aber er der Tag, an dem die Ruthen zur Anwendung fommen werden, wird zu einem schreckensvollen und blutigen Tage, d a die Verurtheilten sämmtlich beschlossen haben, vor kommenden Falles wie ein Mann sich zu rächen und zu sterben! ignalsp

Man sollte glauben, daß alle diese Qualen schon genügten und daß größere Qualen kaum erdacht werden können. So starb Ischutin in seinen Ketten an die Wand gefesselt, Kowalewstaja ist wahnsinnig geworden, Kolentina liegt im Sterben; die Hälfte der Sträflinge find durch und durch frank, der anderen Hälfte wird es demnächst ebenso er­gehen. Aber dem russischen Despotismus genügt dies Alles nicht. Der liberalfte und zugleich infamste russische Minister, Loris Melitow, hat am 15. Dezember 1880 neue Instruktionen für die politischen Katorga­Sträflinge herausgegeben, wonach die Klassen der in Prüfung Be findlichen und der Gebesserten aufgehoben werden. So wurden die nach Ablauf ihrer Strafzeit zur Ansiedelung Entlassenen Uspensky ( aus dem Prozeß Netschajeff), Tscharuschin( aus dem Prozeß der 193) und Andere abermals ins Gefängniß gesperrt. Einige davon ver­mochten dies nicht zu überleben: Semnowsky erschoß sich, Rodin vergiftete sich mit Phosphor.

Außerdem milffen sämmtliche Katorgafträflinge beständig die Ketten tragen, nicht nur bei den Arbeiten, sondern auch in den Zellen. Die Korrespondenz mit den Verwandten ist verboten. Diese Verordnungen waren derart unmenschlich, daß der Verwalter der Bergwerke, O ft ant­tonowitsch, sich weigerte, sie in Ausführung zu bringen, und aus dem Dienste ausschied. Die Sträflinge wollten diesen Instruktionen keinen Glauben schenken, da zur selben Zeit alle Blätter das Lob Loris- Melifow's