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Buttkamer, Madai in den Kram, ça suffit( das reichte hin) fie wurde vom Reichsgericht bestätigt.
Sechs Jahre Zuchthaus wegen eines nicht einmal festgestellten politischen Vergehens! Hallunken, Euer Maaß ist voll!
Wie man aus der Noth eine Tugend macht? Es heißt, der Generalstaatsanwalt von Schwarze habe sein Reichstagsmandat niedergelegt, oder wolle es niederlegen- weil er in Sachen des Tabakmonopols nicht für die Regierung stimmen könne, und nicht gegen sie stimmen wolle. Die Züchter dieser Ente trauen dem Herrn Staatsanwalt viel zu viel Ehrgefühl zu. Ueber derartige Gewissenskrupel ist Herr von Schwarze erhaben. Wahr ist nur, daß der Herr Generalftaatsanwalt, als der Protest gegen seine Wahl einlief, in der Wahlprüfungskommission die Erklärung abgab, falls die in dem Protest enthaltenen Thatsachen so substantiirt würden, daß eine Untersuchung Seitens des Reichstags angeordnet werden müsse, werde er sein Mandat freiwillig niederlegen. Nun substantiirt werden die Behauptungen des Wahlproteftes werden, und zwar so gründlich, daß das Schwarze'sche Mandat, falls er es nicht vorher, um der Blamage zu entgehen, selbst niederlegt, vom Reichstag kassirt werden muß. Also freis williges" Niederlegen ist nicht"!
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Audiatur et altera pars! Es geht uns von einem hervorragenden Mitgliede der Tischler- Krankenkasse ein längeres Schreiben zu, in welchem unſere in Nr. 10 enthaltene Notiz:„ Dummheit oder Injamie"( dieselbe betras das Zirkular der genannten Kaffe gegen die Macher des„ Rebell") als durchaus unberechtigt erklärt wird. Es läge hier thatsächlich ein infames Bubenstück vor, gegen welches der Vorstand energisch habe einschreiten müssen.
Es sei Thatsache, daß die betr. Plakate mit dem„ Rebell" in Stettin auf die Poft gegeben worden jeien und gleichzeitig eine Liste der Adreſſaten jämmtlich Angestellte der Tischlerkrankentasse der Polizei in die Hände geliefert wurde. Alle Haussuchungen, den ,, Rebell" betreffend, sind bei Angestellten und Mitgliedern dieser Kasse vorgenommen worden, so daß es auf der Hand lag, daß
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„ eine Persönlichkeit, welche aus dem früheren Tischlerbund her wohlbekannt ist jezt aber eine gefallene Größe! aus Rache( weil der Betreffende aus der Kasse ausgeschlossen wor den ist) diese Infamie begangen hat."
Das Benehmen der Polizei, welcher das stete Anwachsen der Tischlertaffe ein Dorn im Auge sei, habe gezeigt, wie willkommen ihr diese Angelegenheit sei, und durch das Zirkulär habe ihr der Vorstand den Spaß gründlich verdorben. Das habe namentlich Engel in Altona durch sein Benehmen deutlich zu erkennen gegeben.
Wie die Sache mit dem„ Rebell" nun auch liege, ob direkte Polizeimache oder ein gemeiner Racheaft, so habe man Recht, zu wünschen, daß solche Schurken entdeckt und gebührend bestraft würden. Man solle nur bedenken, daß die Kasse über 2000 Mitglieder habe, welche, falls dieselbe aufgelöst wird, ihres Alters wegen in keiner anderen Hilfskasse mehr Unterkommen finden. Sei Infamie, von sicherem Versteck aus einen solchen Schlag gegen eine Organisation zu führen, die sich nicht wehren könne?!
n solchen es nicht bodenloſe
Was dann ferner die Aufforderung betrifft, solche Zusendungen stets so sort der Polizei zu überliefern, so legt der Einsender Protest dagegen ein, daß diese den Sinn habe, welchen die Redaktion herauslese. Auch die Mitglieder haben das Zirkulär so aufgefaßt, wie der Vorstand es gemeint habe; dafür stehen Beweise zur Verfügung. Jedenfalls habe die Redaktion tein Recht gehabt, die Sache so gehässig abzuurtheilen. Es habe sich darum gehandelt, eine über 7000 Mitglieder zählende Arbeiterorganisation zu schützen, und wenn auch die Form vielleicht eine ungeschickte gewesen sei, so müsse man berücksichtigen, in welcher Situation sich der Vorstand befunden habe, als er das Zirkulär erließ.
Das der Sinn der Einsendung, deren wörtlicher Abdruck nicht verlangt wurde. Wir haben darauf furz zu erwidern:
1) War es ein Mitglied der Kasse, welches uns das Zirkulär zusandte, und zwar unter Bezeugung lebhaften Unwillens über den Inhalt desselben.
2) Wird der Einsender uns zugestehen, daß man das Zirkulär seinem Wortlaute nach so auffassen kann, wie wir es gethan. Und das genügt, um seinen Wortlaut zu verurtheilen. Es wäre nach unserer Ansicht unschwer gewesen, das Zirkulär so abzufaffen, daß kein Beamter der Kaffe in Zweifel sein konnte, gegen was für Sendungen es gerichtet ist. Wenn die Verfasser desselben das nachträglich einsehen, so nehmen wir unsere Vorwürfe gern zurück.
3) Mit dem Einsender verurtheilen wir das Vorgehen der„ Rebell"- Macher auf's Schärfste, mit denen wir übrigens gelegentlich noch ein kräftig Wörtlein reden werden. Mit ihm halten wir es für Pflicht des Vorstandes, Alles zu thun, um einer Auflösung der Kasse vorzubeugen, und mit ihm sind wir schließlich der Ansicht, daß derartige Organi sationen mit dem politischen Kampfe des Proletariats nichts zu thun haben, sondern lediglich den Zweck verfolgen, den Arbeitern in der heutigen Gesellschaft Schutz vor Berlumpung und Verelendung zu gewähren.
jangen. Allein die Wirklichkeit war für sie belehrender als die ZeitungsArtikel.
Bis jetzt war die Rede von Solchen, die auf Grund gerichtlicher Urtheile bestraft wurden. Betrachten wir jetzt die Lage Derjenigen, bei denen die Regierung es nicht einmal wagte, sie vor das Tribunal ihrer Henkersknechte zu stellen, die gewohnt sind, das Blut unserer Brüder zu vergießen. Die Regierung stahl sie einfach bei Nacht aus ihren Fa milien im Geheimen, hielt sie, solange es ihr einfiel, in Haft, verhöhnte fie, zog ihnen Sträflingskleider an, drohte ihnen mit Ketten und führte sie endlich, ohne vorher zu sagen, wohin und warum, Tausende von Werft ( ungefähr 7 auf eine deutsche Meile) fort und warf sie ohne alle Eristenzmittel in die Ostiafischen und Samojedischen Dörfer, in ewige tödtliche Dede. Was diese schuldlosen Verbrecher zu ertragen haben, wird der Leser aus einer Schilderung ihrer Reise erfahren.
Der Ausgangspunkt für die Verbannten ist Nischni- Nowgorod. Hier werden die Verbannten auf ein Schiff gesetzt, dessen Verdeck von einem Dache bedeckt und mit einem dicht geflochtenen Netze aus starkem Draht bedeckt ist. Die Hälfte des Schiffes wird von gemeinen Verbrechern mit ihren Familien eingenommen. Hier ist das Reich des Todes. Diphtheritis, Typhus , Masern, Scharlach räumen fürchterlich unter Erwachsenen und Kindern, besonders unter den letzteren auf. Die enge Krankenabtheilung, an deren Spitze ein unwissender Feldscheer steht, ist immer überfüllt. Auf diese Weise geht es bis nach Tomst, mit einer fleinen Unterbrechung, beſtehend in einer Reise per Wagen und auf der Bahn von Perm nach Tjumen . Die ganze Reise von Nischni- Nowgorod nach Tomsk dauert 22-26 Tage. Von Tiumen nach Tomst ist die Reise sogar für die Passagiere erster Klasse, die mit Dampfer fahren, besonders beschwerlich. Von Tomsk ab beginnt die eigentliche Etappe per Fuhrwert, im Vergleich mit der die Reise auf dem Schiffe beneidenswerth ist. Die Arreftanten werden zu 3 in einen Wagen gethan mit einem Begleitsoldaten, einem Gendarm und dem Kutscher. Die Fuhren werden in Reihe gestellt, und der ganze Zug wird von einer Eskorte Soldaten, bewaffnet mit Säbel, Revolver und Bajonetten, begleitet. Dem Zuge folgt der Offizier im Wagen. Beim Abfahren kommandirt derselbe:„ Gewehre laden! Versucht Jemand zu fliehen, schießen! Wer todtschießt, bekommt 5 Rubel Belohnung!"
So setzt sich der Zug in Bewegung, unter Schnee und Regen; die feuchte Kälte wird unausstehlich; man muß alles Anziehbare umhüllen, um nicht zu erfrieren. Die Wägen schütteln fürchterlich, die Wege sind schrecklich vernachlässigt, und die Reise greift so an, daß oft bei den Reisenden Ohnmacht und hysterische Anfälle vorkommen. Endlich kommt man an eine Hütte, das ist die Etappenstation. Hier hofft man auszuruhen, sich trocknen und etwas erwärmen zu fönnen. Aber die Wirklichkeit vernichtet alle schönen Jülusionen; die Stationen sind eng, so daß
So wenig solche Organisationen an sich den heutigen Staat umstürzen, so wenig sind sie andererseits der revolutionären Entwickelung im Wege, und es ist nichts abgeschmackter und blödsinniger als der Wahn, man brauche nur alle Arbeiterorganisationen zu zerstören, und der Tag der großen Revolution sei da.
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Unsere jüngst in Posen verurtheilten polnischen Genossen werden von der deutschen Verwaltung mit derselben Niedertracht behandelt wie von der Justiz". Während die Genossen Janiszewski und Truszkowski, welche bekanntlich die Revision ihres Prozesses bei dem Reichsgericht beantragt haben, bis jetzt ihre Bücher behalten haben, ist den übrigen Verurtheilten das Lesen absolut verboten worden! Wenigstens ist dies bei Mendelsohn der Fall, und wenn man einen Schriftsteller so behandelt, so wird man mit den anderen Genossen wohl kaum anders verfahren. Um Mendelsohn jede geistige Beschäftigung, selbst das Schreiben auf einige leere Briefblätter unmöglich zu machen, hat man ihm die Lampe ganz entzogen und gibt ihm nur unter der Bedingung Licht, daß er Strohmatten flechtet!
Die Genossin Maria Jankowska hat ihre Strafe bereits verbüßt, wurde aber nach deren Beendigung keineswegs freigelassen, sondern vielmehr nach dem Polizeigefängniß überbracht, um von dort an die russische Regierung ausgeliefert zu werden! Ja wohl, Herr v. Puttkamer hatte bereits den Befehl ertheilt, die Genoffin nach Alexandrowo zu bringen, und es ist nur einer stark vorgeschrittenen Brustkrankheit( Jankowska bekam im Gefängniß das Blutspucken) zu verdanken, daß die menschenfreundliche Absicht des Schwagers Bismarc's nicht zur Ausführung kam und die Genossin unter polizeilicher Begleitung an die belgische Grenze reisen durfte.
Ueber die Gerichtsverhandlung selbst erfahren wir von einem Augenzeugen noch eine unsere Rechtspflege besonders kennzeichnende Thatsache. Die ganz unerhörte Verurtheilung Janizewski's und Trusztowski's auf Grund des§ 128 erfolgte trotz der vollkommen entlaftenden Aussage sämmtlicher Zeugen und auf die einzige Aussage des Polizeiinspektors Glasemann, welcher erklärte, beim Anhören des Namens Sofie( in einem Gespräch) den„ Eindruck gewonnen zu haben, als ob mit diesem Namen nicht eine Person, sondern eine Geheimorganisation bezeichnet worden sei." Und die edlen ,, Richter" nahmen den polizeilichen Eindruck" trotz der zeugeneidlichen Aussage aller Betheiligten als gerichtlich festgestelte Thatsache"! Wozu man bei solchem, in der deutschen Richterschaft sich immer mehr einbürgeruden ,, Beweisverfahren" noch eigene Richter braucht und das Verdonnern nicht lieber gleich der doch den Ausschlag gebenden Polizei überläßt, iſt nicht recht erfindlich. Es könnte nur zur erwünschten Klärung beitragen, wenn dem Wesen auch die äußere Form entspräche.
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Jedenfalls find Polizei und Richter einander vollkommen ebenbürtig und muß ihnen daher auch mit dem gleichen Maße ausgemessen werden. Oder sollte vielleicht die sanftlebige Objektivität" auch da mit entschuldigenden Erklärungen bei der Hand sein?
Aus Sachsen . Die Nachricht, daß Bebel im Reichstags- Wahlfreis Großenhain - Meißen ( Sachsen ) für die durch das Avancement des bisherigen Abgeordneten Richter( Konservativer) nothwendig gewordene Neuwahl von der sozialdemokratischen Partei als Kandidat aufgestellt worden sei, entbehrt jeder Begründung, und ist von Gegnern, die unsere Parteiverhältnisse nach den ihrigen beurtheilen, erfunden worden.
Der Kandidat der Sozialdemokraten ist selbstverständlich auch diesmal wieder unser braver Genoffe Geyer, der gegenwärtig im Zwickauer Gefängniß die ihm wegen seines legten Wahlflugblattes von servilen Richtern zuerkannte Strafe von neun Monaten ,, verbüßt". Unsere Gegner scheinen sich einzubilden, Bebel sei ein Mandatsjäger wie die Oppenheim, Wagner und Konsorten.
Gegen Bebel ist hintennach noch ein neuer Prozeß angestrengt worden, und zwar auf Grund eines Flugblattes gelegentlich der letzten Wahl in Dresden . Es ist dies dasselbe von ihm mit Namen unterzeichnete
Flugblatt, von welchem in Folge der Unvorsichtigkeit eines Genossen und der Gemeinheit eines servilen denunziationswüthigen Spießbürgers die ganze Auflage in die Hände der Polizei fiel( beiläufig der einzige ,, Erfolg", welchen der scharfsinnige" und strebsame Paul während der Wahlpolizeitampagne gegen uns aufzuweisen hat). Daß ein Flugblatt, welches vor der Veröffentlichung vollständig abgefangen worden ist, so daß kein einziges Bublitum gelangen tonnte, auf Grund von Strafgelegworden
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paragraphen verfolgt werden kann, welche die Oeffentlichkeit des Vergehens vorausseßen, das ist an sich schon merkwürdig und gehört in die Reihe der juristischen Ungeheuerlichkeiten, die im Reiche der Gottesfurcht und frommen Sitte charakteristischerweise an der Tagesordnung sind. Merkwürdig ist ferner, daß das Anklageverfahren seitens der Staatsanwaltschaft erst am 11. März d. I., das heißt volle fünf Monate nach Abfassung des inkriminirten Flugblattes erhoben worden ist, was zweite juristische Ungeheuerlichkeit dem Gesetz über die Verjährung schnurtracks zuwiderläuft.
Merkwürdig ist endlich und zwar das Werkwürdigste von Allem die Wahl der Strafgeseßparagraphen, auf Grund deren es der Staatsanwaltschaft beliebt hat, die Anflage zu erheben. Bebel ist nemlich nicht
die Meisten sitzen bleiben müssen und man nur abwechselnd schlafen kann. Auf den Schlafbänken ist jahrealter Schmutz, und an den Wänden und in den Spalten befinden sich eine schreckliche Menge von Parasiten, die keinen Augenblick Ruhe gestatten. Der eiserne Ofen, roth glühend angeheizt, trocknet die Luft derart aus, daß das Athmen erschwert wird und bei Vielen sich die Augenlider entzünden. Aber sofort wie die Heizung aufhört, beginnt eine Mark und Bein durchdringende Kälte, vor der nicht einmal der wärmste Pelz schützt. Die gesperrte, verpestete Luft, voll der Ausdünstungen der eng zusammengepferchten Reisenden sammt Begleitung, sowie der zum Trocknen ausgehängten Kleidungsstücke, das Halbdunkel einer Unschlittkerze, die blassen, müden Gesichter der jungen Verbannten - welch ein trauriges Bild! Wer vor Ermüdung nicht mehr stehen fann, um seine Reihe beim Trocknen der Kleider abzuwarten, der legt sich hin, um die Kleider durch die eigene Körperwärme abzutrocknen. Und am nächsten Morgen dieselben Fuhren, dieselben theilnahmslosen Gefichter der Gendarmen.
So geht es wochenlang. Manche werden irrsinnig vor solchen Schrecken; so erging es z. B. der Frau des Doktor Beloi, die ihrem Manne in die Verbannung gefolgt ist. Alle diese Leiden werden noch erhöht durch die mangelhafte, schlechte und theure Nahrung, denn je weiter man in Sibirien vordringt, desto theurer und seltener werden die gewöhnlichsten Nahrungsmittel. So ist es denn nicht zu verwundern, wenn die Verbannten unterwegs frank werden; aber die Behörden wollen die Kranken nicht zurücklassen, denn sie haben ein Interesse, dieselben lebend oder todt sobald als möglich nach ihrem Bestimmungsorte zu Zugmannschaft, um die Behörden zum Zurücklaffen der Kranken zu zwinbringen. Es bedarf manchmal des energischesten Einschreitens der ganzen gen. Die Etappenstationen werden von Gefängnissen, die sich in den größeren Städten befinden, unterbrochen. Hier beginnen wieder andere Scherereien und Quälereien. Man läßt die ermüdeten, erschöpften Durchreisenden ruhig auf dem Gefängnißhofe warten; dann beginnen die zudringlichsten Untersuchungen der Kleider am Leibe.
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Alles wird entzogen, was irgendwie das Leben weniger öde und gehaltlos machen könnte: Hier ist Sibirien : Wir haben das Recht, Sie wie die übrigen Arrestanten zu behandeln!" ist die Antwort auf jede Reklamation. Die Einrichtung der Gefängnisse und deren Zustand spotten aller Beschreibung. Es ist daher natürlich, wenn unter solchen Umständen die Verbannten vom Flecktyphus befallen werden, was auch mit dem verbanuten Militärveterinär Sokownin aus Odessa geschehen ist.
Dies sind die Bedrohungen, die eine manchmal siebenmonatliche Reise begleiten. Hierzu füge man noch die Bitterkeit des unbedingten Gehorsams gegenüber den brutalen gewissenlosen Behörden, alle jene kleinlichen Unannehmlichkeiten, sinnlosen Budringlichkeiten und Erniedrigungen, und
des Verstoßes gegen den famosen§ 131 beschuldigt, sondern der Majestäts- und Bundesrathsbeleid gung, welcher beiden entseglichen Verbrechen er sich dadurch schuldig gemacht haben soll, daß er das Sozia liftengeses gebührendermaßen als ein infames Gefeß gebrandmarkt hat. Es geschieht dies nach der neulich von uns gekennzeichneten Schablone: ,, Jedes Gesetz ist vom Kaiser erlassen, und vom Bundesrath sanktionirt, ergo greift, wer ein Gesetz angreift, den Kaiser und Bundesrath an." Das Anklagerevier läßt sich, wie wir seiner Beit zeigten, noch viel weiter ausdehnen und es könnte nach dieser Musterlogik zum Beispiel auch jedes einzelne Bundesrathsmitglied, sowie jeder einzelne Reichstagsabgeordnete ( der Reichstag als Ganzes hat freiwillig auf das Antlagerecht verzichtet) eine Klage anstrengen, von dem an Verfolgungswahn und der Anklagemanie leidenden Eisernen " gar nicht zu reden.
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Die Verwirrung, welche in den Köpfen unserer Herren Juristen, speziell der Herren Richter durch die herrschende Rechtsanarchie hervorgerufen worden ist, bekundet sich drastisch durch die Thatsache, daß gegen jedes der Bebel'schen und Liebknecht 'schen Wahlflugblätter, obgleich die Anklage sich bei allen wesentlich auf dieselben Punkte richtet, eine verschiedene Anklage formulirt worden ist; und daß die Dresdner Staatsanwaltschaft im nämlichen Momente, wo das Leipziger Landgericht die Anklage auf Majestätsbeleidigung gegen Bebel für unzulässig erklärt hat, ganz genau wegen der gleichen Aeußerung die Majestätsbeleidigungs- Anklage gegen Bebel erhebt. Und da wundert man sich über die ,, Verschiebung der Rechtsbegriffe im Volke". Die Herren Juristen und Richter sind die Ersten, bei denen die Rechtsbegriffe verschoben" find, ja denen der Begriff von Recht und Unrecht total abbanden gekommen ist. Und tomische Selbsttäuschung und Selbstüberhebung! die nämlichen Herren Richter beanspruchen für sich die Eigenschaft der Infehlbarkeit: sie widersetzen sich mit wahrem Fanatismus der Vorlage eines Gesetzes, welches auf Entschädigung unschuldig Verurtheilter abzielt. Dadurch würde, so argumentiren die Herren Unfehlbaren, der Glaube an die Rechtsprechung erschüttert, und die Fehlbarkeit der Richter gesetzlich proklamirt werden!
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Als ob der Glaube an die Rechtsprechung nicht durch die Thätig. keit der Herren Richter schon so erschüttert worden wäre, daß er längst umgestürzt ist! Und als ob unser Volk von der Fehlbarkeit unserer Herren Richter erst noch überzeugt zu werden brauchte! Bon anderer Seite wird uns über den Prozeß gegen Bebel noch geschrieben:
In ganz Dresden besteht kein 3weifel, daß dieser so spät angestrengte Prozeß ein gemeiner Racheatt des sächsischen Justizministers von Abeken, gegen Bebel ist, hervorgerufen in Folge der Angriffe, die Bebel im sächsischen Landtage auf die Handhabung der Justizpflege von Dresden machte. Von Abeten gilt bei Allen, die ihn kennen, als ein gemeiner rachsüchtiger Charakter, als ein Mensch, der eifrig darauf bedacht ist, die Justiz zur dienenden Magd der Regie. rung zu degradiren, was ihm bei einem Theil der Dresdner Richterschaft denn auch im vollsten Maße gelungen ist. Wie weit die Dresdener Richter im vorliegenden Prozeß den gemeinen Motiven des Herrn von Abeten entgegenkommen werden, wird die Erfahrung lehren."
Wir werden den Herren auf die Finger sehen.
Neben Bebel ist auch Parteigenosse Carl Münch in 3ittau, der das Flugblatt nach Dresden gesandt hatte, unter Anklage gestellt worden.
Einen Jammerschrei, daß es einen Stein erweichen könnte, stößt Märchen Hirsch aus, dem es selbst unter dem Schutze des Sozia listengesetzes nicht hat gelingen wollen, die deutschen , speziell die Berliner Arbeiter für seinen lendenlahmen Gewerkverein zu gewinnen. Die Arbeiter haben es vorgezogen, sich in selbständigen Lokalvereinen zu organi siren, und sich weder von den Stöcker'schen Agenten für den Bismarck'schen Reformschwindel, noch von Hirsch's Adjutanten für den Manchesterhumbug kapern lassen. Sie gehen aber ihren eigenen Weg, und haben es verstanden, ihren Vereinen Bedeutung in der Deffentlichkeit zu verschaffen, dies der Grund von Marchen's Nothschrei. fann es nicht ertragen, daß trop fortgesetter frampshafter Reklame Jedermann seine Schöpfungen für das nimmt, was sie in Wahrheit sind, für todtgeborene Kinder.
Da haben die unabhängigen Fachvereine Berlin's jüngst, um Bismarck's Arbeiterfreundlichkeit auf die Probe zu stellen, beschlossen, eine Petition um Einführung des Normalarbeitstags 2c. zu verfassen. Uneinig ist man nur darüber, ob man die Petition an Bismarck oder an den Reichstag senden solle. Die radikaleren Elemente wollen sich nämlich auch nicht einmal den Anschein geben, als erhofften sie Etwas wirklich Gutes von Bismard.
Schleunigst war nun auch unser Mar auf dem Plan und hielt eine " große" Versammlung sämmtlicher Ortsvereinsmitglieder Berlins ab, in der auch richtig einige Dußend gläubige Schafe anwesend waren und mit ihrem Leithammel den Arbeitern riethen, doch ja auf den Normalarbeitstag zu verzichten; eine zu hohe Arbeitszeit sei ja in der That höchst unmoralisch und ungerecht, aber die Festsetzung der Arbeitszeit müsse der freien Vereinbarung zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber überlassen bleiben, also Einigungsämter, Schiedsgerichte u. s. w.
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Und auf diesen längst verfaulten Köder sollen die klassenbewußten Berliner Arbeiter anbeißen. Man weiß wirklich nicht, was hier größer
man wird begreifen, wie viel Erbitterung und Abscheu sich bei den Ver bannten gegen diese unmenschlichen Tyrannen anhäuft. Nur die beständige und feste Einmüthigkeit rettet die politischen Verbannten vor noch größerer Pein, die ihnen zuzufügen die kleinen sibirischen Tyrannen nur allzusehr geneigt sind. Auflehnungen und Aufstände kommen oft vor und die wilden Kerkermeister müssen oft der kollektiven Energie der politischen Gefangenen, die stets zusammenhalten, nachgeben.
Und doch ist alles Beschriebene noch nichts gegen Dasjenige, was sich in den allerentferntesten Winkeln Sibiriens Olekminst, Jakutsk , Werchojanst, Nischnetolimskabspielt. Aus der Jakutischen Gegend berichten die Berbannten:
Wir leben im Dunkeln( wörtlich!) und haben nur 1-2 Stunden Gelegenheit, bei Licht lesen zu können. Mehr Licht zu kaufen, haben wir nicht die Mittel; Brod haben wir keines, sondern ernähren uns von Fischen; Fleisch zu erhalten, ist unmöglich..."
Etwas besser ist die Lage der Verbannten in den Städten, obschon auch da chronisch gehungert wird, auch da der Mangel an Büchern und Zeitungen das Leben unerträglich macht. Briefe brauchen manchmal 10 Monate Zeit, da gar keine regelmäßige Postverbindung existirt. Ein anderer Verbannter schreibt:
" Ich danke Euch, Freunde, für die zugesandten Zeitungen, aber leider kann ich sie nicht lesen, da ich kein Geld habe, um mir Licht anzuschaffen. Mein Storbut wird immer schlimmer, und ich sehne mich schon nach der Erlösung von dieser qualvollen Existenz nach dem Tode."
Man soll nur nicht glauben, daß die angeführten Thatsachen sich auf einzelne Personen beziehen. Nein, überall findet man dieselbe Lage, denselben Mangel an Nahrung, dieselbe Kälte und Dede. In dem Bezirke Jakutsk leben solchermaßen 70 administrativ Verbannte; in Olekminst 7, in Jakutsk 10, in Werchojansk und Kolimsk 9; in den Dörfern( Ulusen) des Bezirkes Werchojansk 3. Aber es scheint, daß auch dieses Leben der russischen Regierurg nicht martervoll genug vorkommt, da jetzt hinter dem Polarkreis, in Nischne- Kolimst, wo ewige Nacht herrscht, ein Zentralgefängniß für die politischen Verbannten gebaut wird. Dorthin soll der edle Märtyrer Nikolaus Tschernischewsky, jetzt ein erschöpfter Greis, abgeführt worden sein, und wahrscheinlich wird er auch da endlich von seinem Martyrium erlöst werden.
Die Fluchtversuche sind natürlich höchst gefährlich und gelingen selten, obgleich sie häufig vorkommen. In letzter Zeit gelang es 5 Verbannten, zu entfliehen, darunter der bekannten Sophia Bardina.