so naiv abgefaßt war, daß man weniger an einen Schurken, als an einen Schwabenstreich des eifrigen Oberamtmanns denken möchte. An sich hat diese Beeinflussung nicht zu viel auf sich; die Schult­ heißen sind von den Gemeinden gewählte Beamte, ihr Einfluß ist kein allzugroßer, im Allgemeinen nur ein moralischer", und ein Fall von unberechtigter Wahlbeeinflussung liegt auch gar nicht vor. Trotzdem hat, wie der Kommissionsberichterstatter, Dr. Dohrn( Liberaler linker Rich­tung), hervorhob( Amtlicher stenogr. Bericht S. 300):

,, auch diese Verlegung der Wahlfreiheit die Kommission be­stimmt, mit allen gegen eine Stimme auf die Ungiltigkeit der Wahl des Abgeordneten Rieckert ihren Antrag zu richten." Und der Reichstag beschloß mit großer Mehrheit, wie die Kommission beantragte. Das war schön und gut betrachten wir nun aber die Be­handlung der Wahl im 12. Breslauer Wahlkreise( Reichenbach­Neurode). Dort handelte es sich wesentlich um 3 Kandidaten ultramontan, konservativ und sozialdemokratisch. Die ersten Beiden tamen in Stichwahl, weil der Konservative 34 Stimmen mehr als der Sozial­demokrat( Genosse Kühn in Langenbielau ) erhalten hatte.

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Es liegen aber folgende konstatirte Wahlbeeinflussungen vor: Auf mehreren Domänen ist den Arbeitern von den Vorstehern direkt gedroht worden, daß, wenn sie nicht für den konservativen Kandidaten Dierig stimmten, sie außer Brod gejagt würden. Auf einem Dominium ist der Inspektor Erfurt mit 10 Knechten bis vor das Wahllokal gefahren, hat ihnen die Stimmzettel in die Hand gedrückt, sie bis an die Thüre begleitet und ihnen gesagt: Jhr müßt Dierig wählen. Dasselbe hat der Oberförster von Langenbielau mit 23 Forstarbeitern gemacht, denen er es überhaupt unmöglich machte, sich einen andern Stimmzettel zu verschaffen 2c. Nun war in Langenbielau außerdem von den Konservativen Schwindel mit von außen kenntlichen Stimmzetteln verübt worden, so daß die Wahl­tommission 26 solcher Zettel hatte für ungiltig erklären müssen. Dies und die obigen, konstatirten Wahlbeeinflussungen mußten für jeden billig Denkenden Grund genug sein, die Wahl umzustoßen. Was ist aber hier die Meinung des hohen Hauses?

Hören wir zunächst den Berichterstatter der Kommission, Freiherrn " von Unruhe Bomst ( s. Amtlichen stenogr. Bericht der ersten Session der jetzigen Legislaturperiode S. 955 ff.):

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,, Es ist ausdrücklich in dem Berichte angeführt, daß in dem einen Fall von den Förstern diese Aufforderung in besonders zwingender Weise erfolgt sei, daß man die Leute habe aufmar­schiren lassen und sie demnächst in's Wahllokal geführt habe. Trotzdem hat die Wahlprüfungskommission geglaubt, daraus nicht die Anfechtbarkeit der Wahl herleiten zu dürfen, weil es sich um feine Wahlbeeinflussung von Beamten ge= handelt hat."

( Die Förster waren nämlich nicht königliche, sondern städtische, bezw. im Dienste von Kapitalmagnaten. Anm. d. Red.)

Daß die Konservativen und Nationalliberalen( Prof. Marquardsen) sich begeistert dieser Auffassung anschlossen, war von dieser Gesellschaft zu erwarten. Dagegen dürfte das Verhalten der für die Freiheit" der Wahl schwärmenden Ultramontanen gar Manchem unserer Leser unerwartet sein.

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Windthorst, die kleine Exzellenz, ist schnell bei der Hand, konstatirt, daß es sich hier um das Kapitel der Einwirkung von Privaten" handelt, daß Private in einer Art einwirken können, die nicht zu billigen ist", und fährt dann fort: Indessen möchte ich doch wissen, wo man die Grenze bei Privaten zu ziehen im Stande wäre, und ich meine deshalb, daß der Reichstag wohlgethan hat, in solchen Fällen, wie sie hier in Frage find, die Frage nicht auf die Spitze zu stellen."

Also Giltigkeitserklärung und Fortsetzung der Wahlschweinereien, weil Herr Windthorst die Grenze bei Privaten nicht finden kann. Welch' schöner Grundsatz für einen Doktor juris!

Aber auch der Dr. Lieber, der Führer der linken Fraktion der Ultramontanen , bläst in dasselbe Horn:

" Ich möchte also bitten, daß wir uns auch in diesem ver­hältnißmäßig nicht sehr flagranten Falle an das alte Her­kommen des hohen Hauses hielten, daß wir, ein Jeder so energisch wie möglich, den verabscheuungswerthen Mißbrauch des Vermögens und des ganzen Einflusses, den es gibt, zur Vergewaltigung der Wahlfreiheit von gesellschaftlich und wirthschaftlich Abhängigen rügen, tadeln, verurtheilen, daß wir aber nicht weitergehen, son­dern den sichern Unterschied festhalten zwischen der privaten und der amtlichen Wahlbeeinflussung."

Und trotz der energischen Proteste unserer Genossen Kräcker und Kayser schließt sich das hohe" Haus dieser Anschauung an: der Grund­herr, der Schlottjunker, die ganze kapitalistische Sippschaft darf auf den Proletarier den infamsten Druck ausüben, das macht nichts denn um das Rügen, Tadeln, Verurtheilen" des Dr. Lieber scheert sie sich ihr

Feuilleton.

Die Doktrin der Babouviften.

Eine Antwort auf den Schimpfartikel der Norddeutschen Allgemeinen" gegen aufern Genoffen Vollmar.

Motto:

" Die zweite Richtung, der materielle Kommunismus, und dieser muß Herr v. Vollmar angehören, da er Atheist ist, entbehrt jeder prinzipiellen Begründung, und ihre Anhänger haben es nie versucht, Staat und Gesellschaft nach Grundsätzen zu regeln. Der ganze Inhalt des materiellen Kommunismus ist Vernichtung alles Bestehenden.

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,, Wie eine solche Lehre sich hat herausbilden können, ist nicht schwer verständlich. Sie ist erfunden von Denjenigen, welche genießen wollen, ohne zu arbeiten. Die Babouvisten so nennt man die Anhänger des materiellen Kommunismus in Frankreich suchen die für jedes geordnete Zusammenleben unumgäng­lich nothwendigen Juftitutionen de fond en comble" zu zerstören, weil sie hoffen, in einem ordnungslosen Zustand mühelos ihre Genußsucht befrie­digen zu können. Die Apostel der Lehre- und das ist für dieselbe charakteristisch haben ihre Anhänger stets in den Pariser Wirthshäusern gesucht, in denen die Unzufriedenen sich Rendez vous gaben.

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Herr v. Vollmar hat, wie aus seiner Lebensbeschrei­bung ersichtlich ist, sich in verschiedenen Berufsarten ver­sucht, aber in feiner reuissirt.

" Die Doktrin der Babouvisten, die nicht in der Schwäche thres eigenen Könnens und Wollens, sondern in den sozialen Verhältnissen den Grund alles menschlichen Elends suchen, mußten einen solchen Mann sympathisch berühren." Nr. 261 der Nordd. Allg. 3tg." v. 8. Juni 1882.

Es war im Jahre 1796, der französische Nationalfonvent hatte sich nach Ausmerzung der letzten revolutionären Elemente aufgelöst, das Direktorium herrschte über Frankreich , die Errungenschaften der großen Revolution wurden dem Volle eine nach den andern wieder entrissen, die Bourgeoisie warf sich zur Alleinherrscherin auf, als Francois Gracchus Babeuf, mit einer Anzahl gleichgesinnter Freunde, die, wie er, das Wohl des Volkes nicht in einem Wechsel seiner Beherrscher, noch in äußerlichen Umgestaltungen suchten, einen letzten Versuch machten, die revolutionäre Verfassung von 1793 die eigentlich nie in Kraft gewesen war mit Gewalt einzuführen und mit ihr eine Neuorgani­firung der Gesellschaft auf der Basis der Gleichheit. Die Ver­schwörung der Gleichen", wie sie genannt wird, wurde. turz, bevor sie ihren wohlvorbereiteten Schlag führen wollte, von einem Schurken, Namens Grisel verrathen, Babeuf und seine Freunde wurden ver­haftet und nach längerem Prozeß theils zum Tode( Babeuf und Darthé), theils zu langem Kerter verurtheilt.

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Lebtag nichts wenn nur die Regierung hübsch den Mund hält und UNS nach Belieben schalten und walten läßt! In der That, besser kann man die bürgerlich- kapitalistische Gesellschaft nicht charakterisiren, als es diese ihre Auffassung von der Freiheit der Wahl" thut!

Das richtige Wort dafür hatte unser Genosse Liebknecht Tags darauf bei Besprechung der mittels gleich infamer Schweinereien zu Stande gebrachten Wahl in Ludwigshafen - Speier dem Reichstage ins Geficht geschleudert:

Wenn von der Direktion oder deren Beamten die Arbeiter direkt an die Wahlurne geführt werden, ihnen der Wahlzettel in die Hand gelegt und dann kontrolirt wird, ob sie den richtigen Zettel, d. h. denjenigen, welchen der Direktor ihnen hat geben lassen, auch in die Wahlurne legen, dann besteht das Wahlgeheimniß nicht mehr, dann ist der ganze Wahlakt eine erbärmliche Farce.( Rufe: Oho!) Sie rufen: Oho! ich aber sage Ihnen, so darf man nicht freie Männer behandeln, freie Männer dürfen nicht wie eine Heerde Schafe an die Wahlurne geführt werden. Oder gibt es eine Wahl ohne Freiheit der Wahl?" Nun, der Reichstag erklärte auch die Wahl in Ludwigshafen - Speier für gültig, d. h. er erkannte an, daß der Arbeiter keinen Anspruch auf freie Ausübung seines Wahlrechts gegenüber dem Kapitalisten hat.

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Und trotzdem betheiligt Ihr Euch an dem Wahlhumbug? hören wir hier irgend einen Anarchisten rufen. Jawohl, wir thun es, weil wir kein besseres Mittel kennen, auf die große Masse des Volkes einzuwirken, weil wir kein besseres Mittel haben, um dem Arbeiter die Nothwendig­keit seiner sozialen und politischen Befreiung nachzuweisen, weil wir es für unsere Pflicht halten, jede Gelegenheit, die Schandwirthschaft im Reiche zu geißeln, für die Interessen der Arbeiter gegen die Interessen der Besitzenden einzutreten, nach Kräften auszunußen.

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Wir benutzen das Wahlrecht, ohne uns, oder vielmehr unsere Sache ihm anzuvertrauen, wir treten in den Wahlkampf ein, ohne Verzicht zu leisten auf irgend ein anderes Mittel, unser Ziel- Abschaffung der Ausbeutung und Unterdrückung des Menschen durch den Menschen sobald als möglich zu erreichen. Wir halten das freie und gleiche Wahlrecht hoch, aber was heute in Deutschland dafür ausgegeben wird, ist nur das Zerrbild desselben. Deshalb ist uns auch der auf Grund dieses Zerrbildes gewählte Reichstag nicht die Vertretung des deutschen Volkes, sind uns die von ihm beliebten Gesetze nicht die Aeußerungen des Volkswillens, sondern des Willens der herrschenden Klassen. Und als solche haben sie für uns keinerlei bindende Kraft. Wir fügen uns ihnen nur, soweit wir es milffen.

Nur in einem freien Gemeinwesen, wo es weder politische noch ökono mische Unterdrückung gibt, kann der Volkswille unverfälscht zum Aus­druck kommen: die Freiheit ist nur möglich in der Gleichheit.

Briefe aus dem Reichstage.

Berlin , 9. Juni.

Zoll, Zoll Schmalz, Lebkuchen, Schweinernes u. s. w., das find die weltgeschichtlichen Themata, um welche die Reichstagsdebatten in dieser Woche sich gedreht haben und noch drehen. Weltgeschichtlich kann ja schließlich jedes Thema werden, sogar ein schweinernes", aber das hängt von der Behandlung ab, und der Reichstag ist in seiner Behand­lung auf der Höhe des Themas geblieben.

Die Regierung hatte eine Tariferhöhung für verschiedene Gegenstände vorgeschlagen, und am Dienstag der Reichstag sich das Vergnügen ge­macht, in zweiter Lesung alle Regierungsvorschläge unter schallendem Gelächter von den Augen des grimmig dreinschauenden ,, Eisernen" zu ver­werfen. Und heute gilt's, das Montagsvotum endgiltig zu sanktioniren, oder zu widerrufen. Es herrscht deshalb eine ziemlich aufgeregte Stim­mung, und trotz des gestrigen Feiertags, der die Mehrzahl der Mitglieder aus Berlin hinausgelockt hat, sind die Bänke gut besetzt. Die Majorität ist entschieden, regierungsfeindlich"; und Regierung und Schutzöllner erleiden Niederlage um Niederlage oder sagen wir lieber: Schlappe um Schlappe. Denn es sind doch blos Scharmüßel, die der Schlacht vorausgehen. Die Schlacht beginnt nächsten Montag.

Die Tabat- Kommission ist, nach heftigen Rempeleien mit den Regie­rungskommissären, endlich mit ihrem Bericht fertig geworden, und die entscheidende Debatte über das Monopol kann nun Anfang der nächsten Woche losgehen. Natürlich wird das Monopol mit großer Majorität zurückgewiesen. Mit dieser unabwendbaren Thatsache hat Bismarck sich bereits abgefunden. Was jetzt das eigentliche Kampf objekt bildet, ist die sogenannte Resolution Lingens, die von der Kommission mit überwie­gender Mehrheit adoptirt wurde und derart redigirt ist, daß sie nicht blos gegen eine weitere Erhöhung der Tabaksteuer Verwahrung einlegt,

Wenige Wochen vorher, am 20. Germinal des Jahres IV( 9. April 1796) fand die Bevölkerung von Paris folgendes Plakat in allen Stadttheilen angeschlagen, dessen Abdruck die beste Antwort auf das obige Geschimpf der Norddeutschen" sein dürfte: Analyse der Lehre Babeuf's . Erster Artikel.

226

Die Natur hat allen Menschen ein gleiches Anrecht auf den Genuß aller( zum Leben nothwendigen) Güter verliehen. Beweise.

1) Ursprünglich waren alle Menschen gleichmäßig Besitzer der Güter, welche die allliebende Mutter Natur mit freigebiger Hand ihnen darbot. 2) Was fonnte nun unter den auf der jungfräulichen Erde befind lichen Menschen zu der ungleichen Ausübung dieser Aurechte führen? Etwa natürlicher Unterschied? Aber die Menschen hatten alle dieselben Organe, dieselben Bedürfnisse. Etwa gegenseitige Abhängig­feit? Aber feiner war ja start genug zur Unterdrückung seiner Mit­menschen, welche die geringste Unzufriedenheit auseinander treiben konnte; und der in die Augen springende Vortheil gegenseitiger Hilfsleistung und einträchtigen Zusammengehens zwang alle zur Achtung ihrer natür­lichen Rechte. Etwa Herzenswildheit? Aber das Mitgefühl ist ja die natürliche Folge des menschlichen Zusammenlebens und eine solche Wild­heit könnte ja nur aus der Entfesselung der Leidenschaften entstehen. Etwa angeborene Neigung zur Erniedrigung und Knechtschaft? Aber die künstlich geschaffenen Standesunterschiede werden selbst für die Rohesten zur Quelle schmerzlicher Empfindungen, der Eifersucht und des Hasses. 3) War die Familie diejenige Organisation, auf Grund deren sich die staatlichen Verbindungen bildeten, so war sie zugleich der schlagendste Beweis für das natürliche Menschenrecht. Nur die Gleichheit bildet in der Familie das Pfand elterlicher Zärtlichkeit und kindlichen Glückes. Ist sie durchbrochen, so führen Kummer und Eifersucht in ihr zur Un­ordnung und zu heftigen Auftritten.

4) Bei den ersten gesellschaftlichen Verträgen mußte die strengste Gleichheit zum Prinzip dienen; denn was konnte wohl Menschen, die bis zu diesem Zeitpunkte Feinde aller Unterschiede gewesen waren, ber­anlaffen, sich plötzlich Anderen unterzuordnen und sich ihnen gegenüber Entbehrungen aufzuerlegen?

5) Mit dem Aufgeben dieser Gleichheit treten unter den Menschen auf: Die falschen Glückseligkeitsbegriffe. Die Verirrungen der Leidenschaften. Die Entartung der Gattung. Gewaltthätigkeiten, Unruhen, Kriege. Die Tyrannei und die Unterdrückung.

Die bürgerlichen, politischen und religiösen Einrichtungen, welche auf dieser Ungerechtigkeit beruhen, zerstören zuletzt die staatlichen Organisationen ( Gesellschaften), nachdem sie dieselben lange zerrüttet haben.

Der Anblick von Unterschieden, von Lurus und Genüssen, deren sie selbst entbehrt, war und wird für die große Masse des Volkes stets eine unerschöpfliche Quelle von Seelenqualen und Beunruhigungen sein. Nur einer geringen Minderzahl stoischer Weisen ist es unter solchen Umständen gegeben, den Charakter rein zu bewahren, und die Mäßigung ist eine Tugend, welche der gewöhnliche Mensch nicht mehr hoch schätzt, sobald er ihr einmal untreu geworden. Erfinden sich einige Bürger neue Bedürf­nisse und führen sie bei ihren Erholungen der Menge ungekannte Ver­

sondern auch ihre Spitze gegen die ganze Steuerreformpolitik Bismarcs richtet, oder doch zu richten scheint.

Ich sage scheint. Den Herren ist es nämlich hintennach bange ge­worden, und klerikale, wie Nationalliberale, die für die Resolution gestimmt, behaupten jetzt, dieselbe sei in diesem Punkte nicht so ernstlich gemeint gewesen. Die Worte dürften nicht so buchstäblich genommen werden.

Da müssen wir uns denn auf allerhand Interpretationskunststückchen gefaßt machen.

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Zum Glück ist zu hoffen, daß Bismarck bei der Diskussion zugegen ist, und der Majorität den Rückzug verlegen wird. Geschieht das nicht, dann dürfte allerdings die Debatte im Sande verlaufen ein klägliches Resultat, das übrigens nur von den Bewunderern des Parlamentarismus beklagt werden könnte. Und dazu gehören wir Sozialdemokraten bekannt­lich doch nicht.

Die Fortschrittspartei hat sich große Mühe gegeben, die Stimmen der Sozialdemokraten im Großenhain - Meißener Wahlkreise, wo heute die Stichwahl stattfindet, zu erlangen. Mit welchem Erfolge bleibt abzu­warten. Die Erbitterung über das skandalöse Vorgehen Eugen Richter's ist so groß, daß selbst solche Parteigenossen, die es unter normalen Ver­hältnissen für selbstverständlich gehalten hätten, dem Gegner des Aus­nahmegesetzes ihre Stimme zu geben, ganz stuzzig geworden sind.

Dieser Eugen Richter hat neuerdinge an die Breslauer ,, Morgenzeitung" einen Artikel geschrieben, der von pöbelhaften Verläumdungen unserer Partei förmlich triest und außerdem ein halbes Dutzend der schönsten Denunziatiönchen enthält. Es wäre nicht unmöglich, daß der Herr Eugen wegen dieser Schandleistung im Reichstag selbst interpellirt würde. Die Debatte über die Abschaffung der Ausnahmegesetze würde einen geeigneten Anlaß bieten.

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Freilich, es ist noch keineswegs sicher, ob der betreffende Antrag über­haupt noch zur Verhandlung kommen wird. Er ist allen übrigen Par­teien höchst unbequem, einschließlich Volks- und Fortschrittspartei weil sie Farbe bekennen oder ihre Feigheit und Prinzipienlosigkeit ent­hüllen müssen. Und da wäre es den Herren denn außerordentlich lieb, wenn ein früher Schluß, den sie ohnehin wünschen, sie aus der Ver­legenheit rettete.

Es besteht auch wirklich die Absicht, schon in der zweiten Hälfte der nächsten Woche, unmittelbar nach der Abstimmung über das Monopol und die Resolution Lingens zu schließen.

Die Regierung sträubt sich noch gegen den Plan, würde den abrupten Schluß aber trotzdem nicht ungern sehen, da er ihr einen famosen Vor­wand liefern würde, die oppositionelle Reichstag8majorität, welche die ,, Arbeitergeseze" ihrem Sommervergnügen opfert, an den Pranger der Arbeiterfeindschaft zu stellen.

Vielleicht wird es indeß gelingen, die Berathung des einen der beiden ,, Arbeitergeseze" zu erwirken; nur wird es in diesem Falle, da die Kom­mission mehrere Wochen zu arbeiten hat, einer Vertagung des Reichstages auf etwa einen Monat bedürfen.

Das ist jedoch sehr problematisch, und aller Wahrscheinlichkeit nach werden die Herren Abgeordneten aller Fraktionen und Schattirungen der bösen Arbeiterfrage aus dem Wege und dem lieben Sommervergnügen nachgehen.

Wenn es sich irgend machen läßt, wollen die sozialdemokratischen Ab­geordneten die schamlose Spionage, der sie in der Reichshauptstadt aus­gesetzt sind, zur Sprache bringen und von dem Präsidium oder der Reichsregierung Remedur fordern. Mitunter kann es nichts schaden, wenn man den Teufel bei seiner Großmutter verklagt. Nur darf man nicht auf Hilfe von ihr rechnen.

Sozialpolitische Rundschau.

Zürich , 14. Juni 1882.

- Von der Hochherzigkeit Garibaldi's und seiner Bereitwilligkeit, da einzutreten, wo es galt, Unterdrückte zu befreien, legt folgende, von Louise Michel in der, Bataille" in Erinnerung gebrachte, ursprünglich von Olivier Pain, dem Genossen Rochefort's auf der Flucht von Neukaledonien , erzählte Thatsache ein glänzendes Zeugniß ab.

,, Nachdem wir aus Neukaledonien entschlüpft waren", so erzählte Pain, ,, hatten wir nur einen Gedanken: unsere Genossen den Leiden des Bagno zu entreißen. Kaum in Europa gelandet, suchten wir uns die nöthigen Geldmittel zu einem Handstreich auf Numea zu verschaffen."

,, Einer der Ersten, an die wir uns wendeten, war Garibaldi. Er ant­wortete uns mit seiner gewohnten Hochherzigkeit, daß er uns, im Falle

feinerungen ein, so ist die Einfachheit nicht mehr beliebt, die Glückselig­teit wird nicht mehr in einem thätigen Leben und einem ruhigen Gemüthe die Unterschiede und die Wollust werden als das höchste gefunden, Gut betrachtet, Niemand ist mehr mit seiner Lage zufrieden und Alle jagen vergeblich nach dem Glücke, welchem die Ungleichheit den Eingang zur menschlichen Gesellschaft verschlossen hat.

Je mehr Unterschiede bestehen, desto mehr Unterschiede werden verlangt, desto mehr Eifersucht und Habgier werden erregt. Daher so viele aben­teuerliche Unternehmungen; daher jener so unersättliche und verbreche­rische Durst nach Gold und Macht; daher aller Haß, alle Gewaltthaten, alles Morden; daher jene durch die Eroberungssucht und den Handels­neid erzeugten blutigen Kriege, die der unglücklichen Menschheit keinen Augenblick Ruhe lassen. Im Verfolge dieser Umwälzung in den Ge­danken und Gefühlen wird ein Theil des Menschengeschlechts durch Ver­weichlichung entnervt, ein anderer durch Noth zu Grunde gerichtet und dem Staat ein Geschlecht erzeugt, das ihn nicht einmal mehr vertheidigen kann. Aus dem Festhalten der Herrschenden an den Unterschieden ent­standen Unterdrückungsmaßregeln jeder Art: barbarische Gesezze, aristo­fratische Regierungsformen, religiöse Fabeln, fnechtische Moral, kurz Tyrannei einerseits und Sklaverei andererseits. Trotzdem konnte die Stimme der Natur nicht gänzlich erstickt werden, und wenn sie ertönte, bemächtigte sich bleicher Schrecken der entarteten Kinder; mitunter er­braufte sie so mächtig, daß die Völker aufwachten und die Thränen der Menschheit rächten. Ward die Menschheit auch selten wieder in ihre Rechte eingesetzt, so war doch der endliche Sturz derjenigen Staaten un­vermeidlich, welche die Gesetze der Natur verhöhnten.

Wenn also die Gleichheit der Lebensbedingungen aus der Gleichheit unserer Organe und Bedürfnisse folgt, wenn allgemeines und persönliches Unrecht, wenn der Ruin der Staats- und Gesellschaftsbildungen noth­wendige Folgen aller Verlegungen der Gleichheit sind, so muß diese Gleichheit wohl im Naturrecht begründet sein.

3 weiter Artikel.

Der Zweck der Gesellschaft ist es, diese Gleichheit, die im rohen Natur­zustande oft durch die Starken und Schlechten angegriffen wird, zu ver­theidigen, und durch die thätige Mitwirkung Aller die gemeinsamen Lebensgenüsse zu vermehren.

Beweise.

1) Unter Gesellschaft ist hier die durch Verträge geregelte, organisirte Gesellschaft zu verstehen, und unter rohem Naturzustand der Zustand zufälliger und unvollkommener Verbindung, in welchem sich die Menschen nothwendigerweise befinden, bevor sie sich bestimmten Ge­setzen unterwerfen.

Ohne uns hier auf eine Prüfung darüber einzulassen, ob derartige, in dem Artikel erwähnte Angriffe im Naturzustande stattfinden konnten, ist es doch augenscheinlich, daß, wenn die Uebel dieses Zustandes die Men­schen zur Ausstellung von Gesetzen bestimmten, diese Uebel nur aus der Verlegung der Gleichheit hervorgehen konnten. Wie es aber auch damit sei, die Erhaltung der Gleichheit ist der Zweck der Gesellschaft, weil mur durch sie die gesellschaftlich verbundenen Menschen glücklich sein können. 2) Durch die Vereinigung ihrer Kräfte wollten die Menschen sich jeden­falls möglichst viele Lebensgenüsse mit der möglichst geringen Anstrengung verschaffen. In der That sichert der Ueberfluß der nothwendigen Lebens­bedürfnisse diese Lebensgenüsse, und dieser Ueberfluß selbst wird durch