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Erscheint
wöchentlich einmal
in
Doppelporto.
N: 34.
Donnerstag, 17. August.
Avis an die Abonnenten und Korrespondenten des„ Sozialdemokrat".
Da der Sozialdemokrat" sowohl in Deutschland als auch in Oesterreich verboten ist, bezw. verfolgt wird, und die dortigen Behörden fich alle Mühe geben, unsere Verbindungen nach jenen Ländern möglichst zu erschweren, resp. Briefe von dort an uns and unsere Zeitungs- und sonstigen Sendungen nach dort abzufangen, so ist die äußerste Vorsicht im Postverkehr nothwendig und darf teine Vorsichtsmaßregel versäumt werden, die Briefmarder über den wahren Absender und Empfänger, sowie den Inhalt der Sendungen zu täuschen, und letztere dadurch zu schützen. Haupterfordernig in hiezu einerseits, daß unsere Freunde so selten
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Juferate
Die dreigespaltene Petitzeil 25 Gts. 20 Pfg.
1882.
als möglich an den Sozialdemokrat", resp. dessen Verlag selbst adressiren, sondern sich möglichst an irgend eine unverdächtige Adresse außerhalb Deutschlands und Oesterreichs wenden, welche sich dann mit uns in Verbindung seht; anderseits aber, daß auch uns möglichst unverfängliche Zustellungsadressen mitgetheilt werden. In zweifelhaften Fällen empfiehlt sich behufs größerer Sicherheit Retommandirung. Soviel an ung liegt, werden wir gewiß weder Mühe noch Kosten scheuen, um trotz aller entgegenftehenden Schwierigkeiten den Sozialdemokrat" unsern Abonnenten möglichst regelmäßig zu liefern.
Parteigenoffen! Vergeßt der Verfolgten| Unmöglichkeit. Das Ausnahmegeſet tann nicht bleiben, es
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und Gemaßregelten nicht!
Ein Meineidiger.
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Reich mir die Hand, die einen Meineid schwur; Nicht wahr, Meineid, so nannte es die Welt!? Die chriftlich- fromme, die von jeher nur Das, was ihr paßt, für Recht und Wahrheit hält. Und wär es selbst der allerschlimmste Trug, Sie nennt's Gesetz" und gibt ihm in die Hand Das Richtschwert, das dich unbarmherzig schlug, Weil schuldig dich„ göttliche Sagung" fand. Ha, göttlich"! Tausendmal verfluchtes Wort, Das Menschensatzung preist als Menschenrecht Und wuchernd durch Aeonen fort und fort Im Fortschritt hemmt das menschliche Geschlecht.
Reich mir die Hand, was ist denn dein Vergehn? Du hast einst Treue einem Freund gelobt Und zum Verräther an ihm ausersehn, Hat fie in Wahrheit sich dem Freund erprobt; Ihm, dem sie ja mit ernstem Drud versprach, Die Wehr zu schwingen in dem heil'gen Streit, Der nach jahrtausendlanger schwerer Schmach Ausblicken läßt auf eine beffre Zeit.
Und weil die Hand dem Bruder, den Gewalt, Auch göttlich Recht" genannt, in Banden hielt, Nicht feig entzog, den letzten Rettungshalt, Hat tückisch die Gewalt nach dir gezielt!
Mit„ Meineid" brandmarkt sie die Hand, daß dich Alsbald ihr blöder Chorus Frevler schilt. S'ist ihre Welt, was also fümmert's mich, Dem es als Schandfleck nur für jene gilt? Das Mal hat dir die Hand ja nicht gelähmt Und muthig schwingst du fernerhin die Wehr Zugleich mit uns, die wir, wie du verfehmt, Nur fallen können, weichen nimmermehr. Reich mir die Hand, und schwören wollen wir Bei diesem Ehrenzeichen, das sie schmückt Hör' es, du christlich- fromme Welt, hört's ihr, Die ihr bis jetzt nur gnädig nach uns zückt, Die Waffe des Gesetzes: Wenn einmal Euch offen unser Recht entgegentritt, Bewehrt wie euer Recht" mit blankem Stahl Dann soll, was bisher es durch euch erlitt An euch für alle Zeit gerochen sein: Gewalt und Lift, Unrecht und schnöden Hohn, Der tausendjähr'gen Knechtschaft bittre Bein Bertilgen wir sammt eurer Gözen Thron Das schwören wir euch grimmen Herzens zu. Und glaubt ihr Thoren unserm Eidschwur nicht, Nur um so beffer, gebt euch hin der Ruh,
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Euch trifft, eh' ihr es ahnt, des Volks Gericht!
Aufhebung des Ausnahmegesetzes?
I.
L.
In wenigen Wochen sind es vier Jahre, daß das vielberufene " Gesetz gegen die gemeingefährlichen Bestrebungen der Sozial demokratie beschlossen worden und in Kraft getreten ist.
In der ersten Zeit des neuen Zustandes, als alle Unwetter der Gewaltthat zugleich losbrachen und ihre rohe Zerstörungsarbeit an hunderten von Werken des Geistes und der Hand deutscher Arbeiter ausübten, da thaten die Sozialdemokraten, was der Wanderer thut, wenn er auf freiem Felde von einem rafenden Sturm überfallen wird: er wendet dem Orkan den Rüden und zieht den Kopf ein, damit die verheerende Windsbraut mit möglichst geringem Schaben über ihn hinwegbrause. Ob diese Art nicht auch ihre Nachtheile hatte, ist eine andere Frage, deren Erörterung nicht in den Rahmen dieses Aufsatzes gehört. Genug, sie war eine instinktive.
Als dann der Sturm nach einiger Zeit, gerade in nothwendig er Folge seiner ersten übertriebenen Heftigkeit, etwas nachließ und die Sozialdemokraten sich auch etwas an ihn gewöhnt hatten, sahen sie sich um und überblickten die Lage. Allmälig wurden zerrissene Fäden aller Art wieder angeknüpft. Und je zahlreicher bie Verbindungen wurden, desto besser ließ sich der Umfang des Schadens erkennen, den das Zerstörungs- und Verfolgungsunwetter gethan. Viele Wunden waren zu heilen, noch Lebensfähiges den neuen Verhältnissen anzupassen und viel Neues zu schaffen. Aber wo immer man Hand anlegen wollte, stellte sich bas allgegenwärtige Ausnahmegesez hindernd und drohend in den Weg. Entgegen der früheren Zusicherung, daß nicht die Sozialbemokratie überhaupt, sondern nur das Gemeingefährliche an ihr verfehmt sein solle, legte sich auf alles und jebes, was nur im entferntesten mit sozialdemokratischen Gedanken und Personen in Beziehung zu stehen schien, die rohe Polizeifaust.
Da ward das Allgegenwärtige von Bielen auch für allmächtig gehalten, und die Maschen des Ausnahmegesezes schienen so eng, daß nichts durch sie hindurchzuschlüpfen vermöchte, und aus so festem Hanf, daß nichts sie zerreißen könnte. Eine kräftige Bewegung unter dem Sozialistengesetz dünkte manchem eine eine
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muß abgeschafft werden, um jeden Preis" lautete darum weithin das Mahnwort. Und auf manche, die in der ersten Zeit den Kopf zu lange und zu tief eingezogen gehalten, und die dadurch die Gewohnheit, ihn hochzutragen etwas verloren hatten, übte das einen schlimmen Einfluß. Diese fingen an zu behaupten: wenn der Sturm merke, daß man den Kopf einziehe und unbeweglich verharre, so werde er bald zu wehen aufhören. Und ihre Meinung fand nicht wenige Anhänger.
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Aber der Sturm fümmerte sich selbstverständlich nicht um den kindlichen Glauben, und das Ausnahmegesetz ward noch vor Ablauf der Giltigkeitsdauer um ein paar weitere Jahre verlängert. Jetzt, nachdem die süße Hoffnung sich in das verdiente Nichts aufgelöst hatte, mußte man, wohl oder übel, auf die rauhe Straße der Wirklichkeit erst mit dem einen Fuß und dann bald mit beiden. Erst fing man an, der Polizei ein fleines Schnippchen zu schlagen und ihr zu trozen; und dann, nachdem der Bann der Gesetzlichkeit" abgestreift war, ging es in immer schnellerem Marsch hinein in den vollbewußt und planmäßig ,, ungeseßlichen", auch in der Form revolutionären Kampf, wie wir ihn heute führen. Es mag vielen schwer genug geworden sein, die Bahnen der altgewohnten gesetzlichen" Bewegung zu verlassen und sich in den unbegrenzten, schnell weiter und immer weiter reißenden Strom der Gesetzwidrigkeit zu werfen. Indeß, der Rubikon ist überschritten, die Brücke ist hinter uns ab= gebrochen, unsere Fahnen wehen längst weit jenseits und kein bedauernder oder zagender Gedanke vermag den Weitermarsch mehr aufzuhalten.
Da taucht seit einiger Zeit die Frage über die Fortdauer des Ausnahmegesetzes abermals auf. Noch dieser Reichstag habe über die Verlängerung oder Nichtverlängerung zu entscheiden und seine Zusammensetzung lasse es als nicht unmöglich erscheinen, daß er die Weiterbewilligung verweigern werde. Da erwacht bei vielen die alte Hoffnung wieder, und manche mögen sich vielleicht schon im Traume ausmalen, wie wir im Jahre 1884 unsere Blätter, Versammlungen, Vereine, nebst allem Zubehör der früheren Agitation, wieder aufleben lassen werden. Dahin gehende Fragen kann man, besonders auf Reisen, gar nicht selten von Arbeitern und Genossen hören, ein Beweis, daß die Frage vielfach erörtert wird.
Meiner Meinung nach wird dieser Frage viel zu viel Aufmerksamkeit geschenkt. Denn nicht nur werden dadurch falsche Vorstellungen und Hoffnungen erzeugt und genährt, deren Enttäuschung dann Abspannung und Mißmuth hervorrufen muß, sondern es entsteht dadurch auch die Gefahr, daß dadurch viel Wichtigeres aus den Augen verloren, jedenfalls aber ein Theil der zu seiner Verfolgung nöthigen Kraft vergeudet wird.
Ich halte es deshalb für nothwendig, den Genossen nachzuweisen, wie vergeblich es ist, auf die Aufhebung des Ausnahmegesetzes zu hoffen, und wie falsch alle auf solche Erwartungen gegründeten Berechnungen find.
Zunächst bestreite ich gar nicht, daß es bei der dermaligen Zusammensetzung und der gegenwärtigen Stimmung des Reichstages immerhin denkbar wäre, daß ein Regierungsantrag Reichstages immerhin denkbar wäre, daß ein Regierungsantrag auf abermalige Verlängerung des Gesetzes verworfen würde. Nicht die Einsicht ihres Unrechts, wohl aber die Erkenntniß ihrer Ohnmacht, die Sozialdemokratie durch den Polizeiknüppel zu bernichten", und die Erfahrung, daß die revolutionäre Entwicklung dadurch nur beschleunigt wird, das hat viele der Väter des Gesezes zu seinen gezwungenen Gegnern gemacht. So wäre es denn in der That nicht unmöglich, daß Zentrum, Sezession, Fortschritt mit den Gruppen der Volksparteiler, Polen , Elsässer u. s. w. zusammen eine Mehrheit gegen das Gesetz ergäben. Wobet aber selbstverständlich immer vorausgesetzt ist, daß nicht bis dahin irgendwelche Ereignisse oder Polizeikünfte dem Bürgerthum abermals den nöthigen hochgrabigen Schreck vor dem rothen Gespenst einjagen, in welchem es der Regierung blindlings folgt und ihm gerne jebe Gewalt gibt.
Seßen wir aber, die gegnerische Mehrheit finde sich und das Gesetz werde abgeschafft. Kann nun ein Sozialdemokrat kindlich genug sein, zu glauben, daß damit einfach der alte Zustand vor dem Gesetz wieder hergestellt sei? Dann müßte er unter anderem ganz vergessen haben, daß nicht die Gesetze es sind, welche die Machtverhältnisse regeln, sondern daß umgekehrt die Geseze nichts als der in Rechts" form gebrachte Ausdruck jener sind. Nun haben sich die bisherigen Machtverhältnisse aber nicht wesentlich verändert, sondern dauern zunächst noch fort, und weiter wird Niemand baran glauben, daß über Regierung und herrschende Klassen jetzt plötzlich der heilige Geist herabkommen und sie die Nothwendigkeit einer aufrichtigen und gründlichen Nachgiebigkeit gegen die Forderungen der Sozialdemokratie lehren werde, so daß fie also freiwillig auf ihre Machtfülle gegen uns verzichten.
Hieraus folgt, daß, sobald die bisherige Form des Ausbrucks der vorhandenen Machtverhältnisse
aus irgend einem Grunde zerbrechen sollte, die= selbe sofort durch eine andere ersezt werden würde, welche unter anderer Gestalt dasselbe Machtverhältniß zum Ausdruck bringen und deshalb für uns wesentlich gleich ungünstig sein müßte. Und so steht es denn auch bereits fest und ist von den Wortführern aller als Gegner der Fortdauer des Ausnahmegesetzes etwa in Frage kommenden Parteien bereits öffentlich und vertraulich zugestanden, daß der Abschaffung des Sozialistengesetes nothwendig eine entsprechende, ausgiebige Verschärfung der allgemeinen Gesezgebung folgen würde. Hat doch noch in der letzten Wintersession der Fortschrittler Hänel unter dem Beifall seiner Gesinnungsgenossen erklärt: daß er sein( schon bei Schaffung des Gesetzes gemachtes) Angebot, die„ wüsten Ausschreitungen" der Sozialdemokratie, auf dem Boden des gemeinen Rechts" zu bekämpfen, aufrechterhalte, da ,, einen derartigen Gebrauch der Freiheit der Presse, der Versammlungen 2c., wie sie die Sozialdemokratie praktizirte", alle übrigen Parteien verurtheilten und unmöglich machen wollten. Ich denke, das ist bestimmt und deutlich. Und diese Stimme kommt noch dazu aus der verhältnißmäßig freisinnigsten" Partei!
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Es ist für die geriebenen Rechtsdrechsler und Gesetzesfabrikanten eine Leichtigkeit, bas verschwundene Ausnahmegesez durch einige Paragraphen in die ,, ordentliche" Gesetzgebung wieder wieder hinein zu bringen. Hat doch die Regierung in der, nächsten Winter zur Berathung kommenden Gewerbegeseznovelle, welche jegliche Rolportage außer der mit patriotischer, reli= giöser und Kalender Literatur" berbietet, bereits den Weg gezeigt. Revidirt" man dazu das Preßgesetz, das Vereins- und Versammlungsrecht nach rückwärts und holt zum Ueberfluß die früher abgelehnte famose Bismarckische Strafgesetznovelle wieder hervor, welche jeden Angriff ,, gegen die Grundlagen des Staates und der Gesellschaft: das Eigenthum, die Familie, die allgemeine Wehrpflicht u. s. w." bis zu zwei Jahren Gefängniß bestraft dann wäre vollkommen ausreichender Ersatz geschaffen. Bliebe höchstens noch der kleine Belagerungszustand, bezw. die Ausweisung übrig, die sich mit dem nöthigen guten Willen ebenfalls gemeinrechtlich machen ließen. Und dann wären wir glücklich wieder auf dem Alten.
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Es wird nun oft angeführt, daß die Beseitigung des Ausnahmegesetes troßdem einen Vortheil für uns habe, weil durch die Verschlechterung des gemeinen Rechts dann auch unsere liberalen" Gegner mit zu leiden hätten. Dieser Grund scheint auf den ersten Blick etwas Ueberzeugendes zu haben. Er entspringt vor allem aus der begreiflichen Schadenfreude, unsere Gegner in die von ihnen selbst gegrabene Grube fallen zu sehen, und folgert dann weiter, daß die Herren Fortschrittler 2c., um selbst nicht mehr hineinzufallen, lieber die Grube zudecken, d. h. die Gesetzesverschlechterungen bald wieder beseitigen würden. Diese lettere Schlußfolgerung ist aber schon darum nicht stichhaltig, weil, selbst angenommen, daß den bürgerlichen Oppositionsparteien mit dem gleichen Maße wie uns ausgemessen würde( was wenig wahrscheinlich), so daß dieselben die Abschaffung der brückenden Gesetzesbestimmungen wünschen müßten, alsdann diese Abschaffung bom, gesetzlichen" Standpunkt aus zehnfach schwerer wäre, als die eines Ausnahmegefeßes. Denn im letzteren Falle hat die Regierung dem Reichstag gegenüber keinerlei formelles Hinderungsmittel, während sie jede Abänderung der allgemeinen Gesetzgebung dem Reichstag zum Trotz durch einfache Verweigerung der Zustimmung verhindern kann.
Wichtiger für uns ist aber eine andere Erwägung. Ein Ausnahmegeset tennzeichnet sich schon durch seine Form als eine Unterdrückungs- und Verfolgungsmaßregel gegen eine bestimmte Partei und klasse. Als solches wird das Sozialistengesetz auch allgemein anerkannt, und es ist zweifellos, daß die weitaus überwiegende Mehrzahl des deutschen Volkes die auf Grund des Ausnahmegesetzes Gemaßregelten nicht als Verurtheilte, b. h. als gewöhnliche Rechtsbrecher, sondern einfach als verfolgte Gegner der Regierung ansieht. Hat doch die Regierung selbst oft genug betont, daß das Sozialistengeses gar kein Rechtsgesetz, sondern lediglich ein Polizei, ein Verwaltungsgesetz sei. Sobald aber die wesentlichen Bestimmungen des Ausnahmegesetzes in die ordentliche Gesetz: gebung übergehen, werden sie nicht nur formell zu„ Necht ", sondern es geht auch das Bewußtsein ihres Ursprunges alsbald verloren, und der Uebertreter erscheint dem nicht näher Zusehenden( und das ist die große Mehrheit) einfach als Verleger der für Alle geltenben Ordnung. Somit verlieren wir ein uns günstiges Element der Bildung der öffentlichen Meinung.
Aber es gibt noch einen wichtigeren Grund, warum der gegen uns gerichtete Krieg durch ein Ausnahmegeset dem durch die ordentliche Gesetzgebung vorzuziehen ist.
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