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alles in der Hoffnung, daß der gute Nachbar ebenso geduldig diesem Spiele zusieht, wie der Löwe dem Spiele der Mäuslein? Tölpelhafter kann man dem Verdruß über das echt demokratische Verhalten der Züricher   Bauernschaft gegenüber den republikanisch gesinnten deutschen   Sozialisten gar nicht Ausdruck geben als es da geschieht. Nach dieser preußischen Reptilienlogik sollte die Schweiz   also ein Aus­nahmegeset nach deutschem Mufter anfertigen, damit der große deutsche   Löwe" mit den Sozialisten besser fertig werden könne. Daß das große, mächtige Deutschland   mit seinem riesigen Polizeiapparat nicht einmal die Verbreitung des Hezorgans" in seinem Bereiche zu ver­hindern vermag, daran kann natürlich Niemand anders Schuld sein als die Maus.

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Und da wir" der Löwe groß sind und die Maus oder die Mäuse so klein, so versteht es sich ja ganz von selbst, daß die Maus nachzugeben hat, das heißt, Alles zu thun und auszuführen, was wir", der Löwe wollen. Sollten die Herren, welche sich da so maufig machen, noch niemals von der Fabel vom Löwen   und der Maus gehört haben? Oder meinen fie etwa, daß der schwarz- weiß- rothe Löwe" nie in eine Lage kommen fönne, wo ihm selbst die Freundschaft der kleinen Maus, bezm. der Mäuslein, sehr angenehm sein dürfte? Wir meinen, gerade der jetzige Moment sollte sie in dieser Beziehung, wenn dies überhaupt möglich ist, einigermaßen belehrt haben, wie unangebracht solche politische Flegeleien find. Sie gewinnen auch dadurch nicht an Geschmack, daß fie in dem Blatte erschienen sind, welches als das Organ des Herrn Stöder bekannt ist, des Mannes, der den Zürichern seinerzeit mit dem Tone biedermännigfter Aufrichtigkeit versicherte, daß seine Lehre von der Noth­on der wendigkeit der Monarchie nur für Preußen" gelte!

Eine heitere Episode in ernster Zeit. ,, Als ein weiteres Zeichen, wie sehr die Sozialdemokraten sich dort fühlen", heißt es im obenerwähnten Bericht des Reichsboten", mag die die ganze Presse beschäftigende Affäre Attenhofer gelten. Major Attenhofer, der Redakteur eines Züricher Journals, ist als religiöser und patriotischer Mann bekannt und geachtet. Seit er aber den Herren Sozialdemokraten einmal aber eine derbe, aber berechtigte Lektion hat angedeihen lassen, ver­folgen ihn diese rücksichtslos. Kürzlich brachten ihm ein paar Hundert am hellen Tage eine Katzenmusik, zerstörten seinen Zaun und Garten und hefteten ihm eine infame Druckschrift an das Haus. Seitdem haben sie ihm wiederholt Gewaltthätigkeiten in Aussicht gestellt und ihn mit Revolver und Meffer bedroht."

Das klingt entsetzlich, nicht wahr? Und wir müssen noch hinzufügen, daß die bösen Züricher   Sozialdemokraten es inzwischen wirklich dahin gebracht haben, daß der Herr Attenhofer aufgehört hat, als Major Attenhofer zu fungiren. Wie das? Sollten sie mit Dolch und Revolver? Wer so fragt, tennt diese verruchte Gesellschaft schlecht. Nein, diese Waffen waren derselben noch zu edel, noch zu ehrlich. Mit teuflischem Raffinement wußten sie ihre Nachegelüfte an dem, religiösen und patriotischen Mann" zu fühlen. Sie überlieferten ihn die Feder sträubt sich, es niederzuschreiben­dem Fluche der Lächerlichkeit. Und die Lächerlichkeit hat ihn getödtet, den geachteten" weiland Major, sie hat ihn mehr als getödtet. Bei dem augenblicklich in Zürich   stattfindenden Truppen­zusammenzug kann er nicht mehr mitmachen. Er ist auf Urlaub gegangen wie man sagt worden.

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Und die Katzenmusi!? Der zerstörte Zaun und Garten? Die Bedroh­ung mit Revolver und Messer?

Diese schönen Dinge existiren nur in der Phantasie des beurlaubten Majors, wahr ist nur die infame Druckschrift". Und diese lautete: Nieder mit den Polizeispionen und Verräthern an der Republik  !"

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Sie wurde von einigen Sozialisten Herrn Attenhofer gewidmet, nach­dem ein notorischer österreichischer Spizel sich der Freundschaft dieses Herrn gerühmt hatte. Hatte der Spizzel geflunkert, dann konnte der ,, patriotische" Mann doch nur in den Ruf mit einstimmen; warum also die Entrüftung?

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Herr Attenhofer ist aber nicht nur Major gewesen, er war und ist auch Redakteur. Was er in letzterer Eigenschaft zu leisten vermag, hat unser Schwefterorgan, die ,, Arbeiterstimme", jüngst überzeugend festgestellt. In 2 Nummern( 96 und 97) seines im Format der kleinsten Kreis­blättchen erscheinenden und lucus a non lucendo den Namen der schönen klaren Limmat prostituirenden Journals" leistete der geachtete" Mann folgende sagen wir mit der Arbeiterſtimme" Salonaus­drücke: i) dou 6 Justi Schwefelbande, Kerle, beschnapste Bölimannen, rothe Schwefelbande, Gesindel, internationale Bande, rothe Schnapphähne, Stinkfraut, Pöbelei, Sozialistenrudel, hergelaufenes Gesindel, Frechheit des fremden Bade, Gefindel, Petroleurkanaille, Maulwurfsarbeit fremder und einheimischer Schurken, Bande, fremde, afylgenössige Tagediebe, Landstreicher, Betroleur­bande, rother Fetzen, fremde Fözelbande, schriften- und vaterlandslose Bande, freche Eindringlinge, lange Finger, fremde Kerle, Sozialistenstall, Schandblatt; fremde Fözel, Schnuderlumpen, brüllende Bande, Schmier­feßen, Miftpfütze, Hunde, Schweine, Esel, Sozialistenmenagerie, Rothfinken, Stinker, Schund." duudag dunonistdin??

Man beurtheile hiernach, in wie weit der Mann werth ist des Mit­gefühls der Koftgänger des Reptilenfonds.

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Zur Abwechslung hat es in den letzten Tagen in Preußen und einmal ein preußische Art. Viel Geschrei und wenig dahinter. Der mit allerhöchfter Genehmigung eingesetzte katholische Bischof von Breslau  , Herr Herzog, hatte Denen, die es noch nicht wußten oder es nicht zu wissen vorgaben, den unumstößlichen und unbestreitbaren Beweis geliefert, daß eine Krähe ihr Lebtag keine Taube ist, indem er eine Verfügung über die sog. ge­mischten Ehen erließ, wie sie eben ein römisch- katholischer Priester seiner Natur nach erlassen muß. Er erklärte nämlich, daß solche Ehen, wenn sie nicht von einem katholischen   Geistlichen eingesegnet sind, in den Augen der katholischen Kirche als ungiltig betrachtet werden. Nichts logi­scher als das. Da tam er aber bei den proteftantischen Krähen don, Geistlichen schlecht an. Ihre Breffe, der Reichsbote" voran, schlug gewaltigen Lärm über die römische Intoleranz- es handelt sich da um Sporteln! und die Norddeutsche Allgemeine" sekundirte so tapfer faft hätten wir gesagt wacker wie sie es nur auf Kommando von Friedrichsruhe zu thun pflegt. Schon wurde der geduldige Bürger des deutschen Reiches wieder mit den hochintereffanten Abhandlungen über tanonisches Recht, über den westphälichen Frieden 2c. heimgesucht zieht plötzlich der friedfertige Breslauer Bischof, höheren Motiven" fol­gend, wie die Germania  " schreibt, seinen Erlaß zurück und erklärt diese Ehen zwar für unerlaubt aber doch kirchlich gültig! Daß bei dem Charakter der römischen Kirche damit nichts geändert ist, als der Name des Kindes, liegt auf der Hand; dennoch wird es genügen, um die Kulturpauke vorläufig wieder in Ruhestand zu versetzen. Auch Stöcker wird sich wieder beruhigen, denn es ist immer noch beffer mit einem Kom­pagnon gemeinsam die Schafzucht zu betreiben, als zu riskiren, daß Einem über die Rauferei mit der Konkurrenz die Schafe schließlich da­vonlaufen.

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So wird es noch ein wenig nachgrollen, aber der Hauptsturm scheint doch überstanden zu sein. Dauerte er auch nicht lange, so war er dafür doch um so intensiver, es regnete nur so von unverschämt", frech" und schamlo 8". Es war ein kurzer, aber ein lustiger Krieg. Jest   zeigt ihr euer wahres Gesicht, bisher war's nur die Larve! Nunmehr, da bei der Zusammensetzung des gegenwärtigen Reichstages die Stimmen der Herren Ultramontanen maßgebend find für die Berlängerung bezw. Nichtverlängerung des

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Ausnahmegesetzes, enthüllen sich diese ehrenwerthen Rämpfer für Wahr­heit, Freiheit und Recht" immer deutlicher als das, was sie in Wirklich­feit sind, nämlich als die Todfeinde jedes freien Gedankens. Der Redakteur des einflußreichen ultramontanen Westphälischen Merkur", ein Herr Hoffmann, hat, wie die Frankfurter Zeitung  " meldet, eine Broschüre über die Entwickelung der sozialistischen   Ideen" heraus­gegeben, in welcher derselbe sich unumwunden gegen die Aufhe­bung des Sozialisten geseges ausspricht. Die Gründe, welche bung des Sozialistengefeges ausspricht. Die Gründe, welche der Herr angibt, find folgende: Die Macht der Sozialdemokratie bestehe weiter fort; man würde die vollständige Aufhebung des Sozialistengesetzes als ein Zurückweichen des Staates(!) auffassen und die Sozialisten würden ihre Partei bald riesenmäßig verstärkt sehen. Wir wollen also das Sozialisten gesez, nachdem es einmal erlassen, nicht wieder aufgehoben wissen." Der edle Schwarzrock plaidirt dann für die Aufhebung der Bestimmungen über die Einführung des kleinen Be­lagerungszustandes und für die Nichtanwendung des Gesetzes auf ge= sellige Vereine, und fährt fort: Dagegen wollen wir sozial­demokratische Schriften auch ferner verboten wissen. Wir können einer solchen Maßregel unbeschadet unserer Prin zipien beistimmen, denn fast alle in Deutschland   verbotenen sozial demokratischen Schriften würde man in Rom   auf den Inder(!) setzen, falls sie dort bekannt wären. Ebenso sind wir dafür, den Sozial demokraten die Abhaltung von Volksversamm­lungen und die Gründung von politischen Vereinen nicht zu gestatten; daß der wüthendsten Revolution und der nack­testen Gottlosigkeit die Redefreiheit abgeschnitten wird, fann man als Katholik nur billigen." is shifti o- lazadil sh  

,, Unbeschadet unserer Prinzipien" Versammlungs-, Preß- und Rede­freiheit er drosseln, kann man sich bequemere Prinzipien" vorstellen? Wir möchten nur wissen, welche Charakterlosigkeit die Herren unbeschadet ihrer Prinzipien" nicht begehen können, für welchen Wortbruch und Verrath ihr Gewissen nicht eine vollständige Rechtfertigung zur Verfügung hätte! si

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Nun, zum Glüd haben wir auf die Prinzipientreue" der Herren Ultramontanen ebensowenig gebaut wie auf den demokratischen Libera­lismus" der Herren Fortschrittler. Mögen dieselben thun, was sie nicht laffen können, sie werden die deutsche Sozialdemokratie unter allen Um­ständen gerüstet, auf alle Eventualitäten vorbereitet finden. Auch ohne Preß- und Redefreiheit werden wir den religiösen Aberglauben in seinem innersten Kern zu treffen wissen, und ob wir die wüthendste Revolution" in Volksversammlungen proklamiren oder nicht, bleibt sich ganz gleich, sie kommt doch, und zwar wenn die Herren es am wenigsten voraussetzen. 20

Aus Leipzig  , 1. September, wird uns geschrieben: Unser Polizeipräsident und Sozialistentödter Richter ist richtig todt. Er starb in Ems vor fünf Tagen an der bekannten Krankheit. Vivat Sequens! Natürlich sind die reaktionären sächsischen Blätter des Lobes voll über den Verblichenen. Und auch wir können ihn loben, denn unter ihm und großentheils Dant ihm hat die Sozialdemokratie sich trefflich entwickelt. Möge sein Nachfolger ihm gleichen dann ist Leipzig   bei der nächsten Reichstagswahl unser.

Daß das Erkenntniß gegen Künzel, Lauschke und Apitzsch vom Oberlandesgericht tasfirt ward, ist bereits mitgetheilt. Den früheren Notizen sei noch hinzugefügt, daß dieser Prozeß, welcher zur Ausweisung von drei Parteigenossen geführt hat, einzig und allein in der Absicht in­szenirt wurde, um die Verlängerung des Belagerungs zustandes zu scheinrechtfertigen. Zu diesem Zweck der ganze Prozeßapparat und nun vom obersten Gerichtshof des Landes der Entscheid, daß die Verurtheilung null und nichtig, daß das Recht mit Füßen getreten worden. Der Belagerungszustand ist aber glücklich verlängert, und Niemand denkt daran, ihn nun wieder aufzuheben, ebensowenig, wie Jemand daran denkt, die auf Grund des tafsirten Erkenntnisses Ausgewiesenen wieder in ihre Heimath zurückkehren zu laffen.

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Im Gegentheil, Seitens der Polizei wird Alles erdenkliche aufgeboten, um den Ausgewiesenen auch außerhalb Leipzigs   das Fortkommen un­möglich zu machen. So erfahre ich speziell, daß Lauschke, der in Chemnitz   als Stuffateur Arbeit gefunden hat, von der Polizei systematisch belästigt und in der auffälligsten, tompromittirendsten Weise überwacht wird. Man hat die Behörden der Gemeinde, wo Lauschte wohnt, aus­drücklich vor diesem gewarnt, und hat sogar die Infamie begangen, ihn seinem Arbeitgeber als Ausgewiesenen und gefährlichen Menschen zu denunziren, und demſelben zu bedeuten, daß ihm, wenn er Lauschke in Arbeit behalte, sehr leicht Verlegenheiten erwachsen könnten. Der Prinzi­pal war aber so anständig, sich durch diese erbärmlichen Bolizeipraktiken nicht beeinflussen zu lassen. Wie ich höre, beabsichtigt Lauschke bei den höheren Behörden zu remonstriren was ihm freilich nichts nüßen wird. Indeß ist's immer gut, zu wissen, daß solcher Unfug die hohe und höchste Billigung hat.

Am vorigen Sonnabend( 26. August) fand in 3 widau Prozeß­verhandlung gegen Bebel, Kleemann und Goldhausen   statt, die angeklagt waren durch Verlag, Druck und Verbreitung eines, vor der letzten Reichstagswahl im 19. sächsischen Wahlkreis vertheilten Flug­blattes zu Gunsten der Kandidatur Liebknechts den famosen§ 131 ver­letzt zu haben. Das Flugblatt, als dessen Verfasser oder wenigstens Hauptverfasser sich während der Verhandlung der als Zenge geladene Liebknecht herausstellte, hat, soweit es inkriminirt war, im Wesentlichen genau denselben Inhalt wie die in Leipzig   und Dres­ den   verurtheilten Wahlflugblätter. Wohlan das Zwickauer  Landgericht, welches sich seine Unabhängigkeit zu wahren gewußt und in den landesüblichen Wahlflugblattprozessen noch feine Verurtheilung aus­gesprochen hat es hatte vorher schon über die Flugblätter des 17. und 18. Kreises zu entscheiden-, sprach nach kurzer Berathung die Angeklagten frei, weil die inkriminirten Stellen zwar eine scharfe Kritit, aber feine wissentlich entstellten Thatsachen im Sinne des§ 131 enthielten. Was also für die Leipziger   und Dres­dener Richter wissentlich entstellte Thatsachen sind, das ist für die Zwickauer   Richter eine scharfe Kritit. Was in Leipzig   und Dresden   mit Gefängniß bestraft wird, ist in Zwickau   gesetzlich und geht straffrei aus! Kann man die herrschende Rechtsanarchie drastischer zum Ausdruck bringen? Und da redet man dem Volk vor, es gebe nur ein Recht und nur ein Gesetz, und es werde nur mit einem Maaße ge­meffen!

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Ich hätte faft zu bemerken vergessen, daß das Zwickauer   Landgericht auch nicht daran gedacht hat, die Oeffentlichkeit aus zuschließen! Es war nicht so albern, zu glauben, durch Verlesung eines Flugblattes und die Vertheidigung der Angeklagten könne der öffentliche Friede gestört" und der Staat in Gefahr gebracht werden. Leider ist Bebel, der schon unpäßlich zu dem Zwickauer Prozeß tam, in Folge der mancherlei Strapatzen der jüngsten Zeit so erkrankt, daß er die unterbrochene Geschäftsreise in Süddeutschland   nicht wieder auf­nehmen konnte und einige Tage in Leipzig   der Aufenthalt wurde ihm von der Kreishauptmannschaft gestattet bettlägerig war.. Er ist aber wieder auf dem Wege der Besserung und wird in den nächsten Tagen wohl nach Borsdorf   übersiedeln, wo er mit Liebknecht zusammen eine Wohnung gemiethet hat, die freilich von Beiden sehr bald mit dem Gefängniß wird vertauscht werden müssen.

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Oesterreich. Nachdem eine von unsern Wiener   Genoffen­einberufene die Presse nennt dieselben die gemäßigte Arbeiterpartei" öffentliche Versammlung des Vereins Wahrheit" Seitens der Anhänger der " Zukunft" gesprengt worden war, hat am 31. Auguft eine zweite, von dem felben Verein einberufene Versammlung, an welcher gegen 1500 Personen

theilnahmen, stattgefunden und der Stellung unserer Genoffen zur Taktik der Anarchisten Ausdruck gegeben. Das Referat hatte Genosse Jos. Bardorf, Färber, übernommen. Derselbe verwahrte- wir zitiren nach der ,, Neuen Freien Presse"- fich und seine Partei gleich zu Beginn seiner Aus­führungen gegen den Vorwurf, als sei das Attentat von der Arbeiter­Partei gebilligt worden, geschweige ausgegangen. Es sei im Verlaufe der österreichischen Arbeiterbewegung kein Fall konstatirt, daß man dem Sozialismus ein Raubattentat in die Schuhe zu schieben wagte.( Leb­hafter Beifall.) Es gebe bei gar keiner politischen Partei so wenig ge­meine Verbrecher, wie bei den Sozialisten. Der größte Vorwurf, der gegen die Sozialisten erhoben werden könne, sei der, als huldigten die­selben einer Moral, die schlecht und niederträchtig genannt werden müßte. Der Redner bemerkte übrigens, daß er auch keineswegs geneigt sei, etwa die anarchistischen Tendenzen für das Attentat verantwortlich zu machen, er sei überzeugt, daß die große Masse demselben nicht nur fernestehe sondern es ebenso verdamme, wie seine engeren Parteigenossen es thun. Der Wiener   Arbeiter sei am allerwenigsten zum Verschwörer geeignet, und wenn sich auch Einzelne finden, die vor einem Verbrechen nicht zu­rückscheuen: die große Masse wird sich nie zu Handlungen hergeben, wie solche die Taktik der Anarchisten vorschreibt.( Stürmischer Beifall.) Es sei allerdings nicht zu leugnen, daß durch die gewiffenlosen, aller Moral entbehrenden Agitationen der Londoner Sozialistengruppe eine vollständige Vergiftung der von dem großen Lassalle aufgestellten Prinzipien beabsich­tigt und zum Theile auch erzielt worden sei; aber die wahren Anhänger jener Partei, welche die Moral auf ihre Fahne geschrieben hat, werden trotzdem nicht irre gemacht werden können. Redner schließt mit folgen­den Worten: Wir haben bisher die Fahne rein und unbefleckt erhalten, rein und unbefleckt soll sie auch sein, wenn sie uns im Kampfe voran­getragen wird!"( Beifall.) strat

Der Referent verlieft hierauf folgende Resolution: In Erwägung dessen, daß die Sozialdemokratie einen gesellschaftlichen Zustand anstrebt, in dem Sittlichkeit und Gerechtigkeit zur Wahrheit werden; in Erwägung dessen, daß die Sozialdemokraten sich auf die Maffen des Volkes flüßen müssen und demnach keine ihrer Handlungen dem Rechtsbewußtsein des Volkes widersprechen darf, erklärt die heutige Versammlung: 1) daß die Theorien, welche den Klassenkampf mit allen Mitteln, sittlichen wie unsittlichen, predigen, mit dem Sozialismus nicht nur nichts gemein haben, sondern demselben geradezu widersprechen; 2) daß die Theorie des Kampfes mit allen Mitteln der Sache des arbeitenden Volkes im höchsten Grade verderblich ist, indem sie das Rechtsbewußtsein des Volkes gegen den Sozialismus lenkt und die Arbeiterpartei auf das Ni­beau einer Räuberbande herabdrückt; 3) daß demnach alle diejenigen, welche der erwähnten Taktik noch weiter huldigen, Feinde und Verräther der Sache des arbeitenden Volkes find. Endlich erklärt die Versamm­lung das an Merstallinger verübte Attentat als ein gemeines und feiges Verbrechen und weist entrüftet jeden Versuch zurück, die an demselben betheiligten Personen, was immer sie sein mögen, der Sozialdemokratie Wiens an die Rockschöße zu hängen."

Nach der Verlesung dieser Resolution, die unter dem stürmischen Bei­fall der Anwesenden erfolgte, sprachen noch die Genossen Schriftsetzer Höger und Barth, Arbeiter Mayer, Bildhauer Dorsch und schließ­lich Bardorf noch einmal als Referent. Er wies in seinem Schluß­wort die von einem Redner vorgeschlagene Cooperation mit der Bour­geoisie gegen die Anarchisten zurück und erklärte: Wir stehen auf dem Standpunkte des Klassenkampfes und werden nicht eher weichen, als bis wir fiegen." Ferner verlas er folgenden inzwischen beantragten Zusatz zur Resolution: ,, Die heutige Versammlung erklärt die von der Gegen­partei beliebte Taktik der Sprengung von Arbeiterversammlungen für undemokratisch und unwürdig, insbesondere spricht sie ihre Entrüstung aus über die ebenso ungerechtfertigte als brutale Sprengung der letzten Versammlung, in der eine Angelegenheit besprochen werden sollte, über die eine Klärung gerechtfertigt und unbedingt nöthig war, und durch deren Verhinderung sie unsere gemeinsame Sache schwer geschädigt haben", worauf Resolution und Zusatz mit allen gegen vier Stimmen angenommen wurden.

Auch die Anhänger der sog. radikalen Arbeiterpartei verwahren sich neuerdings in einem Flugblatt dagegen, daß sie das Raubattentat bil­ligten, sie weisen vielmehr jede Solidarität mit den daran betheiligten Verbrechern zurück. Wir nehmen einstweilen davon Notiz.

Schweiz  . Am 10. September findet in Olten   eine Dele­girtenkonferenz des Schweizerischen Gewerkschafts­bundes statt. Auf der Tagesordnung derselben stehen eine Reihe für die Organisation der Arbeiterschaft der Schweiz   höchst wichtiger Fragen, u. A. Gründung einer zentralisirten Wander- Unterstützungskasse und einer zentralisirten Krankenkasse, sowie auch die Organfrage.

Wir sind überzeugt, daß die Männer der Arbeit, welche da zusammen­tommen, die schweiz  . Arbeiterbewegung wiederum um ein gutes Stüd fördern werden und senden ihnen in dieser Erwartung unsern brüderlichen Gruß und Glückwunsch. Glück auf zum Werk!

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Korrespondenzen.

- Niederolm, Rheinhessen  , im August. Fast der Verzweiflung nahe, fast den Muth verlierend angesichts der Charakterlosigkeit der Gerichtspersonen, der geld- und beutegierigen Schurken und ihrer Büttel und Speichellecker im Großherzogthum Hessen   bin ich genöthigt, den Raum des Sozialdemokrat" in Anspruch zu nehmen, um wenigstens meinem gepreßten Herzen Luft zu machen.

Das Elend zu schildern, welches durch liberalisirende Schurken unter den verschiedensten Gestalten und Masten erzeugt wird, dazu ist meine Feder zu schwach; meine Arme und Sinne reichen kaum noch hin, um das Nothwendigste zu erschwingen, daß meine Kinder nicht dem Bettel und Diebstahl huldigen müssen, daß sie nicht erzogen werden zum berufs­mäßigen Meineid! Ja, zum Meineid, zu allerlei Erniedrigungen sollen die Enterbten, die rechtlosen Staatsbürger erzogen werden, dann sind sie brauchbar, in ihren Heimathsorten Bütteldienste zu leisten, im Sommer von früh 4 Uhr an bis spät Abends für einige Pfennige zu taglöhnern Winter können sie verrecken oder betteln bei mildthätigen Mitbürgern, die nie Knechte und Mägde nöthig haben. Glückt es einem solchen Baria, das schlechteste Stück Land zu erhalten, dann kann er auch gewiß darauf bauen, daß er sein Leben lang dem hundertmorgigen Bauer, der ihm Bürgschaft leistete, oder dem ehrenwerthen" Wucherjuden die Melttuh

machen muß.

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Wer sich erlaubt zu sagen, Jedermann solle, ohne Bürgen haben zu müssen, Ackerland erwerben können, oder gar, der Ertrag des Bodens müsse Dem gehören, der ihn bearbeitet, der wird als rechtlos, als ein Aussätziger behandelt und gebrandmarkt.

Diese Paschawirthschaft, beschützt von wohlgenährten Staatsbeamten, ist ja auch genügend, den Fabrikherren Maschinenfutter zu liefern. Die Zustände, welche die liberale Bourgeoisherrschaft hier geschaffen, spotten jeder Beschreibung. Die Ausbeutung ist selbst unter der früheren Periode nicht auf so verwerfliche, menschenentwürdigende Weise betrieben worden. Das Regime Dalwigt Ketteler hatte doch gegenüber der Armuth noch so eine Art christlicher Liebe, es war goldig(? Die Red.) gegen die liberale Baschawirthschaft des Ministeriums Start. Läßt sich ein Beamter oder ein Gensdarm nicht von dem reichen Bauern spicken, so ist seine Ver- oder Absetzung sicher. Nur zu oft wird über Arbeiter. mangel in den Schmutzblättern getlagt; bemüht sich aber ein ehr­licher fleißiger Bürger bei den Pascha's um Arbeit, dann jagt man ihn mit Hunden fort, und der Büttel muß ihn als Vagabond zum Ort hin­austreiben. Bekommt er von einem armen Mann ein Stück Brod, um seinen Hunger zu stillen, so kommt dieser noch auf die Abschlachtungsliste. Recht zu suchen ist ebenso thöricht als verpönt, nur Derjenige, welcher geschoren werden kann, findet Erbarmen aber keine Erlösung von den

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