selbst, sondern leben, was nur allzu klar ist, vom Schweiße der Fellachen, die sie nicht selten durch den raffinirtesten Wucher(!) aussaugen. Und bei Alledem bedarf ihrer der Fellah, sehnt sich nach ihnen zurüd, weil er ohne sie teinen Verdienft hat. Ein Körper, der blos Magen wäre, könnte nicht existiren, es gehören dazu Kopf, Herz, Nieren u. s. w. Egypten ist reich, nicht etwa weil es zahlreiche Kapitalisten dort gäbe, sondern weil das Land so sehr viel über die winzigen Bedürfnisse einer seit Jahrtausenden zu dieser Bescheidenheit erzogenen Bevölkerung hinaus erzeugt. Der Fellah aber fann weder die Baumwolle auf den europäischen Markt bringen, noch sich mit den nöthigen Geldoperationen abfinden, noch auch sich auf eigene Fauft die wenigen, aber unentbehrlichen Einfuhrartikel beschaffen. Alles das könnten vielleicht auch arabische Kaufleute in die Hand nehmen, ihre Routine steht aber hinter derjenigen der Europäer zurück, und der landbauende Fellah würde, wenn die jetzt von Europäern besorgten Geschäfte in arabische Hände übergingen, diesen Wechsel als Handelsstockung und mangelnden Verdienst empfinden. Dies der Grund, warum, weniger in den Städten als auf dem Lande, so manche Egypter mit dem Verlauf, den die Dinge genommen, gar nicht unzufrieden sind."
Der Schlußsatz ist natürlich eitel Flunkerei. Das durch jahrhundert lange Ausbeutung geknechtete Landvolk fügt sich mit echt orientalischem Fatalismus in das ,, Unabänderliche", während die städtische Bevölkerung und die Intelligenz über die Unabänderlichkeit der Zustände eben weniger abergläubische Vorstellungen hat. Geradezu der Gipfel der Bornirtheit oder Schamlofigkeit ist es aber, aus dem Mangel der geistigen Spanntraft beim egyptischen Landvolke die Nothwendigkeit der SchmarozzerExistenzen, höhere und herrschende Klaffen genannt, nachweisen zu wollen, während es feststeht, daß diefe Energielosigkeit die Folge ist der seit Jahrtausenden anerzogenen" winzigen Bedürf nisse des Volkes. Hier hat der Mund einmal offen ausgesprochen, weß das Herz voll ist: Egppten, will sagen, das privilegirte Raubgefindel in Egypten ist reich, weil das Volk fast gar keine Bedürfnisse hat. Das ist das Ideal unserer Kapitalisten: Ein bedürfnißloses, aller Energie und allen Selbstgefühles baares Volk, dem man die Peitsche um die Ohren schlägt, wenn es nicht Ordre pariren will.
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Und dieses bedürfnißlose Volk wird noch zum Hohn der Magen genannt, mit dem allein ein Körper nicht bestehen könne. O, Menenius Agrippa , der du die Patrizier mit dem Magen, die Plebejer aber mit den Gliedmassen verglicheft, was warst du doch für ein Stümper! Der Arbeiter, der Ackersklave, das ist der Magen, die raffinirtesten Wucherer aber repräsentiren Kopf und Herz!
Es gibt doch wirklich noch einen Fortschritt.
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Ueber den Hochverrathsprozeß WunderlichKiefer wird uns ans Leipzig geschrieben:„ Die an die Grenze der Berrüdtheit ftreifende Schreibweise der sozial- revolutionären Freiheit" hat es fertig gebracht, daß in diesen Tagen abermals sich ein Hochverrathsprozeß seit einem Jahre glücklich der dritte vor dem Reichsgerichte abspielte und wie die früheren mit der Verurtheilung der Angeklagten endete.
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In dem am 5. ds. Mts. in Leipzig stattgehabten Prozeß waren angetlagt: der Zuschneider W. Wunderlich und der in der gleichen Fabrik arbeitende Zuschneider Fr. A. Kiefer, beide in Hanau wohnhaft, durch Verbreitung verschiedener Nummern der Freiheit"
a) zu einem hochverrätherischen Unternehmen aufgefordert, b) den deutschen Kaiser beleidigt zu haben;
c) den öffentlichen Frieden durch Androhung eines gemeingefährlichen Verbrechens gestört,
d) zu Gewaltthätigkeiten verschiedene Klaffen der Bevölkerung angereizt und
e) zum Ungehorsam gegen Gesetze und obrigkeitliche Anordnungen aufgefordert zu haben; endlich
f) sich der Verbreitung verbotener Schriften schuldig gemacht zu haben.
Die Vernehmung der Angeklagten und Zeugen stellte fest, daß die Denunziation gegen Wunderlich hauptsächlich von Darmstadt ausging, wo in Folge der Verhaftung der sozial- revolutionären Emiffäre Rinte und Grün ein kompromittirender Brief an Wunderlich gefunden wurde.
Wunderlich bekannte sich vor dem Reichsgericht zur Züricher Richtung"; er war Abonnent des„ Sozialdemokrat", von dem 14 Nummern bei ihm gefunden wurden, er las aber auch die Freiheit", von der man 25 Exemplare bei ihm fand, darunter sechs in Doppelexemplaren. Eigentlicher Belastungszeuge Wunderlichs wegen Verbreitung der Freiheit" war der Mitangeklagte Kiefer, welcher behauptete, die Freiheit " mehrmals im Auftrag W.'s vertheilt zu haben.
Wunderlich bestritt dies entschieden und behauptete, Kiefer denunzire ihn aus Rache, weil er, Wunderlich, mehrfach schlechte Arbeiten desselben nicht angenommen habe. Einer der Zeugen bestätigte auch, daß Kiefer auf Wunderlich schlecht zu sprechen gewesen sei und sich schon geäußert habe, Wunderlich gelegentlich tüchtig auszahlen zu wollen. Kiefer stellte diese Beschuldigung seinerseits ebenfalls entschieden in Abrede.
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Indeß es stand feft, daß Wunderlich mehrfach Partien der Freiheit" erhalten, ferner, daß er Briefe von London bekommen, und daß die beiden oben genannten Londoner Emisfäre Empfehlungen und Brief an ihn besaßen.
Die letzteren Thatsachen wurden zweifelsohne durch den schon mehrfach von unser en Darmstädter Parteigenossen im„ Sozialdemokrat" gebrandmarkten Polizeispitzel Seibert in Darmstadt verrathen, an den Rinte und Grün ebenfalls empfohlen waren, und an den sie gleichfalls
bejaht wurde, sagte er:" So, jest macht mit mir, was Ihr wollt." sing
Das Gericht, aus 5 Richtern bestehend, arbeitete schnell, die Verhandlung war geheim. Chalturin erklärte:
" Ich kam nach Odessa , um die Arbeiter zu organisiren, und fand in Strelnikow ein unüberwindbares Hinderniß. Ich theilte dies dem Exekutivtomite mit und daffelbe gab mir zur Antwort:„ Wenn Strelnikow Ihnen im Wege ist, so räumen Sie ihn weg. Sein Tod ist bereits seit zwei Jahren beschlossen." Auf diesen Auftrag hin trat ich an dessen Ausführung. Das Uebrige wissen Sie."
Der Sinn der Rede Zelwatoffs war: usin
" Ich werde sterben, aber Andere sind noch am Leben! Die Galgen werden Euch nicht retten. Ich sterbe im Bewußtsein, meinem Vaterlande einen Dienst erwiesen zu haben."
Beide, besonders der Zweite, machten den Eindruck von Märtyrern. " Das sind Heilige!" sagten Viele. Das Exekutivkomite bekam von allen Seiten Sympathie Erklärungen.
Die Hinrichtungsprozedur wurde von dem Arzte Rosen geleitet. Sein Gehilfe war ein zu 10 Jahren Zwangsarbeit verurtheilter Raubmörder Namens Borowitzky. Man hatte anderen gemeinen Verbrechern diesen Dienst vorgeschlagen, aber sie weigerten sich.„ Eher will ich alle Generäle todtschlagen, als einen Sozialisten anrühren!" sagte Einer. Borowitzky schwankte auch lange, aber endlich ließ er sich durch die Geldsumme verführen. Als Chalturin, der phtysisch war, unter dem Galgen stand, fragte ihn der Staatsanwalt Proch of off: Wollen Sie das Exekutivkomite nennen?" ,, Nein!" brummte Chalturin in den Bart, und in demselben Augenblick schwebte er bereits in die Luft. 3elwa toff stieg riftig die 14 Stufen des Schaffots hinauf und rief: Wie hoch!" Auf die obige Frage des Staatsanwalts antwortete er nur mit einem verächt es Staate lichen Lächeln.
Der Polizeimeister, der der Hinrichtung beiwohnte, kehrte sich ab von der scheußlichen Szene. Der Offizier, der das Militär bei der Prozedur tommandirte, fiel in Ohnmacht. Der Raubmörder Borowitzky, der den Henter spielte, war bei seiner Arbeit“ viehisch betrunken. So ftirbt man jegt in Rußland .
einen Brief besaßen, der aber dem Polizeischuft Seibert natürlich keinen Schaden brachte.
Wenn die Londoner Sozial- Revolutionäre und Macher der Freiheit", trotz der Warnung unserer Darmstädter Genossen vor dem Lumpen Seibert, diesem fortgesetzt Vertrauen schenken und zum Dank unsere Darmstädter Parteigenossen beschimpfen, so bleibt uns nur zweierlei zu glauben übrig:
Entweder sind die Macher und Hintermänner der Freiheit" Schafsköpfe und Narren, bei denen Jemand nur in recht„ revolutionärer" Weise zu schimpfen braucht, um ihr volles Vertrauen zu genießen was denn auch bekanntlich einer ganzen Reihe von Erzlumpen von Neumann bis Seibert geglückt ist oder die Macher stecken theilweise selbst unter der Decke mit der Polizei und liefern zeitweilig ein unglückliches Opfer ans Messer, um das deutsche Spießbürgerthum vor dem rothen Gespenst gruseln zu machen.
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Entweder Polizeispißel oder Narren, einen andern Schluß läßt der Ton nicht zu, in dem die Freiheit" seit längerer Zeit geschrieben wird, wo ein einzelner Artikel genügt, um die Anklage auf Hochverrath 2c. zu begründen für Jeden, der bei ihrer Verbreitung abgefaßt wird.
Der Prozeß endigte damit, daß Wunderlich des Hochverraths für schuldig befunden und zu zwei Jahren Zuchthaus und zwei Jahren Ehrverlust verurtheilt wurde. Der Staatsanwalt hatte vier Jahre Zuchthaus und vier Jahre Ehrverlust beantragt. Kiefer wurde nur wegen Verbreitung verbotener Schriften zu vier Monaten Gefängniß verdonnert, welche durch die sechsmonatliche Untersuchungshaft für verbüßt erachtet wurden. Der Staatsanwalt hatte gegen ihn drei Jahre Zuchthaus und drei Jahre Ehrverlust beantragt.
Daß eine Verurtheilung eintrat, war nach dem Inhalt der inkriminirten Artikel und bei der in Deutschland geltenden Auffaffang von Preßfreiheit“ zu erwarten, skandalös ist aber die abermalige Verurtheilung zu Zuchthaus.
Der§ 20 des Strafgesetzbuches schreibt ausdrücklich vor, daß da, wo das Gesetz die Wahl zwischen Zuchthaus und Festungsstrafe geftatte, auf Zuchthaus nur dann erkannt werden dürfe, wenn festgestellt wird, daß die strafbare Handlung aus einer ehrlosen Gesinnung entsprungen ist. Die ehrlose Gesinnung muß also im Urtheil festgestellt werden. Da nach dem günstigen Eindruck, den der Angeklagte persönlich machte und der durch die Aussagen der Zeugen, namentlich seines Arbeitgebers bestätigt wurde, man ihn der ehrlosen Gesinnung nicht bezichtigen konnte, begnügte sich das Reichsgericht, rein negativ festzustellen, daß sich in Wunderlich's Handlungsweise fein Zug von Jdealismus, wohl aber Mangel an ehrliebender Gesinnung erblicken laffe."
Kein Zug von Idealismus und Mangel an ehrliebender Gesinnung sind aber noch lange keine ehrlose Gesinnung, deren Feststellung das Gesetz ausdrücklich verlangt.
Das weiß das Reichsgericht ganz genau, und indem es dennoch den Angeklagten statt mit Festung mit Zuchthaus belegte, und ihm die de8 Ehrenrechte aberkannte, hat es sich eine schwere Beugung Rechtes zu schulden kommen lassen und gehörten die Richter nunmehr selbst auf die Anklagebant.
Diese fortgesetzt auf Zuchthaus lautenden Urtheile des Reichsgerichts werden zur Folge haben, daß bei einer demnächst stattfindenden Revision des Strafgesetzes die Möglichkeit, auf Festung zu erkennen, ganz gestrichen wird.*) Damit wären wir denn glücklich wieder in der vormärzlichen Zeit angekommen. Doch dem Vormärz folgt auch der wirkliche März, und der wird, wenn er ein zweites Mal kommt, all' dem elenden Gaukelspiel ein sehr gründliches Ende machen.
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Was 309 Stimmen vermögen. Die Stichwahl im Wahlkreise UI m- Heidenheim hat mit dem Siege des volksparteilichen Kandidaten Hähnle geendet. Wir gönnen Bismarck und seinen schwäbischen Helfershelfern diese eklatante Niederlage von Herzen, sie ist wohlverdient. Im Lager der Volkspartei herrscht natürlich großer Jubel über den schwererrungenen Sieg. Der biedere Stuttgarter Beobachter" kann sich vor Wonne taum fassen. Wir wollen auch ihm sein Vergnügen gönnen, können indeß die bescheidene Frage nicht unterdrücken, ob dieses " Organ der Demokratie" auch in Zukunft sich so sagen wir ständig gegen unsere Partei verhalten wird, wie in den Tagen vom 3. bis 13. Oktober. Dasselbe Blatt, welches im vorigen Jahre alle Verfolgungen, mit denen die schwäbische Polizei unsere Genossen heimsuchte, mit vornehmer Beharrlichkeit todtschwieg, obwohl es direkt und öffentlich aufgefordert wurde, seine Stimme gegen die infamen Polizeistreiche zu erheben, dieses Blatt fand nun plötzlich den Muth, einen Artikel gegen das Verbot einer Versammlung, in der Genosse Kayser sprechen sollte, zwar nicht selbst zu schreiben, aber wenigstens abzu drucken. Und als Genosse Kiene ihm in der Maßregelungsangelegenheit eine Berichtigung zugehen ließ, da wurde sofort einem liberalen Einsender diese würdige Sprache eines Arbeiters" als musterhaftes Beispiel vorgehalten. Wird dieses bisher so ungewohnte Wohlwollen, fragen wir, auch fortdauern, wenn die 309 sozialdemokratischen Stimmen nicht mehr in die Wagschale fallen? Wollen's abwarten.
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Desto besser. In Berlin haben bei den kirchlichen Wahlen am letzten Sonntag fast überall die Positiven", das heißt diejenigen, welche das Einmaleins für eine Gotteslästerung halten, gesiegt. Die Sache des geistigen Fortschritts hat dieses Resultat nicht zu beklagen. Ob Leute in den Kirchenvorständen Ausschlag geben, welche glauben, daß eins plus zwei= 1 ist, oder solche, welche die Ansicht, daß eins plus eins 1 ist ,,, respektiren", ist wirklich von keinem Belang. Wie sie die Thatsache, daß eins plus zwei 3 ist, nicht aus der Welt schaffen fönnen, so können die Männer der geistigen Finsterniß im Jahrhundert der Dampfschiffe, Eisenbahnen und Telegraphen auch die wachsende Er tenntniß des Volkes nicht aufhalten.
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Das Volt hat mit dieser Wahl natürlich nichts zu thun. Bourgeoisie und Beamte bilden die kirchliche Wählerschaft, und die Letzteren stimmen wie der Wind von oben weht, das heißt heutzutage direkt für die Volksverdummung.
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Zur sächsischen Ausweisungspraxis. Schon in früheren Nummern berichteten wir, daß es sich die Chemnitzer Polizei angelegen sein laffe, den Aufenthalt Lauschte's eines der Opfer zur Verlängerung des Belagerungszustandes in Leipzig - unmöglich zu machen. Jetzt scheint sie es glücklich dahin gebracht zu haben, wie nachstehende, uns aus Chemnitz zugehende Mittheilung zeigt:
„ Die Jufamien des Polizeiwachtmeisters Beckert sind wir in Chemnitz gewohnt, ganz dieses Subjektes würdig war, daß er, als an der letzten Geiser'schen Versammlung Lauschke gesprochen, nichts Eiligeres zu thun hatte, als zum Prinzipal Lauschke's zu gehen und denselben zu ersuchen, Lauschte wegen fortgesetzter Wühlerei fortzuschicken. Lauschke aus Furth wurde denn auch in der vorigen Woche zweimal.
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und aus Gablenz bei Chemnitz ausgewiesen. Und zwar geschah die Ausweisung auf höhere Ordre, denn als Lauschke nach seiner Further Ausweisung sich in Gablenz Wohnung suchte, wurde ihm bei seiner Wohnungsanmeldung sofort die Ausweisung publizirt. Lauschte war nicht gewillt, sich das so ruhig gefallen zu lassen, und als er den Gemeindevorstand zu Gablenz nach den gesetzlichen Gründen fragte, erwiderte dieser ihm, daß er sowie alle Gemeindevorstände eine 3 u- schrift der Amtshauptmannschaft erhalten hätten, dahin lautend, daß, falls Lauschte sich im Orte Wohnung suchen wollte, er auszuweiseu sei. Auf Verlangen Lauschke's erhielt derselbe denn auch den Aus
*) Vielleicht findet dann auch wieder die Bestimmung Aufnahme, daß ein wegen Hochverraths Verurtheilter auf einer Kuhhaut zur Richtstätte geschleift wird.
weisungs- Utas schriftlich, und es ist uns sehr angenehm, endlich einmal ein amtlich beglaubigtes Schreiben in Händen zu haben, welches die vollständige Rechtlosigkeit unserer Parteigenoffen in Deutschland dokumentirt.
Die Ausweisung Lauschke's stützt sich auf die in Leipzig wegen Einsammelns von Beiträgen zur Unterstützung Ausgewiesener erlittenen sechswöchentlichen Gefängnißßtrafe. Nun ist aber, wie die Leser wissen, das Urtheil gegen Lauschke und Genossen durch das Oberlandesgericht kassirt. Die Amtshauptmannschaft hält jedoch, trotz des Protestes und der Beschwerde Lauschte's die angeblich gesetzliche, in Wirklichkeit aber doch ungesetzliche Ausweisung aufrecht. Der Utas lautet folgendermaßen:
,, Gemeindeverwaltung Gablenz.
Am 20. September 1882 erscheint an Expeditionsstelle der Stukkateur Herr Paul Oswald Lauschke aus Pirna,
und wird wegen der, nach der vorstehenden Zuschrift der Königlichen Amtshauptmannschaft zu Chemnitz, auf Grund einer in Leipzig wegen Einsammelns von Beiträgen zur Unterftigung ausgewiesener Sozialdemokraten erlittenen sechswöchigen Gefängnißstrafe und in Hinblick auf seine hervorragende agitatorische Thätigteit für sozialdemokratische Bestrebungen, sowie in Betracht, daß in seiner Vergangenheit und in der großen Anzahl hier zusammenwohnender Anhänger der Sozialdemokratie Umstände zu befinden sind, welche seinen Aufenthalt gerade in Gablenz bedenklich machen und die Befürchtung erwecken, daß er seine Thätigkeit hier leichter und wirksamer entwickeln kann, als an einem anderen Orte, und auf Grund vom§(? Red.) Abth. 1 des Freizügigkeitsgesetzes vom 1. November 1867, aus Gablenz bei Chemnitz ausgewiesen und bedeutet, den hiesigen Ort binnen vier Tagen und längstens am 24. September 1882 zu verlassen zur Vermeidung fernerer Festnahme und Ablieferung an die Königl. Amtshauptmannschaft zu Chemnitz behufs Androhung von Haftstrafe. Weiter ist pp. Lauschke noch vor unerlaubter Rückkehr zur Vermeidung derselben Maßregel verwarnt worden. Weber, Pol.- Exped.
Beglaubigte Abschrift."
Nachr.
Dies der Wortlaut des interessanten Dokumentes. Lauschte erhob sofort bei der Amtshauptmannschaft, an die allein er sich im Instanzenweg wenden konnte, Beschwerde. Diese hat es jedoch nicht einmal der Mühe werth gehalten, Lauschte zu antworten. Natürlich hat sie keine Lust, ihre ungesetzliche Handlung zu revidiren und sich selbst in's Gesicht zu schlagen. Man lauert eben nur darauf, daß sich Lauschke in der Stadt Chemnitz anmelden soll, um ihn dann dort auszuweisen. Als unsere Abgeordneten seinerzeit im sächsischen Landtage wegen der Ausweisungen interpellirten, versprach der Minister NoftizWallwitz, daß man mit den Ausweisungen auf Grund des Heimathsoder Vagabundengesetzes aufhören werde. Die tgl. Amtshauptmannschaft scheint den Willen ihres Herrn Ministers schlecht zu ehren, denn sie weist flottweg aus und tritt, aller Scham baar, Recht und Humanität mit Füßen."
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Unser Korrespondent irrt sich hier. Die Versprechungen des Herrn von Noftiz- Wallwig waren so vager Natur, daß sie den Behörden vollkommen freie Hand lassen. Hätte das sächsische Ministerium dem skandalösen Ausweisungs- Unfug steuern wollen, so würde Herr von NostizWallwitz damals anders ausgesprochen haben. Die Chemnitzer Behörden, weit entfernt, den Intentionen ihres Chefs" zuwiderzuhandeln, haben nur in deffen Geist, wo nicht direktem Auftrag gehandelt. Es ist sehr nöthig, daß man die Verantwortlichkeit für derartige Infamien in erster Linie stets den obersten Behörden zuwälzt, die auch für die Ausschreitungen der unteren Behörden verantwortlich zu machen sind. Wer die administrative( und polizeiliche) Organisation kennt, weiß, daß solche Ausschreitungen einfach unmöglich find, wenn die oberste Behörde den ernsten Willen hat, sie zu verhindern. Nicht als ob darum die unteren Behörden vollkommen unverantwortlich seien, im Gegentheil, wir halten sie direkt persönlich verantwortlich aber die Hauptschul
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digen sind stets die obersten Vorgesetzten, von denen die Befehle oder Winke gekommen sind.
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Aus Leipzig, 14. Oktober, schreibt man uns:„ Unser" Sparig hat seine Ehre wieder hergestellt. Sie erinnern sich der famosen Geschichte mit der Prostriptionsliste, welche dieser Biedermann in der Tasche trug und die er dem Minister des Innern vorlegen zu wollen renommirte. Ein hiesiger Korrespondent der Frank furter Zeitung" hatte von der Sache gehört und seinem Blatte geschrieben, Sparig habe die Liste mit den etlichen hundert Namen auszuweisender Sozialdemokraten dem Minister bereits vorgelegt. Hieran klammerte sich der schlaue Sparig: er schrieb an den Minister einen servilen Schreibeeine Bitte, brief, in welchem er um Bescheinigung seiner Unschuld bat die der Herr Minister mit Vergnügen erfüllte. Und nun ging's an das Verklagen der Frankfurter Zeitung", die einen kläglichen Rückzug antrat und zu 50 Mark Geldbuße verurtheilt ward. Die Ehre des Hrn. Sparig wird also von den deutschen Gerichten auf ein Zehntel deffen veranschlagt, was die Ehre eines Provokationsagenten beschäftigenden preußischen Polizeiraths nach dem Urtheil der Magdeburger Richter werth ist. Die Ehre Sparig's noch zehnmal tiefer im Kurs als die Ehre des Rumpf! Eine niedrigere Tare kann man sich wohl kaum denken. Glücklicher Sparig!
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Uebrigens wird der Sparig- Prozeß, der, wie ich schon gesagt, von Seiten der Angeklagten feig und jämmerlich geführt wurde, noch ein Nachspiel haben. Der verklagte Redakteur hat sich zur Appellation bestimmen lassen und will nun in der zweiten Instanz den in der ersten unverantwortlicherweise versäumten Beweis der Wahrheit in Bezug auf alle wesentlichen Punkte antreten. Thut er dies wirklich und mit Ernst, dann dürfte die Ehre des Herrn Sparig sogar noch auf weniger als ein Zehntel der Rumpf'schen Ehre veranschlagt werden. Ueber den Prozeß Rumpf schreibe ich nicht. Sie haben den ausführlichen stenographischen Bericht. Niemals hat die Polizeiniedertracht sich abwechselnd ungeschickter und zynischer verrathen. Ohne die bodenlose Dummheit dieses Menschen, der bei jedem Worte fast sich verschnappt, würde man ihn mit Stieber im Kölner Kommunistenprozesse vergleichen können. Man lese nur die Marx'sche Broschüre! Dieselbe Frechheit, dieselbe Leichtigkeit des Schwörens nur weit täppischer! Der Rumpf ist entschieden eine sehr verschlechterte Ausgabe des Stieber. Daß aber dieses Subjekt nach den beiden Bloßstellungen vor Gericht( erst vor dem Reichsgericht, dann vor dem Magdeburger Gericht) noch im Staatsdienst geduldet wird, das beweist, daß die Regierenden allen Rest von Scham verloren haben. Der preußische Staat, alias das deutsche Reich, ist vom Stieber auf den Rumpf gekommen besser kann man die herrschenden Zustände nicht kennzeichnen.
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Aus der Gesellschaft mit der„ patentirten Ehre". In dem Städtchen Gumbinnen in Ost- Preußen hatten zwei in einem Zimmer wohnende königliche preußische Lieutenants an dem Fenster auf einem Blumenftrauß eine Tafel gestellt, mit der Inschrift:
Hier werden junge, hübsche Damen freundlich empfangen!" Der Wirth war über die Unfläthigkeit empört und kündigte den uniformirten Buben die Wohnung. In der neuen Wohnung stellten sie dieselbe Tafel aus, fügten aber der Schrift noch hinzu:„ und finden liebevolle Behandlung". Das anständige Publikum nicht der höheren Stände" ist empört, der Oberst des Regiments dagegen soll die Schlingel noch belobt haben. Unzweifelhaft ein Ausfluß des„ höheren" Ehrgefühls.
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Oesterreich. Der von den Brünner Genossen einberufene allgemeine österreichische Arbeitertag ist am 15. Oftober