Erscheint
wöchentlich einmal
in
Verlag
Doppelporto.
N: 45.
Donnerstag, 2. November.
Iris an die Abonnenten und Korrespondenten des„ Sozialdemokrat“. 201
Da der Sozialdemokrat" sowohl in Deutschland als auch in Desterreich verboten ist, bezw. verfolgt wird, und die dortigen Behörden fich alle Mühe geben, unsere Berbindungen nach jenen Ländern möglichst zu erschweren, resp. Briefe von dort an uns und unsere Zeitungs- und sonstigen Sendungen nach dort abzufangen, so ist die äußerste Borsicht im Boftverkehr nothwendig und barf feine Borfichtsmaßregel versäumt werden, die Briefmarder über den wahren Absender und Empfänger, sowie den Inhalt ber Sendungen zu täuschen, und letztere dadurch zu schützen. Haupterfordernis ist hiezu einerseits, daß unsere Freunde so selten
Abonnements werd nur beim Verlag und dessen bekannten Agenten entgegengenommen und zwar zum voraus zahlbaren Vierteljahrspreis von:
Fr. 2. für die Schweiz ( Kreuzband) Mt. 3. für Deutschland ( Couvert) fl. 1. 70 für Oesterreich( Couvert) Fr. 2.50 für alle übrigen Länder des Weltpoftvereins( Kreuzband)
Juferate
Die dreigespaltene Petitzeil 25 Sta. 20 Pfg.
1882.
als möglich an den Sozialdemokrat", resp. dessen Verlag selbst adressiren, sondern sich möglichst an irgend eine un erdächtig dreffe außerhalb Deutschlands und Desterreichs wenden, welche sich dann mit uns in Verbindung setzt; anderseits aber, daß auch uns möglichst unverfängliche Zustellungsadressen mitgetheilt werden. In zweifelhaften Fällen empfiehlt sich behufs größerer Sicherheit Rekommandirung. Soviel an uns liegt, werden wir gewiß weder Mühe noch Kosten scheuen, um trotz aller entgegenRehenden Schwierigkeiten den Sozialdemokrat" unsern Abonnenten möglichst regelmäßig zu liefern.
Wer Briefe an einen Parteigenossen schreibt, der sei vor= ein Polizist ihm dabei über die Achsel sähe.
Parteigenossen! Vergeßt der Verfolgten sichtig im Ausbrud, er schreibe stets so, als wenn
und Gemaßregelten nicht!
Wie verhalten wir uns vor Polizei und Gericht?
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I.
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Wer Gelegenheit gehabt hat, die Vorgänge näher kennen zu lernen, welche in den letzten Jahren seit der Herrschaft des Ausnahmegesetzes so zahlreiche Verfolgungen und Verurtheilungen unserer Parteigenossen herbeiführten, bei dem unterliegt es feinem Zweifel, daß dieselben durch Unwissenheit über die einschlägigen gesetzlichen Bestimmungen, noch mehr aber durch Ungeschicklichkeit und Außerachtlassen der einfachsten Vorsichtsmaßregeln herbeigeführt wurden.
Es gibt nicht wenig Parteigenossen, und darunter selbst solche, denen man nach ihrer Stellung in der Partei etwas mehr Ge schick und Vorsicht zutrauen sollte, die sich in die Situation noch gar nicht hineinzufinden vermögen und manchmal mit wahrhaft rührender Naivität mündlich und schriftlich Verstöße gegen die einfachsten Vorsichtsmaßregeln begehen.
Wäre die deutsche Polizei im Ganzen nicht noch viel ungeschickter wie gar manche unserer Genossen, die Zahl der Ver= folgungen und Prozesse würde noch weit größer sein.
Diesem fortgesetzten Schaden durch eigene Schuld muß endlich nach Möglichkeit ein Ende gemacht werden, und hierzu wollen wir nach Kräften beitragen, indem wir im Nachstehenden eine Reihe von Winken und Rathschlägen geben, von denen zu wünschen ist, daß sie Jeder sich zu Herzen nehme und streng befolge; dann aber auch für sein Theil dazu beitrage, daß An= dere sie befolgen, denn oft nüßt alle Vorsicht für die eigene Person nichts, wenn Andere Dummheiten begehen und durch ihre Dummheit wir nennen das Ding beim rechten Namen ihre Umgebung zu Schaden bringen.
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Wer etwa unter den nachstehenden Rathschlägen solche findet, die ihm als überflüssig, weil selbstverständlich erscheinen, dem antworten wir, daß unter diesen Rathschlägen sich Leiber keiner befindet, dessen Nichtbefolgung nicht schon schweren Schaden herbeigeführt hätte. Es scheint manchmal, als seien Vertrauensseligkeit, Leichtsinn oder Dummheit unausrottbar.
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„ Das Briefgeheimniß ist in Deutschland so sicher wie die Bibel auf dem Altar", so rief St. Stephan im Reichstag einem unserer Abgeordneten entgegen, als dieser, gestützt auf eine Reihe von sehr gewichtigen Thatsachen, seinen lebhaftesten Zweifeln über die Wahrheit des Briefgeheimnisses energischen Ausdruck gab.
Da die Bibel aber keineswegs sicher auf dem Altar ist, namentlich, wenn sie silberne Beschläge besitzt, so will die Versiche rung des St. Stephan wenig bedeuten; und in der That find denn auch die Fälle sehr zahlreich, wo sich die Polizeiorgane einer merkwürdig genauen Kenntniß der Postsendungen, die irgend ein„ Verdächtiger" empfing, erfreuten.
Zum Beispiel: Es empfängt Jemand einen Brief oder ein Packet, dessen Inhalt die Partei interessirt. Brief oder Packet werden nicht unterschlagen, das könnte zu unangenehmen Retriminationen führen. Dagegen weiß die Polizei ganz genau, daß der betreffende Verdächtige etwas empfängt, und kaum hat der Postbote die Sendung abgegeben, so erscheint die Polizei hinter ihm auf der Schwelle und konfiszirt die Sendung. Auf diese Weise sind Dußende und aber Dußende von Sendungen der Polizei in die Hände gefallen, und sind den Empfängern solcher Sendungen theilweise große Unannehmlich teiten bereitet worden.
Daraus ergibt sich zunächst folgendes:
Wer Briefe oder Sendungen in Parteiangelegenheiten empfängt, muß sich bewußt sein, daß die Polizei sich für seine Sendungen intereffiten könne, er sorge also dafür, daß solche Sendungen nicht direkt an ihn, sondern an unber fängliche Dritte gesandt werden.
Daraus entsteht aber umgekehrt die Verpflichtung für Jeden, der solche Deckadressen zur Benutzung empfängt, diese auf's peinlichste und sorgfältigste aufzubewahren, so daß sie bei der strengsten Haus- und törperlichen Durch suchung nicht gefunden werden. Das ist bei solchen Adressen, die wenig Raum beanspruchen, sehr leicht zu machen; noch besser ist, wenn solche Adressen so geschrieben werden, daß sie nur ihm, dem Benutzer, verständlich sind. Für
Für
Dritte unfindbar aufgehoben müssen sie aber auch dann noch
werden.
Man halte in diesen und allen anderen Fällen fest: lieber ein wenig zu viel Vorsicht als zu wenig, und wenn diese Vorsicht auch Zeit und einige Mühe beansprucht.
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Es gibt Manche unter uns, die im Briefschreiben sehr ungeschickt sind. Wenn Jemand z. B. einen Brief schreibt und unterzeichnet: Im Namen des Komite's" oder„ Im Namen der Leitung", so ist das der hellste Blödsinn. Der Naive, der einen solchen Brief schreibt, hat natürlich gar keine Ahnung, daß wenn dieser Brief in unrechte Hände fällt, er für ihn zur stärksten Selbst denunziation wird und unter Umständen ihm eine Anklage zuziehen kann, die nach S 128 des Strafgesetzbuchs mit drei Monaten bis zu einem Jahr Gefängniß bestraft wird.
Geheime Organisationen sind verboten, das wissen wir Alle, und zwar nicht blos durch die Vereinsgesetze und das Sozia listengesetz, sondern auch durch das Strafgeset. Es begeht also Jeder gegen sich und seine Mitgenossen ein ganz unverzeihliches Verbrechen, wenn er in Briefen er in Briefen sich als Theilhaber an einer irgend wie gearteten geheimen Organisation betennt, oder an Dritte als Theilnehmer an einer solchen schreibt.
Raum glaublich, aber häufig genug dagewesen ist, daß Notizbücher zur Eintragung diskreter Adressen oder sonstiger wichtiger Mittheilungen und Notizen benutzt wurden und werden. Die Wegnahme und Durchstöberung des Notizbuches ist aber das erste, was die Polizei bei jeder Durchsuchung vornimmt, es sollte also das einfachste Nachdenken Jedem sagen, daß er sein Notizbuch von verfänglichen Bemerkungen rein zu halten hat.
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Jeder Sozialdemokrat, auch wenn er nach seiner Meinung bisher der Polizei als solcher nicht be: tannt war, foll stets und überall darauf gefaßt sein, daß bei ihm gehaussucht oder er einer per sönlichen Durchsuchung unterworfen werden kann und soll darnach sein Verhalten einrichten.
Das Denunziantenthum steht in voller Blüthe, außerdem kann er, durch eine Indiskretion Dritter, ganz unfreiwillig denunzirt sein, und darauf richtet sich jeder verständige Sozial
demokrat ein.
dieselben gekauft oder abonnirt zu haben. Zu sagen, von wem er sie erhielt, dazu ist er nicht verpflichtet und kann dazu nicht gezwungen werden.
bors
Vorhandene Einzelexemplare verbotener Schriften gelten ausgesetzt, daß keine Verbreitung nachgewiesen werden kann- als Privateigenthum und dürfen nicht beschlagnahmt werden. Erfolgt dennoch eine Beschlagnahme, so erhebe man Beschwerde bei der höheren Verwaltungsbehörde.
Betraut ein Parteigenosse einen anderen, weil dieser nicht bekannt und darum unverdächtig ist, mit dem Bezug von Blättern oder Schriften, so instruire er den Empfänger auch genau, was er zu thun und zu lassen habe, falls eine polizeiliche Be= schlagnahme der Schriften bei ihm stattfinde.
Es ist ganz unzweifelhaft, daß Post und Polizei behufs des Abfangens von Padeten mit Schriften unter einer Decke stecken, daß Postbeamte unter Assistenz solcher von der Polizei eine genaue Kontrole der eingehenden Packete vornehmen und, wo der Inhalt konstatirt wird, den Empfänger fassen. Empfänger fassen. So nur allein erklärt es sich, daß in so und so vielen Fällen der Polizist dem Postboten auf dem Fuße folgte und das Gesuchte fand.
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Wichtig ist ferner, daß Derjenige, welcher Packete zu empfangen hat, seine Angehörigen instruirt, daß sie im Falle seiner Abwesenheit solche in Empfang nehmen. Oft sind solche Sendungen in Folge der Zurückweisung durch die Frau der Polizei in die Hände gefallen.
Für allen schriftlichen Verkehr ist eins noch von besonderer Wichtigkeit. Es gewöhne sich Jeder daran, Adressen deutlich und genau zu schreiben. Mangelhafte Adres= firung in Folge undeutlicher Mittheilung der Adressen, hat in einer Menge von Fällen die unangenehmsten Folgen gehabt.
Pfuscharbeit
nannten wir wiederholt die großen Arbeitergesetze", welche vom ,, Dedipus des 19. Jahrhunderts, der die Sphynx der sozialen Frage glücklich gelöst hat"( natürlich in seinem Kämmerlein), dem deutschen Reichstag vorgelegt worden sind.
Und als Pfuscharbeit wird es jetzt von den offiziösen Skribenten selbst anerkannt. Man lese nur. Vor mehreren Tagen brachte ein preußischer
sendungen zugänglichen Zeitungen Aufnahme fand:
Wer Briefe von einem Parteigenossen empfängt, ist verpflichtet, sobald er von deren Inhalt Kenntniß genommen, dieselben Regierungswaschzettel folgende Notiz, die in sämmtlichen, derartigen Zuzu vernichten. Der verstorbene Bra de hatte seit dem Ausnahmegesetz die Gewohnheit, jeden Brief, den er bekam, sofort zu lesen und ihn dann sofort den Flammen zu übergeben. Das ist sehr nachahmenswerth.
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Gebt mir drei Zeilen von einem Menschen, und ich bringe ihn an den Galgen", dieses berüchtigte Wort des berüchtigten napoleonischen Polizeiministers Fouché sollte jeder Sozialdemokrat fich fest einprägen und sich täglich wiederholen.
Befaßt sich Jemand mit der Verbreitung verbotener Schriften, z. B. des„ Sozialdemokrat", so soll er solche nie in seiner Wohnung aufbewahren oder finden lassen.
„ Berlin , 18. Ottober. Angesichts des nahe bevorstehenden Termins, an welchem die Reichstagssession wieder beginnt, dürfte es an der Zeit sein, den wichtigen Entwürfen, die der Berathung der Kommissionen unterliegen, einige Betrachtungen zu widmen. Nach und nach stellt es sich nämlich heraus, daß die Vorlage über Unfallversicherung in der projektirten Gestalt kaum durch führbar ist. Einer ungefähren Berechnung zufolge würde die Zahl der forporativen Genossenschaften, auf deren Bildung der Gesetzentwurf fußt, sich auf nahezu 2000 stellen, und da die zu den einzelnen Genossenschaften gehörigen Betriebe räumlich nicht zusammenhängen, sondern über den Distrikt einer hohen Verwaltungsbehörde zerstreut find, so würde sie kein gewerbliches Leben entwickeln fönnen und eine geregelte Verwaltung sich nur schwierig erreichen lassen.
Wer verbotene Schriften empfängt, muß stets, wenn dieselben abgefaßt werden, die Erklärung abgeben können, daß er nicht wisse, wer ihm dieselben gesandt; daß er dieselben nicht bestellt Trotzdem muß aber der Grundgedanke des Entwurfs der Unfallverhabe und eventuell vernichtet hätte. Er wäre ein Thor, wenn er auf Vorspiegelung Seitens der Polizei oder des Richters, daß er mit geringerer Strafe wegkommen werde, denjenigen verrathen würde, für den sie bestimmt waren; er würde damit sich selbst nicht frei machen, seine Lage nicht im Geringsten verbessern, aber Andere mit in's Verderben reißen. Außerdem kann Niemand bestraft werden, welcher der Verbreitung nicht überführt wurde.
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Ueberhaupt laffe man sich bei Verhören weder durch Vers sprechungen noch durch den Hunger bewegen, Geständnisse zu machen. Die Anwendung solcher Mittel, um Geständnisse zu erpressen, ist gesetzlich strafbar. Nimmt sich ein Polizeibeamter oder gar ein Richter heraus und diese Fälle find und diese Fälle sind schon oft dagewesen einem in Untersuchung Befindlichen mit Verhängung der Haft oder Verlängerung der Haft zu drohen oder andere Drohungen oder Schimpfworte zu gebrauchen, so verlange man sofort die Aufnahme einer bezüglichen Beschwerde in's Protokoll, man verlange auch Vorführung vor die Staatsanwaltschaft und denunzire dort den betreffenden Beamten und fordere seine strafrechtliche Verfolgung.
Niemand ist verpflichtet, Aussagen zu machen, die er nicht machen will, weder vor der Polizei, noch vor dem Untersuchungsrichter. Ueber das Ver halten im Verhör später.
sicherung als richtig angesehen werden, und es wird Sache des Reichstags sein, zu zeigen, daß er auch die Fähigkeit der Iniziative besitzt und im Stande ist, die Vorlage auch im Detail so zu amendiren, daß sie auch der Form nach brauchbar wird. Mit Rücksicht auf die Schwierigteiten der Frage ist des Defteren schon geäußert worden, die Sache habe teine Eile, man könne noch warten und sie auf Jahre hinausschieben; dies wäre jedoch sehr bedenklich und dürfte dem ganzen Plane zum Schaden gereichen. Als der Reichskanzler die Absicht erkennen ließ, das Loos der Arbeiter durch positive Schritte zu erleichtern, machte dies Projekt in Arbeiterkreisen einen sehr guten Eindruck. Wenn sich jedoch die Erfüllung der gehegten Hoffnungen mehr und mehr hinzieht, so beginnt sich Mißtrauen einzuschleichen und die Durchführung der Sache erschwert sich von Tage zu Tage. Diesen Umständen gegenüber hat man sich in Interessenkreisen damit beschäftigt, durch welche positiven Vorschläge den formellen Mängeln des Entwurfs abzuhelfen sei; diese Vorschläge dürften zur Kenntniß des Reichstages gelangen. Und zwei Tage später versandte dieselbe Waschzettelfabrik nachstehende Korrespondenz:
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,, Berlin , 20. Oktober. In Bezug auf die formelle Abänderung des Entwurfes einer Unfallversicherung gehen, wie verlautet, die Vorschläge der Betheiligten dahin, an Stelle der fachgewerblichen wirthschaftlichen Genossenschaften Bezirksgenossenschaften zu bilden. Danach wären also für die vorhandenen Verwaltungsbezirke in den Bundesstaaten, also 3. B. für Preußen in jedem Regierungsbezirke, je eine solche Genoffenfchaft zu errichten, in denen sich alle daselbst befindlichen Gewerbe ver einigen. Auf solche Art bekäme man etwa 75 Verbände, die sich von der Zentralstelle aus uuzweifelhaft sicherer und vollkommener leiten ließen, als die früher geplanten 2000 Korporationen. Was den Standpunkt der Reichsregierung zu solchen Vorschlägen anlangt, so erfährt man, daß in der Wilhelmsstraße das Hauptgewicht auf die Durchbringung bes
Das Abonnement auf Zeitungen oder der Kauf und Bezug verbotener Schriften zum Selbstgebrauch, ist nicht verboten und kann nicht bestraft werden. Nur die Verbrei= tung, also die Weitergabe an Dritte, ist strafbar, aber nach Brinzips der Unfallversicherung gelegt wird; hinsichtlich der Form dürfte einem Erkenntniß des Reichsgerichts auch nur dann, wenn die Schriften für einen größeren Kreis bestimmt sind.
Werden also bei Jemand in Folge einer Haussuchung Exemplare von verbotenen Schriften gefunden, so kann er ruhig eingestehen,
man sich leicht zu Konzessionen herbeilassen. Der Vorschlag auf Vereinfachung und Verminderung der forporativen Verbände dürfte aber um so leichter Annahme seitens der Regierung finden, als die Einrichtung solcher Bezirksverbände schon bei den Vorberathungen für den Gesetzentwurf in Erwägung gezogen worden ist."