Nur hübsch bescheiden.

Nur hübsch bescheiden!" Mit dem Hute in der Hand kommt man durch das ganze Land." Wenn die Arbeiter, statt ihren Verführern" zu folgen und in brüster Weise vorzugehen, ihren Herren und Meistern hübsch bescheiden mit dem Hute in der Hand kommen, dann kann man sich mit ihnen verständigen, und dann werden sie zehnmal beffer fahren, als wenn sie sich wüster Agitation ergeben."

Also reden und denken die Herren Fabrikanten, welche sich da ganz die famose Maxime Metternichs und der preußischen Reaktionäre: Nur nicht drängeln!" angeeignet haben. Ein Recht haben die Arbeiter nicht, ebensowenig wie die Unterthanen" der Metternich und Konsorten. Höchstens auf Gnade dürfen sie hoffen, und auf diese nur, wenn sie hübsch bescheiden und demuthsvoll sind.

Die Glauchauer   Handweber, denen der Brodkorb nicht blos hoch hängt, sondern oft auch leer ist, hörten das schöne Lied von der Be­scheidenheit, und obgleich sie dem Rezept mißtrauten, so wollten sie es doch einmal probiren. Gedacht, gethan. Sie traten zusammen, klagten ihre Noth und setzten einen Wunschzettel auf, welchen sie dem Herrn Bürgermeister ihrer Stadt( Martini) vorlegten, mit der Bitte, er möge doch die Vermittlung zwischen ihnen und den gestrengen Herrn Fabrikanten übernehmen. Man sieht, bescheidener kann man nicht sein. Das begriff auch der Herr Bürgermeister und war so gnädig, seine Vermittlung zu versprechen. Und er hielt Wort.

Dank der bürgermeisterlichen Vermittlung tam Anfang dieses Monats ( d. 3.) eine gemeinsame Zusammenkunft von Vertretern der Fabrikanten und der die Handweber enthaltenden Weberinnung zu Stande. eine ominöse Zahl, Erstere hatten elf, die Weber dreizehn Vertreter

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aber doch die Majorität. Wie gnädig!

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Die Arbeiter hatten auf ihrem Wunschzettel acht Punkte: 1. Erhöhung der Weblöhne um 20 Prozent;

2. Beffere Berechnung der Waarenlänge( damit nicht Maßdifferenzen zum Nachtheil des Webers entstehen können);

3. Eintragung der gezahlten Weblöhne in ein Lieferbuch der Meister;

4. Bessere Anordnung bei Vertheilung der Arbeit;

5. Entsprechende Vergütung für größere Vorrichtungsarbeiten!

6. Gewährung einer höheren Vergütung für einzelne Roben 2c.

7. Thunlichste Beseitigung des Faktorenwesens. 8. Bitte an die Herren Fabrikanten, welche mechanische Webstühle besitzen, fie möchten doch die Intereffen der Handweber mehr be­rücksichtigen.

Das ist der Wunschzettel. Bescheidener und demüthiger hätte er in der That nicht ausfallen können. Nicht einmal die Beseitigung des seit Jahrzehnten so lebhaft bekämpften Fattorenwesens, das in Wirk­lichkeit ein Faktoren u n wesen ist, wird schlankweg verlangt,-nur die thunlichste Beseitigung.

Die beiden Hauptpunkte unter den acht- das zeigt der erste Blick sind der er ste und der siebente. Ueber die Berechtigung des gegen das Faktorenwesen gerichteten Wunsches brauchen wir uns nicht aus­zusprechen der Gegenstand ist zur Genüge bekannt. Was die ge­wünschte" Lohnerhöhung um 20 Prozent betrifft, so erscheint dieselbe, wenn man bedenkt, daß die Löhne jetzt zwischen 2 und 3 Thaler die Bescheidenheit. Woche betragen, von einer wunderbaren

Und nun das Resultat!

In den uns vorliegenden Zeitungsberichten heißt es( man soll nicht sagen, daß wir übertreiben" oder gar fälschen" wir lassen die Gegner reden):

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,, Nach einer einleitenden kurzen Ansprache des Herrn Vorsitzenden ( Bürgermeister Martini) wurde dem Jnnungs- Obermeister zur Be­gründung des

,, 1. Autrages auf Erhöhung der Weblöhne um 20 Prozent, sowie zur Begründung des Vorgehens der Weber­innung im Allgemeinen das Wort ertheilt. Derselbe schilderte in längerer Rede die traurige Nothlage, in welche die hiesigen Handweber durch das schon seit mehreren Jahren andauernde Sinken der Weblöhne und den dadurch verursachten Mangel an guten Gehilfen, wodurch selbst bei flottem Geschäftsgange eine Verbesserung der Lage der Weber verhindert werde, gerathen ſei; er wies dabei namentlich auch darauf hin, daß die Weberinnung zu den von ihr gestellten Anträgen keineswegs durch irgend welche Anregung von außen, sondern lediglich durch aus ihrer Mitte und aus der Mitte der hiesigen Bürgerschaft selbst her­vorgegangene Wünsche nach Verbesserung der Lohnverhältnisse der hiesigen Handweber, unter deren Nothlage ja die ganze Stadt­gemeinde mit leide, sowie durch die Erwägungen bewogen worden sei, daß die Handweberei neben der mechanischen Weberei unentbehrlich sei und daher Alles, was nur möglich, gethan werden müsse, um fie auch für die Zukunft durch Heranziehung tüchtiger Gehilfen leiftungsfähig zu erhalten und ihr Gedeihen zu fördern. Dies sei aber nur möglich durch Gewährung höherer Arbeitslöhne, um welche er im Auftrage der gesammten Innung die Herren Fabrikanten daher dringend ersuche.de bi

Der Vertreter der Letteren erkannte die ges schilderte Nothlage der hiesigen Handweber un­umwunden an und erklärte, daß wie ja die Erhaltung eines so tüchtigen Handweberstandes, wie Glauchau  zur Zeit noch besite, im eigen sten Interesse der Fabri tanten selbst liege, diese, so weit sie heute hier vertreten wären, alle bereit seien, das Möglichste zur Verbesserung der Lage der Handweber zu thun, daß aber die Fabrikanten die Höhe der Weblöhne nicht nach ihrem Belieben be= stimmen könnten, sondern in dieser, wie in jeder anderen Beziehung, von der oft erdrückenden Konkurrenz abhängig seien, aus diesem Grunde auch eine bestimmte Zusicherung auf so­fortige Erhöhung der gegenwärtigen Löhne über­haupt und nach einem gewissen Prozentsaze im Besonderen unmöglich ertheilt werden könne, zu­mal gewisse Artikel eine Preiserhöhung gar nicht vertrügen, eine solche vielmehr nur dazu führen würde, daß diese Artikel hier über­haupt nicht mehr fabrizirt werden könnten.

Bugleich erklärte der Vertreter im Hinblick auf den unter Nr. 7 gestellten Antrag, die thunlichste Beseitigung des Fattorenwesen betreffend, da dieser im engsten Zusammenhange mit dem ersten Antrage stehe, daß die hiesigen Fabri­tanten der Fattore nicht entbehren tönnten, ein­mal, weil bei flottem Geschäftsgauge die hiesigen Handweber zur Lieferung aller bestellten Waaren nicht im Stande sein würden, so­dann aber, weil manche Waaren von auswärtigen Webern billiger hergestellt werden könnten, als dies hier in Glauchau   der Fall sei. Endlich wies derselbe noch darauf hin, daß nach den statistischen Erhebungen in Glauchau   nächst Elberfeld   und Berlin   stets die höchsten Lohne  (?) gezahlt worden seien, und daß bei befferem und rentablerem Geschäftsgange eine angemessene(?) Erhöhung der Löhne von selbst eintreten werde.

" In der an die gegebene Erklärung sich anschließenden Debatte bemerkten der Obermeister und mehrere Ausschußmitglieder, daß bei den jezigen Arbeitslöhnen nach Bezahlung der Auslagen für den Meister sehr oft nur der färglichste Lohn übrig bleibe, daß ferner, obwohl die Anfertigung vieler Artikel viel komplizirter ge­worden sei als früher, doch kein höherer, im Gegentheile ein nie­drigerer Lohn als früher für dieselben Artikel gezahlt werde, und daß, wenn eine Lohnerhöhung, nach der die Fabrikanten, um das Webergewerbe zu heben, doch streben müßten, nicht eintrete, es schließlich dahin kommen müsse, daß schließlich keine guten Arbeiter mehr gefunden würden. Auch wurde, nachdem man sich die Schwierigkeit einer Lohnausbesserung in Rücksicht auf die große Konkurrenz nicht verhehlt hatte, und nachdem man darauf hin­gewiesen, daß doch zuweilen von Unterbeamten einzelner Fabrikations­geschäfte für gleiche Waare dem einen Weber ein höherer Stücklohn verwilligt werde, als dem andern, oder als er anscheinend vom Fabrikanten felbft festgestellt worden sei, die Frage aufgeworfen, ob nicht durch eine höhere Kalkulation, für welche hiernach anschei­

nend doch ein Spielraum gelaffen worden sei, einer Verbesserung der Lohnverhältniffe auch schon bei dem gegenwärtigen Geschäfts­gange Rechnung getragen werden könne. Dem von anderer Seite erhobenen Einwande, daß hier stets viel bessere Löhne als in anderen Orten gezahlt worden seien, wurde entgegen gehalten, daß viele Glauchauer Weber, die bei geringerem Lohne für auswärtige Fabri­tanten arbeiteten, sich dabei doch besser stünden, weil sie von dort aus andauernde Arbeit hätten. Ausdrücklich wurde von mehreren Rednern endlich betont, daß von einem auf die Fabris tanten auszuübenden Zwange zur Lohnerhöhung nicht die Rede sein könne, daß aber, wenn die heutige Verhandlung ganz resultatlos verlaufe, dies auf die ganze Weber­bevölkerung sehr deprimirend einwirken müsse.

Von den Fabrikanten wurde hierauf wiederholt auf die große Konkurrenz, mit welcher sie zu kämpfen hätten, sowie darauf hin­gewiesen, daß die Lohnverhältnisse nur nach dem Geseze des Angebotes und der Nachfrage geregelt werden könnten, daß eine Lohnerhöhung nach be­stimmten und für alle Artikel gleichen Prozentsatze bei der großen Verschiedenheit der hiesigen Fabrikationsartifel ganz unmöglich sei, daß es von großem Nachtheile für die ganze hiesige Industrie­branche sein würde, wenn die Fabrikanten die gar nicht oder nur wenig lohnenden Artikel ganz fallen lassen wollten, und endlich, daß zwar wohl der gute Wille zur Ausbesserung der Lage der Hand­weber bei allen anwesenden Fabrikanten, zur Zeit aber noch nicht die Möglichkeit seiner Bethätigung vorhanden sei, indessen sobald sich diese Möglichkeit zeige, höhere Löhne gezahlt werden sollten." Damit Basta!

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Die Verhandlungen über die weiteren fünf Punkte bieten geringes Intereffe, zumal die Punkte selbst von untergeordneter Bedeutung sind. Je unbedeutender die Punkte, desto gnädiger" waren die Herren Fabrikanten, hüteten sich aber möglichst vor bindenden Versprechungen, bedangen sich z. B. in Bezug auf den Antrag 5 aus, daß die Anrechnung, der Vorrichtungsarbeiten sehr mühsamen und relativ kostspieligen ,, der freien Vereinbarung zwischen Arbeitgeber und Arbeiter von Fall zu Fall vorbehalten bleiben müsse.' Genug, die Hauptforderungen der Arbeiter( durch den Titel Meister", den der gelernte" Handweber führt, darf man sich nicht irre machen lassen) sind abgewiesen: die famosen Gesetze der Nachfrage und des Angebots erlauben keine höheren Lohnsäze. Verhungern die Arbeiter, so thut es den Herren Fabrikanten sehr leid, aber sie können es nicht ändern; an Arbeitern wird's hernach ja auch nicht fehlen, die so lange arbeiten bis sie verhungert sind, und dann so weiter. Bei dem Fat­toren unwesen hat's auch sein Bewenden. Der mildthätige Fabri­tant tann den Faktor nicht entbehren.

Und im Grunde genommen, muß man den Herren Fabrikanten, wenn man sich auf ihren Standpunkt und auf den Stand­punkt der heutigen Gesellschaft stellt, vollkommen Recht geben. Die Humanität hat mit der kapitalistischen   Produktion nichts zu schaffen. Der Kapitalist kauft die Waare Arbeit, wie jede andere Waare, so billig, als er kann, und Niemand kann ihm zumuthen, daß er einen guten Lohn zahlt, wo er für einen Hungerlohn mehr Arbeiter be­tommt, als er braucht.

Und was die Faktoren betrifft, so sind dieselben den Herren Fabri­tanten allerdings sehr nützlich, indem sie ihnen die Mühe und Kosten eines Apparats zur Regelung der ab- und eingelieferten Arbeit er­sparen. Statt daß er die nöthigen Aufseher und Mittelspersonen bezahlt, läßt er sie vom Arbeiter bezahlen. Das ist- praktischer.

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Hier hilft kein Palliativmittel, kein Appell an die Humanität, oder das Mitleid. Die ganze Hausindustrie in ihrer heutigen Form muß mit Stumpf und Stil ausge­rottet werden. Träte an Stelle des kapitalistischen   Unternehmens und der Faktore die Assoziation, so ließe die Hausarbeit sich viel­leicht, unter Kontrole natürlich, erhalten. Allein ohne Kapital stünde die Affoziation in der Luft. Und wer soll das Kapital geben? Nur der Staat vermag dies. Und der heutige Staat gibt es nicht. Diesen zu beseitigen, den Klassenstaat vernichten und an seiner Stelle den sozialistischen   Staat aufbauen das ist der ein­zige Weg der Rettung.

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Die Glauchauer   Arbeiter werden nun gemerkt haben, daß mit der Bescheidenheit nicht weit zu kommen ist. Schon Göthe   hat gesagt: nur Lumpe sind bescheiden. Und das Sprüchlein: Bescheidenheit ist eine Zier, doch weiter kommt man ohne ihr, enthält zwar schlechte Grammatit, aber eine gute Wahrheit. Es zirkulirt auch in der verschärften Modifi­tation: Bescheidenheit ist aller Lafter Anfang.

In der Politit gewiß.

Statt mit dem Hut in der Hand demüthig um Gnade zu betteln, haben die Arbeiter ihr Recht zu fordern. Und damit ihre For­derung Nachdruck erlange, haben sie sich zu organisiren und auf dem Weg, welchen die Sozialdemokratie zeigt, zu marschiren. Er führt zum Sieg.

Sozialpolitische Rundschau.

Zürich  , 6. Dezember 1882. Die deutsche Reichstagsfomödie hat wiederum be­gonnen, und gleich die beiden ersten Sizungen haben uns den Beweis geliefert, daß unsere Herren Volksvertreter vortreffliche

Komödianten

find. Die langen Sommerferien, welche Bismarck   den Herren bewilligte, haben ausgezeichnet gewirkt. Der oppositionelle Hauch, der im Frühjahr bedenkliche Sproffen trieb, ist total verschwunden. Die preußischen Landtagswahlen haben ihre Wirkung nicht verfehlt, die liberale ,, Opposition" beseelt nur ein Gefühl: Furcht vor Auflösung des Reichstages.

Gleich in der ersten Sizung wurde in dritter Lesung der Antrag des elsäßischen Abgeordneten Winterer, der dahin ging, den Mitgliedern des elsaß  - lothringischen Landesausschusses, welche notorisch der deutschen Sprache nicht mächtig sind, zu geftatten, in den Sigungen deffelben sich der französischen   Sprache zu bedienen, abgelehnt, nachdem er in zweiter Lesung angenommen worden war. Ein großer Theil Fortschrittler, natürlich Herr Hänel der Zukunftsminister" voran, aber auch Märchen Hirsch, Herr Munkel, der Elberfelder Schmidt stimmten für die aller Billigkeit hohusprechende Verwerfung. Man bedente, daß es in Lothringen  allein noch 200,000 Personen gibt, welche nur der französischen   Sprache mächtig sind, und daß es sich um den Landesausschuß handelt, dem die Erledigung der lokalen Geschäfte obliegt!-tording

In der Debatte fühlte sich Herr Treitschke  , der Mordspatriot, zu der Bemerkung veranlaßt, daß der Vergleich Deutschlands   mit der Schweiz  ,, Gott   sei Dank!" wie die Fauft auf's Auge paßte. Das Deutschland  des Herrn Treitschke   ist da sicherlich nicht das Auge.

Unsere Abgeordneten betheiligten sich nicht an der Debatte, stimmten aber geschlossen für den Antrag Winterer.

Die zweite Sigung galt hauptsächlich der Jnterpellation Laster- Hänel über die bisziplinarische Berfolgung von drei liberalen Danziger Marine offizieren wegen angeblich" unerlaubter Wahlbeeinflussung. Für das, was sich in dieser Debatte abspielte, ist das Wort Komödie noch zu nichtssagend, hier ist vielmehr nur dessen deutsche   Uebersetzung am Blaze: Gaufelspiel.

Die Liberalen werfen der Regierung vor, daß der Oberingenieur De de auf höheren Befehl die Arbeiter für die Wahl des konservativen Kandidaten zu beeinflussen gesucht habe, und unbestraft geblieben sei, während die ihrer Partei angehörigen Jugenieure den Arbeitern nur Rath" ertheilt hätten, und die Regierung behauptet, Dede habe die Arbeiter nur über die Absichten der Regierung aufgeklärt" Regierungskandidat war Herr von Butttamer, der Bruder(!) des Ministers­

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und wenn er seine Ansprache mit den Worten geschlossen habe: Ihr wißt nun, wen Jhr zu wählen habt", so sei das doch eine ganz harmlose Bemerkung, welche die Freiheit der Wahl durchaus nicht beeinträchtigte.( Der Oberingenieur sagt das zu den ihm untergeordneten

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in der Hitze der Debatte entschlüpft Herrn Bötticher die im Munde des Regierungsvertreters bezeichnende Aeußerung: seinen Arbeitern, und das soll keine Wahlbeeinflussung sein!!) Wenn aber ein Ingenieur, wie behauptet wurde, zu den Arbeitern sagt, Wählt Rickert, der hat ein warmes Herz für die Marine, wenn Ihr den nicht wählt, so werdet Ihr nicht lange und nicht mehr viel arbeiten, dann sei das im höchsten Grade unzulässig.

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Und in diesem Ton bewegt sich die ganze Debatte. Die Liberalen wiffen zu gut, wie viel Dreck sie selbst am Stecken haben, und beschränken sich daher darauf, in tugendhafter Entrüftung zu machen, was ein sehr unschuldiges Vergnügen ist und auf Puttkamer und Konsorten soviel Eindruck macht, wie das Gebell des Mopses auf den Mond. Die Herren find alle einig in der Verurtheilung der Wahlbeeinflussung ,,, wie sie von Fabrikanten gegen ihre Arbeiter geübt wird", was sie, wie Genoffe Kayser ihnen mit Recht vorwarf, indeß nicht hindert, Wahlen, in denen offenkundig solche Beeinflussungen vorgekommen find, ruhig für gültig zu erklären. Sie hatten ein so gutes Gewissen, daß keiner von ihnen es wagte, eine Resolution, welche dies parteiische Verhalten der Regierung mißbilligt, zu beantragen. Herr Lasker   erklärte am Schluß pathetisch: Mir wäre es lieb gewesen, wenn es der Regierung gelungen wäre, sich von dieser Anklage mit zweierlei Maß zu messen zu befreien; aber da in der That diese Absicht bei der Regierung nicht vorhanden ist, ist es mir lieb, daß die Kenntniß hiervon vor dem ganzen Lande festgestellt werde. Ich glaube, dieser Zweck der Debatte ist erreicht. Worauf ihm Herr von Bötticher im Auftrage der Regierung antwortete: Wat wir uns davor koofen! Und das werden sich die Arbeiter auch sagen müssen.

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Gleichzeitig mit dem Reichstage tagt in Berlin  der preußische Landtag. Ist auch eine schöne Gegend. Da sind die Herren hübsch unter sich, und kein sozialdemokratischer Hecht stört den ordnungsparteilichen" Garp ,, ordnungsparteilichen" Karpfenteich. Man braucht nur die Verhandlungen der letzten Woche zu lesen, um die eine reaktionäre Masse" in ihrer ganzen Glorie kennen zu lernen.

Am Dienstag, den 28. November, ging's über die Vagabunden­frage her. Da hatten die Herren von der Rechten das große Wort. Das Bolt verwildere, weil ihm nicht genug Religion eingepauft werde

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als ob es in den christlich- frommen Ländern und zur Zeit, da die Kirche herrschte, teine Vagabunden gegeben hätte!, die Bagabunden werden in den Gefängnissen zu milde behandelt die ewige Klage der frommen Bekenner der Religion der Liebe". Unter großem Beifalle wizelte der klerikale Herr von Schorlemer  . Alst, der westfälische ,, Bauernvater":" Es mag ja für die Gesundheit der Vagabunden recht zuträglich sein, wenn sie bei ihrer Einbringung gereinigt und gespeist werden, beffer wäre ihnen aber zunächst jedenfalls eine ordentliche Tracht Brügel  ", worauf er echt christlich gegen die falsche Humanität" unserer Zeit zu Felde zog. Und alle nachfolgenden Redner sekundirten ihm in dem Ruf: Mehr Religion und mehr Prügel! Worauf Herr Putt­ kamer   unter dem Beifall der Rechten mit: Mehr Polizei! antwortete. Die Liberalen schwiegen! Nicht einmal der Volksparteiler Stern hielt es für nöthig, auf diese erbärmlichen Redensarten der Herren von der satten Moral zu antworten. Der Liberalismus hat gegen diese ,, Plage unserer Zeit", daß nämlich Hunderttausende arbeitslos herumlungern müssen, eben nur Phrasen, die seine Ohnmacht bekunden. Was soll er also den Konservativen antworten, die so praktisch" sind- wahrschein lich kommt der Ausdruck: praktisches Christenthum daher das Elend mit Knüppeln todtzuschlagen?*)

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Tags darauf wurde der Antrag, der Polizei das Recht zuzusprechen, bis zu 50 Mark Geldbuße und 8 Tagen Haft zu verfügen( bisher durfte fie nur 15 Mark Geldstrafe und 3 Tage Haft verhängen) nach Gejammer der Liberalen Opposition wagte Niemand zu machen- an eine Kommission zur Berathung verwiesen. Und am Donnerstag war es sogar ein Libe­raler, welcher den Vorwurf aussprach, daß es den Gefangenen zu gut ergehe, eine Redensart, die durch die toloffale Sterblichkeitsziffer in den Gefängnissen in ihrer ganzen Haltlosigkeit charakterifirt wird. Der Ver­treter der Regierung mußte dieselbe gegen den liberalerseits erhobenen Vorwurf zu großer Humanität in Schutz nehmen welches Zeichen der Zeit!

Am Freitag mußte wiederum der Minister das Geschwätz über die große Sittenverwilderung zurückweisen. Er konstatirte, daß die Sittlich lichkeitsvergehen bedeutend abgenommen haben. Dagegen bejammert auch er die Zunahme der Meineide, gegen welche er nichts Besseres vorzu­schlagen wußte als beffere religiöse Erziehung." Die Herren sollten sich lieber einmal die Meineidsprozesse näher ansehen, wie viel davon auf die besseren" Klassen entfallen und wie viel auf fromm erzogene Christen, resp. Juden, es werden ihnen die Augen übergehen über die heilsamen Wirkungen der Religion"; dann aber rathen wir gewissen Leuten, einmal nachzuforschen, wie es denn in den hohen und höchsten Regionen mit der Heiligkeit des Eides" aussieht! Sicherlich nicht besser als mit der Heiligkeit der Ehe! Und die Herren find doch alle so fromm und gottes­fürchtig!

Das wären so einige Proben, wie es in den Gesetzgebungsfabriken in Berlin   zugeht. Das Fazit ist: vollständige Rathlosigkeit gegenüber der fich mit rapider Schnelligkeit vollziehenden Zersetzung der Gesellschaft. Alle Parteien suchen nach Aushilfsmitteln, teine aber wagt es, an die Lösung zu denken, denn die Lösung heißt: soziale Revolution.

- Die verkehrte Welt. Um den jungen Juristen Auftaud und gute Sitte beizubringen, empfahl in der Landtagsfizung vom 1. Dezember Herr Windthorft allen Ernstes, sie bei der Kavallerie dienen zu lassen; nach ihm ist gerade das Dienen bei der Kavallerie sehr wünschenswerth; die Offiziertorps dort gewähren eine ganz be­

sonders(!) gute geferrugheng, und für die gesellige Ausbildung

unserer Richter und Beamten sollte sehr viel mehr geschehen, damit sie endlich von den Bierkrügen fort, aus den Wirthshäusern herauskommen. ( Lebhafte Zustimmung und Heiterkeit.) Ich will damit nicht sagen, daß man nicht auch bei der Kavallerie viel Bier trinkt( Heiter­

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von

keit), aber das Offizierkorps der Kavallerie ist eine besonders gute Schule für die Gesellschaft, und darauf lege ich ungeheures Gewicht." Wie man sieht, handelt es sich hier nur um den gesellschaftlichen Schliff, Gesellschaft heißt für diese Leute die Sippe der oberen Zehntausend und da kann man Herrn Windthorst nur Recht geben. So bornirt arro­gant der preußische Kavallerielieutenant auch ist, so hält ihn doch wenigstens der Außenwelt gegenüber sein esprit du corps"( Corpsgeift)-beiläufig auch ein bornirtes Gefühl, heute aber vielfach das kleinere Uebel den Rohheiten ab, wie sie unsere Musensöhne, insbesondere die Theologen und Juristen, zur Schau tragen. Wer das zweifelhafte Glück hatte, mit erat nicht wirklich die verkehrte Welt, die Studenten, die Söhne unserer akademischen Jugend in Berührung zu kommen, wird das bestätigen. Aber ist es der hohen Göttin der Wissenschaft", müffen von den Kommißbrüdern lernen, was sich schickt? Freilich find Jurisprudenz und Theologie, wie fie von der überwiegenden Mehrheit der Studenten heute betrieben werden, nichts weniger als Wissenschaften. Von den drei Universitätsjahren ver­bummelt der Durchschnittsstudent dieser Fakultäten mindestens zwei, was man ihm nicht einmal verübeln kann, denn bald wird man auch in

*) Erst sechs Tage später fanden der Fortschrittler Dirichlet   und der Nationalliberale von Eynern einige Worte der Erwiderung. Viel war es aber auch nicht.