man blos die reichen Familienglieder liebt und sich ihrer annimmt, die armen haben's jedenfalls weit nöthiger.
Und was würde man denn von einer Familie aus dem Volke sagen, deren auch nur einigermaßen auskömmlich lebende Mitglieder ihre ärmeren Verwandten Hunger leiden ließen?
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Nun, die vornehmen Buttkammer waren edelsinnig genug, ihrem armen Verwandten helfen zu wollen. Nur thaten sie es in etwas eigenthümlicher Art. Der Zürcher Gemüsehändler v. Puttkamer hatte den Frevel begangen, ein armes Mädchen zu heirathen, das die Mutter seines Kindes war. Man denke nur, welch' plebejische Handlungsweise! Ein Mädchen ohne Adelskrone und Geldbeutel schwanger machen, das passirt noch; aber sie heirathen pfui, das schickt sich nicht für einen Junker! Trotzdem aber ward dem Frevler Verzeihung und Hilfe verheißen, unter der Bedingung, daß er seine Frau von sich entferne, beziehungsweise um uns der noblen Ausdrucksweise des betreffenden edlen Puttkammer's zu bedienen ,, das Mensch zum Teufel jage"!... Wenn dies geschehen, dann sollte der wiedergefundene Sohn Absolution erlangen, in das Land seiner Väter und Vetter zurücktehren und in Berlin eine Stelle bei der Polizei erhalten. Ist es nicht wirklich erhebend, wie gottgefällig diese Buttkamer die Heiligkeit der Ehe prottiziren? Ihr Vetter soll die ,, untrennbare" Ehe für Geldgewinn lösen, sein Weib wie eine Dirne wegjagen und seinen Kindern die Mutter rauben, oder sich mit dem„ Mensch" vielleicht auch gleich der " Jungen" entäußern. Und dann soll er ein Amt bei der Polizei antreten, um dort neben verschiedenen andern Heiligthümern" auch das Heiligthum der Ehe kräftigst zu schützen!.
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Uebrigens finden wir den Gedanken, die Polizei auch in ihren unteren Abtheilungen mit Buttkamer's zu bevölkern, gar nicht übel. Wie wäre es, wenn man die Polizei überhaupt zur Puttkamerschen Familiendomäne erklärte, bezw. diese edle Familie gesetzlich zur Polizeikaste machte? Die nöthige Geschmacksrichtung, Aulage und Gesinnungstüchtigkeit für diese Beschäftigung ist in ihr offenbar hinreichend vorhanden dafür ist uns unser edler Gönner und rothbeadlerter Heiligthumsvertheidiger an der Spitze des Ministeriums des Innern Bürge. Und ihre Zahl wird reichen, um ein paar Kompagnien Schutzmänner zu formiren, nebst Stab und was sonst dazu gehört.
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Uebrigens beschränkt sich die Vorliebe der Puttkamer für die Polizei feineswegs blos auf männliche Mitglieder der Familie. Auch das zarte Geschlecht nimmt daran Antheil; nur liegt dessen Stärke manchmal mehr auf dem Gebiet der Sittenpolizei. Wir erfahren nämlich die intereffante Thatsache, daß zwei Fräuleins von Buttkamer in der traditionellen Verehrung ihres Stammes für die Heiligkeit der Ehe und Familie so Hervorragendes leisten, daß ihre Namen an hervorra gender Stelle in den Registern trole der Stadt Berlin figuren.
der Sittenton
Welches Glück, daß sich noch so edle Männer und Familien wie Herr Minister von Puttkamer und seine hochgeborene Sippe finden, um das von diesen„ bestialischen" Sozialdemokraten bedrohte Heiligthum der Ehe und Familie so glänzend zu retten!
Der„ Rechtsstandpunkt".
Die Redaktion des Parteiorgans macht in Nr. 52 gelegentlich einer, im Uebrigen sehr freundlichen Besprechung meiner jüngsten Rede über den Belagerungszustand die Bemerkung:
„ Hier( nämlich bei der Kritik der schreienden Handhabung des Sozialistengeseges) war nach unserer Ansicht trop aller gemachten Erfahrungen ein lebhafterer Appell an das Rechtsgefühl geboten. Denn so wenig wir auch in diesem Punkte von unseren Gegnern erwarten, so müssen wir doch immer wieder den Rechtsstandpunkt hervorheben, gerade weil er die schwache Seite unserer Gegner ist."
Den letzteren Satz bestreite ich nun in dieser Allgemeinheit, und damit auch die auf ihn gegründete Schlußfolgerung.
Jch tann mich an dieser Stelle nicht auf weitschweifige philosophische und historische Erörterungen über den Begriff„ Recht“ einlasse. Es genügt, wenn ich darauf hinweise, daß man sich unter„ Recht" zweierlei, von einander sehr verschiedene Dinge vorstellt: nämlich einmal das sogenannte natürliche, ursprüngliche, ungeschriebene Recht, und dann das sogenannte positive, gewordene, geschriebene Recht.
Auf den Standpunkt welches dieser beiden Rechte hätte ich mich stellen sollen?
Der Satz, daß mich die schreiende Handhabung des Sozialistengesetzes" zu einem solchen Appell an das Recht hätte bewegen sollen, läßt mich fast schließen, daß unter den betont gewünschten Rechtsstandpunkt der Standpunkt des positiven Rechtes gemeint ist. Das würde im engern Sinn nichts Anderes heißen als: wir sollten einen Theil der werthvollen Zeit der alljährlich nur einmal wiederkehrenden Belagerungszustandsdebatte dazu verwenden, um der Regierung darüber Vorwürfe zu machen, daß sie das Sozial iftengesetz nicht„ loyaler" ausführt. Derartige Vorwürfe und Klagen wurden in der That in früheren Jahren verschiedentlich erhoben. Diesmal aber waren die Vertreter unserer Partei einstimmig der Meinung, daß ein solches Vorgehen dem gegenwärtigen Stand der Dinge nicht mehr entspreche.
„ Loyale Ausführung des Sozialistengesetzes"!
Ich kann mir keine größere Zeitverschwendung und überdies nichts denken, was zu einer bedenklichen Begriffsverwirrung geeigneter wäre, als haarspaltende Untersuchungen darüber, ob diese oder jene Maßregel dem " Geist" des Sozialistengesetzes entspreche oder noch über ihn hinausgehe. Deshalb war mir auch der Theil meiner Rede, in welchem ich die„ Geseglichkeit" der Berhängung des Belagerungszustandes über Berlin , Hamburg u. s. w. zu untersuchen hatte, nichts weniger als sympathisch, und ich behandelte denselben nur gezwungen, da unser bekannter Antrag doch formell begründet werden mußte. Auch hielt ich nicht hinter dem Berge, wie gering ich von dieser Paragraphendeutlerei dente. Ich stehe im Gegentheil gar nicht an, zuzugeben, daß die Regierung, sobald man sich einmal auf den Rechtsstandpunkt" ber Giltigkeit des Sozialistengesetes stellt, sich bei der Gesammtheit ihrer gegen uns gerichteten Verfolgungen in allen wesent lichen Dingen auf dem Boden des Gesetzes" befindet und diesen Boden selbst dann nicht so schnell verlassen würde, wenn sie ihre Verfolgung noch weiter steigerte.
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Ich denke, dies nothwendige Geständniß zeigt, wie ungünstig es für uns ist, wenn wir uns auf das positive Recht berufen. Freilich ist das Sozialistengesetz eine der schlimmsten Aeußerungen des positiven Rechts; aber die übrigen Gesetze sind nicht minder im Interesse der Herrschenden und gegen das Bolt, gegen uns gemacht. Das positive Recht ist eben das Recht der Herren, das kunstvolle Werkzeug zur Erhaltung und Aus dehnung ihrer Herrschaft. Positives Recht ist positive Gewalt; ja es hat noch die über die einfache brutale Gewalt hinausgehende Wirkung, daß es unsere ihm entgegenstehenden Ansichten und Lehren auch noch juristischmoralisch in's Unrecht setzt, so daß wir als die Feinde und Verächter des Rechtes erscheinen, unsere Gegner aber als dessen Schutz und Hort. Weit entfernt also, die schwache Seite unserer Gegner zu sein, ist das positive Recht vielmehr ihre starte Seite.
Bliebe das natürliche Recht. Gewiß stützen wir uns auf dasselbe, wenn wir beweisen, daß alle Menschen von Natur gleich sind und daß darum jeder Mensch das gleiche Anrecht auf die Güter des Lebens, und Keiner einen Anspruch auf ein Vorrecht vor seinen Mitmenschen habe. Aber nicht alle Wienschen finden die gleichen Grundsäge im Naturrecht, sondern die Auslegung des lettern ist je nach vorgebildeten Meinungen und Grund äßzen, nach dem verschiedenen Kultur-, Standes, Religionsune Parteistan punkte sehr verschieden. Daher kommt es, daß, während
wir unsere Sätze von der Freiheit und Gleichheit aller Menschen auf das Naturrecht gründen, andere aus demselben Naturrecht bedeutend abweichende, vielfach gerade entgegengesetzte Theorien ableiten. Ja, zweifellos ist die Zahl der Letteren heute noch wesentlich größer als die der Sozialisten.
So befindet sich also auch das Naturrecht zu einem bedeutenden Theil unter den Fahnen unserer Gegner.
Ich glaube, diese Thatsachen sind nicht sehr einladend für uns, immer wieder den Rechtsstandpunkt zu betonen“ und„ an das Rechtsgefühl unserer Gegner zu appelliren". Das Recht in unserem Sinne muß zweifellos das Fundament unserer Wirksamkeit sein in den Volkskreisen, welche disponirt sind, unsere Lehre der wahren Menschenrechte aufnehmen zu können, und durch kein entgegenstehendes Intereffe abgehalten werden, sie aufnehmen zu wollen. Unseren Feinden gegenüber aber haben wir Anderes zu thun, als ewig eine Rechtslehre zu wiederholen, die bei ihnen erfahrungsgemäß kein Verständniß findet. Nicht nur wird solch' fortwährendes Wiederholen auf die Dauer eintönig, sondern es gewinnt auch den Anschein, wie wenn wir unseren Gegnern jedesmal erst wieder unser Recht auf's Dasein beweisen wollten.
Und das brauchen wir nicht. Ob Regierung oder herrschende Klaffen den moralischen Rechtsgrund unseres Bestehens und Wirkens anertennen, ist nur solange von materiellem Jntereffe, als die Möglichkeit friedlichen Verhandelns nicht ganz ausgeschlossen ist. Sobald aber der Krieg erklärt wird, tritt die Rechtsfrage zurück, und es gibt blos mehr eine Macht frage. Kriegführende erweisen ihr Recht lediglich durch den Kampf.
Die Stellung der Sozialdemokratie und der herrschenden Klaffen zu einander ist heute nicht mehr die von zwei Rechtsuchenden; die letzteren haben der ersteren die Debatte verweigert und den Gerichtshof verschlossen fie appelliren an die Gewalt. Unter diesen Umständen gibt es unseren Feinden gegenüber nur einen„ Rechtsstandpunkt" des Kampfrechtes.
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Ich halte es für wichtig, daß diese Sachlage nicht verwischt werde, sondern daß sich die Erkenntniß derselben in die weitesten Kreise verbreite. Je flarer die Situation, desto weniger falsche Annahmen und Hoffnungen desto besser für uns.
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Vollmar.
Es liegt nicht in unserer Absicht, an diesen Artikel unseres Genoffen eine längere Polemik anzuknüpfen, und beschränken wir uns daher auf folgende furze Erwiderung:
Man hat durchaus nicht nöthig, sich selbst auf den Boden eines bestimmten Gesetzes oder des positiven Rechtes überhaupt zu stellen, wenn man der Regierung oder einer Majorität nachweist, daß sie ihre eigenen Gesetze in schamloser Weise mißbraucht. Mit dem bloßen Nichtanerkennen von Gesetzen kommen wir um feinen Schritt vorwärts, solange wir nicht zum offenen direkten Widerstand übergehen, was bis jetzt noch nicht in Deutschland geschehen ist. Unsere Genossen verlegen das Gesetz, weil ihnen teine andere Möglichkeit gelassen ist, sich zu bethätigen, werden sie bei der Verlegung abgefaßt, so bilßen sie entweder die ihnen aufgebrummten Strafen ab oder sie gehen außer Landes. Eine von uns gegebene Anregung, in bestimmten Fällen ein anderes Verhalten Jeinzuschlagen, fand zwar hier und da Zustimmung, wurde aber bislang nicht befolgt. Es ist somit durchaus nicht gleichgiltig, wie das Gesetz gehandhabt wird.
Wenn allerdings Genosse Vollmar der Ansicht ist, daß die Regierung bei der Gesammtheit ihrer gegen uns gerichteten Verfolgungen( Versammlungsauflösungs- und Ausweisungs- 2c.- Praxis) sich in allen wesentlichen Dingen auf dem Boden des Gesetzes befindet", so handelt er durchaus tonsequent, wenn er unsere obige Bemerkung zurückweift. Wir sind aber nicht in der Lage, der Regierung dies Zeugniß ausstellen zu können, sondern behaupten, und sind bereit, es zu beweisen, daß sie das Gesetz in willkürlichster Weise auslegt und nach ihren Bedürfnissen verdreht. Wenn wir darauf verzichten, ihr das in's Gesicht zu schleudern und über den denn darum handelt es sichReichstag hin a us an das allgemeine Rechtsgefühl zu appelliren, dann wissen wir nicht, welchen Zweck es überhaupt noch haben kann, an der Debatte über den Belagerungszustand uns zu betheiligen.
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Der kühle Verstand ist gewiß eine sehr schöne Sache, man erlaube uns aber auch, für das warme Gefühl, für die Leidenschaft, ohne die nun einmal fein Kampf geführt wird, eine Lanze einzulegen.
Sozialpolitische Rundschau.
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Wir haben nicht genug Soldaten. Dem Reichstag werden Mehrforderungen zum Militäretat vorgelegt werden, und Herr von der Golz, der famulus des alten Moltke, hat in einer vor Kurzem in der Deutschen Rundschau" veröffentlichten Rezension eines Werkes über Strategie den sehr richtigen Gedanken ausgesprochen, daß für die Kriege der Zukunft" die gegenwärtigen Armeen viel zu klein seien. Wenn er aber meint, die ,, Kriege der Zukunft" würden ,, den Charakter von Völkerwanderungen annehmen", so hat er entschieden nicht Recht.
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Volkskriege, d. h. riesige Kämpfe, zu denen die Völker sich erheben, wird die Zukunft der Kulturstaaten uns allerdings bringen, diese Kämpfe werden jedoch defensiver Natur sein: gegen auswärtige Feinde, denen ähnlich wie 1870 in Frankreich die stehenden Heere erlegen find; oder gegen die inneren Feinde, die Unterdrücker und Ausbeuter des Volkes. Nimmermehr aber werden die Völker Angriffs und Erobe. rungs kriege führen. Die ,, Völkerwanderungen" in dem Golz'schen Sinne find nur möglich in Zeiten der Barbarei, wo die Völker nichts zu verlieren und durch Raub sogar noch zu gewinnen haben. Für ein Kulturvolk ist der Krieg unter allen Umständen ein furchtbares Uebel und bringt, selbst im Falle des Sieges, weit mehr Nachtheile als Vortheile.
Herr von der Golg als Bunftmilitär hält den Krieg natürlich für eine göttliche und ewige Institution, die höchste Bildungsstufe der Völker, und er fann fich feinen Zustand denken, in welchem die Kriege von den Boltsmaffen nur noch für Massenmördereien, und die Urheber derselben für todeswürdige Verbrecher gehalten werden.
Den Vertretern des heutigen faulen Staats- und Gesellschaftssystems find die heutigen Armeen freilich nicht mehr genügend, fie find aber zum Glück an der Grenze des Könnens angelangt. Eine wesentliche Steigerung des Militarismus ist nicht mehr möglich fie würde entweder direkt zur allgemeinen Volks bewaffnung führen, welche der absolute Gegensatz des Militarismus ist oder die schon überlasteten Völker so unerträglich belasten, daß diese zu ihrer Selbsterhaltnng die Bürde abschütteln und ihren Drängern und Aussaugern das Handwerk auf immer legen müssen.dk Der Militarismus, gleich dem Kapitalismus, muß an seiner eigenen lebertreibung, an seinen eigenen Konsequenzen zu Grunde gehen. Die gewaltigen Panzerschiffe, diese Ungethüme des Meeres", haben sich in ihrer Gewaltigkeit bereits als unbrauchbar erwiesen, fie verfinfen mitten im Frieden und werden vor Ausbruch eines großen Seekrieges wohl schon vom Meere verschwunden sein. Und dasselbe gilt von den stehenden Heeren, diesen Ungethümen des Landes, die schon im Frieden die Völker so erschöpfen, daß deren Lebensinteresse ihre Abschaffung erheischt, und die oben drein im Krieg gegen bewaffnete Völker ganz unzureichend find. Die Armeen der Zukunft werden Volksbeere, Böifter in Waffen sem, und die ,, Kriege der 3ufunft" nicht, wie Herr von der Golz glaubt, Kriege von Sklavenvölkern, die auf Kommando roher Despoten Knechtschaft und Berwüstung in die Welt tragen, sondern Freiheitskriege,
in denen die Völker sich ihrer einheimischen und auswärtigen Unterdrücker erwehren.
Sind die Unterdrücker vertilgt, ist die Sklaverei in jeder Gestalt abgeschafft, dann wird Friede herrschen auf Erden. Vorher nicht.
Die Ausführungen des Herrn von der Golz zeigen indeß jedenfalls, daß es den Herren, die jetzt noch am Ruder find, bange zu werden be. ginnt und daß sie sich von der Unzulänglichkeit ihrer heuti= gen Machtmittel zu überzeugen beginnen.
Wie ein preußischer Staatsminister Zitate fälscht. In seiner Reichstagsrede vom 13. Dezember, welche die Schändlichkeit unserer Partei darthun sollte, sagte Herr von Puttkamer unter Anderem:
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Aber auch über die fundamentalen Inftitutionen des täglichen Lebens, z. B. über den Eid- ich spreche gar nicht über den religiösen Eid, das ist für die Herren ein längst überwundener Standpunkt, aber von dem Eid an sich fördert die Presse des Herrn Abgeordneten von Vollmar ganz eigenthümliche Differenzen zu Tage:
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Ueberschrift: Meineid, eine Folge des Sozialistengesetzes. Unsere Genossen
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es werden einige von den Herren genannt
wurden vom Schwurgericht in Landshut des Meineides für schuldig erklärt und unter Ausschluß mildernder Umstände zu 18. resp. 19 Monaten Zuchthaus verurtheilt. Für Arbeiter ist keine Strafe zu hart, da arbeiten bürgerliche Geschworne und Berufsrichter Hand in Hand, um den politischen Gegnern auf möglichst lange Zeit das Brandmal der Ehrlosigkeit aufzudrücken. Nur vor dem Gesetz, vor dem Spießbürger werden die nämlich wegen Meineides
Verurtheilten jetzt ehrlos sein; vor uns, vor der Partei des arbeitenden Volkes, sind sie es ebenso wenig wie ein anderer Genosse, der noch immer wegen eines gleichen„ Meineides" im Zuchthause schmachtet.
Nun muß ich sagen, wenn eine der Säulen der Rechtspflege so beurtheilt wird, werden die Konsequenzen für die übrigen Anschauungen der Herren in Bezug auf alles Das, was mit Gesetzgebung, Gerichtsverfaffung und Gerichtsverfahren zusammenhängt, wohl ziemlich klar zu Tage treten."
Nach diesem Zitat könnte es allerdings scheinen, als ob wir jeden Meineid ohne Weiteres für gerechtfertigt erklärt hätten, was uns in Wahrheit gar nicht eingefallen ist. Herr Puttkamer hat vielmehr aus unserer, der Nr. 3 des„ Sozialdemokrat" vom vorigen Jahre entnom menen Notiz absichtlich diejenigen Stellen fortgelassen, welche darthun, warum wir die betreffenden Genossen nicht als ehrlos betrachten können, aus denen hervorgeht, daß wir den Eid keineswegs so leicht nehmen wie z. B. verschiedene Vorfahren von Puttkamer's ,, allergnädigstem Herrn". Die von Buttkamer ausgelassenen Stellen lauten nämlich:
Nach„ verurtheilt:
weil sie den wegen öffentlicher Vorlesung des Flugblattes: ,, Keine Schmarotzer mehr" angeklagten Genossen Fuß dadurch hatten vor der Verurtheilung schützen wollen, daß sie leugneten, ihn zu kennen. Wenn ein gewissenloser Fabrikant Leben und Gesundheit seiner Arbeiter fahrlässig auf's Spiel setzt, um nur recht viel Geld zu verdienen, so kommt er in der Regel mit einer Geldstrafe weg, im schlimmsten Falle sezt es einige Monate Gefängniß ab, der Lebensmittelfälscher, der Medizinalpfuscher, der gemeine Gauner erhalten, wenn es nur irgend geht, mildernde Umstände bewilligt", nach für Arbeiter":
,, aber, die, um einen ihrer Gesinnungsgenossen vor den Folgen eines infamen Ausnahmegesetzes zu schützen, einen politischen Meineid schwören, wie er ihnen von den hohen und höch ften Personen im Reiche schon unzähligemale vorgemacht worden ist ( man dente nur an die Rastatter Morde unter Leitung des Kartätschenprinzen), wie er ihnen in der Schule schon als eine unter Umständen patriotische That gepriesen worden ist( General York!)" nach Meineides im Zuchthause schmachtet":
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Wenn die Landshuter Geschwornen lediglich ihren blindwüthenden Parteihaß hätten sättigen wollen, so müßte ihnen schon die außerordentliche Ungeschicklichkeit, mit der ihre armen Opfer vorgegangen waren, sagen, daß sie es mit unüberlegten Männern zu thun hatten, die sich taum recht flng waren, was sie durch ihr Ableugnen auf's Spiel sezten, aber was fragt der Bourgeois dem Proletarier gegenüber nach Motiven!" Thut nichts, der Jude wird verbrannt!" das ist die politische Marime dieser Ordnungsfreunde. Wir werden sie uns merten!"
id Wie man sieht, wandten wir uns nicht einmal gegen die Bestrafung von Dietl 2c. überhaupt, sondern nur gegen die unerhörte Härte der Strafe und die Ehiloserklärung. Zudem zeigt auch unsere Ueberschrift:„ Meineid eine Folge des Sozialistengesetzes" jedem, der lesen kann, wie wir vom Meineide unter normalen Umständen denken. Herr von Puttkamer läßt uns also, indem er nicht nur ganze Säße aus unserer Notiz fortläßt, sondern einen Satz sogar verstümmelt, direkt das Gegentheil von dem sagen, was wir wirklich gesagt haben.
Jm gewöhnlichen Leben nennt man das infame Fälschung, Herr v. Puttkamer aber ist ein ehrenwerther Mann und hat für seine ausgezeichnete Rede gegen die gemeingefährlichen Bestrebungen der Sozialdemokratie den rothen Adlerorden erster Klasse erhalten!
Preußische Spielwirthschaft. Einige Episoden aus dem Berliner Aufruhr"-Prozeß, welche unbedingt der Vergessenheit entrissen zu werden verdienen, entnehmen wir aus einem uns neuerdings zugegangenen Briefe aus Berlin : sisid
Der Arbeiter Wolf, Tischler, welcher als Entlastungszeuge vorgeladen war, erzählte, er habe mit mehreren Bekannten im Wartesaal 3. Klaffe gestanden, als er von Jemand darauf aufmerksam gemacht wurde, daß ein Fauler" sich in ihre Nähe gedrängt habe. Nach kurzer Zeit steigt der ihm als" faut" bezeichnete Mann auf einen Stuhl und bringt das erste hoch! aus. Wolf nimmt ihn beim Kragen und übergibt ihn zwei Schutzleuten. Diese wollen sich mit demselben entfernen, wenige Schritte vor dem Ausgange aber zieht der Hochrufer etwas aus der Tasche und zeigt es den Schußleuten, worauf diese ihn zu einer anderen Thüre hinausgeleiten, als zu der, welche die übrigen Arrestanten paffirten. Später wurde auch Wolf verhaftet, und zwar von eben diesem Faulen"!
Der Präsident forderte Wolf zunächst auf, nicht fortgesetzt den Ausdruck: Fauler" zu gebrauchen; dann fragte er ihn erstaunt: ,, Sie find selbst mit arretirt gewesen und nicht mit angeklagt?" Wolf antwortete, daß man ihn Mangels jeglicher Anklagepunkte habe freilassen müssen. Als Zeugen für die Wahrheit seiner Aussagen bezeichnete er zwei der Angeklagten, außerdem wären noch zwei Schutzleute bei dem Vorfall zugegen gewesen, die er indeß nicht wieder erkenne. Auf die Anfrage des Präsidenten an die Beamten, ob sich einer der Sache erinnere, meldete fich ein Schutzmann und sagte, er habe die Wache gehabt und da sei ein Mann herausgekommen, der, als er ihn festnehmen wollte, antwortete, er habe ja selbst Einen zur Festnahme hergebracht. Der Präsident erwiderte: Der Vorfall ist leider schon über 13 Wochen her und deshalb verjährt, sonst würde ich Sie sofort mitantlagen. Dann fragte er, ob er den Schuhmann kenne, dem er den„ Faulen" übergeben habe. Jawohl, antwortet Wolf, wendet sich zu den Zeugen um, sucht einen Augenblick und packt dann einen alten Wachtmeister am Arm: Dieser ist's! Der Wachtmeister bestätigt diese Ausiage; turze Zeit vor dem Radau" habe ein Mann ihm einen andern zum Verhaften gebracht, er selbst habe den Letzteren zwei Schuyleuten übergeben. Hierauf frägt der Präsident Wolf, ob er auch den betreffenden Faulen" noch tenue.„ Allerdings", lautete die Antwort, derselbe muß sogar hier sein, denn ich habe ihn vorher draußen gesehen und auch bemerkt, wie er hereingerufen wurde. Nach einigem Suchen greift Wolf den Spitzel Wittig am Arm und schleppt