wo Herr Lipke Liebknecht gegenüber den bereits widerlegten Vorwurf wiederholt, daß dessen Antrag nur den Zweck habe, Stimmen zu fischen," erklärt er harmlos, daß er seinen Antrag so nichtssagend formulirt habe, um für denselben möglichst viel Stimmen zu" gewinnen." Das nennt fich entschieden liberal"!

Da loben wir uns den in Leipzig mit knapper Noth gegen Bebel ge­wählten rechtsnationalliberalen Bürgermeister Stephani. Der erklärt mannhaft, daß er und seine Freunde nicht für diese nichtssagende Tages­ordnung, sondern direkt gegen diesen, der Regierung so unbequemen Antrag stimmen werden. Denn, meine Herren, wir beklagen es tief" u. s. w. u. s. w. Den Reft fennt man.

Der feudale Krautjunker v on Minnig er

erode erklärt dagegen, mit der Fraktion Laster Arm in Arm gehen zu wollen.

Da Windthor st sich noch nicht genug blamirt hatte, so suchte er noch einmal seine mit seinen früheren Erklärungen in Widerspruch stehende Abstimmung zu motiviren. ,, Ein Recht zur Revolution gibt es nie" ruft der Doktor juris pathetisch aus. Schade, daß er nicht Universitäts­professor geworden ist.

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Nach einer kurzen Plänkelei Eugen Richter's gegen Windthorst und Minnigerode tam Genosse Kayser zum Worte. Auch er hatte seinen guten Tag und gab namentlich Herrn Windthorst und dessen Freunden vom Zentrum ganz angemessene Wahrheiten zu hören. Da seine Rede von der Tagespresse noch mehr verdreht wurde als die Liebknecht's, so werden wir aus ihr gleichfalls einen Auszug veröffentlichen.

Folgten noch verschiedene persönliche Bemerkungen, worauf in der Abstimmmung der Antrag Lipke durchgeht, für den die Libe ralen, die Mehrzahl der Konservativen und Fort­schrittler, sowie die Ultramontanen stimmen.

Der prinzipiellen Entscheidung sind die Herren dadurch, nach ihrer Ansicht, aus dem Wege gegangen, das Volk aber macht so feine Unter­schiede nicht. Es hört, um mit Liebknecht zu reden, aus allen Win­dungen und Wendungen nur das eine nicht mißzuverstehende Nein!" Bei den Wahlen werden wir uns wieder sprechen

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- Die Königliche Preußische Sozialreform zeigte sich am 12. Januar in ihrer ganzen Schönheit. Es stand der Antrag Hirsch auf der Tagesordnung, der Reichskanzler solle dahin wirken, daß die in der Gewerbeordnung vorgesehenen Vorschriften zum Schutz für Leben und Gesundheit der Arbeiter endlich erlassen werden. Seit 1878 hat der Bundesrath die Vollmacht, diese nothwendigen Schutzmaßregeln an­zuordnen, 1879 wurde ihm ein fertiger Entwurf vorgelegt; derselbe ver­schwand aber von der Tagesordnung, weil er-- dem Sozialreformator nicht gefiel. Jm vorigen Jahre über das Schicksal dieses Gefeßentwurfes befragt, erklärte der große Arbeiterfreund", daß die Industrie, d. h. die Unternehmer, die mehr belastung, die ihr aus solchen Schußeinrichtungen erwachsen, nicht ertragen fön­nen. In England, in Frankreich , ja selbst in Oesterreich find sie schon längst in Gültigkeit!!

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Eine ganz ähnliche Antwort gab diesmal der Bundesrathsvertreter, Geheimerath Lohmann. Nur vertröstete er auf das bevorstehende Un­fallversicherungsgesetz. Man möge nur dieses erst annehmen, die auf Grund dieses Gesetzes zu bildenden korporativen Verbände, das seien die rechten Instanzen, um zu entscheiden, inwieweit solche Vorrichtungen nothwendig seien. Bis daher mögen also die Arbeiter weiter verun­glücken. Was das heißt, zeigt die Enquete von 1881. Von gegen zwei Millionen deutscher Arbeiter, auf welche diese sich erstreckte, , auf welche wurden jährlich durch Unfälle in Fabriken 1986 getödtet, über 1600 dauernd erwerbsunfähig und 85,056 vorüber= gehend erwerbsunfähig. Gehörige, durch Fachleute und die Erfahrungen anderer Länder empfohlene Schußeinrichtungen in Fahriken kann die Industrie nicht ertragen das ist Bismarck 'sche Arbeiterfreundlichkeit.

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Wie man in höheren Regionen" über Verfaf­sung und Gesez denkt, lehrt die Reichstagsfitung vom 13. Ja nuar. Es handelte sich um den Antrag Kayser, der dahin ging, daß der Reichskanzler noch in dieser Session das Aftenmaterial über die verfassungswidrige Verhaftung unseres Genossen Die vorlegen solle. Tieses Aftenmaterial war nämlich schon in der vorigen Session verlangt worden, die württembergische Regierung hat es auch dem Reichskanzler zur Verfügung gestellt, dieser aber, der, wo es ihn betrifft, den gesetz­lichen oder auch ungesetzlichen Schutz so gerne in Anspruch nimmt, hat es für besser gefunden, die Sache ruhig ad acta zu legen. Was fümmert den ,, Genialen" eine Verfassungsverletzung, witrie er doch, wenn es seinen Zwecken entspricht und er die Macht dazu hat, 1000 Verfassun gen, die er beschworen, mit größtem Vergnügen brechen, so wahr mir Gott helfe."

Eide auf Verfassung und Geseze find nur für das dumme Volk da, das sich die Zähne daran ausbeißen mag.

Kayser's Antrag betraf den verfassungsmäßigen Schutz der Abgeordneten, man hätte meinen sollen, daß deshalb der ganze Reichstag wie ein Mann zusammengehalten hätte. Die Achtung vor sich selbst legte den Herren diese Pflicht auf. Aber siehe da, im Namen der Herren vom höheren Ehrgefühl, der staatserhaltenden" Verfechter der Religion und Moral kat' exochen erklärte der christlich konservative Junker von Minnigerode, daß für ihn und seine Freunde die Sache er­ledigt" sei.

Und richtig waren es die Konservativen und verschiedene Mitglieder der Fraktion für Wahrheit, Freiheit und Recht"( Ultran- ontane!), die gegen den Antrag stimmten.

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Die große Mehrheit aber nahm ihn aus dem oben bezeichneten Grunde an. Armes Kind, was wird Dein Schicksal sein?

Wie könige, wohlthun". Das Elend der Ueberschwemmten im Rhein - und Maingau zc. ist auch dem deutschen Kaiser zu Herzen gegangen, und darum griff er tief in den ihm für solche Zwecke zur Verfügung gestellten Dispositionsfonds und bewilligte" aus dem Volkssäckel die Summe von 600,000 Mart. Das nennen wir doch hochherzig handeln! Der Reichstag war auch ganz außer sich vor Rührung über folche Mildthätigkeit und legte auf den Antrag Windthorst der Ex­minister ist bei solchen Angelegenheiten immer zuerst bei der Hand, wir erinnern nur an den Dynamitparagraphen! dem Kaiser seinen unter­thänigsten Dank dafür zu Füßen.

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Wohlthun ist eine sehr schöne Sache, aber aus anderer Leute Tasche wohlthun, und dafür noch angewinselt werden, das ist in der That töniglich.

Ein Proletarier, der von seinem fargen Wochenlohne den dritten oder vierten Theil hingibt, thut mehr für die Nothleidenden als dieser gekrönte Wohlthäter, deffen Lob in allen Tonarten erschallt. Aber, Sand in die Augen, das ist die Hauptsache!

- Wie die privilegirten Gesetzeswächter die Ge­seze achten. In Görlig forderte ein konservativ- antisemitischer Standalmacher, der vom Kyffhäuserfest her berüchtigte Redakteur Hamel, einen fortschrittlichen Redakteur zum Pistolenduell. Da die Herausforde rung zum Duell auf Grund des§ 201 des Strafgesetzbuches mit Festungs­haft bis zu 6 Monaten bedroht ist und Herr Hamel sich öffentlich mit seiner Forderung brüstete, ohne daß ein Strafantrag erlassen wurde, so denunzirte schließlich der Fortschrittler, ein Herr Baadt, Herrn Hamel bei der Staatsanwaltschaft, und diese mußte wohl oder übel einschreiten. Bei der Verhandlung nun erklärte der Staatsanwalt leider wird der Name dieses Biedermannes nicht angegeben, daß er zwar die unbedingte Herausforderung zum Zweikampfe mit tödtlichen Waffen erwiesen, aber eine ganz besonders milde Strafe als angemessen erachtete, weil das Duell eine

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Sitte und der gewohnheitsmäßige Weg in dem Stande, welchem die Angeklagten angehören, sei, die angegriffene Ehre zu vertheidigen; die Angeklagten hätten sich bei dem ganzen Ehrenhandel völlig forrett benommen. Hiernach beantragte die königliche Staatsanwalt­schaft, den Angeklagten als Strafminimum je einen Tag Festungs­haft aufzuerlegen."

Das Duell ist eine Sitte, meint der Herr Staatsanwalt", setzen die liberalen Blätter hinzu, und was ist dann nach seiner Ansicht das Gefet?"

Wir wollen die Frage beantworten. Das Gesetz ist nach der Ansicht dieses würdigen Strebers ein Mittel, mißliebige Personen" unschädlich zu machen, das freie Wort zu unterdrücken, die Kanaille Volk niederzuhalten, damit die privilegirten Räuber und Diebe am Volkssäckel ihren Raub in Ruhe und Frieden verzehren und nach unbeschränkter Laune ihren gefügigen Subjekten Brosamen zuwerfen können; das Gesetz ist geschaffen, um die Mächtigen zu schützen und die Schwachen der Will für preiszugeben. Das Gesetz ist dazu da, im Intereffe der Tyrannei mit Füßen getreten zu werden, wie Verfassungen dazu da find, im gleichen Interesse gebrochen zu werden. Wie jeder Beamte hat der Staatsanwalt die preußische Verfassung beschworen, in welcher es heißt:

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Alle Preußen sind vor dem Gesetze gleich; Standesvorrechte finden nicht statt."

Was er von diesem Eide hält, zeigt sein obiger Ausspruch; trotzdem ist er beileibe kein Meineidiger, sondern ein Ehrenmann, ja ein Ehren­mann in der höchsten Potenz, ein töniglich preußischer Staats­

anwalt!

Ein Orden wird ihm nicht ausbleiben.

Wenn's Leute aus der guten" Gesellschaft trifft. In Mainz hatte ein Schutzmann den, wie es heißt, allgemein geach­teten Schriftsteller Röttger am hellen Tage verhaftet, weil er feine Legitimation bei sich trug. Dafür hat der Schutzmann einen derben Rüffel erhalten, eine empfindliche Geldstrafe erlegen, sowie Herrn Röttger persönlich Abbitte leisten müssen. Daß einem Arbeiter oder So zialdemokraten jemals eine solche Genugthuung für einen poli­zeilichen Willküraft würde oder geworden sei, haben wir noch nie ge hört und werden wir auch wohl, so lange das heilige deutsche Reich dauert, nie zu hören bekommen.

Uebrigens- Mainz liegt in Hessen- Darmstadt . In Preußen hätte der Schutzmann einen Orden bekommen, und Herr Röttger eine Anklage wegen- Beamtenbeleidigung. Siehe Fall Franzen"!

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Noch etwas von Buttkammers Art zu zitiren. Im preußischen Landtage hatte Herr Gneist bei Berathung der ultrareat­tionären das beweist Gueist's Opposition Verwaltungsgesetznovelle dieses Puttkamer'sche Machwerk so vernichtend kritisirt, daß der Minister erklärte, zu milde zu sein, um sofort antworten zu können; dafür verlas er ein Zitat aus Gneist's Schriften, welches zeigen sollte, daß dieser bisher andere Ansichten geäußert, als plöglich ihm, dem Minister gegenüber. Herrn Gneist Widersprüche nachzuweisen, ist sonst nicht sehr schwer, Herr Buttkamer aber brachte dies nicht anders fertig, als daß er wie Gneist ihm sofort nachwies eine Stelle aus dem Zusammenhang riß, wie ein Reporter zu thun pflegt". " Ich zitire, wie es mir paßt", antwortete Buttkamer mit bekannter Unverfrorenheit.

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Ei, ei, Herr Stöcker! Als der arme Hofprediger in der Berliner Arbeiterversammlung vom 8. Januar von den Arbeitern immer mehr in die Enge gedrängt wurde, da schrie er in seiner Herzensangst, es gebe nur ein Buch in der Welt, das den Arbeitern freundlich gesinnt sei, die Bibel, und nur einen Mann, Jesus Christus, den zu Betlehem gebornen Zimmermannssohn. Ueber die Ar­beiterfreundlichkeit der Bibel verlieren wir kein Wort, dagegen macht uns der Zimmermannssohn aus Betlehem " sehr viel Vergnügen. Wie, Herr Hofprediger? Sie wagen es, Christus den Sohn eines Zimmer­manns zu nennen? Welch' grauenhafter Ketzer sind Sie doch! Ist Ihnen denn gar nichts von einem gewissen heiligen Geist" und von einer Jungfrau Maria bekannt? Freilich war diese Jungfrau auch neben­bei Frau eines Zimmermanns, dieser aber hat mit dem Sohn dieser Maria, Christus, nichts zu schaffen, denn Chriftus ist der Sohn Gottes, das heißt, er ist sein eigener Sohn, da Chriftus Gott selbst ist. Das sind, denken wir, die Grunddogmen der chriftlichen Kirche, an denen nicht gerüttelt werden darf. Daß aber mir gottlosen Sozialdemokraten" ge­zwungen sind, dies einem preußischen Hofprediger auseinanderzusetzen, das ist, um im Stöcker'schen Jargon zu reden, ein himmelschreiendes Zeichen von der religiösen Verwahrlosung unserer Zeit."

Ein Pfaff auf dem Rückzuge. Genosse Schön in Zug bekam diese Woche von Ulm ( a mtlich) die Nachricht, daß seine Sache siehe Nr. 1 des Sozialdem." niedergeschlagen und die Beschlag­

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nahme seiner Bücher aufgehoben ist. Die Sache war wirklich so lächerlich, daß die schwäbische Justitia" sich zu einem fanften Niederschlag" be quemte, um nicht vor der ganzen Juristen- und Laienwelt als Rechts­behüterin von Lalenburg" feierlichst und erblich proflamirt zu werden. Schade, daß dem Ulmer ,, Rechts- Pfaff" dadurch die Chance entging, zum Lalenburger Oberpfaff zu avanziren.

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Frankreich . Der Anarchistenprozeß in Lyon hat, wie auch der Gerichtsspruch ausfallen möge, unsere Vorhersage erfüllt: er hat mit einer folossalen Blamage der Staatsanwaltschaft geendet. Von einer ,, Verschwörung" teine Spur, ebenso fehlt jeder Schatten eines Beweises für die Zugehörigkeit zu einer internationalen Afsoziation zum Umsturz der bestehenden Eigenthumsverhältnisse."

Was die Haltung der Angeklagten, mit deren Ansichten wir bekanntlich nicht einverstanden sind, betrifft, se verdient dieselbe im Allgemeinen nur Anerkennung. Sie traten mit Energie für ihre Rechte ein und ließen sich in keiner Weise durch den Schwurgerichtspräsidenten, einen ehemaligen Bonapartisten, einschüchtern, gaben ihm vielmehr manche harte Nuß zum Knacken. So hielt ihm der Schriftsteller Gautier entgegen, daß er ja selbst nur im Namen einer Regierung auftrete, die durch Rebellion an's Ruder gekommen sei. Wir sind also unter uns Aufrührern." Arg blamirte sich der Präsident, als er Krapotkin gegenüber dagegen Verwahrung ein­legte, daß die That der Vera Saffulitsch in Frankreich allgemeine Sym­pathie erregt habe. Vera Sassulitsch ist von den Geschwornen freige­sprochen worden und Sie, als Richter, sollten doch vor einem Gerichts­spruch Achtung haben", erhielt er unter allgemeiner Heiterkeit zur Ant­

wort.

Interessant ist, daß gerichtlich festgestellt wurde, daß ein als Haupt­antiageſtüc fungirendes Flugblatt, welches an Kraftausdrücken, Drob ungen, Aufforderungen zu Mord und Brand 2c. das Menschenmögliche leistet, von einem notorischen Polizeispion, Namens Valadier, her rührte. Gleichen Ursprungs dürften auch die albernen Drohbriefe an den Gerichtshof sein. Bis zur Stunde, da dies Blatt zur Presse geht, ist das Urtheil noch nicht bekannt.

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Der Streit der Porzellanarbeiter in Limoges wird mit wachsender Erbitterung geführt. Die Herren Fabrikanten wollen um jeden Preis die Arbeiterorganisation zerstören. 5000 Arbeiter find infolge dessen arbeitslos.

Bei der Stichwahl in Lyon wurde der sozial radikale Kandidat Brialou gewählt.

Jm 5. Arrondissement von Paris ( Wahlkreis Louis Blanc 'e) fan­didirt von Seiten der Arbeiterpartei Schriftsetzer J. Allemane, ehe­maliger Kommunekämpfer. Ihm gegenüber stehen der Opportunist Engelhard und der Sozialraditale Bourneville, der die

meisten Chancen zu haben scheint, und verschiedene nicht in Betracht tommende Kandidaten. Im Wahlprogramm Bournevilles figurirt u. A.: .Recht auf Existenz durch Arbeit für alle Arbeitsfähigen und Recht auf Unterstützung für alle Arbeitsunfähigen", sowie eine ganze Anzahl prak­tischer Arbeiterforderungen. Daraus ergibt sich, mit welchen Schwierig­teiten die Kandidatur Allemane zu kämpfen hat.

Im Wahlkreise Gambetta's( Charonne) wird als sozialistischer Kan­didat u. A. A. Dumay genannt, 1871 Maire von Creusot. Auch Jules Gues de ist vorgeschlagen. Seine Kandidatur scheint nicht aussichtslos, da eine öffentliche Wählerversammlung, in der zunächst die Programmfrage diskutirt wurde, mit großer Majorität das Roanner Programm afzeptirte.

Aus Polen . Ueber die polnische sozialistische Bewegung wird uns von befreundeter Seite geschrieben. Lang­sam, aber sicher schreitet die junge polnische sozialistische Bewegung, von welcher vor 5 Jahren noch kaum die Spuren zu bemerken waren, vorwärts. Nicht alle Hoffnungen, die man an sie geknüpft hatte, sind zwar bis jetzt verwirklicht, aber wenn man alle Schwierigkeiten in Be­tracht zieht, welche der Bewegung entgegenstehen: die ungewöhnlichen politischen Verhältnisse Polens , das höchft feindliche Benehmen der pol­nischen Jutelligenz gegen die neue Bewegung u. s. w., so muß man ge­stehen, daß die bisherigen Resultate als eine gute Bürgschaft für die Zukunft gelten können. Weiter muß erwogen werden, daß die sozialistische Propaganda keine Vorarbeiten für ihre Arbeit vorgefunden hat, weder eine demokratische, noch eine antireligiöse Propaganda ist ihr voraus­gegangen, so daß sie fast die ganze Aufklärungsarbeit für die Maffen allein verrichten mußte. Es mag Manchem seltsam erscheinen, aber man findet in Polen , dem Lande, welches einst auf die Führerrolle in der europäischen Demokratie Anspruch erhoben, keine demokratische Literatur, feine demokratische Partei, und mehr als auf jedes andere Land kann man auf Polen die Worte des deutschen Arbeiterpro gramms anwenden: schwarz­daß alle Parteien ohne Ausnahme uns gegenüber eine patriotisch reaktionäre Maffe bilden.

Unter diesen schwierigen Verhältnissen, zu denen noch der politische und zum Theil nationale Druck tommt, haben es die polnischen Sozia­listen verstanden, in jedem der drei Theile des Landes einen festen Kern entschlossener und ihres Zieles bewußter Kämpfer zu bilden und so eine feste Grundlage zur Bildung der sozialistischen Arbeiterpartei in jedem Theile Polens zu legen. Sie haben auch in den intelligenten Arbeiter­treisen Sympathien für sich erweckt, haben eine zwar nicht originelle, aber doch sehr nüßlich wirkende Broschürenliteratur geschaffen und- was auch von gewiffer Bedeutung ist haben auch in den gebildeten" Kreisen von sich reden, die Intelligenz auf die wichtige Bedeutung der fozialen Bewegung aufmerksam gemacht. Der Haufen Tolltöpfe, Ver­räther an der nationalen Sache, Nihilisten, russische Spione", und was man sonst uns für Namen gab hat es so weit gebracht, daß nicht nur in mehr oder weniger weiten Privatkreisen, in der Presse, sondern auch in den berathenden Körpern( z. B. im galizischen Seim") die soziale Gefahr besprochen wird, freilich nur, um vor dem Gift des So­zialismus zu warnen.

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Die eigenartigen Zustände in jedem der drei Theile Polens : im öfter­reichischen Galizien , im preußischen Posen und im russischen Königreich Polen bringen es mit sich, daß auch die sozialistische Thätigkeit in jedem Theile einen besonderen Charakter tragen und sich mehr oder weniger selbstständig entwickeln muß. Zwar dient die Sprachgemeinschaft als V reinigungselement der drei Theile, auch gibt es sonst genug prat­tische Interessen, welche die Sozialisten Polens , Galiziens und Posens mit einander verbinden, und es gibt auch viele Sozialisten, die sowohl in dem einen, wie in dem andern Theile gewirkt haben. Aber die Thätigkeit selbst, die Programme, die näheren Ziele der Bewegung müssen selbst­verständlich in den verschiedenen Theilen unabhängig sein.

Die Bewegung in Russisch- Polen( im sogen. Königreich) und hauptsächlich in Warschau ist die älteste wie auch die wichtigste von allen. Nicht sowohl weil sie die meisten positiven Resultate zu Stande ge­bracht hätte, wenn man unter pofitiven Resultaten etwa eine hochwichtige revolutionäre That oder eine vorübergehende Besserung im Wohlstande der Arbeiterklasse oder einen Einfluß auf die Gesetzgebung versteht. Solcher Resultate kann sich die 5jährige Thätigkeit der Sozialisten im Königreich nicht rühmen. Revolutionär aus Prinzip, hat sich die Thätigkeit der Partei bis jetzt auf Propaganda beschränkt, an einen Einfluß auf die Gesetzgeb­ung oder eine Besserung der Lage der Arbeiterklasse ist bei den jetzigen politischen Verhältnissen in Rußland nicht zu denken. Aber die Warschauer Sozialisten haben die meisten agitatorischen und intellektuellen Kräfte der Partei geliefert; sie haben durch zahlreiche Opfer, die für die Sache ge­litten und gestorben, sowie durch ihre ganze Thätigkeit eine gewisse revo­lutionäre Tradition unter der Warschauer Arbeiter bevölkerung und einem, wenn auch kleinen Theile der Warschauer Jugend geschaffen. Nach Außen haben sie fast nur durch Verhaftungen, Verfolgungen von Seite der Regie­rung, sowie durch ihre revolutionäre Literatur sich bemerkbar gemacht. In dieser Beziehung um nur von den letzten Ereignissen zu sprechen ist ein neues Programm der Warschauer Organisationen bemerkens­werth, welches unlängst in Genf gedruckt wurde.*) Einige Auszüge werden die beste Auskunft darüber geben.

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In der allgemeinen Entwickelung der europäischen Länder bildet unser Land keine Ausnahme; seine Vergangenheit und seine jetzigen Ein­richtungen waren und sind nur auf der Armuth und Ausbeutung bafirt und bieten dem Arbeiter nichts als Noth und Entbehrung. Unsere Gesellschaft trägt alle Züge eines bourgeois- kapitalistischen Organismus, wenn auch der vollständige Mangel politischer Freiheiten ihm ein be­sonders elendes und kränkliches Ansehen geben..... Von einer Masse erniedrigter und in ihrer Apathie verfaulender Parasiten unterdrückt, des Antheils an der Führung öffentlicher Angelegenheiten beraubt,... ist das polnische Proletariat länger als das anderer Länder im Schlafe geblieben. Außer den ökonomischen und politischen Verhältnissen hat hierzu nicht wenig auch die nationalpolitische Abhängigkeit unseres Landes vom fremden Eroberer beigetragen. Die nationalen Bewegun­gen und Aufstände haben, indem sie zur Einigkeit aller Polen und zum gemeinschaftlichen Kampfe gegen die Fremden aufriefen, bei uns das Klaffenbewußtsein des Arbeites getödtet..... Die nationale Unabhän­gigkeit, die als Mittel gegen alle sozialen Schäden verkündigt ward, hat die Aufmerksamkeit der Arbeiter von den wirklichen Ursachen ihres Elends abgelenkt..... Diese Zustände fönnen nicht länger dauern. Die mora­lische Emanzipation des polnischen Proletariats von den Einflüffen seiner bevorrechteten Klassen, der fremden Regierungen und der nationalen Traditionen ist die nothwendige Vorbedingung jeder volksbefreienden Bewegung. Deshalb muß das polnische Proletariat sich vollständig von seinen bevorrechteten Klassen emanzipiren und den Kampf gegen fie unter­nehmen als eine in allen ihren ökonomischen, politischen und fittlichen Bestrebungen selbstständige Klasse. Weiter muß es sich als ausgebeutete Klasse mit den Ausgebeuteten aller Nationalitäten auf Grund des Klassen­tampfes vereinigen.

Die Ziele und Bestrebungen des polnischen Proletariats fönnen in folgender Weise formulirt werden:

Auf ökonomischem Gebiete erstrebt es den Uebergang von Grund und Boden, sowie aller Arbeitsinstrumente in den gemeinschaftlichen Besitz aller Arbeitenden, d. h. des sozialistischen Staates. Die Lohnarbeit soll durch die gemeinschaftliche Arbeit ersetzt werden. Jeder hat das Recht auf den Genuß der Produkte seiner Arbeit, gemäß den Mitteln des Staates.

Auf dem politischem Gebiete wollen die Arbeiter: 1) Vollständige Autonomie der politischen Gruppen. 2) Antheil aller Bürger an der *) Ju der polnischen sozialistischen Zeitschrift Przedswitt" Nr. 4.