Soweit das neue Reglement, aus dem man ersehen kann, wie die Königlich Preußische Eisenbahndirektion das Sparen versteht. Die neu­eingeführte Dienstzeit" ist nichts Anderes als die Erhöhung der Ar­beitszeit um drei Stunden pro Tag(!!), die Uebertragung von Arbeiten, für welche sonst besondere Streckenarbeiter angestellt wurden, an ohnehin schon genug geplagte Angestellte. So wirkt man von Staatswegen der zunehmenden Arbeitslosigkeit und der von dieser bewirkten Zunahme des Vagabundenthums entgegen: man macht durch Ueberbürbung bestimmter Kategorien von Arbeitern Arbeits­fräfte überflüssig. Man vermehrt die Zahl der Arbeits­losen. Sehr praktisch", aber auch sehr chriftlich", denn es steht ge­schrieben: Wer da hat, dem wird gegeben, wer aber nicht hat, dem wird auch noch genommen, was er hat." Matth  . 13, 12. Marcus 4, 25. Lucas 8, 18.

Was macht es auch, wenn Tausende und Abertausende arbeitslos herunt lungern, wenn Handel und Gewerbe stocken, weil die große Masse des Voltes nicht im Stande ist, die angefertigten Produkte anzukaufen? Gar nichts. Die Hauptsache ist, daß der Staat ein gutes Geschäft macht, schöne Profite erzielt und den Beweis liefert, daß er das Ausbeuten ebenso gut versteht wie irgend ein Privatausbeuter oder eine Privataus­beutergesellschaft. Und in der That, den Beweis hat er geliefert: das Ausbeuten versteht er aus dem Grunde, nicht nur eben so gut, sondern noch weit besser als die meisten Privatausbeuter. It er ja doch der Ausbeuter en gros, hat er ja doch den Riesenapparat von Aufpassern und Beamten, von allezeit willfährigen Subjekten, zur Verfügung, ver­mag er es doch, jede selbständige Regung unter seinen Angestellten im Reime zu ersticken.

Darum aber ist es geradezu Verrath an der Sache des arbeitenden Boltes, im heutigen bureaukratischen Polizei- und Klaffenstaat die Ver staatlichungsbestrebungen der Regierung zu unterstützen. Was sich heute Staatssozialismus   nennt, ist alles Mögliche, nur kein Sozialismus. Sozialismus heißt Vergesellschaftung im Intereffe Aller, der heutige Staat aber verstaatlicht im Interesse einzelner Weniger: in seinem und der herrschenden Klassen Jntereffe. Die Lage der Arbeiter der Privat­industrie wird durch die heutige Verstaatlichung um nichts gebessert, die ftaatliche Organisation der Produktion muß auf demokratischer Basis geschehen, darf nicht von Oben herab diktirt werden. Den Arbeitern des heutigen Staates wird aber gleichfalls nicht früher geholfen werden, als bis mit dem ganzen heutigen Ausbeutungssystem gebrochen ist, bis deffen Stützen, Bureaukratismus und Polizeimacht, gefallen sind. Ob Staatsangestellte oder im Dienste der Privatindustrie, für die Arbeiter, zu denen natürlich auch die große Menge der Bureau- 2c.- Beamten gehört, gibt es nur eine Rettung aus ihrem heutigen Elend: den demo­tratischen Sozialismus. Wenn Ihr nicht ewig Proletarier bleiben, wenn Ihr nicht ewig zu Gunsten einer Minderheit hungern und darben wollt, dann Ihr Alle, die Ihr auf den Ehrentitel Arbeiter Anspruch habt, schließt Euch der Sozialdemokratie an, werbt und wirkt unablässig für die Partei der sozialen Revolution.

Korruptionspädagogik

oder

Die Staatsretter an der Arbeit.

( Aus dem Wupperthal  .)

( Schluß.)

Nach diesen Vorgängen verspürte Ulbricht teine Lust mehr, sich mit den Herren einzulassen, und es traf folgendes Schreiben ein: ,, Barmen, den 18. Februar 1883. ,, Lieber Herr Ulbricht!

,, Als ich gestern von Hagen   zurückkehrte, sagte mir Limpert( Küttler), daß Ihre Frau bei ihm gewesen sei und Sie Geld nöthig hätten. Ich bin gerne bereit, Sie auch ferner zu unterstützen, möchte aber auch gewiß sein, daß Sie mir etwas Ersprießliches leisten. Ich bleibe unter den obwaltenden Verhältnissen natürlich nicht mehr hier, d. h. noch einige Tage, um meine Miethe wenigstens abzuwohnen und gehe dann nach H. zurück, ebenfalls Limpert. Ich werde dann jedoch mit Ihnen in brieflichem Verkehr bleiben, Ihnen für alle Nachrichten nach wie vor erfenntlich sein und zusehen, was sich sonst vielleicht für Sie thun läßt. Sie haben, wie ich Ihnen auch sagte, einen ehrenhaften Charakter( Diese Gesellschaft spricht auch noch von Ehre! Um eines petuniären Vortheils willen Verrath an der eigenen Sache begehen, das Vertrauen seiner Gesinn­ungsgenossen mißbrauchen, um dieselben hinterrücs ans Messer zu liefern, dazu braucht es, ehrenhafter Charaktere"! Preußische Polizeilogit. Der Einsender.) und erwecken mir Vertrauen, weshalb ich Ihnen ein Gleiches entgegenbringe und Ihnen wiederhole, daß es nun und nimmer in meiner Absicht liegen kann, Sie in irgend einer Weise zu kompromittiren, im Gegentheil, ich werde mich warm Ihrer und Ihrer Familie an­nehmen; ich glaube, Sie werden von mir gemerkt haben, daß ich ein Herz fitr Noth und Elend habe, andererseits aber auch einsehen müssen, daß ich im Intereffe meines Dienfes, den treu und gewissenhaft zu er­füllen, meine Aufgabe und Pflicht ist, mit den mir anvertrauen Mitt' n haushälterisch umgehen muß und deshalb immer nur Dienste gegen Dienste*) leisten kann. Um Sie vor meiner Abreise noch zu sprechen, denn ich habe wichtige Notizen und Aufträge, wollen Sie mir Ort, Tag und Zeit der Zusammenkunft angeben. Heute möchte ich, um es nicht zu vergeffen, Ihnen gleich meine richtige Adresse angeben: Kriminal­inspektor Dehlschläger, Altona  ". Schreiben Sie abwechselnd unter dieser und unter folgenden Adressen an mich:" Th. Werder, Hamburg  , Großer Steinweg Nr. 67", oder Th. Munterberg, Hamburg  , Hermannstraße Nr. 5", oder endlich unter der Adresse: Auguste Weise, Jungfernstieg Nr. 23 in Hamburg  ".( Die, e Decadreffen" empfehlen wir unsern Hamburger   Genossen etwas genauer anzusehen). Doch mündlich Näheres..

Mit bestem Gruß

Ihr

gez. Dehlschläger.

Bringen Sie diesen Brief auf alle Fälle mit." Da auch auf dieses Schreiben keine Antwort erfolgte, so tam von Berlin   der letzte Versuch mit folgendem Wortlaut:

Berlin  , den 4. März 1883.

,, Lieber Herr Ulbricht!

,, Soeben erhalte ich von einem meiner früheren Vorgesetzten, Herrn Kriminal Juspettor Oehlschläger ans Altona  - Hamburg  , der auch seiner Zeit Thretwegen nach Berlin   an mich sich wandte, die Nachricht, daß er Sie zwar für einen ehrenhaften Charakter gehalten habe, daß er aber doch in letzter Zeit in Zweifel gewesen sei, ob Sie nicht etwa aus Furcht,

gegen thatsächliche Nachrichten; andernfalls wenden Sie sich auch an Herrn Dehlschläger in Altona  - Hamburg  , der gerne, falls er sich fest von Ihrer Unschuld überzeugen kann, bereit ist, ferner mit ihnen in Verbin­dung zu bleiben. Besten Gruß

Ihr ergebener gez. Torner, Bolizeiwachtmeister, Reinickendorferstraße 3."

Das in diesem Briefe erwähnte Schreiben des Dehlschläger war nebst Originaltouvert mit dem Poststempel Hamburg" beigelegt und lautete folgendermaßen: ,, Altona  , den 28. Febauar 1883. ,, Mein lieber Torner!

Gern denke ich noch an die Zeit zurück, in der wir gemeinsam ar­beiteten. Meine Thätigkeit ist in Altona  - Hamburg   nicht minder schwierig, als die frühere, das sehen Sie an meiner Mission, die mich nach Elber­ feld  - Barmen führte.

,, Sie waren so freundlich, Sich für mich wegen eines Vertrauens­mannes zu bemühen. Ich habe nun zwar eine kurze Zeit versucht, den p. U. für meine Zwecke zu verwenden, er hat mir auch direkt und in­direkt einiges recht wichtiges Material geliefert, doch bin ich zu der Einsicht gekommen, daß seine Dienste nur sehr spontaner Natur sein können; ich halte ihn zwar für einen an und für sich ehrenhaften Charakter, der aber auf der anderen Seite sehr schen und ängstlich ist und auf Schritt und Tritt fürchtet, entlarvt zu werden. Aus diesem letzteren Umstande schließe ich auch, daß er es gewesen ist, welcher, ob absichtlich oder unabfichtlich, mag dahingestellt bleiben, Andeutungen hat fallen laffen, in Folge deren das betreffende Plakat gedruckt wurde. Natürlich konnte ich unter den obwaltenden Umständen nicht länger mehr in der dortigen Gegend bleiben, ich hatte die Verhältnisse dort gründlich satt bekommen, weil gründlich kennen gelernt, und ich bin froh, nun wieder im Kreise meiner Familie sein zu können.

" Ich muß mich einschränken, bei den theuren hiesigen Preisen namentlich, ich fühle mich aber unendlich glücklich und ich frage Sie, gibt es einen tostbareren Schaz, als ein glückliches Familienleben; ich könnte noch ärmer sein, als ich bin, und ich würde dennoch glücklich.( Wie zart, man möchte sagen, lyrisch empfunden! Natürlich ist dieser ganze rührselige Erguß nur Heuchelei von dem alten Fuchs- Sirenentlänge, dazu bestimmt, auf Ulbricht Eindruck zu machen. Denn daß der Brief zu keinem an­deren Zweck, als um an Ulbricht geschickt zu werden, geschrieben wurde, liegt auf der Hand.) Ich bedaure daher auch die Leute, die immer nach mehr ftreben, auch selbst dann, wenn sie keine Nahrungssorgen haben. Ein guter, ja der größte Theil derer, die Sozialdemokraten find, sind es nicht aus Nahrungssorgen, sondern aus Neid und aufgeftachelt durch die Führer; da kommen wir wieder auf die Frage, was soll werden, wenn das Christenthum aus Staat und Kirche verstoßen wird? Die Leute in Elberfeld   Barmen gehen mit einer erstaunlichen Frechheit zu Werke.

,, Lieber Torner! Sie können übrigens den Ulbricht vielleicht für Ihre Zwecke in Berlin   verwenden, fragen Sie nur dieserhalb bei Ihren Vor­gesetzten an, für Außerhalb qualifizirt er sich vielleicht besser, dann fällt feine grenzenlose Baghaftigkeit weg. Sollte ich mich übrigens auf die eine oder andere Weise von seiner Schuldlosigkeit überzeugen können, dann bin ich bereit, auch fernerhin mit ihm in Verkehr zu bleiben, auch das können Sie ihm schreiben. Doch für heute leben Sie wohl, mein lieber Torner, ich muß nach Schleswig   und( Jzehoe??) reisen, daher auch meine Eile.

,, Mit freundlichem Gruß Ihr alter Ihnen stets zugethaner Deblschläger, Kr.- Pol.- Insp." Um die Spitzel zu entdecken, welche die Herren hier im Wupperthal benutzten, wurde ein Manöver ganz eigenthümlicher Art ausgeführt und es gelang, fie ausfindig zu machen:

1. Sattler Mann, der rothe Mann", genannt.

2. Ein gewiffer Hamblock, auf Anordnung der hiesigen Polizei früher bei einem höheren Beamten thätig; wie Mann in früheren Jahren Anhänger Schweizers.

3. Ein Berliner   Ausgewiesener, Namens Wintolf, von Profession Schreiner  , welcher höchst wahrscheinlich schon früher in Polizeidiensten geftanden hat und nach hier dirigirt worden ist;

Die beiden Ersteren standen schon seit langen Jahren hier im Wupper­thal in einem schlechten Renommé und waren, wie sich jetzt herausstellte, bis zur Ankunft der obigen Herren im Dienste des Barmer Kommiffars Wilfing.

So, Genossen, allerwärts, da habt Ihr wieder einmal einen beweis­fräftigen Beitrag zum Thema: Wie's im Reiche der Gottesfurcht und frommen Sitte gemacht wird", oder auch wie's nicht gemacht wird. Denn die Herren habe sich ja in Genosse Ulbricht gründlich getäuscht. Freilich, nicht immer werden sie so glänzend abfallen, das niederträchtige Syftem, einen Menschen erst durch raffinirte Chitanen, durch Ausweisung und bergleichen mürbe" zu machen, mag hier und da wirklich von Erfolg" begleitet gewesen sein was vermag die Noth nicht auf einen schwachen Charakter! O, es ist ein genial" ausgedachtes System, diese Pädagogik der Schule des Verraths!

-

"

Und wozu diese niederträchtigen Versuche? Weshalb wird die Kor­ruption mit allen Mitteln in die Arbeiterkreise getragen, weshalb Treu und Glauben im Volte systematisch untergraben?

Weshalb und wozu? Um einen Staat zu retten, der sich den christ­lichen nennt, der die Tugend und Moral allein aufrecht zu erhalten vor­giebt, der angeblich die Freiheit und den Fortschritt repräsentirt, der aber in Wahrheit nichts anderes ist als die Stütze der Ausbeutung und Klaffenherrschaft, der den Fortschritt hemmt und die Freiheit tödtet, deffen Tugend Niedertracht, dessen Moral Heuchelei sind. Um den Klaffenstaat aufrecht zu erhalten, wird auf Koften des Volkes eine Armee von Schuften, von Horchern und Lauschern, von Verräthern und Denun­zianten unterhalten, wird die Charakterlosigkeit zur Tugend erhoben, die Ehrlosigkeit Gegenstand der Berherrlichung.com

Arbeiter, Ihr Vertreter einer besseren schöneren Zukunft, wendet Euch voll Etel ab von einem solchen System, bewahrt mit aller Energie, deren ihr fähig seid, Eure Reihen vor seinem vergiftenden Einfluß! dreifach geächtet der, der sich ihnen verkauft hat! Unversöhnlich sei unser Haß, nicht ruhen und

in night after faßt uns in unserem Kampf bis der Sieg er­rungen bis die Herrschaft der Lüge und Heuchelei gebrochen, der Aus­bentung des Menschen durch den Menschen ein Ende gemacht ist, bis Wahrheit, Freiheit und Gerechtigkeit auf Erden herrschen. ebrombie nou ao Ernst Stahlhart.

Suspiron

Adressen an den Kopenhagener Kongreß

erkannt zu werden, Andeutungen über seine und die Person des bromider deutschen   Sozialdemokratie.

p. Limpert gemacht hatten u. s. w. Ich sende Ihnen der Einfachheit halber den Brief selber zu, damit Sie sich selbst von dem Inhalte des­selben überzeugen können, aber senden Sie mir denselben umgehend wieder zu, ich lege Ihnen deshalb eine Briefmarke bei.

Ich fann mir übrigens nicht denken, daß Sie den Herrn Oehlschläger werden kompromittirt haben, ich kenne ihn, er ist etwas ängstlicher Natur, dabei allerdings sehr findig, zog es aber unter den obwaltenden Ver­hältnissen natürlich vor, länger nicht mehr in dortiger Gegend zu bleiben. Wollen Sie nun, lieber Herr Ulbricht**) mit mir in Verkehr treten, dann bin ich gern bereit zur Einsendung von Geldmittelr, natürlich nur

*) Hier heißt es also umgekehrt:

ajism

Das Geld erst in dem Kasten flingt, Sobald die Seele ins Fegefeuer springt! d. h. sobald der Mensch zum Schurken wird. **) Wie liebenswürdig das immer flingt: lieber Herr Ulbrich!" Man sollte gar nicht meinen, daß man es mit einem preußischen Polizei­Wachtmeister zu thun habe. Freilich, es galt ja erst den Gimpel auf den Leim zu locken. Wäre der Fang gelungen, dann würde bald in einer anderen sehr bekannten Tonart mit U. gesprochen worden sein. Himmel­herrgottssakrament!

Werthe Genossen!

Eine Anzahl in Genf   und Zürich   weilender russischer Sozialisten be­auftragt une, der deutschen   Sozialdemokratie in den Personen der Dele­girten zur Parteiberathung, ihre lebhaftesten Sympathien und zugleich den innigsten Wunsch auszudrücken, daß der Kongreß in seinen Berathungen die fruchtbringendsten Resultate für die gemeinsame Sache des Proleta­riats erzielen möge.

Wir und unsere Freunde können diese Gelegenheit nicht vorübergehen laffer, ohne unsern tiefen Schmerz über den Tod von Karl Marx  , dem großen Lehrer und Meister des Proletariats aller Länder, Ausdruck zu geben. Die Versicherung der hohen Achtung und Berehrung, welche unser Genosse P. 2. Lawroff am Grabe des edlen Dahingeschiedenen niederlegte, machen wir im vollsten Umfange zu den unfrigen. Auch wir find fest davon überzeugt, daß der vorzeitige Tod des geistigen Führers des internationalen Proletariats für die russische sozialistisch- revolutionäre Bewegung ein ebenso unerfeßlicher Verlust ist, wie für die Arbeiterbe­wegung der vorgeschritteneren Länder.

Wir erlauben uns daher, den Wunsch auszusprechen, daß der Kongreß der deutschen   sozialdemokratischen Partei die Initiative ergreife zu einer

internationalen Sammlung für einen des großen Vorkämpfers des modernen Sozialismus würdigen und von der Verehrung, die er bei den Sozialisten aller Länder genoß, Zeugniß ablegenden Denkstein, sowie zur Sammlung eines Fonds für eine Volksausgabe seiner sämmtlichen Schriften.

Wir schließen mit der Versicherung, daß wir den Kämpfen der deut­ schen   Sozialdemokratie mit gespanntester Aufmerksamkeit folgen und jedes Wachsthum derselben nach außen wie jeden Fortschritt in der inneren Entwickelung mit Freuden begrüßen.

Hoch die Sozialdemokratie Deutschlands   und aller Länder! Gruß und Solidarität!! Genf   und Zürich  , Ende März 1883.

Plechanoff. Wera Sassulitsch  . Im Auftrag:

B. Axelrod.

Paris  , den 25. März 1883.

An den Kongreß der deutschen   Sozialdemokratie. Bürger!

Trotz aller Schwierigkeiten hat die deutsche sozialdemokratische Partei es verstanden, ihre Organisation intakt zu erhalten. Trotz eines infamen Polizeigesetzes habt Ihr Euren Klaffengegnern gegenüber den Platz be hauptet und seid jetzt im Begriff, wiederum zur gemeinsamen Berathung zusammenzutreten. Es ist dies für die sozialistische Welt ein bedeutendes Schauspiel, und beglückwünschen wir Euch aufrichtig dazu.

In unserer Eigenschaft als Vertreter der sozialistisch- revolutionären französischen   Arbeiterpartei senden wir Euch unsern brüderlichen Gruß und geben dem Wunsche Ausdruck, daß der bevorstehende Kongreß eine weitere Etappe sei auf unserm gemeinsamen Wege, der Befreiung des arbeitenden Volkes. Eure Beschlüsse werden dessen find wir sicher, von Eurer Umsicht Beweis ablegen, und die französische   Arbeiterpartei wird fie für die besten halten, welche unter den Verhältnissen, unter denen Ihr wirkt, gefaßt werden können; sie wird Eure Freiheit respektiren, wie sie wünscht, daß man die ihre respektire.

Es lebe die deutsche Sozialdemokratie!

Es lebe die internationale Solidarität der Arbeiter!

Der Sekretär für die korrespondenz mit dem Ausland:

gez. Paul Brousse  .

Sozialpolitische Rundschau.

Zürich  , 2. Mai 1883. Sozialistische Arbeiterpartei Deutschlands  . Be züglich der Verhaftungen und Sistirungen unserer Reichstagsabgeordneten zu Kiel   und Neumünster   wird der von der Fraktion gestellte Antrag, das Strafverfahren gegen die betr. Bolizeibeamten resp. deren Auftraggeber einzuleiten, wahrscheinlich nächste Woche im Reichstage zur Verhandlung kommen. Der Reichskanzler hat übrigens schon heute an den Reichstag   ein Schreiben gelangen lassen, in welchem er die Thatsachen zugibt, aber nach Entschuldigungsgründen sucht. Man habe dringenden Verdacht" gehegt, daß in Kopenhagen   Hochver rath geplant worden sei, und deshalb sei die Sistirung und Durchsuchung der Zurückkehrenden nothwendig gewesen. Allerdings seien teine gravi renden Schriftstücke vorgefunden, nur einige verbotene Schriften, deshalb habe man auch sämmtliche Sistirte baldmöglichst wieder freigelassen. So­weit macht das kanzlerische Schriftstück einen fast demüthigen Eindruck. Jedoch befindet sich ein Passus in demselben, der einer schärferen Beleuch tung bringend bedarf. Es heißt nämlich darin, daß der Abgeordnete Frohme zudem während der Vertagung des Reichstags ver­haftet worden sei." Diese Bemerkung könnte die Bedeutung haben, daß der Reichskanzler die Vertagungszeit nicht zur Dauer der Session" rechnete, was geradezu wider finnig ist doch bei Bismarck   ist bekanntlich Alles möglich. Wenn die Ansicht Bismarcks in dieser Hinsicht durch­dringt, so würde dadurch die Unverletzlichkeit der Abgeordneten wesentlich beschränkt werden. Das Schreiben des Kanzlers wurde auf Antrag der Sozialdemokraten an die Geschäftskommission gewiesen, die darüber Be richt zu erstatten hat.

An der zweiten Berathung des Krantentassen gesetzes haben sich bis jetzt schon fast alle Mitglieder der Fraktion betheiligt und in ener gischer Weise der Regierung und den anderen Parteien den Standpunkt tlar gemacht; besonders die vom Standpunkt des Arbeiters gemachten Vorschläge und Einwürfe haben auf die Regierung sowohl, wie auf den Reichstag   ihren Eindruck nicht verfehlt. Die Herren merkten, daß sie selbst von der von ihnen vertretenen und unterstützten Sache herzlich wenig verstehen. Das hält sie natürlich nicht ab, den Kopf desto höher zu tragen, damit ihnen ja Niemand hineinsehen soll.

Hier in Berlin   fanden in den letzten Tagen mehrere große Arbeiter­versammlungen statt, denen auch verschiedene unserer Abgeordneten bei­wohnten. An dem stürmischen Jubel, mit welchem die parlamentarischen Vertreter der Sozialdemokratie empfangen wurden, sah man wiederum, wie begeistert und fest unsere Berliner   Genoffen trotz aller Bedrohungen und Gefahren zur Sache stehen. An Berlin   gerade sollten die An­hänger des Sozialistengesetzes merken, wie nuglos dasselbe ist, wie kläglich die Hoffnungen zu Schanden geworden sind, die man auf dasselbe gesetzt hatte. Aber fitr gewisse Leute scheint das Nichtslernen der einzige politische Grundsatz zu sein.

Ju Bezug auf die Krankenkaffen- und Unfallversicherungsgesetzgebung erklärten sich in den Versammlungen die Berliner   Arbeiter im Einver ständniß mit unseren Genossen für den Kaffenzwang und für die Rege lung durch das Reich, verurtheilten aber die vorliegenden Gesetzentwürfe, in denen sie für die Arbeiter keinerlei Segen erblicken könnten.

Der Partei stehen in kurzer Zeit zwei Wahlen zum Reichstage bevor: in Dortmund   und in Hamburg  ( 1. Wahlkreis). Jn Dort mund ist gegenwärtig an einen Sieg nicht zu denken, es kommt ledig lich darauf an, mit Ehren aus dem Kampf hervorzugehen. Die dortigen Genoffen glauben zuversichtlich, daß mehr Stimmen auf den sozialistischen  Kandidaten abgegeben werden als im Jahre 1881. Dagegen ist in Hamburg   ein Sieg feineswegs ausgeschlossen. Dort ist unser Ge­es wird ein noffe August Bebel als Kandidat aufgestellt worden frischer, fröhlicher Kampf werden!

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Eine Stütze der heutigen Gesellschaft vor Ge richt. Vergangene Woche fand vor der Strastammer des hiesigen Landgerichts, schreibt man uns aus Elberfeld  , die Verhandlung gegen den Waisenhaus direktor Voß wegen Unzucht statt. Voß war angeklagt, mit den in der Anstalt seinem Schutze anvertrauten Waisen­tindern Unzucht getrieben zu haben. Die seiner Zeit erfolgte Verhaftung des Ehrenmannes hatte in hiesiger Bevölkerung großes Aufsehen erregt, denn es tam zu dieser Zeit Schlag auf Schlag: erst die Absetzung der zwei Polizeikommiffäre und der zwei Wachtmeister, welche bekanntlich dem Verbrecheralbum des Sozialdemokrat" zum Opfer fielen( der dritte Kommissar erhängte sich), und nun auch noch die Verhaftung des Waisen­hausdirektors! Boß hatte sich in erster Linie Unterschlagungen zu Schulden tommen lassen, aber in der Stadtverordnetensitzung einen Reinigungseid abgelegt, daß er unschuldig sei und Strafantrag gegen Redakteur und Verleger derjenige hiesige Zeitung gestellt, welche die Sache ans Tages