durch den Sprachgebrauch so ziemlich verwischt worden, und heute hat das Wort Sozialdemokratie neben jener konkreteren Bedeutung auch die abstrakte einer Weltanschauung. Wir wollen nicht leugnen. daß namentlich bei wissenschaftlichen Aus- führungen das Wort Sozialismus� sozialistisch u. s. w. nicht zu entbehren ist, aber in wissenschaftlichen Ausführungen kann es auch keinen Schaden anrichten. Für den gewöhnlichen Gebrauch ist es aber unter den obwal- tenden Umständen möglichst zu oermeiden. Und— was fast noch wichtiger— lasse man sich durch das Wort Sozialismus in gegnerischem Munde nicht irresühren. Die Stöcker, Wagner und Konsorten lassen mitunter so kräftig sozialistische Phrasen vom Stapel, daß, wer nicht genau zusieht, darin das Bekenntniß revo- lutionärer Gesinnung erblicken muß. Untersucht man aber die Sache ge- nauer, so stellt sich heraus, daß die widerlichste Polizei- und Kasernen- wirths'chast gemeint ist. Die Täuschung wird bewirkt durch die Worte Sozialismus, sozialistisch u. s. w., dem wir unwillkürlich unseren sozial- demokratischen Begriff von Sozialismus unterschieben, während die Herren Stöcker, Wagner und Konsorten nichts Anderes darunter ver- stehen als die Stärkung des Polizei- und Militärstaates durch Aus- lieferung der Hauptadern des wirthschaftlichen Lebens: Verkehrs-, Kre- dit- und Versicherungswesen, in seine unsauberen Hände. Also kein Sozialisnius, der nicht auf Sozialdemokratie hinausläuft! Und die Begriffs streng geschieden! — Es war doch eine Morphiumspritze und keine Klistir- spritze mit welcher das neueste Attentat auf den„eisernen Kanzler" versucht wurde— das ist von der Danziger Strafkammer jetzt fest- gestellt worden. Dagegen wurde der Schleier, der sonst noch auf der geplanten Greuelthat ruht, nicht vollständig gelüstet, und„machte sich des- halb eine Vertagung der Gerichtsverhandlung nothwendig". Was aber auch immer an neuem Material auftauchen inöge, die Morphiumspritze, welche keine Klystirspritze ist, kann sich jetzt nicht mehr über Nacht in eine Höllenmaschine verwandeln, was wir bisher sür ziemlich wahr- scheinlich gehalten hatten. Jndeß, was hier der Polizei mißlungen ist, kann ihr wo anders gelingen. Soviel steht sest, Fürst Bismarck hat ein Attentat sehr nöthig, und folglich werden wir in nächster Zeit A t t e n- täte bekommen. Attentate sind ein politischer Handelsartikel, bei welchem nach dem bekannten ökonomischen Gesetz, die Zufuhr stets der Nachfrage entspricht, und sogar gern eine Ueberproduktion ein- tritt. Wirkliche Attentate, die ungelegen kommen, werden vertuscht, wie die verunglückte Schlittenpartie Alexanders des Hasenherzigen beweist. — Wieder Einer amne st irt, und in Preußen! Die „Volksztg." vom 4. Januar schreibt�„Wir meldeten vor einigen Tagen, daß der s. Z. wegen verbotenen Spiels zu sieben Monaten Gefängniß verurtheilte Rentier Reuter seine Strafe in Plötzensee verbüßt. Wie der„Börs.-Kur." nunmehr hört, ist R. vorgestern in Freiheit ge- setzt und ihm der Rest seiner Strafe— derselbe beträgt vier Monate— durch kaiserliche Kabinetsordre erlassen worden. Von sieben Monaten vier erlassen, und da gibt es noch Leute, die an Kaiser Wilhelms Milde zweifeln! Oder sollten bei diesem Kinadenakt andere Motive obgewaltet haben? Sollte irgend ein hoher Gönner des Herrn Reuter dem Kaiser vor- gestellt haben, daß mit demselben Recht, da Reuter eingelocht wurde, alle hochgestellten Spielfreunde dieses Glücksritters, deren Namen bei der Gerichtsverhandlung seinerzeit so sorgsam der Oeffentlichkeit ver- schwiegen wurden, in's Loch gehörten, und daß, wenn die Göttin der Gerechtigkeit nicht eine Binde vor den Augen trüge, Preußen ein Dutzend Gesängnisse mehr brauchte, um nur die Gutsherren, Offiziere, Regier- ungs- und Landräthe, Staatsanwälte und Richter zu beher- bergen, die durch fortgesetztes Spielen verbotener Spiele die Gesetze des Landes verletzen? Jedenfalls zeigt Figura, daß es unter Umständen in Preußen weniger gefährlich ist, die Gesetze mit Füßen zu treten, als sie zu kritisiren. — Von Gottes Gnaden. Aus einer Ansprache, welche der Großherzog von Baden auf dem Bankett des Offizierskorps des 1. badischen Leibgrenadierregiments Nr. 109 zu Ehren des Jahrestags der Schlacht bei Ruits hielt, wollen wir folgende dem offiziösen Bericht entnommene Stelle zu Nutz und Frommen unserer Leser wiedergeben: „Wir dürfen", äußerte Friedrich der„liberale",„uns frohen Herzens den Wunsche» für die Zukunft alles des durch die Thaten des Kaisers nach Innen und Außen Geschaffenen hingeben und uns der Erfolge freuen, die von io großer Bedeutung sind! Es sind nicht mehr Viele unter uns, welche den Gefechten von Ruits angewohnt haben; die größere Zahl weilt nicht hier und hat der Jugend Platz ge- macht. Wenn deren Thatendrang kein Feld geboten ist, wie ihren Vorgängern, so mögen sie einen Er- satz darin finden, daß sie eine weltgeschichtlicheZeit erlebt. Denn wenn sie erleben, daß ein großer mächtiger Ka iser nicht nur über Deutschland herrscht, sondern nichts ohne ihn geschehen kann, so nenne ich das„Weltgeschicht e". Auch dafür ist jenes Blut auf den Schlachtfeldern vergossen worden. Das sind großartige Eindrücke, welche Ihnen die Kraft geben müssen, um so freudiger auszuharren im Friedensdienste. Auch die Reise des Kronprinzen zeigt uns eine neue Bestätigung dessen, auch s i e ist ein Erfolg, den wir den Jahren 1870/71 ver- danken! Mit solchen Empfindungen gedenken wir heute des Kaisers; roth werden könnte, drehen sie sich ganze Nächte hindurch aus ihren Wohlthätigkeitsbällen herum, um einige Mark für die Armen zusammen- zubringen. O, ihr heiligen Dulderinnen! Um ihrem doppelten gesellschaftlichen Beruf als Nichtproduzent und Ueberkonsument nachzukominen, hat die Bourgeoisie nicht nur ihren be- fcheidenen Bedürfnissen Zwang anthun, die ihr seit zwei Jahrhunderten zur Gewohnheit gewordene Arbeitsamkeit sich abgewöhnen und sich einem zügellosen Luxus, der Anstopfung mit Trüffeln, sowie syphilitischen Ausschweifungen ergeben gemußt, sie mußte auch eine enorme Masse Men- schen der produktiven Arbeit entziehen, um sich Mitesser zu verschaffen. Einige Zahlen mögen beweisen, wie kolossal diese Brachlegung von Produktionskräften ist.„Nach dem Zensus von 1881 zählte die Ge- sammtbevölkerung von England und Wales 20,066,244 Personen, wo- von 9,776,259 männliche und 10,289,965 weibliche. Zieht man hier- von ab, was zu alt oder zu jung zur Arbeit, alle„unproduktiven" Wei- ber, jungen Personen und Kinder, dann die„ideologischen" Stände, wie Regierung, Pfaffen, Juristen, Militär u. f. w., ferner Alle, deren aus- schließliches Geschäft der Verzehr fremder Arbeit in der Form von Grundrente, Zins u. s. w., endlich Arme, Vagabunden, Verbrecher u. s. w., s» bleiben in runder Zahl 8 Millionen beiderlei Geschlechts und der verschiedenen Altersstufen, mit Einschluß sämmtlicher in der Produktion, dem Handel, der Finanz u. s. w. funktionirenden Kapitalisten. Von diesen 8 Atillionen kommen auf: Personen. Ackerbauarbeiter(mit Einschluß der Hirten und bei Päch- tern wohnenden Ackersknechte und Mägde)..... 1,098,261 Alle in Baumwoll-, Woll-, Worsted-, Flachs-, Hanf-, Seide- und Jutefabriken und in der mechanischen Strumpf- Wirkerei und Spitzenfabrikation beschäftigten.... 642,607 Alle in Kohlen- und Metallbergwerken Beschäftigten. 565,835 In sämmtlichen Metallwerken(Hochöfen, Walzwerke ic.) und Metallmanufakturen aller Art Beschäftigte.... 396,998 Dienende Klasse............. 1,208,648 Rechnen wir die in allen textilen Fabriken Beschäftigten zusammen mit dem Personal der Kohlen- und Rtetallbergwerke, so erhalten wir 1,208,442: rechnen wir sie zusammen mit dem Personal aller Metall- Werke und Manufakturen, so ist die Gesammtzahl 1,039,605, beidemal kleiner als die Zahl der modernen Haussklaven. Welch erhebendes Re- sultat der kapitalistisch exploitirten(ausgebeuteten) Maschinerie!"*) Zu dieser ganzen dienenden Klasse, deren Zahl den Höhegrad der kapitalisti - schen Zivilisation charalterisirt, müssen wir die zahlreiche Klaffe der ausschließlich zur Befriedigung der kostspieligen und sinnlosen Bedürf- nisse der reichen Klassen Thätigen hinzurechnen: Diamantenschleifer , Spitzenarbeiterinnen, LuxuS- Stickerinnen, Galanteriearbeiter, Rtode- schneider zc. jc. ♦l Marx , das Kapital. 2. Aufl., S. 467— 68, wir Alle wünschen, daß es uns noch lange gegönnt sei, ihn an der Spitze dieses glorreichen deutschen Reiches zu wissen: Stimmen Sie ein, meine Herren, in den Soldatenrus: Hurrah dem Kaiser! Hurrah! Hurrah!" Hört man da nicht deutlich heraus, wie leid es dem liberalen Friedrich und seinen edlen Gästen thut, daß nicht wieder ein frischer, fröhlicher Krieg dem„Thatendrang" und dem Avancementbedürfniß der Herren genügenden Spielraum gewähre. Die Strapazen des Krieges fallen ja heute fast ausschließlich auf die Massen, die„gemeine n" Soldaten zurück. In der Schlacht muß allerdings auch der Offizier sein Leben preisgeben, indeß das ist eben ein Risiko, welches das Spiel ganz besonders reizvoll macht, in dem Hazardspiel, das den Herren so geläufig ist, setzt man ja auch gelegentlich Alles auf eine Karte. Auf derselben Höhe wie der Trost für den Krieg, den es nicht gibt, steht auch die Erklärung, was so ein großherzoglicher Gottes- gnadenschädel unter„Weltgeschichte" versteht: Den Kaiser,„ohne den nichts geschehen kann!"— Auch kein Sperling vom Dach fallen? Auch kein Minister gerammelt werden? Auch kein Bill Bismarck zum Legations- rath ernannt werden? Der Kaiser Wilhelm Weltgeschichte— heiliger Rotteck, da hattest selbst Du größeres Verständniß von dem, was Weltgeschichte heißt! Aber Friedrich ist ja Großherzog von Gottesgnaden , und wem Gott eine Krone gibt, dem gibt er auch— Maftstätsbeleidigungsparagraphen. — R e p t i l i st i s ch e s. Die„Französische Korrespondenz" veröffent- licht ein Bruchstück des Protestes unserer Genossen Bebel, Lieb- knecht, Voll mar gegen die perfiden Entstellungen des Herrn Brousse und sagt: der Brief rühre vom„Exekutivkomite der deutschen Sozial- demokratie" her. Da hätte denn die„Französische Korresondenz" in Paris das gefunden, was die Bismarck 'sche Polizei seit Jahren in Deutsch - land vergebens sucht. Zur Erklärung dieser außerordentlichen— Fin- digkeit sei mitgetheilt, daß die„Französische Korrespondenz" in Paris von Stipendiaten des Reptilienfonds besorgt wird, die nebenbei das Amt von Polizeispionen versehen. Die spionirenden Reptilien und die repttlisirten Spione der„Französischen Korrespondenz" behaupten auch, unsere deutschen Genossen„schweifwedelten" in diesem Briefe vor den Franzosen. Daß gegen eine gemeine Insinuation eines Franzosen pro- testirt wird, nennt dieses seile Gesindel„Schweifwedeln"! Nach dieser Reptilienlogik„schweifwedelt" die deutsche Sozialdemokratie auch vor Otto, dem großen— Sozialkurpsuscher! — Tiefer Hüngen.„Die Arbeiterpartei"---„tadelt Herrn Shipton, der in seinem Blatt die Hinrichtung O'Donnel's fordern läßt, sie tadelt die deutschen Führer, welche den Königsmörder Klempner H ö d e l als„Idioten",„Wahnsinnigen".„ H a l b t h i e r" hinstellten." Also in der neuesten Nummer des„Proletaire" zu lesen. Die betreff sende Notiz ist anonym erschienen, indeß kennt man den Vogel an seinen Federn. Herr Brousse, der Redakteur der anarchistischen„Avant-Garde", muß Herrn Brousse, dem guten Freunde der Broadhurst, Shipton jc., zu Hilfe kommen, um den verhaßten„Marxisten", wie er uns zu nennen beliebt, eins auszuwischen. Und die„Arbeiterpartei" dient als Deckung, denn„die Arbeiterpartei bin ich", denkt der Autonomist Brousse. Die Notiz des„Labour Standard", in der die Hinrichtung O'Donnel's verlangt wurde, war kein Eingesandt, sondern figurirte an her- vorragend st er Stelle im redaktionellen Theile des Blattes. Indem Herr Brousse seine Leser glauben machen will, als sei nicht Herr Shipton selbst der Verfasser dieser Notiz, sondern habe vielleicht nur einem Mitgewerkschaftler das Wort gegeben— er sagt deshalb auch laissoi-, nicht fairo—( sucht er die elende Handlungs- weise dieses Subjektes zu beschönigen. Unsere Partei hat die That H ö d e l' s, des Stipendiaten des Bis- märcker's S p a r i g und des Hofpredigers Stöcker, offen des- avouirt. Und obwohl man uns für dieselbe verantwortlich machte, ist es Keinem von uns eingefallen, nun etwa die Hinrichtung Hödel's zu befürworten oder auch nur zu beschönigen. Wenn unserseits Hödel's Zurechnungsfähigkeit bestritten wurde, so hat die Weigerung der preußischen Behörden, Hödel's Gehirn und Schädel durch V i r ch o w untersuchen zu lassen, uns mehr als gerechtfertigt. Aber das kommt erst in zweiter Linie in Betracht. Hauptsache ist, daß unsere Führer da, wo sie sich über die Hinrichtung Hödel's geäußert, sie offen verurtheilt, gebrandmarkt haben. Dies festgestellt, überlassen wir es unseren Lesern, die rechte Bezeich- nung sür die von Herrn Brousse beliebte Nebeneinanderstellung zu wählen. — Frankreich . Aus Paris erhalten wir folgende Zuschrift: Paris , 7. Januar. „In einem Artikel des„Vorbote" über die Empfangsfeierlichkeiten in New-Aork für die Pariser Delegirten zur Ausstellung in Boston finde ich unter den Interviews mit den Delegaten von einem Redakteur der„New-D. V.-Z." einige Auslassungen der Ersteren, welche mich zu einer Berichtigung nöthigen. Es-Heißt darin, daß„das Resultat dieser Konferenz in deutschen sozia listischen Kreisen heftig angefeindet sei. Ferner sei es unter den Sozialisten Deutschlands übel vermerkt worden, daß die Sozialistische Ar- beiterpartei Deutschlands bei dieser Pariser Konferenz nicht vertreten gewesen, weil nicht eingeladen worden sei. Die Gründe für besagten Ausschluß der Deutschen seien nicht in böswilligen Absichten zu suchen, wie geschehen, sondern in zwingenden Gründen lokaler Natur. Uebri- gens habe die in Paris lebende Gruppe deutscher Sozialisten ihren Ver- treter, Genossen Thies, auf der Konferenz gehabt und derselbe habe die geltend gemachten Gründe für die Nichteinladung seiner Genossen aus Deutschland als durchaus stichhaltig anerkannt." „Ueber die Bedeutung der gegenwärtigen chauvinistischen Strömung in Frankreich befragt, entgegnete Bürger Balin, daß man sich leider keinen Illusionen hingeben dürfe, diese Strömung sei sehr stark. Die sozialistischen Arbeiter thun zwar alles Menschenmögliche, um dagegen anzukämpfen, haben auch die Alfons- Demonstration als eine nicht anti- monarchische, sondern chauvinistische, gemißbilligt; aber im Ganzen sei bei den bethörten Massen nur wenig auszurichten und eine abermalige kriegerische Katastrophe— fürchte er— sei auf die Dauer nicht zu vermeiden." Ich habe hierauf zu erklären, daß jedenfalls der Vertreter der„New- D orker Volksztg." die Delegirten falsch verstanden hat, denn diese kön- nen nicht erklären, daß die in Paris lebenden deutschen Genossen ihren Vertreter auf der Konferenz gehabt haben, weil dies nicht der Fall war. Wären die deutschen Genossen vertreten gewesen, so wären sie jedenfalls weniger höflich mit einigen dieser englischen Delegirten, besonders mit dem Verräther an der Arbeitersache, dem„Arbeitervertreter" im englischen Parlament, Broadhurst, verfahren. Daß die Gründe für besagten Ausschluß der Deutschen auf der„Jnter- nationalen Konferenz" nicht in böswilligen Absichten der f r a n z ö s i- schen Arbeiterpartei zu suchen sind, davon bin ich überzeugt. Daß es aber den Machinationen Brousse's und einiger seiner englischen Freunde zu verdanken ist, daß die deutsche Partei nicht eingeladen wurde, diese Ueberzeugung wird mir Niemand nehmen können. Die deutschen Genossen in Paris hielten es für so selbstverständlich, — besonders in Anbetracht der Hetzereien der chauvinistischen Presse beider Länder—, daß die deutsche sozialistische Arbeiterpartei eingeladen würde, daß sie ganz entrüstet waren, als sie erfuhren, daß dies nicht der Fall sei. Man hielt es für eine Pflicht der französischen Arbeiter- Partei, in entschiedener Weise gegen die Hetzpresse Stellung zu nehmen, welche den Haß gegen die fremden, besonders die deutschen Arbeiter schürt. Es soll nun nicht gesagt werden, daß die französischen Genossen gar nichts dagegen gethan haben; aber das Protestiren genügte nicht. Wären die deutschen Genossen zur Konferenz eingeladen worden, sie hätten von der Tribüne herab sagen können, daß es in Deutschland eine starke sozialistische Partei gebe, gegen welche die Regierung gezwungen gewesen sei, Ausnahmegesetze zu machen, eine Partei, die dreizehn Ver- treter im ReichStaage zählt, die energisch gegen die Annexion von Elsaß- Lothringen protestirt hat, und die— man kann es getrost behaupten— durch ihr Dasein verhindert hat und noch verhindert, daß Bismarck einen Krieg ohne Weiteres vom Zaune bricht, um die französische Republik zu stürzen. Unsere Vertreter wären von den französischen Arbeitern mit der größten Sympathie aufgenommen worden, davon sind unsere Ge- nassen hier überzeugt. Die Pariser Arbeiter wären in Schaaren den Versammlungen zu- geströmt, welche zu diesem Zwecke arrangirt worden wären, und die Presse hätte davon Notiz nehmen müssen; dies wäre mehr unters Volk gedrungen wie Tausende von Broschüren, die nicht gelesen werden und den chauvinistischen Kläffern wäre das Maul gestopft. Hätte die Regierung Maßregeln gegen unsere Genossen ergriffen, nun, mehr hätte sie nicht thun können, als dieselben auszuweisen, und auch das würde agitatorisch gewirkt haben; man hätte beweisen können, daß die Regierung diejenigen Deutschen , welche die wahren Freunde der französischen Republik und des französischen Bolkes sind, aus dem Lande jagt, während sie die preußischen Spitzel nicht allein duldet, sondern auch protegirt. Die Pariser Arbeiter- Delegirten in Newyork haben nur zu recht, wenn sie sagen, daß sie„eine abermalige kriegerische Katastrophe be- fürchten", daß„bei den bethörten Massen wenig auszurichten" sei. Ist es dem gegenüber nicht ein Verbrechen, wenn Leute, wie ein Brousse, die vorgeben für die Interessen des Proletariats zu kämpfen, Zwietracht säen? Es ist nicht richtig, wenn gesagt wird, daß ich die vorgegebenen Gründe der Nichteinladung als durchaus stichhaltig anerkannt habe. In einer Unterredung, die ich in Gemeinschaft mit zwei anderen deutschen Genossen mit den Organisatoren der Konferenz hatte, wurden verschiedene Gründe lokaler Natur angegeben, u. A.—(da dies jetzt ja selbst ähnlich gesagt wird, brauche ich kein Geheimniß daraus zu machen)— daß die ganze Konferenz in Frage stände, wenn die Deutschen anwesend wären, daß dann die Regierung dieselbe überhaupt verbiete, und daß von dem ruhigen ungestörten Ausgang der Konferenz es abhänge, ob man im folgenden Jahre hier in Paris den internationalen Sozialisten- kongreß einberufen könne. Diese Gründe wurden von Genossen an- geführt, von welchen ich überzeugt bin, daß sie keinerlei chauvinisttsche noch feindliche Ansichten gegen die deutsche Partei hegen. Da wir einmal doch sahen, daß an der Zusammensetzung der Kon- ferenz, die vom National-Kongreß der französischen Arbeiterpartei defi- nitiv beschlossen war, von unserer Seite nichts mehr geändert'werden konnte, so erklärten wir, daß wir, die lokalen Verhältnisse nicht so genau kennend, gegen die vorgebrachten Gründe nichts mehr zu erwidern hätten, und daß unsere Mission damit erledigt sei. Unsere deutschen Genossen, denen wir das Resultat der Unterredung mittheilten, fanden die angeführten Gründe der Nichteinladung durchaus nicht stichhaltig. Und selbst in einer kurz darauf erschienenen Nummer des„Proletaire" wurde angegeben, daß die französische Arbeiterpartei diejenigen sozialistischen Parteien nicht einlade, welche ihr Vorschriften machen, überhaupt sich ihr gegenüber feindlich verhalten. Wie reinit sich das mit der vom Komite gegebenen Erklärung zu- sammen? Wenn unter Anfeindung des Resultats der Konferenz verstanden wird, daß von deutsch -sozialistischer Seite das Verhalten einiger Delegirten kritisirt und der Konferenz überhaupt nicht die Wichtigkeit beigemessen wird, welche man ihr von Seite der französischen Partei zuschreibt, nun, dann mag die von den Pariser Delegirten geäußerte Ansicht richtig sein. Ueber das Verhältniß der deutschen Arbeiter zu den französischen ein andermal. Ferdinand Thies. — England. Eine vortreffliche Antwort. Einer der Mitarbeiter von ,,,T o- D a y", der Dichter William Morris , der sehr vermögend ist, hielt vor einiger Zeit einen Vortrag über den Sozialismus und bekannte sich öffentlich als begeisterten Anhänger desselben. Die gesammte kapitalistische Presse fiel nun in der gewohnten Weise über Morris her und fragte:„Warum er denn seine Reichthümer nicht vertheile, wenn ihm der Sozialismus so gut gefalle?"— Morris hat darauf in einer Londoner Zeitung auf die Frage sowohl als auf die Anfeindungen überhaupt geantwortet. Seine Antwort lautet ungefähr wie folgt:„Ich gebe zu, daß die Stellung eines Kapitalisten und Arbeit- gebers, der trotzdem Sozialist ist, eigenthümlich erscheinen mag. Diese widerspruchsvolle Stellung kommt aber bei einem ehrlichen Menschen nicht erst dann zum Vorschein, wenn er in die Oeffentlichkeit tritt und für den Sozialismus agitirt, sondern viel früher: wenn das Bewußtsein, daß das gegenwärtige Gesellschaftssystem ein wahnsinniges ist, in ihm erwacht und die Ungerechtigkeit, dessen Werkzeug er ist, sich durch Ge- wissensbisse rächt.—„Warum wir unsere Stellung als Kapitalisten nicht aufgeben und Proletarier werden?" Das können wir ja selbst nicht; wir bilden ja nur ein winziges Glied in der ungeheuren Kette der scheußlichen Organisation der herrschenden Gesellschaft. Frei können wir nur durch das gänzliche Entnieten dieser Kette werden! Die Ohn- macht unserer individuellen Anstrengungen ist es, die uns die Waffe gegen unsere eigene Klasse in die Hand drückt. Ich bin stolz darauf, in diesem Kampse gegen meine Klasse mich bethätigen zu können— nicht weil ich sie hasse oder den Kamps liebe, sondern weil er der einzige Pfad ist, der aus diesem Labyrinth des Unvernünftigen und Ungerechten zum Licht der Wahrheit und zum Heil der ganzen Menschheit, nicht nur einer Klasse, führt...." — Soziali st ische Presse und Literatur. „To-Day" (Heute). Die erste Nummer— ein 80 Seiten starkes, sehr gut ausge- stattetes Heft— dieser von uns bereits angekündigten Monatsrevue liegt uns nunmehr vor. Wir geben in Nachstehenden! das Jnhaltsoer- zeichniß derselben in deutscher Sprache wieder: Vorwort der Re- daktion(C. Belfort Bax und I. Leigh Joynes); Die Revolution von heute(H. M. Hyndmann), ein sehr interessanter Aufsatz über die sich in England vorbereitende Revolution, aus dem wir in nächster Nummer einige Auszüge veröffentlichen werden; Die drei Sucher, ein Gedicht(Will. Morris); E h r i st e n t h u m und Kapita l i s m u s(E. B. Aveling); Bericht über die internatio- nale Volksbewegung(Cleanor Marx); Enthaltung und Mäßigkeit(C. Kegan Paul); zA u s der Hetze wider den Judenhetzer, von.Einem, der sie mitmachte(Ahasverus); Die Lehre von der Abnahme der Erträge der Land w irt h- s ch a f t(I. Boyd Kinnear) Literarische Rundschau. Wir begrüßen diese Mitstreiterin auf's Wärmste und wünschen ihr bestes Gedeihen. „Folksviljan"(Volkswille), erscheint wöchentlich in M a l m ö (Schweden ) unter der Redaktion von A. A. P a l in. Sozialdemokratisch. *** Ueber die in voriger Nummer von uns angezeigte Schrift Gabriel Deville's„Auszug aus de in Kapital von Karl Marx " wird uns von sachkundiger Feder geschrieben: „Uin das großartige Werk von Marx , welches dem internationalen Sozialismus ein ganzes Arsenal wissenschaftlicher Kampfmittel liefert, weitesten Kreisen des französischen Publikums zugängig zu machen, hat G. Deville es auszugsweise bearbeitet und ihm einen Abriß üoer den wissenschaftlichen Sozialismus vorausgeschickt, der einen exakten Begriff jener Lehren gibt, über die man heute zwar sehr viel spricht, die man aber noch sehr wenig kennt. Es ist kein Handbuch, d.h. kein aus auf's Geradewohl zusammengestöppelten Theilen bestehendes Buch, son- dern eine reiflich überdachte, klar und energisch geschriebene Arbeit, in welcher der Leser den wesentlichen Inhalt des großen Werkes von Marx in gedrängter Fassung vorfindet. Das sauber ausgestattete Buch ist voin Verleger, H. O r i o l, mit dem Portrait und Facsimile des großen kommunistischen Denkers ver- sehen worden." Korrespondenzen. — Königsberg . Die Stadtverordnetenwahlen sind vorüber. Der Sieg(!) wurde den Herren sehr leicht, denn sie waren so„ganz unter sich" und hatten keine Gegner. Die hier bestehenden Bezirksvereine, deren Mitglieder nur Liberale vom„reinsten Wasser", aber nicht immer dito Charakter, haben mit ihrem Vorstande und dem betreffenden Vor- sitzenden an der Spitze, die zu Wählenden proklamirt und— die Wahl war fertig. Beispielsweise haben in der 3. Abtheilung nur ca. 5 Proz. sich an der Wahl betheiligt. Wenn aller Orten so gewählt wird, dann, lieb Vaterland, kannst ruhig sein. Elendiglich fristen die genannten Bezirksvereine ihr Leben, kaum daß sie sich von einem Jahr zum andern— bis endlich je nach zwei Jahren die Stadtverordnetenwahlen wieder stattfinden— über Wasser halten. Man kann sich aber auch nichts Lederneres als solch einen Königsberger Bezirksverein denken. Jeden Monat eine Versammlung, die hoch ge- rechnet, von ca. 10—15 Personen besucht ist, und in der dann gewöhn-
Ausgabe
6 (10.1.1884) 2
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