«Geheimen" bewachen läßt und nicht einmal im Reichstag seines Krüger Und der Trabanten desselben entrathen kann wird man sich wohl kaum wundern können, daß das Cohen'sche Attentat vom Juni 1866 noch im Mai 1884 demeisernen" Reichskanzler den Angstschweiß auf die Stirne trieb. Da wir gerade beim Kapitel der Feigheit sind, so seien noch zwei charakteristische Stückchen erwähnt. Wir theilten schon früher mit, daß die Fortschrittler den Abgeordneten Richter- B u n z l a u, der wegen Majestätsbeleidigung zu sechs Monaten Gefängniß und Verlust semes Mandates verurtheilt worden ist, nicht wieder als Kandidat aufstellen wollten. Run ein Theil der Wähler des Verurtheilten hatte die Absicht, dies trotzdem zu thun. Das brachte jedoch die Führer der Fortschrittspartei, voran den tapferen Eugen, in solche Aufregung. daß Himmel und Hölle von ihnen in Bewegung gesetzt wurden, um den Plan zu vereiteln. Und es ist auch richtig ge- hingen. Richter-Bunzlau wird nicht wieder aufgestellt werden, obgleich der Wahlkreis mit jedem anderen Kandidaten für die Fortschrittspartei Verloren ist. Die Fortschrittspartei gibt aber lieber den Wahlkreis preis die Servilität geht ihr über die Ehre, über den einfachsten Ritstand, die Ehrlosigkeit siegt sogar über das Parteiinteresse. Das niero in sorvitium", das in die Knechtschaft mit Wollust Hineinstürzen, hat man den Nationalliberalen seinerzeit vorgeworfen es ist auch das Kennzeichen der zurKronprinzenpartei" gewordenen öortschrittler. Und jetzt das zweite Stückchen. Der polnische Dichter K r a s z e w s k i ist vor Kurzem des Landes- »errathes schuldig und zu 3', Jahren Festung verurtheill worden. Ehrlos war die Handlung des Mannes nicht, selbst nicht in den Augen des Reichsgerichts, sonst hätte es nicht auf Festungshaft erkannt. Trotzdem haben die polnischen Reichs- und Landtagsabgeordnetcn ausdrücklich jede Gemeinschaft mit dem unglücklichen Greis von sich gewiesen, weil sie «nicht zu dem Glauben Anlaß geben wollten, als billigten sie die Hand- hingen Kraszewski's." Und doch weiß Jeder, daß das, was Kraszewski   gethan hat, innerlich von allen Polen   gebilligt wird! Welche Heuchelei, welche Feigheit! Eine bemerkenswerthe Epistel einesBour­geois" an seinen Sohn. Von befreundeter Seite wird uns der Nachstehende Auszug aus einem Briefe mitgetheilt, den ein in Basel  lebender Bürger jüngst an seinen in Zürich   studirenden Sohn geschickt, Und den auch andere Leute beherzigen dürfen. Er knüpft an einen kürz- hch verhandelten Gründer-Prozeß an, der in der Schweiz   großes Auf- sehen erregte. Du wirst in den Zeitungen den Prozeß Busch in Wintert hur gelesen haben; hier in Basel   käme dieser Fall nicht unter fünf Jahren Zuchthaus weg; wie er im Kanton Zürich   beurtheilt wird, weiß ich nicht. Der heuttgen Generation scheint kein Mittel unerlaubt zu sein, um reich iu werden. Nur muß man die gesetzlichen Grenzen einzuhalten wissen! Das ist die große Kunst! Wie heuchterisch und unwahr ist doch das oft ausgesprochene Wort: »Durch Arbeitsamkeit und Sparsamkeit wird man reich!" Viel treffender ist das Wort eines Wiener   Geldmannes:Es ist noch Keiner Millionär geworden, er habe denn mit dem Bermel   das Zuchthaus gestreift", wo- hei natürlich die THatsache gemeint ist, aus Armuth oder mit geringen Riitteln Millionär geworden zu sein; ist die Million ererbt oder erhei- vathet, so fällt das An's-Zuchthaus-Streifen auf den ersten Urheber zurück, herkam Erwerb betheiligt war. Wer den Schweiß Anderer benützt, aufzufangen weiß, geschickt das Wasser Anderer aus seine Mühle laufen läßt, der kann reich werden. Marx   nennt daher das Kapital gestohlene Arbeit. Es ist etwas Rich- siges in diesem Ausspruch, obzwar es nicht überall zutreffend ist, wie 'ch Dir weiter unten zeigen werde. ,, Du kennst Herrn...., sein Schwiegervater war Schuster und hinter- ließ ein Vermögen von einer halben Million. Also, sagen die Leute, hier 'st-in sparsamer, arbeitsamer Mann, der durch Arbeit reich geworden ist. Dieser Reichthum ist moralisch und verdient Nachahmung. Untersuchen wir das! War es möglich, mit Schuhflicken und Stiefelmachen ein solches Ver- üiögen zu erwerben? Herr S. beschäftigte 50 Arbeiter, die knapp abgelohnt wurden; auch diese waren arbeitsam und sparsam, sie hatten aber kaum genug zu essen, wohnten in Löchern und hinterließen Schulden. Ferner ließ unser Schuster Millionen Kisten voll fertiger Schuhwaaren aus Rtainz kom- wen, die sehr billig erstellt waren, und konnte großen Gewinn daran wachen, weil der Fabrikant in Mainz   Hunderten von armen Tröpfen ihre Arbeit schlecht bezahlte, geringes Leder verwendete und baares Geld brauchte. Alles dies floß als Gewinn in die Taschen unseres Schusters Und Millionärs. Also nicht die Arbeit, denn unser Mann arbeitete selbst sehr wenig, Noch Sparsamkeit, denn er lebte sehr üppig, machten ihn reich und zum Millionär, sondern der zu wenig bezahlte Lohn, ein bischen Betrug und das savoir-fairc! Ja, die Kopsarbeit lieferte seine Frau und ein schlecht- bezahlter Schreiber. m_ In diesem Sinne nennt Marx   in seinem epochemachenden WerkeDas Kapital  " die angesammelten Sachgüter gestohlene Arbeit. Ein anderes Beispiel ist die Aktienfabrik P. Hier heißt es etwa, die Unternehmer, der Direktor liefern diegeistige" Arbeit, damit rechtfer- tigen sich die hohen Gehälter und die großen Dividenden. Konstatiren wir, daß auch in dieser Fabrik bei einer gesundheitsschädlichen es sind chemische Giststoffe zu behandeln Arbeit schlechte Bezahlung und rasches Dahinsiechen die Arbeiter trifft...... Die sogenanntegeistige Arbeit" wird dabei Millionär; haben aber Direktor und Unternehmer die geistige Arbeit geliefert oder ist der wirk- liche Erfinder nicht ein dunkler Ehrenmann, der mit geringer Bezahlung sein Geheimniß abgetreten hat? Und der Erfinder selbst ist nur kleinen Theils der geistige Urheber. Welche Vorarbeit haben Andere geliefert? Eltern, Schule. Gesellschaft haben die Mittel gegeben, frühere Generatio- Nen mitgewirkt. Also ein eigentliches Eigenthumsrecht auf irgend etwas ist naturrecht  - lich schwer zu erweisen: selbst auf eigene geisttge Arbeit schwer. Und dennoch ist der Spruch von Marx  :Kapital ist gestohlene Arbeit nicht überall zutreffend, daher kein allgemein gittiger Begriff. Gesetzt einen Fall, dessen wirklichen Sachverhalt ich verbürgen kann. A. wanderte nach den unbebauten Miffiffippi-Usern und baute sich eine Blockhütte. Seine Winterszeit verwendete er mit Holzfällen in dem Nahen Urwald, schaffte es an das Flußuser und verkaufte es den vor- überfahrenden Dampfschiffen als Feuerung: er sammelte damit ein Ka- Pital, wosür er später einen Landsitz kaufte. Von gestohlener Arbeit reden, wäre hier unzutreffend, weil hier ein Fall vorhanden ist, bei dem Kapital nicht durch fremde Arbeit, sondern durch Aneignung von Natur- gaben repräsentirt war, die durch eigenes Thun zu Werthgegenständen umgewandelt wurden. Ist das Holz höher bezahlt worden als der Tagelohn, so verkaufte unser Mann Naturgaben, die für Alle gratis sind, und hier ist Proudhon's  Satz: Eigenthum ist Diebstahl! weit eher gerechtfertigt." Soweit der Brief. In der Sache hat der Schreiber durchaus Recht, nur irrt er, wenn et Marx den Ausdruckgestohlene Arbeit" unterstellt. Worte wiestehlen" undDiebstahl" drücken j u r i st i s ch e Beziehungen aus, während Marx   in seinem Werk die wirthschaftlich-soziale Natur des Kapitals analysirt, den Nachweis liefert, daß das moderne Kapital aus Aneignung fremder Arbeit beruht. Ob diese Aneignung in rechtlich er- laudier Form vor sich geht oder nicht, ist für die THatsache ganz gleichgiltig. Daß diese Aneignung aber auch da, wo sie in juristisch durchaus unanfechtbarer� Form vor sich geht, auf dasselbe Resultat hin- ausläuft, wie die als Diebstahl bezeichnete Form der unerlaubten An- eijznung, das hat der Briefschreiber ganz richtig erkannt und nachge- wiesen. Sein Holzfäller, von dem er zuletzt spricht, ist deshalb kein Kapitalist, weil ihm ein nothwendiges Mybel dazu fehlt: der Lohnarbeiter. Der Mann mag noch sovielKapital" anhäufen, er ist deshalb doch kein Kapitalist, denn sein Geldarbeitet" nicht, es dient ihm nicht als Mittel der Ausbeutung. Erst von dem Augenblick an, wo nicht er, son- dern sein Vermögenarbeitet", d. h. ihm als Mittel dient, Andere für sich arbeiten zu lasten, ist es rechtes, in seiner vollen Schönheit erstrah» lendes Kapital. Proudhon's WortEigenthum ist Diebstahl" ist lediglich eine geist- reiche Paradoxie, die nichts erklärt. Eigenthum wie Diebstahl sind juri- stische Begriffe. Eigenthum ist die rechtliche Form des Besitzes, Diebstahl die widerrechtliche Aneignung. Zu erklären, der rechtliche Besitz ist widerrechtliche Aneignung, heißt sich im Kreise drehen. Hat der Holzfäller sein Holz theurer verkauft, als der Tagelohnbeträgt, so paßte am ehesten noch das Wort Franklins hierher: Handel ist Prellerei! Und in der That hat der gute Mann seinKapital" erst dadurch er- warben, daß er das gefällte Holz gewinn bringend veräußerte. Das wäre eine abgeleitete Art Ausbeutung, aber kein Diebstahl, denn Alles ging mitrechten" Dingen zu. Es lassen sich wirthschaftliche Bezieh- ungen der modernen Gesellschaft eben nicht an dem Beispiel eines Hinterwäldlers demonstriren. Hier hinkt deshalb auch der Vergleich, der beim obigen Schuster vortrefflich zutrifft. Es dürfte nur sehr wenige Bourgeois geben, die ihre eigene Klasse so treffend durchschauen, und noch weniger, die, wenn sie es thun, ihr Urtheil so offen aussprechen. Etwas vom Schutz der nationalen Arbeit. Wir haben schon oft gezeigt, wie hinter der schönen Phrase vomSchutz der nationalen Arbeit" nichts anderes steckt als die frechste Reklame für den Schutz der nationalen Ausbeutung. Ein drastisches Exempel dafür, was die Arbeiterfreundlichkeit der Herreu Schutzzöllner, die so pathetisch gegen die Herzlosigkeit der Freihandelsschule zn deklamiren wußten, werth ist, finden wir in einer der letzten Nnmmern derFrankfurter Zeitung  ". Es sei zu Nutz und Frommen der nationalen Arbeiter, die bei der Sache ja gewissermaßen auch in Frage kommen, hier mit- getheilt: Etwa einen Kilometer von Eßlingen   am Neckar   entfernt, betreibt eine Aktien-Gesellschaft die Fabrikation von Baumwollgarn unter der Firma Württemb. Baumwollspinnerei und-Weberei bei Eßlingen  . An der Spitze des Aufftchtsraths der Fabrik steht zur Zeit kein Geringerer als Freiherr v. V a r n b ü l e r, der gepriesene Vorkämpfer der Schutzzöllner. Gegen diese AktiewGesellschaft erhob ein armer Arbeiter, Namens Paul Bauer, bei dem Landgericht Stuttgart  Schadenersatzklage, gestützt auf die frühere württembergijche Gewerbe­ordnung, nach welcher bei Beschäftigung von Lehrlingengebührende Rücksicht aus Gesundheit und Sittlichkeit" zu nehmen sei, nach welcher serner Kinder unter 12 Jahren zu regelmäßiger Beschästigung in Fabriken gar nicht angenommen, Kinder zwischen 12 und 14 Jahren nicht länger als sechs Stunden täglich, Kinder zwischen 14 und 16 Jahren nicht über zehn Stunden täglich beschästigt werden dürfen und welche ferner vor­geschrieben hatte, daß den Kindern Vor- und Nachmittags eine Pause von einer halben Stunde, Mittags eine ganze Freistunde und zwar jedesmal auch Bewegung in der freien Lust gewährt werden müsse. U n b e st r i t t e n e r m a ß e n" hat nun Bauer vom 17. November 1873 an, obgleich er damals noch nicht 12 Jahre alt war, regelmäßig 6 Stunden täglich, zwischen dem 12. und 14. Lebensjahre öfters 8, 9, 10 ja 12 Stunden per Tag, zwischen dem 14. und 16. Lebensjahre sehr oft, ja vom 30. August 1876 an ohne Unterbrechung täglich 1 2 S t u n d e n in der Fabrik der Beklagten   gearbeitet. Ferner hat die Beklagte ausdrücklich zugestanden, daß dem jugendlichen Arbeiter die gesetzlich vorgeschriebenen Pausen nicht gewährt worden seien. Bauer wurde krank, das eine seiner Beine verkrümmte sich, er mußte ins Spital geliefert werden und wurde aus demselben mit einer Maschine entlassen, welche er heute noch trägt und wohl Zeit seines Lebens nicht wird entbeheen können. Durch das gründliche Gutachten des gerichtlichen Sachverständigen ist erwiesen worden, daß die Krankheit aus die ungesunde, gesetz- widrige Behandlung des Klägers in der Spinnerei zurückzu- führen und daß die Leistungsfähigkeit des Klägers für alle Zeit herab- gemindert ist, wie denn Kläger   feit seiner Entlassung aus der Fabrik ineistentheilS ohne Verdienst gelebt hat. Das Landgericht hat demzufolge die beklagte Gesellschaft zu einer ent- sprechenden Entschädigung verurtheill. Die Beklagte erhob Berufung an das Oberlandesgericht Stuttgart. Bei Begründung derselben wurde die Frage, ob die Beklagte an sich verpflichtet wäre, dein Kläger   Schaden- ersatz zu leisten, kaum mehr ernstlich be st ritten. Dagegen wurde die Einrede der Verjährung in Anwendung gebracht. Der Kläger   hätte nach dem Reichshastpflichtgesetz die Klage binnen zwei Jahren voni Tage des erlittenen llnsalls einreichet müssen. Bei der mündlichen Verhandlung machte der Präsident des Oberlandesgerichts und der Berichterstatter dein Anwalt der Gesellschaft wiederholt und in eindringlich st er Weise Vorstellungen, ob die Gesellschaft diese Einrede, von der sie in erster Instanz keinen Gebrauch gemacht habe, nicht lieber fallen lassen wolle, es möchte sich kaum mit der Humanität vertragen und müsse einen ganz schlechten Ein­druck in der Arbeiterwelt machen, wenn die Gesellschaft zugebe, daß sie die Arbeitskraft des Klägers in gesetzwidriger Weise be- nutzt habe und sich nun jenes lediglich formellen Einwandes bediene. Der Vertreter der Gesellschaft erwiderte, er habe selbst Bedenken ge- tragen, den Einwand vorzubringen und habe mit diesein Bedenken seiner Austraggcberin gegenüber nicht zurückgehalten; allein der Auf- sichtsrath habe ihm strikte Weisung gegeben, aus der Einrede zu bestehen. Richtig ist die Klage als verjährt vom Oberlandesgericht a b- gewiesen und ist das Urtheil vonr Reichsgericht bestätigt worden. Dabei muß es bleiben. Der durch Schuld der Spinnerei zum Krüppel gemachte Arbeiter mag sich mit der Erfahrung trösten, in welcher Weise von den reichen Aktiengejellschasten derSchutz der nationalen Arbeit" aufgefaßt wird." So dieFrankfurter Zeitung  ". Und wir setzen hinzu: Die Arbeiter aber mögen die Ermahnung des Präsidenten des Oberlandesgerichtes von wegen demEindruck" beherzigen und darnach handeln! Das rothe Gespenst, dieses nothwendige Schaustück der modernen Staatspfuscher, wird von dem biederen Otto,dem Großen", auchEiserner  " genannt, neuerdings wieder mit besonderer Vorliebe kultivirt. Es muß ihm nach zwei Seiten hin Dienste thun: nach unten, um das denkfaule Philisterthum in Stadt und Land ins Bockshorn zu jagen und von der Unentbehrlichkeit des herrschenden Systems zu über- zeugen; nach oben, um den geängstigten alten Kaiser zu Mein, was der rettende Schutzengel und Hausmeier verlangt, Ja sagen zu machen. Nach unten will das rothe Gespenst nicht mehr recht versangen; desto besser bewährt es sich nach oben. Der Heldengreis ist in Folge systematischer. Alarmirung und Ein- schüchterung so weit gebracht worden, daß erDeutschland  , die fromme Kinderstube", allen Ernstes füd einerömische Mördergrube" hält, wachend und schlafend von Nichts träumt, als von Dolchen, Dynamit- bomben und Nitroglyzerin-Attenlaten ä la Niederwald, d. h. wie das Reinsdors'sche Polizeiattentat ihm von seinem Schutzengel und Haus- meier dargestellt worden ist.' Wie man sich erinnern wird, glaubte der heutige Auch-Kaiser und damalige Bloß-König schon während der Konfliltszeit sein Leben bedroht, und meinte, die Fortschrittler hätten das Schicksal Karls I.   von England für ihn in petto. Nach den Erfolgen von 1866 und 1870/71 verloren sich diese Halluzinationen, kehrten aber in, Sommer 1878 anläßlich der von dem bankrouten Otto geschickt sruktifizirtenAttentate" wieder in verdoppelter Stärke zurück. Und seitdem ist durch dengenialen" Schutzengel und Hausmeier dafür gesorgt worden, daß das Zitterfieber (ckelirium tromgns Imporntorum), im alten Rom   Zäsarenkrankheit ge- nannt, den jetzt 87jährigen Mann nicht mehr, verläßt. Um ihm»ck oculus zu demonstriren, daß er beständig von den größten Gefahren umringt ist, wird er durch fortwährende Vorsichtsmaßregeln beunruhigt, in der auffälligsten Weise bewacht kurz, Alles wird auf- geboten, ihm die Meinung beizubringen, Tausende und Tausende trachteten nach seinem Leben, und nur der geniale Schutzengel und Hausmeier könne dasselbe wirksam beschützen. Jetzt ist der Kdiser aus Berlin   nach Schloß Babelsberg   übergesiedelt.. Einige Tage vorher mußte derStaatsanzeiger" eine Bekanntmachung des königlich-kaiserlichen Hosmarschallamtes veröffentlichen, kraft deren der sonst dem Publikum zugängliche Park von Babelsberg   dem Publi- kum verschlossen ist. Statt des Publikums verkehren jetzt dort außer dem gewöhnlichen Hofpersonal und den obligaten Gardesoldaten über HundertGeheimpolizisten", die den armen Kaiser jeden Augen- blick daran erinnern, daß ihm von erbarmungslosen Feinden nachgestellt wird. Kaiser Wilhelm   in Babelsberg  , Zar Alexander in Gatschina Kaiser und Zar Gefangene in ihren eigenen Palästen kann man einen drastischeren Beweis dafür haben, daß dasMetier" der Monarchen heutzutage ein schlechtes geworden ist? Einstweilen thut aber das Rothe Gespenst" noch seine Dienste. Auf wie lange? Bonden 22 sächsischenReichstagsmandaten sind, wie unsere Leser wissen, sechs wegen grober Unregelmäßigkeiten und Gewalt- übergriffe der Behörden vom Reichstage beanstandet worden, und noch mindestens zwei mehr hätten beanstandet werden müssen, wenn die Wahlproteste rechtzeitig eingereicht, oder korrekt abgefaßt worden wären. Wohlan von all diesen Wahlen ist bisher noch nicht eine einzige zur endgültigen Entscheidung vor das Plenum gelangt. Die Behörden haben die Untersuchung so in die Länge gezogen, daß erst über zwei der beanstandeten Wahlen(die von Glauchau  -Meerane  und von Dresden  -Zieustadt) die amtlichen Untersuchungen abgeschlossen sind. Diese zwei Wahlen werden denn auch den Reichstag in nächster Zeit beschäftigen, und es wird zweifellos die Ungültigkeit ausgesprochen werden müssen. Ob die Untersuchung der vier übrigen Wahlen noch im Lauf dieser Session, welche bekanntlich die letzte der Legislaturperiode ist, zum Ab- schluß kommen werden, ist sehr fraglich. Und dasselbe gilt von einem halben Dutzend weiterer Wahlen aus anderenBundesstaaten". Unter solchen Umständen wird also beinahe ein Dutzend von Abgeordneten, die thatsächlich ein ungültiges Mandat haben, bis zum Schlüsse der Legislaturperiode das Gesetzgeberamt ausüben, und die paar Rtandate, welche der Reichstag   noch zu kassiren in der Lage ist, werden so spät kassirt werden, daß eine Neuwahl gar keinen Sinn mehr hat, und den Wählern bloß überflüssige Opfer an Zeit und Geld verursacht. Wir haben schon neulich uns über diesen skandalösen Unfug aus- gelassen. Die fortschrittlichen Blatter schieben die Schuld ausschließlich auf die Behörden, weil diese die Untersuchungen so sehr verschleppen. Allein das ist nur bis zu einem gewissen Punkte berechtigt. Wie kommt es, daß in anderen Ländern die Behörden derartige Untersuchungen nicht in ähnlicher Weise, nämlich offenbar in rein chikanöser Absicht, in die Länge ziehen? Die Antwort ist sehr leicht. In keinem anderen Lande hat die Volks- Vertretung so wenig zu sagen, wie in Deutschland  . In keinem anderen Lande steht die Volksvertretung so wenig in Ansehen wie in Deutsch  - land. Warum aber steht sie in Deutschland   in so geringem Ansehen? Auch auf diese Frage ist die Antwort sehr leicht: die deutsche Volks- Vertretung hat noch niemals den Muth gehabt, für ihr Ansehen, für ihre Macht zu kämpfen. Sie hat verschiedene Anläufe zum Kampf (Konflikt) gemacht, aber jedesmal ist es beim Anlauf geblieben. Wie kläglich hat sich die Bolksvertretung erst jüngst anläßlich der Verlänger- ung des Sozialistengesetzes benommen. Statt dem übermüthigen Dik- tator die Waffe des Ausnahmegesetzes aus der Hand zu winden, ist der Reichstag feige über den Stock gesprungen. Wie kann eine solche Volksvertretung poue riro(zum Lachen) von den Behörden eine achtungsvolle Behandlung erwarten? Es ist ein altes Wort: Niemand erhält Fußtritte, der sie nicht verdient. Deutsches P h i l i st e r t h u m. Wir haben über die Heiraths- affäre des Großherzogs von Hessen- Darmstadt   bisher kein Wort ver- lieren mögen, weil es nach unseren Begriffen ziemlich gleichgültig ist, ob den Thron des Landes Rheinhessen   eine aus England geholte voll- blütige Prinzessin oder eine dem allerhöchsten Herrn dieses gesegneten Landes morganatisch  , d. h. an die linke Hand angetraute ehemalige Frau eines gewöhnlichen Gesandtschastssekretärs ziert. Für Viktoria von England war es ja zweifelsohne sehr fatal, daß ihr für ihr jüngstes Töchterlein ein gekrönter Schwiegersohn und deren gibt es ja heute leider! nicht allzuviel entging, aber uns und unser» Lesern kann es sehr gleichgültig sein, ob irgend eine heirathsfähige Prinzessin unter die Haube gebracht wird oder nicht. Höchstens hätten wir über das Thema der morganatischen Ehen über- Haupt, und die Art, wie die vorliegende zu Stande kam, im Speziellen einige Worte verlieren können- unter Berücksichtigung der sittlichen Entrüstung, welche man offiziellerseits über die von Bebel in seinem Buch über die Frau gepredigtefreie Liebe  " erst jüngst wieder zur Schau trug. Aber ein Umstand hielt uns davon ab die gleichfalls hochsittliche Entrüstung, welche die gutgesinnte deutsche Presse über die Geschichte an den Tag legte. Das inachte uns stutzig. Und wir haben gut gethan, in das Geschrei nicht mit einzustimmen. Nicht gegen den Großherzog war es gerichtet, sondern gegen dessen Mi- nister, weil derselbe die Ehe mit Frau Koleniine, wie es seine Pflicht war, gesetzlich abgeschloffen hatte; nicht gegen den Mann, dessen galante Abenteuer bekannt sind, sondern gegen die Frau, die sich ihm nich t um Geld preisgab, nicht seine Mätresse, sondern sein Weib sein wollte. Der arme fünfzigjährige Herzog war nur der Verführte, Alles stimmte überein, den Minister zu verdammen, weil er den armen ver- sührten Herzog nicht von dem Schritt zurückgehalten. Und richtig ist denn auch der Minister, vielleicht der anständigste in Deutschland  , der sittlichen Entrüstung des Volkes der Denker zum Opfer gefallen. Vik- toria hat ihr Ziel erreicht die Scheidungsklage ist eingeleitet, und wenn das englische Oberhaus sich schließlich auch noch breit schlagen läßt, so werden die biederen hessischen Unterthanen bald wieder das Glück ge- niehen, eine Großherzogin von sürstlichem Blut zu besitzen. Denn das war der Grund ihres Schmerzes, daß sie statt einer Königs- tochter eine Niedriggeborne zur Großherzogin bekommen sollten. Darum die sittliche Entrüstung. Dieunsterbliche Albernheit und Abgeschmackt- heit des deutschen Philisterthums", wie dieNation", das Organ der Herren Bamberger  , Rickert ic. schreibt, hat sich da wieder von ihrer glänzendsten Seite gezeigt. Das bekannte Freihändlerorgan hat nämlich den Muth gehabt, die Sache ins richtige Licht zu stellen. Ja so ist er", schreibt es,so war er von jeher, der biedere deutsche Philister; und darum wird er es polittsch wohl niemals zu etwas bringen. Ist ihm einmal durch die Gunst des Geschicks aus einen kurzen Augenblick Etwas in den Schoß gefallen, so läßt er das Erlangte im nächsten Augenblick wieder fahren, weil ihn im Grunde alles Politische nur auf der Oberfläche berührt und er innerlich über den Privatmenschen nie hinauskommt. Nur dieser Privatmensch ist lebendig in ihm, das polittsche Staats- bürgerthum ist ihm lediglich anempsunden. Anwandlungen zu politischer Auflehnung sind beispielsweise in Deutschland   nie spontan, sondern nur kraft des Nachahmungstriebes zum Vorschein gekommen, wenn vom Nachbarlande ein Anstoß kam. Es hat uns an Mißbrauch landesherr- licher Gewalt im vorigen Jahrhundert und in der ersten Hälfte dieses Jahrhunderts nicht gefehlt. Einzelne Fürsten haben Männer der ehren- haftesten Gesinnung grausam mißhandelt und das öffentliche Recht ge- beugt, ohne daß ihre Unterthanen in nachhaltige Entrüstung gerathen wären. Aber es ist schon mehr als einmal vorgekommen, daß die Straßen der kleinen Residenzen der Schauplatz aufrührerischer Szenen wurden, weil Serenissimus in seinen menschlichen Liebhabereien vom graben Wege standesgemäßer Führung abwich. Solch ein Benehmen kränkt den Biedermann sehr, viel mehr jedenfalls, als es ihn kränlte, wenn sein Fürst, wie so oft geschah, die Verfassung zerriß und ihm vor die Füße warf, Patrioten einkerkerte und Jahre lang schmachten ließ." Das liberale Blatt weist dann auf Italien   hin, wo kein Mensch sich daran gestoßen, daß Viktor Emanuel   die Frau eines gewesenen Tambour major heimgeführt, und fährt fort:' Man wird vielleicht dassittliche Gefühl" der Germanen gegen diese politische Duldung zu Gunsten jener philiströsen Unduldsamkeit ins Feld führen. Aber ist es denn sittlicher, beschworene Verfassungen zu brechen und grausame Kabinetsjustiz zu üben als unstandesgemätz zu lieben oder zu heirathen? Es ist aber nicht einmal das sittliche Gefühl, welches der Empörung zu Grunde liegt! Wenn die eben dem Großherzog angetraute Dame einem Fürstengeschlecht entsprungen wäre, so dürste sie sich in ihrer hohen Sphäre eines schönen oder unschönen Rufes erfreuen, ohne daß Hoch und Niedrig im Lande sich erlauben würde, in sittliche Entrüstung über die Verbindung zu gerathen. Was das Blut des Philisters in Wallung bringt, ist, daß eine Frau über ihn erhöht wird, die nicht vom Stammbaum hoher Ahnen auf ihn herabschaut."--- Ja! Landeskinder!" dieses Wort, welches, wie Landesvater und Landesmutter, kein anderes Volk der Welt auszuweisen hat, bezeichnet so ganz die Sache. Werden doch die ersten Keime akademischer Erzieh- ung in den künftigen deutschen Staatsbürger ersten Ranges niedergelegt, indem er unter dem Schauer heiliger Klänge denLandesvater" an- stimmt! Kinder sind sie und Kinder werden sie bleiben, und nur diese privaten Empfindungen und Vorstellungen pulsiren lebendig in ihnen. Die darmstädtische Frau Geheimräthin will eine ebenso vornehme Landesmutter haben, wie ihre Kolleginnen von Baden oder Württem- berg und fühlt wie ihre Kolleginnen von Baden oder Württemberg   und