W ti»a200 Schritte vor demselben mit einigen wohl applizirten, gesalzenen Ohrfeigen. „Herr Krautmacher aus Solingen " konnte noch nicht weit gekommen sein, als man bereits einen zweiten Spitzel erwischte, und„diesem ist es schlimm ergangen." Kräftige Arbeiterfäuste packten ihn und in einem Bogen flog der Kerl auf die Straße, wo er platt zu liegen kam und ihm mit„echt deutscher Gründlichkeit" das Fell verhauen wurde. Ein wahrer Hagel von Stock- und Schirmhieben sauste auf ihn hernieder. Endlich gelingt es ihm, sich aufzuraffen und den Revolver zu ziehen; im Nu aber kam er auf's Neue in unsanfte Berührung mit unserem Pla- neten, der Revolver wurde ihm entrissen und eine zweite, vermehrte und verbesserte Auflage von Prügeln folgte; dann sprang er auf und gab unter Zurücklassung seines Hutes Fersengeld. Es ist ein in der Nähe stationirter Gendarm, der in Folge dieser Affäre heute noch krank darniederliegt. Den erbeuteten Revolver haben wir zur Aufbewahrung im Partei- Archiv bestimmt und wird derselbe demnächst folgen. Ein S ch u l m e i st e r l e i n aus R o n s d o r f, das sich in's Ver- gnügungslokal verirrt hatte und nun von Tisch zu Tisch ging, um, wie er am anderen Tage in der„Ronsdorfer Zeitung" erklärte, die zum Theil recht charakteristischen Gesichter zu betrachten, wäre beinahe einem ähnlichen Schicksal wie das der beiden Spitzel verfallen. Die Charakter- studien bekamen ihm recht übel, man stellte es auf nicht gerade sanfte Weise zur Rede, doch kam es, da das Mißverhältniß sich bald aufklärte, mit einigen Psüffen davon. Inzwischen hatte„Herr Krautmacher aus Solingen " die in einer be- nachbarten Wirthschast einquartierte Polizeimacht alarmirt, und während man sich im„Langenhaus" noch über die eben geschilderten Vorgänge unterhielt, stürmte plötzlich eine ganze Anzahl Polizisten, in Zivil ge- wickelte berittene Schutzleute und mit Gewehren bewaffnete Gendarmen; etwa 20 Mann, im Laufschritt gegen das Lokal an, stitten rücksichtslos zwischen die auf der Straße promenirenden Fußgänger und besetzten sämmtliche Ausgänge des Lokals. Die drei das Belagerungskorps führen- den Kommissare forderten die Herausgabe der Bösewichte, welche die armen Spitzel durchgebläut, was natürlich unauslöschliche Heiterkeit her- vorrief; und da auch„Herr Krautmacher", welcher sich ebensalls wieder eingefunden hatte, seine Angreifer nicht zu ermitteln vermochte, mußte wohl oder übel die Blokade wieder aufgehoben werden. Der Feigling G o t t s ch a l k, der, wenn er eine Rotte seiner Spieß- gesellen hinter sich weiß, immer einen großen Muth entwickelt, drang bei der Affaire mit gezogenem Revolver in den Garten! Unterdessen war die Zeit zum Ausbruch gekommen, und der Zug setzte sich unter brausenden Hochs auf die Sozialdemokratie, unseren Kandi- baten, Genossen Harm, u. s. w. wieder in Bewegung, umschwärmt von der Schnüffelgarde zu Fuß, zu Roß und Wagen. Eine Fluth von Hohn und Spott ergoß sich über sie. Unterwegs kam es noch zu einem ergötz- lichen Auftritt. Einer der Ausflügler gab seiner Begersterung dadurch Ausdruck, daß er sein rothes Taschentuch an einen Stock band; kaum bemerkte der Konnnissar W i l s i n g diese improvisirte rothe Fahne, als er wie ein rother Puter mit einem halben Dutzend seiner Büttel daraus losstürzte und den unglücklichen Lappen konfiszirte. Gegen 10 Uhr Abends langte der Zug in Elberfeld an, allwo die gesammte Polizei auf den Beinen war. Ehren-Gottschalk suchte hier den Zug durch seine berittenen Schutzmichel zu sprengen, die lobenswerthe Absicht scheiterte aber an dem Widerstande der Gesellschaft; erst beim Einmarsch in die innere Stadt löste sich der Zug in Gruppen auf, welche nach verschiedenen Lokalen abmarschirten. gegenwärtig ist die ganze hohe Obrigkeit mit ihrem Troß von Staats- anwälten und Polizisten in fieberhafter Ausregung und läßt eifrigst auf die Volksrichter fahnden; ob's ihr was Helsen wird, möchten wir bah bezweifeln. In der Bevölkerung aber haben diese Vorfälle die leb- hafteste Sympathie für unsere Sache wachgerufen und uns manchen neuen Anhänger zugeführt. Der Volksfreund. Nachschrift. Soeben meldet ein Berliner Telegramm, daß sich die Regierung durch Verhängung des„Kleinen" über Barmen- Elberfeld blamiren will. Nur zu, Ihr findet uns gerüstet! Soweit der Einsender. Seine Zuschrift zeigt, welch' wackerer Geist im Wupperthale herrscht, und daß unsere Genossen daselbst die Ehre deS Belagerungs- zustandes gebührend zu würdigen wissen werden. Denn eine Bevorzugung, eine Ehre ist's in der That. Wo sich selbstständiges Leben regt, wo das Volk nicht lammfromm den Nacken unter das Joch des Junker-, Militär- und Polizeistaates biegt, da ist das Vaterland der Bismarck-Madai in Gefahr, da muß als rettender Engel der„Kleine" herhalten. Einer unserer Abgeordneten erinnerte einmal im Reichtag an das ge- flügelte Wort C a v o u r' s, den die Reaktionäre zur Proklamirung des Belagerungszustandes bestimmen wollten:„Ich will mich nicht bankrott erklären; mit dem Belagerungszustand kann jeder Esel regieren." Ja, mit dem Belagerungszustand, dem„großen" oder„kleinen", kann jeder Esel regieren; und— nur ein Esel kann sich einbilden, daß er mit dem Belagerungszustand auf die Dauer regieren kann. Der Belagerungszustand— wir reden von Friedenszeiten, im Kriege liegen die Dinge anders, da sind die Gesetze aufgehoben und gilt nur das Gesetz der Selbsterhaltung und das Kanonenrecht— der Belagerungszustand ist die flagranteste Bankrotterklärung, die eine Regierung über sich selbst aussprechen kann; sie verkündet damit ihre Unfähigkeit, gesetzlich zu regieren, und klammert sich an den Strohhalm der brutalen Gewalt— denn ein Strohhalm ist's nur, und wenn es auch momentan als mächtige, den Widerstand niederschmetternde Keule sich darstellt. Wie lange der Strohhalm hält? Ein Jahrzehnt ist eine Sekunde im Völkerleben. Bei Napoleon , dem Helden von Boulogne , Straßburg , Paris und Sedan , dauerte es zwei Sekunden. Bei Bis- marck geht's jetzt in die dritte, und wie muß er sich abquälen, wie lügen, schwindeln, um die böse Viertelstunde des Rabelais, die mit der Sicherheit des Fatums naht, hinauszuschieben. Ohne Belagerungszustand keine Sicherheit mehr. Der Belagerungs - zustand ist die letzte Zuflucht, das letzte Wort des herrschenden Systems. Der Belagerungszustand, der in Berlin begonnen, muß die Runde machen durch das Bismarck 'sche Reich der Gottesfurcht und frommen Sitte. Zunächst soll nun Elberfeld -Barmen an die Reihe kommen. Selbst der reaktionären Bourgeoisie graut es davor. Sie fühlt die Schmach und ahnt die Gefahr. Ja, die Gefahr. Wo soll das enden? Was in Barmen- Elberfeld geschehen und den Anlaß zur Verhängung des Belage- rungszustandes liefern soll, kann überall geschehen— sagt selbst ein konservatives Philister- Blatt, wie der„Hamburgische Korrespondent: „Was dort geschehen," sagt er mit dürren Worten,„ i st d u r ch d i e Polizei provozirt worde n." Ein böses Wort für den Herrn Bismarck und seine schmachvolle Polizeiwirthschaft. Gewiß, was in Barmen-Elberfeld geschehen, das ist durch die Polizei provozirt worden. Ein Wunder nur, daß es nicht früher geschehen, dort und anderswo hundertmal geschehen ist— ein Wunder, blos erklärlich aus der Geduld des deutschen Volkes, die ein Wunder ist für alle anderen Völker. Ein schlechtes, niederträchtiges Handwerk, dieses Spitzelhandwerk. Jeder- mann verachtet den Spitzel, Jedermann, auch unser eingefleischtester Gegner, findet es begreiflich, wenn einem solchen Gesellen, der die Frechheit hat, sozialdemokratische Arbeiter durch seine Gegenwart zu be- leidigen und herauszufordern, eine Lektion ertheilt wird wie in Barmen- Elberfeld . Und können oder sollen wir verurtheilen, was sogar der„Hain- burgische Korrespondent" nicht verurtheilen kann, für menschlich gerecht- fertigt erkären muß? Möge Herr Bismarck und sein Madai thun, was sie nicht lassen können. Sie brauchen den Belagerungszustand, mögen sie ihn über Barmen-Elberfeld verhängen; mögen sie ihn ausdehnen über alle noch „freien" Städte des deutschen „Vaterlandes". Wir gedenken heitern Herzens des guten Bibelverses und des ebenso guten Sprichworts: Wer den Wind säet, wird den Sturm ernten; und der Krug geht solange zum Brunnen, bis er bricht. Sozialpolitische Rundschau. — Der„Rechenschaftsbericht" über die abermalige Ver- längerung des Leipziger Belagerungszustandes ist dem Reichstag gerade beim Thorschluß zugegangen und konnte natürlich nicht mehr besprochen werden. Das wird nun erst in der nächsten Session geschehen können, wenn auch die„Rechenschaftsberichte" über die verlängerten Berliner und Hamburger Belagerungszustände fällig geworden sind, so daß im Reichstage gleich das Vierteldutzend auf einmal abgemacht werden kann. In einem solchen„Rechenschaftsbericht" Logik zu suchen, wäre thörichtes Bemühen. Die sogenannte„Rechenschaft" ist nur eine Förmlichkeit, und von Anfang an nicht anders aufgefaßt worden. Der vorliegende sächsische „Rechenschaftsbericht" ist nicht logischer und nicht unlogischer als seine Vorgänger. Die Sozialdemokratie ist vorsichtiger geworden, sie hat wenig Gelegenheit zu„polizeilichem Einschreiten" gegeben— aber die „Besserung" ist nur eine scheinbare und der Belagerungszustand nach wie vor unentbehrlich. Wäre die Sozialdemokratie weniger vorsichtig gewesen und hätte sie mehr Gelegenheit zu„polizeilichem Einschreiten" gegeben, so würde die Verlängerung erst recht nothwendig gewesen sein. Wir nlögen's niachen wie immer, wir werden es unseren Feinden und der wohllöblichen Polizei nie recht machen. Der polizeilichen Doppel- logik können wir unmöglich entrinnen; wir liefern stets Material für die Verlängerung des Sozialistengesetzes und des Belagerungszustandes. Verhalten wir uns ruhig, so beweisen wir„die erzieherische Wirkung" des Sozialistengesetzes— und wer wird ein Gesetz, das so gut wirkt, aufheben wollen?— und verhalten wir uns nicht ruhig und begehen wir„Ausschreitungen"— je nun, so beweisen wir die Zweckmäßigkeit des Sozialistengesetzes, welches ja gerade gegen derartige Ausschreitungen erlassen worden ist. Was dem einen Horn dieser Entoutcas-Logik entrinnt, wird unfehlbar von dem andern aufgespießt. Es ist die alte Geschichte von der Scylla und Charybdis, bei welcher Gelegenheit uns beiläufig einfällt, daß ein gewisser Odysseus, der ein tapferer und zugleich kluger Mann war, seinerzeit mit der Scylla und der Charybdis doch fertig wurde! Natürlich fehlt in dem sächsischen Rechenschaftsbericht nicht die Bezug- nähme auf den Aufenthalt einiger„Hauptführer" in Borsdorf ,„in unmittelbarer Nähe des belagerten Gebietes. Und man muß zugeben, es ist auch wahrhaftig eine„Umsturzbestrebung" oommo il kaut im Sinne des fainosen Sozialistengesetzes, daß jene„Hauptführer" von ihrem Ge- schäft und ihren Familien in Leipzig sich nicht weit entfernen, sondern voll hochverrätherischer Hintergedanken sich„in unmittelbarer Nähe" aufhalten wollen. Doch, wie gesagt, das sind ja alte Geschichten, die schon in den frühe- ren„Rechenschaftsberichten" des Herrn von Nostiz-Wallwitz vor- kamen. Den Vorzug der Neuheit— und das will viel sagen in unserer phantasiearmen Zeit— hat aber jedenfalls nachfolgende Schlußwendung, die wir, ihrer unbestreitbaren Originalität halber, nachstehend vollständig mittheilen müssen. „Ein Verzicht— schreibt der geistreiche Nostiz - Wallwitz — auf die fortdauernde Anwendung der durch das Gesetz an die Hand gegebenen Vorsichts- und Präventivmaßregeln gerade an diesem Punkte sLeipzigj würde mit den noch in die jüngste Zeit fallenden Beschlüssen des Bundesraths und des Reichstages, durch welche die Nothwendigkeit einstweilig unveränderter Beibehaltung jener gesetz- lichen Schutzmittel von den Regierungen und der Volksvertretung ausdrücklich anerkannt worden ist, sich kaum vereinigen lassen. Und das Gewicht dieser Erwägung kann nur verstärkt werden durch den Hinblick darauf, daß die Maßregeln des ß 28 in den Städten Berlin und Hamburg fortbestehen und daher bei deren gleichzeitiger Aufhebung für Leipzig ein verniehrter Andrang sozialdemokratischer Elemente nach Leipzig unausbleiblich eintreten würde. Ein Zusam- menströmen der agitatorischen Kräfte der Sozialdemokratie Deutsch- lands an diesem einen Zentralpunkte ließe aber in der That gerade in der Jetztzeit bedenkliche Folgen erwarten." Hänge Dich, Figaro, das hättest Du nicht gesunden! Herr'Nostiz- W a l l w i tz ist doch ein gescheidter Bursche! Also wenn in Leipzig der Belagerungszustand aufgehoben würde, wäh- rend er in Hamburg und Berlin fortdauert,„würde ein vermehrter Andrang sozialdemokratischer Elemente nach Leipzig unausbleiblich ein- treten." Wer könnte gegen diese handgreifliche Logik etwas einwenden? Wir sind niedergedonnert. Und das Nostiz-Wallwitz'sche Argument hat noch eine größere Tragweite, als der geniale Erfinder sich vielleicht selbst einbildet. Es ist nämlich gut für a l l e Z e i t e n; es kann jedes Jahr mit gleicher Beweiskrästigkeit vorgebracht werden, denn da der „Kleine" in Berlin bis zum November läuft, in Hamburg bis zum Oktokker, in Leipzig bis zum Juni(von Barmen-Elberfeld u. s. w. abgesehen), so liegt es auf der Hand, daß der Belagerungszustand in jeder dieser Städte st e t s erneuert werbe, f- muß, weil er in den beiden anderen nicht gleichzeitig erlischt, und folgedessen die von Herrn von Nostiz-Wallwitz mit solchem Scharfsinn erkannten schlimmen Wirkungen„unausbleiblich eintreten." O Du biederer Nostiz -Wallwitz — wir hatten Dich wahrhaftig unter- schätzt! Und noch ein anderes Argument flößt uns Respekt ein: „Die auffallend große Anzahl und Länge(!) der Artikel und Korrespondenzen des Blattes(„Sozialdemokrat"), welche die Verhält- nisse Leipzigs behandeln, zeigt, daß die Aufmerksamkeit der Partei gerade auf Leipzig gerichtet ist." Und erxo ist die Verlängerung des Belagerungszustandes noth- wendig. Danach wären wir, zum Theil wenigstens, die„intellekwellen Ur- Heber" des Leipziger „Kleinen". In der That, Herr v. Nostiz-Wallwitz ist doch etwas zu bescheiden— wir wollen ihm seine Lorbeeren und die Vaterschaft des Leipziger „Klei- nen" nicht streitig mache», obgleich wir gern zugeben, daß die Vaterschaft keine ganz freiwillige und pur ordre du moufti erfolgt ist. Jedenfalls freut es uns, daß Herr von Nostiz-Wallwitz den„Sozialdemokrat" so genau liest und ihm einen solchen Einfluß aus seine Entschließungen zuerkennt. Das ist sehr schmeichelhaft für uns und wir werden Herrn v. Nostiz- Wallwitz nach wie vor recht kräftig in dieser Weise zu beeinflussen suchen. Eine Liebe ist die andere werth. — Aus Leipzig , l. Juli, wird uns geschrieben: Der Streik der Maurer hat nach neunwöchentlicher Dauer e i n g e- stellt werden müssen. Er ist vollständig gescheitert: die Wahrheit leugnen oder vertuschen zu wollen, wäre schädliche Thorheit. Einen Theil der Schuld— das muß ausgesprochen werden— tragen die Streikenden selbst, die ohne genügende Vorbereitung und zu un- passender Zeit den Kampf aufnahmen. Die Hauptschuld— falls dieser Ausdruck korrekt ist— fällt aber auf die hiesigen Behörden, die, nachdem sie zu Anfang des Streiks scheinbar eine neutrale Haltung eingenommen haben, sehr bald gegen die Arbeiter Partei ergriffen und die Meister in jeder Weise begünstigten. Während die Arbeiter seitens der Polizei allen möglichen Chikanen unterworfen und in den entscheidenden Momenten an der Ausübung des Versammlungs- rechtes gehindert wurden, leistete man den Meistern dadurch Vorschub, daß man sie für die sehr bedeutenden, in der Errichtung begriffenen städtischen Bauten betreffs der Herstellungsfrist ihrer Kontrakte entband, so daß die Meister ruhig abwarten konnten. Gerade auf diese Konttakte hatten die Arbeiter gerechnet, als sie den Streik begannen. Das war freilich sehr thöricht. Sie hätten sich sagen sollen, daß die Behörden, städtische wie staatliche, im Klassenkampf stets auf Seite der Ausbeuter stehen. Hierbei muß allerdings bemerkt werden, daß die s o z i a l i st i s ch Geschulten unter den Maurern dies auch richtig vorausgesehen und deswegen von dem Stteik abgerathen hatten. Trotzdem war die Leipziger Polizei albern genug, den Streik für das Werk sozialistischer„Agitatoren" zu halten und dementsprechend überall herumzuschnüffeln, namentlich in Borsdorf , das förmlich„belagert" ward. Der Leipzig -Dresdener Bahnhof, von dem aus man nach diesem, dem Herrn vonNostiz-Wallwitz so unangenehm gelegenen Oertchen (es hat etwa b00 Einwohner) fährt, war beständig von etlichen„Ge- Heimen" überwacht, welche die Paffagiere so auffällig konttolirten, da! es sogar von ganz Unbetheiligten bemerkt ward. Erwähnung verdient noch die Haltung der gegen die Arbeiter oe: bündeten und verschworenen Jnnungsmeister. Jnnungsmeisi« nach dem Herzen Ackermann' s. Von ihnen gilt, was das lateinisch Sprichwort von den Pfaffen sagt: mel in oro, kel in cords— Honij im Munde, Galle im Herzen! Theoretisch fließen sie von Arbeiterfreund lichkeit über; ein gutes„kollegialisches" Verhältniß zwischen Meistert und Gesellen herbeizuführen, ist einer ihrer Programmpunkte. In de: Praxis steht's aber anders, da heißt es dem Arbeiter gegenüber: Maul halten und Ordre pariren! Die Forderungen der Arbeiter waren so mäßig, daß viele der Meiste: sie privatim auch für durchaus gerechtferttgt erklärten. Allein mar durste die„Rebellion" nicht auskommen lassen, die Arbeiter mußten u« jeden Preis unterdrückt werden. Nun, mit Hilfe der Behörden ist es den braven Herren Jnnungi- meistern für den Augenblick gelungen; die Arbeiter aber haben eirt Lektion erhalten, die sie so leicht nicht vergeffen werden und die ihnrt nur nützlich sein kann. — Wie's inDeutschland zugeht— ein Bild aus de« Leben. Einer unserer Abgeordneten erhielt nachstehenden Brief, des wir unter Weglassung der Namen und theilweiser Streichung einei Ausdruckes unverändert abdrucken: —, 19. Juni 1884. Werther Herr! Wenn ich heute in diesem Briefe mich mit einem Anliegen an wende, so thue ich dies nur im Vertrauen auf unsere Bekan itschaft und, wenn ich so sagen darf, Freundschaft, indem ich mich ungern hierzu end schloffen habe. Wie Ihnen bekannt sein dürfte, fand bei mir zu gleicher Zeit wie b» —— Haussuchung statt. Wiewohl ich Briefe rc. versiegeln ließ, h« man trotzdem einen—streich ausgeführt. Schon längere Zeit korrespoN' dirte ich mit meinem Cousin und hatte demselben, da er sich für unse« Ideen interessirte, verschiedene Schriften empfohlen. Unglücklicherweist beschlagnahmte man zwei Briefe von ihm bei mir, worin er melde!:, daß er die„Quintessenz des Sozialismus" von Schäffle fleißig studiü und gern Preis und Bezugsquelle von Marx'„Kapital" zu wiffrt wünsche. Dies war sein Verbrechen. Nun werden Sie staunend fragen: Ist ihm hierauf etwas passirt! Beide Bücher sind unverboten und können ruhig studirt werden. Gewiß- Wenn dieser Cousin selbständig war, konnte ihm nichts passiren, so wi« er jedoch abhängig, war Lehrer und noch dazu Hilfslehrer' und so war es möglich, ihn für sein„Vergehen" sehr empfindlich J1 strafen. Der Amtsrichter hat also meine versiegelten Briefpackete eröffnet, na« Kenntniß von deren Inhalt Abschrist von jenen zwei Briefen meine» Cousins genommen und dieselbe seinen Vorgesetzten mitgetheilt. Hierauf folgte Haussuchung bei meinem Cousin, Bericht an das Kultus ministeriuni und endlich Entlassung jenes gefährliche'1 Sozialdemokraten mit dem Bemerken, daß er auch in eind Privatschule keine Stellung finden werde. Wohl kann er nun in das Ausland gehen(Preußen u. s. w.); ob es aber dort Stellung findet, ist bei dem Haß der Regierungen gegen alle« unabhängige Stteben nicht anzunehmen; und als sicher nehme ich a« daß das Ministerium einen erschöpfenden Bericht an das preußische ab gibt. So blieb nichts als: Aufgeben seines Berufes oder Amerika . D« ich nun der Meinung war, daß man junge, fähige Männer hier stet« gebrauchen kann, rufe ich Sie hierdurch um Unterstützung an. Wie wäre es, wenn mein Cousin durch Ihre Fürsprache an ein« Zeitung komnien könnte? Er würde sich im Anfang den einfachste« Arbeiten unterziehen, bis er Besseres kann— er würde im AnfanS« nur ganz mäßiges Honorar beanspruchen. Sonst ist er ein streng solider, nüchterner, mit vielem Wiffen aus' gestatteter Mann, der der Partei ein nützliches und thätiges Mitgli«- zu werden verspricht."—-- Dies der Brief, der keines Kommentars bedarf. Die angestellten kundigungen haben die Richtigkeit des darin Mitgetheilten ergeben. Der bezügliche Bescheid des sächsischen Kultusministeriums hat folgert den Wortlaut:. „Das Ministerium des Kultus und öffentlichen Unterrichts besinda sich auf die Beschlußanzeige vom 9./13. d- M.— zu Nr. 738 B unter Rückgabe der Beilagen, daß der Hilfslehrer-- in-- au« der Liste der Schulamtskandidaten zu streichen ist. Nach Blatt 4 der Akten erst zu Ostern vorigen Jahres wegen gart ungehörigen Verhaltens strafweise von— nach- versetzt und daU« nach Blatt 7 im Novbr. desselben Jahres wegen gleichen Verhaltens»u« Ungehorsams gegen die bestehenden Anordnungen der Schule mit Ve« schärsung desselben mit der Wirkung des ersten Vorhalts belegt, hat«« neuerdings in den von ihm anerkannten, Bltt. 9 ff. in beglaubigt«! Abschrift ersichtlichen Briefen und in dem von ihm zugestandenen VeP kehr mit Personen von, wie ihm bekannt, ausgeprägter sozial' demokratischer P a r t e i a n s ch au u n g Gesinnungen a« den Tag gelegt, welche, wie er sich deffen nach dem Protokoll« über seine Vernehmung selbst bescheidet, mit dem Berufe eines Lehraiim nicht vereinbar sind und eine fernere gedeihliche Amtsverwaltung nirt erwarten lassen. Nach§ 23, 2 d des Volksschulgesetzes v. 26/4. 73 und§ 49 V«' Ausführungsverordnungen vom 25/S. 74 ist er daher, wie hiermit g«' schieht, aus der Liste der Lehramtskandidaten z« streichen, während die für den I.Juli d. I. offerirte Amtsniedrt' legung abzulehnen ist. Demgemäß ist— zu bescheiden. Auch hat der Bezirks- Schulinspektor den übrigen Bezirks' schulinspektoren von der Streichung Kenntniß zu gebe« Dresden , 15. Mai 1874. (Unterschrift.) Der von diesem Erlaß Betroffene macht dazu die folgenden B« merkungen: Das„ungehörige Verhalten", das meine Strafversetzung zur Folg« hatte, bestand im Verkehr mit Personen, die nicht gerade oft die Kirch« besuchten, auch nicht allemal um 10 Uhr nach Hause gingen, mtt dem Haup! lehrer auf gespanntem Fuße lebten; ferner darin, daß ich zu, dei« Hauptlehrer nicht passenden Zeiten Richard Wagner's Werke spielt«' daß ich die Benützung eines von ihm einstweilen bewohnten, mir g« hörigen Zimmers, worin sein an Magenkrebs gestorbener Schwiege« vater drei heiße Julitage, trotz meiner abwehrenden Bitte lag, höflich!! zurückerbat, daß ich nicht mit am Begräbniß seines Schwiegervater« theilnahm, und daß ich die gegen mich erhobenen Anklagen nicht ruhiß hinnahm, sondern mich vertheidigen wollte. Die Motive für die zweite Strafe waren Neid über die von mi«' — ohne mich zu rühmen— erzielten größeren schulamtlichen Erfolg«� Klagen über ungerechte Ueberbürdung, Nichtbefolgung der salsche« Methode des Hauptlehrers, Bestrafung eines von ihm früher„gehätschelten' Kindes wegen Versäumniß, mißliebige Kritik über ein nicht gerat»« sehr glänzend ausgeführtes Konzert des Hauptlehrers k. Dies zur Beleuchtung meiner großen Verbrechen." Die Thatsachen sprechen für sich selbst. — Ein Wunder. Die in Schwientochlowitz verschüttet gewesenes und wieder geretteten Bergleute haben folgende Dankadreffe an des Kaiser gerichtet: „Knappschastslazareth zu Königshütte, den 1. Juli 1884. Alle«' gnädigster Kaiser! Allerdurchlauchtigster König und Herr! Tie! ergriffen durch Ew. Majestät huldvolle Theilnahme an unsere« glücklich erfolgten Rettung, sprechen wir 43 Bergleute Ew. Majestät unseren tiefgefühltesten Dank aus. Aus schrecklicher Todesgefah« und Verzweiflung durch die Gnade des Himmels dem Leben wieder- gegeben, versichern wir Ew. Majestät unserer Hingebung und Treu« und flehen Gottes reichsten Segen herab aus Kaiser und Reich- Allzeit Glückauf Kaiser und Deutschland ." Ist das nicht wunderbar? Die halbtodten, besinnungslosen, kaum des« Hungerdelirium entrissenen Bergleute, die unter sorgfältigster ärztliche« Pflege nur mühsam nach und nach Sprache und Bewußtsein erlangen- werden plötzlich durch zwei kaiserliche Worte körperlich und geistig ft gestärkt, daß sie sogar eine Dankadresse verfassen, welche sie v o r ihren« Unglück nicht zu verfaffen im Stande gewesen wären; so schwungvoll- als hätte sie Graf Henckel von Donnersmark selbst diktirt. Wahrhaftig,
Ausgabe
6 (10.7.1884) 28
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