gleichsam als ob er sein nahendes Ende bereits ahnte, gerichtet, lauten:„Möge mit meiner Person diese gewaltige Kulturbewegung nicht zuGrunde gehen, sondern die Feuersbrunst, die ich entzündet, weiter undweiter fressen, so lange ein Einziger von Euch noch athmet."Dieser Wunsch des scheidenden Agitators ist im vollen Sinne desWortes in Erfüllung gegangen. Die deutsche sozialistische Arbeiter-bewegung hat seit ihrem Erwachen im Anfang der sechsziger Jahreimmer weiter um sich gegriffen, an Umfang, Kraft und— wir dürfenes sagen— an innerer Ausbildung stetig zugenommen. Wohl magManchem von uns, der mitten im heißen Kampf steht, die Zeit unend-lich lang scheinen, welche der Emanzipationskampf des Proletariats inAnspruch nimmt, wohl mag es Manchem vorkommen, als wolle trotz allerAnstrengungen die Sache nicht vorwärts, als seien alle Opfer, alleMühen umsonst, aber wenn er einen Augenblick rastet und sein Augezurück richtet aus das, was vor 20 Jahren war, und dann einen Ver-gleich anstellt mit dem, was heute ist, wenn er vergleicht, wie winzigdie Erfolge von damals gegenüber den Riesenanstrengungen eines Agi-tators wie Lassalle, dann wird er mit innerer Genugthuung sicher sagendürfen: Ja, unsere Vorkämpfer haben nicht umsonst gelebt und gewirkt,was dem Auge des von Tage zu Tage Lebenden entgeht, das zeigt sichdeutlich dem, der den Blick über weitere Epochen hinschweifen läßt,—sie bewegt sich doch!Ja, die deutsche Arbeiterbewegung hat sich mächtig weiter entwickeltseit jener Zeit, da das kleine Häuflein Sozialisten, welches als Arbeiter-partei in die Arena trat, allerorts Spott und Hohn erntete. Wer wagtes heute noch, die Sozialdemokratie zu verhöhnen? Man greift uns an,man beschimpft uns, man ächtet uns, aber Niemand wagt es, unsererzu spotten— vom mächtigen, in einem eigenen„Sozialismus" machendenReichskanzler bis zum bissigen Führer der bürgerlichen Opposition.Das ist ein Erfolg, auf den wir stolz sein können. Aber freilich nurin dem Sinne, daß er uns zur ständigen Weiterarbeit auf dem betretenenWege anspornt— zur Weiterarbeit in jeder Beziehung.„Wie ich be-harre, bin ich Knecht"— dieses Wort des Faust muß das Motto derdeutschen Arbeiterbewegung, das Motto jedes einzelnen ihrer Kämpfersein. Rüstig vorwärts gearbeitet auf dem Gebiete der Agitation, derOrganisation und, was nicht zu vergessen ist, der Erkenntniß.Auch in geistiger Beziehung hat der Wirkungskreis unserer Bewegungan Ausdehnung gewonnen, auch unsere Literatur ist nicht auf dem Punktestehen geblieben, wo sie vor 20 Jahren sich befand, auch sie hat sicherweitert, und es wäre schlimm, wenn es anders wäre. Wohl gibt esheute Elemente in der Arbeiterbewegung, welche die Leidenschaft, derenBedeutung für den Emanzipationskampf des Proletariats kein Sozialistverkennt, als den allein berechtigten Faktor hinstellen möchten; aber diegroße Masse der sozialistischen Arbeiter hat sich von ihnen nicht beirrenlassen, sie ergreift begierig jede Gelegenheit, ihren geistigen Horizont,ihr Verständniß für die gesellschaftlichen Zustünde zu entwickeln, denn dieArbeiter wissen, daß je klarer sie die Verhältnisse übersehen, um desto sichererauch ihr Sieg, vor Allem um desto g es i ch e r t e r er ihnen sein wird.Es ist hier nicht der Ort, in Einzelheiten einzugehen, es genügt, aufdas G e s a m m t b i l d hingewiesen zu haben, welches die deutsche Arbeiter-bewegung heute darstellt. Mögen sich die Genossen, welche den Gedächtniß.tag Lassalle's in diesem Jahre feiern, desselben freuen, mögen sie aberauch mit um so größerem Eifer in den Kampf ziehen, der uns geradein den nächsten Tagen bevorsteht. Sie haben nicht blos einem Lassalle,sondern einer ganzen Armee wackerer Kämpfer Genüge zu leisten. Dieganze Schaar der bisher im Kampfe Gefallenen ruft ihnen heute dieWorte zu, mit denen Lassalle seine letzte Rede schloß:Exomrs aliquia noatria ex ossibus ultor!Möge aus unseren Gebeinen uns ein Rächer er-stehen!Seid dessen eingedenk, deutsche Arbeiter!— Schönheitender modernen Produkttonsweise.Der neueste deutsche Konsulatsbericht aus H a b a n a berichtet u. A.:„Der Zuckerbau ist hier so unrentabel geworden, daß, wie be-stimmt versichert wird, eine große Anzahl von Plantagenbesitzerndie Bebauung ihrer Felder für die nächste Kampagne einstellenwollen oder müssen. Sie sind heute außer Stande, die erforder-lichen Geldvorschllsse für die Arbeit zu erhalten, wie dies bisherzum Ruin zahlreicher Kapitalisten der Fall gewesen. Danach ver-muthet man für die nächste Session einen erheblichen Aussall fürdie Zuckerproduktion— ein Umstand, der, so verhängnißvoll er fürEuba wird, für Deutschland als ein Vortheil zu bezeichnen ist, wenn,wie zu hoffen, Nordamerika als Käufer auf dem deutschen Markteauftritt."Das alte Lied! Der Ruin des Einen, der Vortheil des Andern.Nun muß man sich aber nicht der Illusion hingeben, daß dieser Vor-theil für„Deutschland" etwa ein Vortheil für das deutsche Volk seinwird. Im Gegentheil. Die deutschen Industriellen erhalten bekanntlichbei der Ausfuhr von Zucker die Jnlandssteuer auf Rüben zurückvergütet,und zwar auf Grund einer Berechnung, die früher einmal paßte, die heuteaber, wo infolge eines verbesserten Verfahrens bedeutend mehr Zuckeraus der Rübe gewonnen wird als damals, zur Folge hat, daß die HerrenExporteure bedeutend mehr vergütet bekommen, als sie ursprünglichbezahlt; mit anderen Worten: die Masse der Steuerzahler gibt den Her-ren Zuckerexporteuren noch Geld drauf. Daher die fetten Profite dieserHerren und die Gründungswuth in diesem süßen Artikel. Immer mehrgreift der Rübenbau um sich, natürlich auf Kosten des Körnerbaues.Und für das Korn planen die Herren Agrarier, die sich gegen jededurchgreifende Aenderung im Systeme der Zuckersteuer sträuben, neuer-dings eine erhebliche Erhöhung des Einfuhrzolles— so erheblich, daß sieunter allen Umständen den Preis des Getreides, der B r o d f r u ch t,erhöht.Auf diese Art dem Volke gesetzlich die Haut über die Ohren zu ziehen,das nennt man chri st lich- konservative Wirthschafts-Politik!Die Herren wissen, warum sie gegen das„Manchesterthum", gegendie freie Konkurrenz zu Felde ziehen. Sie wollen noch Schlimmeres alsdie freie Konkurrenz, sie wollen Monopol und Privilegium.— Ueberproduktion, Ueberproduktion, Ueberpro-duktion— das ist das Lied, das uns von allen Himmelsrichtungenher entgegentönt. Ueberproduktion in England, Ueberproduktion inFrankreich, Ueberproduktion in Deutschland, Ueberproduktion im fernenAmerika und Ueberproduktion in Rußland. In einem volkswirth-schaftlichen Brief der Münchener„Allgemeinen Zeitung" aus St.Petersburg, in welchem Eingangs über den erfreulichen Auf-schwung der Petroleum- und Naphta-Jndustrie in den Provinzen amÄaspischen Meer ein Jubelhymnus angestimmt wird, heißt es gleichhinterher:„Ich habe in Vorstehendem Gelegenheit gehabt, ein Lichtbild des wirth-schaftlichen Lebens Rußlands vorzuführen. Leider bietet das Letztereauch leine Schattenseiten, und zwar so erhebliche, daß sie das erstereschon recht verdunkeln. Namentlich sind es die Katkow'schen„Mosk.Med.", denen man im Auslande, wenn auch mit Unrecht, einen offi-ziellen Charakter beilegt, welche uns ein düsteres Bild über die gegen-wärtige Lage des Handels und der Industrie Rußlands entwerfen, undhierbei in recht grellen Farben die furchtbare Krisis zeichnen, die wirdurchzumachen haben, und deren Ende, ihren Ansichten nach, gar nichtabzusehen ist, indem sich diese Krisis von Tag zu Tagnoch verschärft. Sie wird nach dem Moskauer Organ durch dievielen Bankerotte gekennzeichnet, die täglich selbst über solcheFirmen hereinbrechen, an deren Zahlungsfähigkeit bis zur letzten MinuteNiemand zweifelte.„Jeder Tag bringt schlechte Nachrichten, und es istsogar keine Hoffnung vorhanden auf baldige Erlösung aus dieser trau-rigen Lage, in der sich jetzt unsere ganze landwirthschastliche und unsereübrige Produktion befindet. Unsere Märkte sind mit Maarenüberschüttet, die Händler machen nicht nur keine neuen Einkäufe,sondern können sogar ihre früheren Einkäufe nicht losschlagen, wodurchneue Bankerotte in Aussicht stehen." Es sind eben die schlimmenFolgen der industriellen Ueberproduktion, welcheheute zu Tage treten, und der auch der Finanzminister in sei-nem Budgetbericht an den Kaiser Anfangs dieses Jahres schon Erwäh-nung gethan. Vollständig Recht mutz dem„Mosk. Wed." darin gegebenwerden, daß sich so lange keine Aussicht bietet, die überfüllten Waaren-lager unserer Industriellen zu leeren, bis ein st die Getreide-preise wieder eine solche Höhe erreicht haben, daß siedie Kosten der Produktion decken und das Landvolk dadurch wiederumin die Lage versetzt wird, die Produkte der Gewerbe-Ctablissements undFabriken in größeren Massen einzukaufen. Heute stehen in dieser Be-ziehung die Chancen nicht sehr günstig, ja geradezu un-günstig. Die reiche amerikanische Weizenernte wird ihren Druck aufden russischen Weizenexport üben und den letzteren beschränken. In denletzten Tagen wird wieder stark über einen gänzlichen Mangelan Getreideexport geklagt."Bestätigt dieser Bericht nicht Alles, worauf wir seit Jahren hinge-wiesen? Die verhängnißvolle Rückwirkung der überseeischen, insbesondereder amerikanischen Getreidekonkurrenz auf die Länder, welche wieRußland, Ungarn zc. bisher Europa mit Korn versorgten, und in denendie Lage der ländlichen Bevölkerung infolge des Sinkens der Getreide-preise am Ort und des mangelnden Absatzes eine von Jahr zu Jahrprekärere wird, ruft Nothstände hervor, die schließlich zu Massen-Erhebungen der nothleidenden Klassen führen müssen, die eine viel tief-gehendere Revolution im Gefolge haben als die revolutionärsten Brand-schriften zu bewirken vermöchten, umsomehr als sich die Lage des städti-schen Proletariats, der Industriearbeiter zc. gleichfalls von Jahr zu Jahrverschlechtert. Und kann es denn anders sein angesichts so wahnsinnigerZustände, wie sie die heute herrschende, anarchische Produktionsweisezeitigt? Millionen hungern, und die Getreidemagazine sind mit Brod-flüchten überfüllt, Atillionen entbehren der nothwendigsten Gegenständefür Kleidung, Behausung zc. und der Markt strotzt von Jndustriepro-dukten aller Art. Ist eine Gesellschaft, die solch widersinnige Zustündezeitigt, nicht werth, daß sie zu Grunde geht, muß sie nicht zu Grundegehen an ihren eigenen Widersprüchen?Die oben gekennzeichneten Widersprüche sind ja nur die hervorsprin-gendsten, aber bei weitem nicht die einzigen in unserer herrlichen bürger-lich-kapitalistischen Gesellschaft. Auf Schritt und Tritt stoßen wir aufsolche. Man höre z. B. nur die Fortsetzung des obigen Briefes:„Dagegen blüht wenigstens an der St. Petersburger Börse das Börsen-spiel wie kaum zuvor. Hunderttausende werden an einem Tage ge-wonnen und selbstverständlich auch verloren. Diese Erscheinung ist aller-dings in der Zeit einer wirthschaftlichen Krisis auffallend, erklärt sichaber einestheils durch die in Rußland im Allgemeinen herrschende Spiel-lust, dann aber auch durch den Umstand, daß eben in Rußland nochfreie Kapitalien vorhanden sind, die bei der herrschendenKrisis im soliden Geschäft keine Verwendung finden, und deren Besitzersich nun in gewagte Börsenspekulationen einlassen. Besonders in Eisen-bahnaktien wird gegenwärtig stark spekulirt. Veranlassung bietet das inFolge der von mir früher erwähnten Untersuchung der Lage der Großenrussischen Eisenbahngesellschast eingetretene erhebliche Sinken der Aktienderselben, welche man gegen Aktien anderer russischer Eisenbahnen ein-zutauschen sucht, was wiederum ein starkes Steigen von mehreren dieserletzteren zur Folge hat— eine Steigerung, die sich momentan auch aufandere Eisenbahnakrien ausdehnt. Grund genug, in Eisenbahnpapierenzu spekuliren."Das Spielen und Spekuliren, weil„freie Kapitalien vorhanden sind,die bei der herrschenden Krisis im soliden Geschäft keine Verwendungfinden", ist keineswegs auf Rußland beschränkt, in der ganzen sogenann-ten Kulturwelt zeigt sich dieselbe Erscheinung. Nie herrschte ein solcherUebersluß an Kapitalien als heutzutage, und wenn Diejenigen Rechthätten, welche in der Herabsetzung des Zinsfußes die Rettung aus demElend erblicken, so müßte das goldene Zeitalter vor der Thüre stehen,denn der Zinsfuß sinkt von Tag zu Tag. Was aber nicht sinkt, son-dern stetig zunimmt, ist die Nothlage der arbeitenden Klassen, die allgemeine Arbeitslosigkeit. Kapital ist im Uebersluß da, aber nicht für die,welche es bedürfen, es findet ini soliden Geschäft keine Verwendung,denn überall stößt es auf— U e b e r p r o d u k t i o n. Die ökonomi-schen Machtmittel wachsen der bestehenden bürgerlichen Gesellschaft überden Kopf, sie droht im Fett zu ersticken, wenn nicht bald eine energischeEntfettungskur vorgenommen wird. Die aber wird kein Bis-marck und kein Schweninger zustande bringen; dafür gibt es nur EinenArzt, und der heißt soziale Revolution!— Fortschritt und Polizei. Damit soll nicht gesagt sein,daß unsere deutsche Polizei Fortschritte mache, das hieße der Wahrheitschnöde in's Gesicht schlagen. Notorisch ist das Gegentheil der Fall: alsKriminal- und Sicherheits polizei hat sie, wie seinerseits derProzeß Dickhoff klar zeigte, sehr bedeutende Rückschritte gemacht, und als„politische", d.h. Spitzelpolizei, zeichnet sie sich bis auf den heuti-gen Tag nur durch negative Erfolge und Leistungen aus.Nein, wir meinten das immer zärtlicher werdende Liebesverhältnißzwischen Polizei und Fortschritt, nImb Fortschrittspartei. Daß der Fort-schritt gerne nach Polizei ruft, ist eine altbekannte Thatsache. So offenund eifrig wie in der neuesten Zeit hat er es aber noch niemals gethan.Höchst bedenklich war schon die Art und Weise, wie die„milde" Hand-habung des Sozialistengesetzes in Berlin während der letzten Gemeinde-wahl-Agitation von den parlamentarischen Vertretern der Fortschritts-partei im Reichstag behandelt wurde. Die Herren versicherten zwar mitEmphase, es sei nicht so gemeint gewesen, sie hätten nur für einegleichmäßige Handhabung des Sozialistengesetzes plädirt. Es istindeß immerhin mehr als verdächtig, daß es nicht die ,, st r a m m esondern umgekehrt die„laxe" Handhabung des Sozialistengesetzes war,welche die Galle der Fortfchrittler erregt hat. Jetzt fängt man schon an,an, die Maske fallen zu lassen.Die Berliner Fortschrittsorgane, namentlich die mit Vorliebe in Radi-kalismus machende„Berliner Zeitung", befolgt seit Wochen die Taktik,jede Volksversammlung der„Arbeiterpartei" ausdrücklich als einesozialdemokratische zu bezeichnen. Nun haben allerdings dieWortführer der„Arbeiterpartei" niemals ihre Zugehörigkeit zur Sozial-demokratie verleugnet, ja bei vielen Gelegenheiten dieselbe ausdrücklichbetont. Wenn sie aber ihren Versammlungen nicht den offiziellen Stempelder Sozialdemokratie aufdrücken, so haben sie jedenfalls dazu ihre gutenGründe, die für jeden denkfähigen Menschen, der Augen hat, zu sehen,und Ohren zu hören, wahrhaftig mit Händen zu greifen sind.Ganz abgesehen von dem Sozialistengesetz sind die Versammlungen,um die es sich hier handelt, überhaupt auch gar keine s o z i a I d e m o-k r a t i s ch e Versammlungen, insofern die g e s a m m t e Bürger- undWählerschaft zu ihnen eingeladen ist. Schon ehe das Sozialistengesetzbestand, pflegten derartige Versammlungen, die nicht ausschließlich fürMitglieder der sozialdemokratischen Partei bestimmt waren, nicht alssozialdemokratische angekündigt zu werden. Und nun heute, wo dieSozialdemokratie durch ein niedriges Ausnahmegesetz außerhalb desGesetzes gestellt ist, so daß die bloße Erwähnung des Wortes Sozial-demokratie oft hinreicht, den überwachenden Polizisten die Auflösung derVersammlung aussprechen zu lassen!Genug— unter den obwaltenden Umständen kann man sich über dieMotive und die Natur dieses Manövers der„Berliner Zeitung" undanderer Fortschrittsorgane nicht dem leisesten Zweifel hingeben.Nähert auf der einen Seite die Fortschrittspartei fich der Polizeiund ruft deren Hilfe an, so läßt es auf der anderen Seite auch diePolizei nicht an Gegenliebe fehlen. Einen klassischen Beleg hierfür hatsoeben die D a n z i g e r Polizei geliefert. In Danzig ist bekanntlich HerrR i ck e r t gewählt, gegen welchen in der„Politischen Wochenschrift"durch einen mit seinen Privatverhältnisfen genau vertrauten Verwandtenschwere und ehrenrührige Beschuldigungen erhoben worden sind. Rickertwurde bei der Wahl vor drei Jahren von den Behörden auf's Heftigstebekämpft, und auch die Polizei ging ihn«, auf Kommando von Oben, nachKräften zu Leibe. Die„Politische Wochenschrist" hat in Danzig einegeringe Verbreitung und war nie mit der Polizei in irgend welchenKonflikt gerathen. Wohlan, die Danziger Polizei hat auf einmal ihreAbneigung gegen Herrn Rickert vergessen und sich zu dem rührendenFreundschaftsdienste entschlossen, das Blatt, welches dem Exfeind wehegethan hat„ zu konfisziren!Ob die Konfiskation juristisch oder auch nur sozialistengesetzlich aufrecht zuerhalten ist, damit wollen wir uns nicht beschäftigen— die Handlungender Polizei entziehen sich ebenso den juristischen Regeln wie den Regelnder Logik. Grundlage des polizeilichen Handelns ist die Willkür, diesich ihren, Wesen nach weder mit den Gesetzen des Denkens noch mitdenen der juristischen Gesetzbücher verträgt. Was uns interessirt, ist diezu Tage liegende Polizeifreundschaft für eines der Häupter der Fort-schrittspartei. Es erhellt daraus, daß die Polizei, wenn es sich um Bekämpfung der Sozialdemokratie handelt— und die„Politische Wochen-schrist" gilt ja, freilich sehr mit Unrecht, für ein Organ der Sozial-demokratie—, in des Herzens Grund mit der Fortschrittspartei einHerz und eine Seele ist, sich gewissermaßen mit ihr solidarisch fühlt.Und das ist auch ganz in der Ordnung. Vertritt doch die Polizei denheutigen Klassenstaat, zu dessen Hauptstützen die Fortschrittler gehören,und mit dem sie nur deshalb hadern, weil er ihnen noch nicht K las seistaat genug ist.— Ein liebliches Argument zur Rechtfertigung d»Massenausweisung von russischen Staatsangehörigen bringt die„Norddeutsche Allgemeine" auf dem Umwege über Leipzig, wo ein Reptil i«nationalliberalen„Tageblatt" die arme angegriffene preußisch«Negierung vertheidigt. Es heißt da:„Es gilt zudem im völkerrechtlichen Verkehr als eine Beleidigung de:anderen Nation, wenn ohne Grund deren Angehörige ausgewiesen werden. Wäre dieß also der Fall, so würden wir sicher auch bereitseiner formellen Beschwerde des russischen Botschafters gehört Habel,Daß eine solche nicht vorliegt, dürfte allein(?) schon zum Beweise diene».daß die preußische Regierung sehr wohl in der Lage ist, ihre Maßregel»zu motiviren."Reizend! Weil die russische Regierung, deren Liebenswürdigkeilgegen ihre Staatsangehörigen weltbekannt ist, sich nicht beschwert hol,darum sind die brutalen Ausweisungen gerechtfertigt— diese Aus-Weisungen, von denen ein großer Theil auf Wunsch der russische»Regierung erfolgt ist. Als ob ein Mensch über den liebedienerische»Charakter der ganzen Maßregel im Zweifel gewesen wäre! So naiv-unverschämt kann wirklich nur ein preußisches Reptil sein.Nach Polizeiarbeit duftet auch das Zusammenwerfen der politisch„Mrüchigen" mit Spitzbuben, Betrügern:c.Schließlich wird nämlich das Schweigen der preußischen Regiertüber die Gründe der Maßregel folgendermaßen gerechtfertigt:„Die?Gründe liegen bei einer großen Zahl der Ausgewiesenen vor Alle»Augen: Mittellosigkeit und Unterstützungsbedürstigkeit in Verbindu»!mit verschiedenen Konflikten mit dem Strafgesetz. Notorisch sind DiebtHehler und dergleichen unsaubere Subjekte ausgewiesen worden. Sodausaber habe eben die Regierung bei anderen von der Ausweisung Betro?fenen ihre guten Gründe— die Gründe für die Maßregel noch ni?szu veröffentlichen. Auch im Falle Kraszewski seien die Gründespäter offenkundig geworden: die Zukunft werde die preußische Regi»rung auch diesmal glänzend rechtfertigen."Pfiffikus, der das geschrieben! Hat sich wahrscheinlich eine Konduite»-liste der Ausgewiesenen angelegt.— Von unserem wiedergewonnenen Freunde"damit ist natürlich Niemand anders als Rußland gemeint, dejst»Regierung mit der preußisch-deutschen jetzt ein Herz und eine Seele i?— dringt eine herzerquickende Kunde an unser Ohr. Ein alle»-höchster Ukas vom 17/29. Juli 1884 verbietet, wie die„Allgemein-'Zeitung", eine gewiß unverdächtige Quelle, berichtet, die VerabfolguÄder Werke von 125 verschiedenen Autoren, russischen und ausländische»-und die Verabfolgung folgender Journale in den Bibliotheken und öffew«lichen Lesehallen:„Ssowremenik",„Russkoje Sslowo",„Snajie-„Sslowo",„Russkaja Myssl",„Otetschestwennyja Sapiski",„Djelo>„Ustoi". Die Inhaber von Bibliotheken haben sich schriftlich verpflichte»diese Zeitschriften und Bücher nicht zu verabsolgen.Von russischen Schriftstellern, die diesem Verbote unterworfen wurde»-werden genannt: Dobroljubow, Pissarew, Michailow K., A., K. Slate-wratski, Blagoweschtschentski, Bibikow, Shukowski,(I. G.), Sessodimsb-Lewitow, Ljesskow, Mirtow(Lawrow), Mershejewski, Michailowski, Mo»dowzew, Nefednw, Pomjalowski, Portugalow, Priklonski, Reschetniko»Sslepzow, Ssuworin(Herausgeber der„Nowoje Wremja"), Ssetschenoi»>Flerowski, Zebrikowa, Tschernyschewsky, Schelgunow, Schtschapo»-Isländer(Herzen).Von nichtrussischen: A g a s s i z, Büchner, Vermorel, H u x l e y, Zol»Debai, Quetelet, Clarus, Colli«, Lassalle, Lubbock, Lek?-Louis Blanc, Lewis, Lyell. Marx, Mill M.(„Historische Briese"!-Moleschott, Proudhon, Pfeiffer, Rochefort, El. Röclus, Adas»Smith, Spencer, Vogt(Karl), Foucault, Zimmermann(„D"Welt vor der Schöpfung des Menschen"), Schweitzer, Scherr.Die obengenannten Zeitschristen erschienen oder erscheinen noch unt�den Augen der russischen Regierung; ebenso sind auch die Werke de»russischen Autoren(mit Ausnahme von Herzen) in Rußland gedru»und offen verkauft worden. Auch die meisten Werke der genannten au»ländischen Autoren sind in Rußland bis jetzt erlaubt gewesen, viele d«-von sogar in's Russische übersetzt und unbehindert verkauft worden." �Man beachte die— von uns— unterstrichenen Namen. Alles Le»udie einen Weltruf als Männer der Wissenschast haben, deren Werke zu»Theil epochemachend sind oder waren— von Adam S mit!und Quetelet bis zu Lyell und A g a s s i z, den berühmten Ge»logen. Hier kann von Staatsgefährlichkeit im gewöhnlich�Sinne des Wortes gar keine Rede sein, denn die meisten der>»Rede stehenden Schriftsteller haben sich um Politik gar nicht gekümme»— dieser Ukas zeugt lediglich von Haß gegen die modern-Wissenschaft überhaupt. Der halbasiatische Despot, der a»Rußlands Thron sitzt, bildet sich ein, er könne der Wissenschaft und d»wachsenden Erkenntniß der Menschheit Einhalt gebieten, und wenn«'zu einem so verbrecherischen Beginnen nicht die Macht hat— an d»edlen Absicht fehlt es ihm nicht!Er will Herrscher über Sklaven sein!Und daß ein solcher Idiot, ein solcher Vandale über da»Schicksal von 80 Millionen Menschen nach Willkür verfahren darf, vdas nicht ein Verbrechen an der Menschheit— viel größ»»als irgend ein anderes?!— Was für ein Despot der„unglückliche" Ale-x a n d e r II. war, davon zeugt eine Anekdote, welche die von.-öerl»Bodenstedt begründete„Tägliche Rundschau" unter dem Titel„Ein Ko»zert mit Hindernissen" mittheilt. Natürlich ohne Kommentar, denn ,,Politik verdirbt den Charakter", d. h. des Sykophanten:„Der berühmte polnische Geiger Henri Wieniawski, so erzödie„Tägliche Rundschau", erhielt einst gelegentlich eines Aufenthaltes>»St. Petersburg die Aufforderung, vor dem Zaren Alexander II. zu spiele»Er fand sich zur festgesetzten Stunde im Winterpalais ein und wurd«in ein prächtiges Gemach geführt, in dem bald darauf auch der Kais»»mit seinem riesigen Neufundländer erschien. Als der Künstler sein Kol»zert begann, erhob sich das Thier, welches sich zu den Füßen seine»Herrn niedergelassen, wieder und schritt langsam auf Wieniawski z»Dieser geigte, in der Befürchtung, daß sich der Neufundländer geitiÄden Gepflogenheiten seiner Raffe anschicke, das Akkompagnement zu de»Spiele mit einem Geheul aus Leibeskräften zu übernehmen, etwas u»'behaglich weiter, aber es kam anders. Der Hund richtet sich, dicht v»'dem Virtuosen angelangt, plötzlich in die Höhe und legte seine breite»Tatzen auf dessen Schenkel. Daß eine derartige Situation dem künfflerifchen Vortrage nicht gerade förderlich ist, läßt sich begreifen, trotzdei»fuhr Wieniawski, nach Kräften seinen Gleichmuth bewahrend, in de»Konzerte fort. Allein der Neufundländer beruhigte sich noch immer nich»Weiter und weiter rückte er mit seinen Tatzen hinauf, und seine riesig?Schnauze folgte jeder Armbewegung des Geigers Diesem begann b»dem Gedanken: ein Zuschnappen, und mit der Ausübung Deiner Kungist es zeitlebens vorbei, der Schweiß auf die Stirn zu treten. Mehr ummehr bedrängte die Schnauze des Hundes feinen Arm, so daß er, u»sie nicht zu berühren, immer kürzere Bogenstriche zu machen gezwunge»war. Endlich hatte der Kaiser, der bis dahin schmunzeln»dem Vorgange gefolgt war, Mitleid mit dem Künstler umfragte:„Wieniawski, genirt Dich der Hund?"—„Majestät," murmelt»der Künstler erschöpft,„ich fürchte, ich genire ihn." Alexander lacht»laut aus und rief das Thier zu sich, worauf der Geiger erleichtert sei»Konzert fortsetzen und beenden konnte."Wie human von dem Kaiser, daß er endlich Mitleid hatte und nichtweiter„schmunzelte", bis der Hund den Künstler gebissen! Oder viel-mehr, wie gut von dem H u n d, daß er nicht schneller zuschnappte!Nichts kennzeichnet die Tyrannennatur mehr als das Behagen a»der Angst seiner Mitmenschen, als das Umgeben mit Thieren, die fü»jeden Andern als ihren Herrn eine beständige Gefahr sind. Es ist kei»Zufall, daß auch Bismarck so großes Gefallen an seinem Tyras findet!— Das Neueste von Angra Pequena ist der folgen!Brief, den ein Beamter der dortigen Firma L ü d e r i tz an seine Elteigeschickt, und der jetzt zu Reklamezwecken durch die Press'wandert.„Das Land, in dem wir jetzt augenblicklich leben, ist eine vollst ä n d i g e W ü st e. So weit das Auge reicht, sieht es nichts«»'Felsen und Sand und wir müssen jeden Tropfen Trinkwasser von K-.stadt beziehen. Es regnet hier höchstens jährlich einma>d»