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1876
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Erscheint wogentlich einmal
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Berlag
der
Boltsbuchhandlung Hottingen Zürich.
Doppelporto
№ 50.
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Der Sozialdemokrat
Zentral- Organ der deutschen Sozialdemokratie.
Donnerstag, 10. Dezember
Avis an die Abonnenten und Korrespondenten des„ Sozialdemokrat."
Da der Sozialdemokrat sowohl in Deutschland als auch in Oesterreich verboten ist, bezw. verfolgt wird und die dortigen nach Behörden fich alle Mühe geben, unsere Berbindungen nach jenen Ländern möglichst zu erschweren, resp Briefe von dort an uns angel and unsere Zeitungs- und sonstigen Speditionen nach dort abzufangen, so in die äußerste Vorsicht im Poftverkehr nothwendig und darf teine Borsichtsmaßregel versäumt werden, die Briefmarder über den wahren Absender und Empfänger, sowie den Inhalt her Sendungen zu täuschen, und legtere dadurch zu schüßen Haupterfordernig if hiezu einerseits. daß unsere Freunde so selten
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Parteigenossen! Vergeßt der Verfolgten
und Gemaßregelten nicht!
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Ein altes Lied und eine alte Melodie. Durch die kapitalistische Presse macht ein aus der Studnizschen„ Sozialforrespondenz" hervorgegangener Waschzettel die Runde, betitelt Ein Arbeiterverein über Arbeiterehen". Zum Entzücken aller wohlmeinenden Bourgeoisseelen werden da aus Herr stpt. einem Bericht des 496 Mitglieder( darunter 454 Arbeiter) ihme umfassenden Spar- und Konsumvereins der Fabrikgenossenschaft bon P. C. Turd Wittwe in Lüdenscheid einige Säße zitirt, tig die den überaus erhebenden Beweis liefern, daß die Spezies vand der Arbeiter mit Unternehmer Gesinnung in Deutschland noch nicht ausgestorben iſt.
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,, Es ist im Verein einmüthig zur Erkenntniß gekommen, daß es im Lebenskampfe feinen böseren Feind gibt, als eine Schuldenbelastung beim Anfang des heiligen Ehebundes. Der junge Mann sowohl wie die gang Bor Jungfrau überlegen sich den allerwichtigsten Att im irdischen Dasein mit ungleich tieferem den Entschluß zur ehelichen Verbindung 5cft Ernst der Seele und mit viel mehr Ruhe im Gemüth, wenn sie sich im Besitz eines Sparkapitals von der eigenen Jugendarbeit wissen, als wenn der quälende Vorwurf nicht abgewiesen werden kann, dem Leichtsinn oder der Genußsucht Alles geopfert zu haben.
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Die tägliche Erfahrung im Leben der industriellen Arbeiter lehrt es flagend und warnend, daß die bei der Verheirathung mit schweren Schulden belasteten Familien recht oft bis zum Sinsterben davon gedrückt bleiben und den ebenso lockenden als ausbeutenden Borgschwindel nur selten noch wieder ganz überwinden! Wir erkennen es daher auch mit freudigem Dank an, daß die Pflege der Jugend- Lohnersparniffe im Verein eine merkliche Befferung gewonnen hat, seitdem die Eltern die Misèren des Proletariats durchgreifender B. würdigen und ihre Verantwortlichkeit als Mensch und Christ(!) mehr vor Augen halten: durch frühzeitige Pflege des Sparsinnes davor zu bewahren und seitdem besonders auch die Jung: frauen und Jünglinge den unschäzbaren Vortheil einsehen, bei der Wahl des Lebensgefährten ihre Unabhängigkeit den vorhergehenden Beweisen wirthschaftlicher Selbsthülfe zu verdanken."
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So weit reichen die Hülfsmittel des Staates und der Sozialverbin dungen nicht, um das Proletariatselend abzuwenden, wenn die Selbsterkenntniß und Besonnenheit von der Sinnenlust überwältigt und beherrscht werden in den Jahren der Jugend und Manneskraft bei gutlohnender Arbeit!"
So der genannte„ Arbeiterverein."
Daß es sehr angenehm ist, wenn man seinen Ehestand mit einem kleinen Rapital beginnen kann, fällt uns natürlich nicht $.: ein, bestreiten zu wollen. Und was das Sparen anbetrifft, so idel hätten wir im Allgemeinen auch gegen dieses nichts einzugt.: wenden, solange es nicht auf Kosten der körperlichen und geistigen Entwicklung des Einzelnen und wesentlicher Interessen ufb. der Gesammtheit geschieht, worüber ein andermal. Speziell - S. im vorliegenden Falle hat die Sache zum Beispiel auch ihren cuno Hafen.
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Um das bewußte„ Sparkapital" in den Ehestand mitbringen eres zu können, muß man genügend Zeit und Gelegenheit gehabt haben, zu sparen. Diese sind nun für den modernen Proletarier feineswegs so bedingungslos gegeben, wohl aber setzen ihn die schwankenden Verhältnisse des Arbeitsmarktes gar oft in die Lage, sein Erspartes„ auf die hohe Kante" legen zu müssen. So wird es in der Regel eine ziemliche Weile dauern, bis er das bewußte Kapital zusammenhat, wenn er es über30 haupt je dahin bringt.
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Der weise Rathschlag läuft also in der Praxis darauf hinaus, das Alter der Eheschließung beim Arbeiter heraufzu= schrauben und dadurch die Zahl der Eheschließungen überhaupt zu vermindern.
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Ob das im Bericht an einer anderen Stelle direkt ausim gesprochen ist, wissen wir nicht, wir haben nur den Auszug, welchen die Sozialforrespondenz" bringt. Daß wir ihm aber feinen falschen Sinn unterlegen, ersehen wir aus den Zusatzbemerkungen der Redaktion der„ Sozialforrespondenz", die ihn zweifelsohne ganz gelesen.
Da heißt es ganz unumwunden:
,, Die Arbeiterverhältnisse eines Landes sind von dem Stande der Arbeiterehen abhängig. Man kann diesen Sat getrost an die Spize aller Betrachtungen über die soziale Frage stellen. Niemand kann leugnen, daß das Loos der Menschheit mit der Bevölkerungsfrage aufs engste zusammenhängt. Wenn in einem Lande mehr Menschen geboren weiden, als Unterhaltsmittel in vorhanden sind, so tritt für denjenigen Theil der Bevölkerung, der ohne einen Vorrath von Gütern oder Unterhaltsmitteln, d. i. ohne Erspar niffe für die Zukunft, eine Familie gründet und Kindern das Leben gibt, beinahe unvermeidlich Noth und Elend ein. Die Arbeiter machen sich durch vorzeitiges Heirathen ganz ohne eigene Mittel durch ihre Schuld zu Kandidaten der Verarmung und schaffen sich fist i mmer neue Ronkurrenten, die den Lohn herabdrücken. Der Arbeiterstand muß selbst auf ein menschenwürdiges Dasein für sich und
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Abonnements
werden bei allen schweizerien Postbureaux, sowie beim Weing und dessen bekannten Agenten entgegengenommen, und zwar zum boraus zahlbaren Vierteljahrspreis von:
Fr 2 für die Schweiz ( Kreuzband) Mr 8 für Deutschland ( Couvert) f. 1.70 für Desterreich( Couvert) Fr. 2 50 für alle übrigen Länder des Weltpoftvereins( Kreuzband).
Juferate
die dreigespaltene Betitzeile 25 Ct.
20 Pfs
1885.
als möglich an den Sozialdemokrat, resp. dessen Verlag selbst adreffiren, sondern sich möglichst an irgend eine unverdächtige Adresse außerhalb Deutschlands und Oesterreichs wenden, welche sich dann mit uns in Verbindung setzt; anderseits aber, daß auch uns möglichst unverfängliche Zustellungsadressen mitgetheilt werden. In zweifelhaften Fällen empfiehlt sich behufs größerer Sicherheit Rekommandirung. Soviet an uns liegt, werden wir gewiß weder Mühe noch Kosten scheuen um trotz aller entgegen stehenden Schwierigkeiten den Sozialdemokrat unseren Abonnenten möglichst regelmäßig zu liefern
feine Kinder halten. Diese Ueberzeugung dringt allmälig auch in die Arbeiterkreise selbst."
Die Arbeiter sollen spät heirathen und wenig Kinder erzeugen, auf daß es ihnen wohlergehe und sie lange leben auf Erden.
Das alte malthusianische Lied und die alte KinderfibelMelodie.
Spaßhaft ist, daß sie in einem Augenblick wieder angestimmt wird, wo nicht Mangel, sondern Ueberfluß an Unterhaltsmitteln das stehende Klagelied der Geschäftswelt bildet. Es wird nicht zu viel, sondern zu wenig verzehrt. Die große Masse spart zu viel, freilich nicht in weiser Erkenntniß der vortrefflichen Lehren der Bourgeois- Dekonomie, sondern weil der Knüppel teim Hunde liegt, weil sie sparen muß. Die Herren Kapitalisten sind so freundlich, dafür zu sorgen; bewunderungswürdige Pädagogen, unterziehen sie sich mit Eifer der Aufgabe, den Arbeitern die Mühe des Sparens abzunehmen, für sie zu sparen. Und Dank diesem Spareifer befinden sich Handel und Industrie in der großartigsten Stockung.
Es ist ein herrliches Ding um unsere modernen Volkswirthschaftler. Auf der einen Seite können sie sich nicht energisch genug gegen jeden Versuch einer Regulirung der Produktion widersetzen, auf der anderen Seite empfehlen sie den Arbeitern als die Summe sozialpolitischer Weisheit, ihre Zahl nach den Bedürfnissen der kapitalistischen Produktion zu„ reguliren." Man passe die Menschen den Sachen an, nicht umgekehrt das ist das letzte Wort der Bourgeoisökonomie.
Nichts lächerlicher als das Schimpfen auf die Arbeiter, die nicht mit dem Heirathen warten wollen, bis sie kleine Kapitalisten geworden, das heißt für die große Masse, bis zum Nimmerleinstag.
Treffend werden diese malthusianischen Klugmeier in der Broschüre:„ Eines Arbeiters Widerlegung der ökonomischen Lehren J. St. Mill's abgefertigt.
„ Es ist viel leichter", heißt es da, zu schimpfen und Eltern zu schmähen, daß sie Kinder haben, als neun Arbeiter aus zehn, deren Arbeit heute für unumgänglich nöthig erachtet wird, morgen bei Seite zu schaffen, weil sie durch Geschäftsstockung, durch Wechsel der Mode oder durch eine Maschine über Nacht unbrauchbar geworden sind. Sie müssen die Mittel angeben, wie Arbeiter zu schaffen sind, die gleich Zugvögeln verschwinden, wenn die kommerziellen Wetterhähne an den Börsen Sturm verkünden, und in günstigeren Weltgegenden kostenfrei ihr Leben fristen, oder wie die Fliegen bei Annäherung des Winters erstarren, wenn das induſtrielle Thermometer auf den Gefrierpunkt fällt und die Produktion eingestellt werden muß. Aber sie müßten auch wiederkehren, sobald die ersten muß. Aber sie müßten auch wiederkehren, sobald die ersten Prosperitätshauche die Wiederbelebung der Geschäfte anzeigten. Für Baumwollen, Wollen- und Seidenfabriken sollten Knaben und Mädchen geschaffen werden, die unfähig wären, das Mannes- und Weibesalter zu erreichen..... Vermögen sie nichts Derartiges ins Werk zu setzen, so wird selbst eine verminderte Arbeiterbevölkerung keine Lohnerhöhung herbeiführen, da die Fortschritte der Mechanik stets dafür sorgen werden, daß nie wirklicher Mangel an Arbeitern eintritt. Die arbeitende Bevölkerung wird stets den vom Kapital als Produktionskosten gewährten Subsistenzmitteln über den Kopf wachsen."
Dies die ökonomische Seite des weisen Vorschlags. Aber es kommt noch eine zweite, die physiologische, hinzu. Die„ Sinnenlust", über welche die braven Lüdenscheider ,, als Menschen und Christen" so wegwerfend urtheilen, ist für den erwachsenen Menschen ein Bedürfniß, dessen Nichtbefriedigung sehr verhängnißvoll für ihn zu werden pflegt. Verkümmerung nach irgend einer Richtung hin ist in der Regel die Folge. Die Statistik hat diese Thatsache fast unwiderleglich festgestellt. Des Arbeiters Leben ist ohnehin nicht allzu genußreich, für ihn bedeutet eine Beschränkung der„ Sinnenlust" sogar noch eine viel größere Entbehrung als für den Bourgeois. Daß der Arbeiter früh und leichtfertig heirathet, ist nicht die Ursache, sondern die Folge seiner sozialen Klassen lage. So dumm ist er nicht, um nicht zu wissen, daß ein Ehestand, in dem von vornherein Schmalhans Küchenmeister ist, eine sehr bedenkliche Sache ist, aber in neun von zehn Fällen kann er schon deshalb nicht auf gute Zeiten warten, weil er nicht zum schlechten Kert" werden will. Soll er wie der Musterbourgeois warten, bis auf beiden Seiten genug Geld da ist, so müßte man ihm mindestens ermöglichen, sich bis dahin auch, wie der besagte Musterbourgeois, schadlos zu halten.
Indeß, alle frommen Wünsche unserer halb- und ganzmalthusianischen Volkspädagogen werden zum Glück bei der großen Masse der Arbeiter ungehört verhallen, sie wird der kapitalistischen Ausbeutergesellschaft nicht den Gefallen thun, sich zu ihren Gunsten zu kastriren und zu dezimiren, sondern sie wird ihr ganzes Augenmerk danach richten, dieser Aus
beutergesellschaft, die einer vernünftigen Vertheilung der Früchte der Gesammtarbeit im Wege ist, die Flügel zu stutzen und auf diese einzig wirksame und durchgreifende Art und Weise ein menschen würdiges Dasein für sich und ihre Kinder wie sich die„ Sozialforrespondenz" so schön ausdrückt endlich einmal zu ermöglichen.
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Mit bedenklichem Kopfschütteln haben österreichische Genossen eine Notiz, Revanche" betitelt, in Nr. 48 des Parteiorgans gelesen. In derselben wird die Ansicht ausgesprochen, daß das famose Urtheil im Königinhofer Prozesse eigentlich nur die Genugthuung für die Leiden sei, welche die Tschechen während des 30- jährigen Krieges von den Deutschen erdulden mußten.
,, Was jetzt( 1885) geschieht," so heißt es ,,, ist bei aller Brutalität nur eine sehr milde Revanche für die Verbrechen, welche damals( 1620) von den Deutschen an den Tschechen verübt wurden. Die Weltgeschichte ist das Weltgericht."
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Dagegen muß zweierlei erwidert werden. In historischer Bezieh ung vorerst, daß der böhmische Feldzug im 30jährigen Kriege beiderseits mit Ermangelung des nationalen Bewußtseins geführt wurde, das wohl zur Zeit der Huffitenkriege das treibende Element gewesen ist. Der Rampf war aus religiösen, nicht nationalen Interessen hervorgegangen, und drehte sich einerseits um bloße Glaubensartikel, andererseits um die Herrschaftsansprüche der böhmischen Stände, welche das Volk ausgebeutet und vernichtet hatten. Also nicht der Deutsche kämpfte gegen den Slaven, sondern das katholische Kaiserthum gegen die kalirtinische Aristokratie. Der Umstand, daß die 30,000 tschechischen Vertriebenen sich in Deutsch land niederließen, beweist wohl zur Genüge, daß die Tschechen dort nicht als nationale Gegner betrachtet wurden. Eine weltgeschichtliche Revanche für die Schlacht am weißen Berge müßte daher logischerweise den Ratholizismus und speziell die Jesuiten , die Anstifter des Krieges, treffen.
Weitaus wesentlicher ist, was in rechtlicher Beziehung gegen die erwähnte Notiz eingewendet werden kann.
Es mag gestattet sein, hier einzuschalten, daß sich der Schreiber dieses wie überhaupt jeder klassenbewußte Arbeiter in Desterreich frei weiß von jeder nationalen Anwandlung, nicht obgleich, sondern weil er im Nationalitätenkampfe mitten drinnen steht und dessen traurige Folgen für den politischen und sozialen Fortschritt zu beobachten Gelegenheit hat. Doch gerade als internationale Sozialdemokraten müssen wir die Bemerkungen im Parteiorgan über das Königgräger Urtheil als frivol und unberechtigt zurückweisen.
Das Tribunal in Königgrät war kein Weltgericht; es war nicht seine Aufgabe, die blutig geprügelten Turner dafür büßen zu lassen, daß ihre
Vorfahren im 17. Jahrhundert gegen die Tschechen obsiegten, sondern es hatte nach Recht und Gesetz, ohne Ansehen der Person und Abstammung zu urtheilen und zu strafen. Wenn wir uns darüber freuen, ja wenn wir nicht laut dagegen protestiren, daß die Richter nationale Justiz treiben, dann dürfen wir uns ein andermal nicht beklagen, wenn wir die Opfer einer gemeinen lassen justiz werden. Ob die Deutschen , ob die Tschechen unterdrückt sind, kann uns unter den gegenwärtigen politischen Verhältnissen vollkommen gleichgiltig sein, doch eines darf nicht unterdrückt werden: das Recht.
Wir klagen nicht die Tschechen an, welche Gewaltthaten an den Deutschen begehen, denn wir wissen nur zu gut, daß das Volk ein Opfer jener Rabulisten ist, welche fortwährend nationale Fragen auf's Tapet bringen, um die sozialen unerörtert zu lassen. An den Pranger gestellt und der öffentlichen Verachtung preisgegeben müssen jedoch Diejenigen werden, welche unter dem Mantel der Versöhnung die Nationalitätenheze passionsmäßig betreiben, und diese Buben sind die österreichische Bureaukratie und der österreichische Richterstand.
Wenn man hört, daß die Königgräger Verhandlung drei Tage lang suspendirt wurde, damit die Akten an die Prager Statthalterei geschickt werden konnten; daß der Prager Oberstaatsanwalt zur Instruirung der Richter eine Reise nach Königgräk unternahm; daß der Gerichtspräst dent öffentlich über seinen zu gewärtigenden Hofrathstitel sprach; daß das Urtheil schon vor der Verkündigung in der ganzen Stadt bekannt war, dann muß einen Jeden Scham und Entrüstung über einen derartigen ,, unabhängigen" Richterstand erfassen.
Bu gleicher Zeit, als das Königgrätz der österreichischen Justiz ge schlagen war, veröffentlichten die wenigen nicht forrumpirten Zeitungen eine Rede eines jungen Abgeordneten, in welcher der Beweis geführt wurde, daß sich der Handelsminister Pino anläßlich der Verstaatlichung der Prag Durer Eisenbahn wieder einmal hatte bestechen lassen. Der Mann, welcher ihm das Trinkgeld überbrachte, war ein mehrfach abge: strafter ehemaliger Kellner Namens Klier, der gegenwärtig wegen Meineids wieder zu mehrjährigem Kerker verurtheilt worden ist. Der Handelsminister hätte nun gern den gabenreichen Mann frei gesehen und er schickte deshalb ein Individuum zu Gericht, welches sich selbst des Meineids beschuldigen sollte, um den Klier loszubringen. Das Spiel war jedoch so plump, daß Niemand so dumm sein wollte, darauf einzu
gehen, und der Gelbgeber des Handelsministers sitzt noch feft. EhrenPino hat seinerzeit auch von der Nordbahn- Gesellschaft und von dem Unternehmer Fogerty schöne Trinkgelder bekommen. Ueberschuldet hatte er sein Amt angetreten, und reich an Landbesitz und Stadtpalästen wird er dereinst seine Portefeuille niederlegen, denn heute denkt er noch lange nicht an's Gehen. Sein Ausruf im Abgeordnetenhause:„ Mein Gewissen ist rein!" hat Geltung als geflügeltes Wort erhalten und wird von jedem Uhrenschnapper angewendet, der in flagranti ertappt wird.
Das ist, mit wenigen Strichen gezeichnet, der Leiter des Handelsministeriums, dem mehr als 100,000 Personen untergeordnet sind. Und jeder der Subbeamten Pino's fühlt in sich die Kraft, dasselbe zu leisten, wenn er nur könnte. Kriechend und wedelnd nach Oben, herrisch und ungerecht nach unten, das ist die Bureaukratie Desterreichs, der die wichtigsten Interessen des Landes anvertraut sind.
Dem hier Gesagten braucht als Schlußmoral nur noch beigefügt zu werden, daß es Aufgabe der Sozialdemokraten ist, den nationalen Res vanchen" ein Ende zu machen und sich nicht schadenfroh derselben zu freuen, besonders wenn die Revanche" in einem Afte frevelhaftefter Kabinetsjustiz besteht. Wenn wirklich jede Nation, die im Kampfe unterliegt, ein Recht auf Revanche hätte, und sei es selbst nach 3 Jahrhun,