Was waren denn diese Marx und Rodbertus eigentlich?Stuben- gelehrte", unpraktische Köpfe, die, wo sie aus dem Studirzimmer heraustreten, nur verderben können; Lassalle aber, das ist der Mann der Praxis, das ist mein Mann, gegen ihn sind die beiden anderen von geradezu untergeordneter Bedeutun g". Der Kalkül ist durchsichtig genug. Herr Schramm weiß, mit welch' großer Liebe die deutschen Arbeiter das Andenken Lasialle's hochhalten, und daß er mit dem Appell an dieses Gefühl auf sympathischste Auf- nabme rechnen kann. Und, wie gesagt, wo ihin die Argumente ausgehen, entdeckt er stet« zur rechten Zeit, daß er auch ein Herz hat. Eine wissen- schastliche Widerlegung wird bei ihm zur V e r k e tz e r u n g, die Zurück- Weisung eines total falschen Satzes eine Verdammung als Gottes- l ä st e r u n g, das Eintreten für eine wissenschaftliche Ueberzeugung wird nach ihm zum Eintreten für ein Dogma, Derjenige, der seine Ueber- zeugung nicht auf den Kredit bloßer Behauptungen hin preisgibt, ist ihm ein P s a f s e u. s. w. Sein moralisches Gefühl ist es auch zweifelsohne, das Hrn. Schramm sortgesetzt verhindert, richtig zu zttiren. Wir werden diese liebenswürdige Eigenschast namentlich bei Besprechung des Kapitels über Marx von ihrer schönsten Seite kennen lernen, hier nur ein Beispiel aus der Vorrede. Nach Herrn F. Engels ' Ansicht ist Rodbertus ein merkwürdig un- wissender Mensch." So Herr Schramm Seite 9. Und entrüstet fügt er hinzu:Tiefer hängen!" Hängen wir den in Frage stehenden Ausspruch von Engelstiefer". Er findet sich in der Vorrede zumElend der Philosophie ", abgedruckt im Hest 1 derNeuen Zeit" 1885, und lautet: Hier nur soviel, daß, wenn Rodbertus Marx anklagt, dieser habe ihn geplündert und seine Schrift: Zur Erkenntniß,in seinem Kapital ganz hübsch benutzt, ohne ihn zu zitiren", er sich zu einer Verleumdung hinreißen läßt, die nur erklärlich wird durch die Verdrießlichkeit des verkannten Genies und durch seine merkwürdige Unwissenheit über Dinge, die außerhalb Preußens vorgehen und namentlich über die sozialistische und ökonomische Literatur." Und nachdem er dies gesagt, b e w e i st Engels, daß das, was Rodbertus für seine originalen Entdeckungen hielt, bereits ein halbes Menschenalter vor ihm von englischen Sozialisten, von denen Marx im genannten Buch eine ganze Anzahl zitirt hat, fest- gestellt war. Bedenkt man die Schwere des von Rodbertus gegen Marx erhobenen Vorwurfs, so wird man zugestehen, daß die Engels'sche Er- klärung desselben die Rodbertus nach zwei Seiten hin die Entschul- digung des guten Glaubens läßt die unter diesen Umständen mildeste ist. Nicht Gelehrtenneid wie der moralische Herr Schramm Engels unterstellt diktirte sie, sondern die Pflicht, die wissenschaftliche Ehre von Marx gegen eine solche Unterstellung zu wahren. Herr Adolph Wagner sogar ist ehrlich genug, die Berechtigung dieser Zurückweisung zuzugestehen, Herr Schramm aber findet hier nurwüstes Schimpfen und gehässiges Verunglimpfen." Aus dermerkwürdigen Unwissenheit" in einer bestimmten Beziehung macht er einenmerkwürdig unwissenden" Menschen schlechtweg. Davon, daß Engels in der gleichen Abhandlung die Rodbertus 'sche Schrift:Zur Erkenntniß" ein für ihre Zeitu n b e- dingt bedeutendes Buch" nennt, kein Wort. Wahrscheinlich verbietet das Herrn Schramm seine Moral. Wer nur die Schramm'sche Schrift liest, muß zu dem Glauben kommen, daß Engels und Kautsky Rodbertus ledgilich heruntergerissen haben. Wie unberechtigt dieser Vorwurf, geht schon aus dem Gesagten hervor. Mit Bezug auf die Kritik des Rodbertus durch Engels macht es Herr Schramm wie mit der Kautsky'schen: er widerlegt sie nicht, er ver- d ä ch t i g t sie. Ob sie falsch ist, darüber läßt er uns im Zweifel, wir erfahren nur, daß sie unmoralisch ist. Wenn Herr Schramm bei dem obigen Zitat Engels' in seiner Manier kritisch ergänzt, so läßt er an anderen Stellen, namentlich da, wo es sich für ihn darum handelt, seinen Widersacher Kautsky herabzusetzen, die entscheidenden Nachsätze kritisch sort. Wir behalten uns vor, dies später im Einzelnen nachzuweisen; dagegen sei hier noch eine andere, auch sehr moralische Manier der Schramm'schen Polemik an einem Beispiel charakterisirt.So führt Herr Kautsky, " sagt er aus Seite 7,als Beweis für seine Behaup- tungen immer nur die Autorität von Marx ins Feuer. Man lese nur seine Bemerkungen zu dem Artikel von Dr. Max Quark über Streiks: Marx sagt, Marx sagt, Marx sagt es ist, als ob man einen Staarmatz höre, der nur diese eine Redensart nachzuplappern gelernt hat!"- Wir lesen nach, und was finden wir? Dem qu. Artikel des Dr. Max Quark, läßt Kautsky , angeregt durch einen von Quark zitirten Aus- spruch von Rodbertus , ein Nachwort folgen:Rodbertus und Marx über den Strike." Er entwickelt zunächst die Ansichten beider Denker über den Strike und fährt dann fort:Am klarsten wird der Gegensatz zwischen Marx und Rodbertus in dieser Frage werden, wenn wir beide selbst reden lassen. Und nun zitirt Kautsky zunächst einige Stellen aus dem damals soeben erschienenenElend der Phi- losophie", von Marx, und läßt dann eine ganze Reihe von Zitaten aus Rodbertus folgen. Von einer Berufung für seine Ansichten auf die Autorität von Marx" keine Spur! sVergl.N. Zt." 1885 S. 102 107.) Nach seinerStudie" zu schließen, ist heute schon das bloße Zitiren von Marx ein Verbrechen in den Augen des Herrn Schramm; es sei denn, es geschehe zu dem Behuse, Marx eins auszuwischen. Im andern Falle hat er dasür das vernichtende Wort: B i b e l st e l l e n. Nun, wir leugnen nicht, daß man auch in Punkts desMarxismus " des Guten zu viel thun kann, nur scheint uns speziell Herr Schramm nicht gerade berufen, Anderen gegenüber sich hierin als Sittenrichter aufzuspielen. Das unablässige Donnern gegen dieDogmen des Marxismus " nimmt fich nämlich recht eigenthümlich aus in dem Munde eines Mannes, der noch vor wenigen Jahren im Richter'schen Jahrbuch(1. 2., Seite 83) sich selbst zu den Leuten zählte, denen das Marx'sche Buchheiliger ist wie die Bibel." Soviel zur Vorgeschichte und Vorrede der Schramm'schenStudie" Sehen wir nun zu, was diese selbst uns Neues und Belehrendes bietet. --vAA/tSA/W- Sozialpolitische Rundschau. Zürich , 20. Januar 1886. Die skandalös brutalen Massenausweisungen au« den preußischen Ostprovinzen kamen am 15. und 16. Januar im Reichstag zur Verhandlung. Alle nicht ganz verbismarckten Parteien verurtheilten in scharfen Ausdrücken das den elementarsten Begriffen von Menschlichkeit frech ins Gesicht schlagende Verfahren der preußischen Regierung, die verschämten und unverschämten Bismärcker versteckten wie gewöhnlich ihre Feigheit und Niedertracht hinter der Phrase des Patriotismus, Was Keiner mehr vertheidigen kann, Preist man als patriotisch an. Bismarck und seine Bundesrathsmameluken glänzten programnlgemäß durch Abwesenheit. Leider reichte die Entrüstung der Reichstagsmehrheit nicht so weit, als Antwort dem energischen, von unfern Genossen ein- gebrachten Antrag zuzustimmen, man begnügte sich mit der Annahme einer von Windthorst eingebrachten, ziem ich lahmen Resolution. Die Herren haben eben nicht den Muth, es auf einen Konflikt ankommen zu lassen. Reden, reden, reden nur nicht handeln! Der Standpunkt unserer Partei wurde von Liebknecht und Singer in schneidigster Weise vertreten. Zurück und Zaruck in rührender Harmonie. Die Liebesdetheurungen zwischen dem Unfehlbaren von Friedrichsruh und dem Unfehlbaren im Vatikan nehmen einen immer inbrünstigeren Cha- rakter an. Nachdem Bismarck den Kardinälen, welche ihm die fatale Karolinensrage aus der Welt schaffen halsen, mit dem preußischen Raub- vogel erster Güte bedacht, hat jetzt der Vertreter des himmlischen Zurück dem Vertreter des irdischen Zaruck in Anerkennung seiner Verdienste um die katholische Kirche - Quittung für den famosenKulturkampf" den Christusorden gespendet. Dieser Orden, der seinen Trägern die Bedingungen des heiligen Benedikt Dürftigkeit, weshalb er i mit Brillantenschmuck getragen wird, Gehorsam gegen die Kn che und asketische Uebungen la Schwenninger?) vorschreibt, soll dem Be- sitzer des Sachsenwaldes und des B-geisterungsspeichers von Schönhausen unbändige Freude gemacht haben; noch mehr aber hat ihn der Begleit- b r i e f erfreut, in welchem der Statthalter Christi dem weiland D i o- k l e t i a n eine Schmeichelei über die andere sagt und sich ihm zum Schluß als unfehlbarer Schutzengel der bürgerlichen Ordnung empfiehlt. Deiner Weisheit aber," heißt es da,ist es keineswegs entgangen, welch' große Macht für die Unversehrtheit der öffentlichen Ordnung und des Staatswesens(rennngus civilium", kann auch mit bürgerliche Ordnung übersetzt werden) bei jener Gewalt ruht, welche von Uns ausgeübt wird, besonders wenn ihr, nach Hinwegräumung jedes Hinderniffes, Freiheit d.s Handelns gegeben. Möge es daher vergönnt fem, in Gedanken die Zukunft vorwegzunehmen und aus dem Geschehenen Hoffnung zu schöpfen siür das U e b r i g e." Mit andern Worten: Stell' Du mir Deine irdischen GensdarMen zur Verfügung, so stehe ich Dir mit meiner himmlischen Gensdarmerie zu Diensten Arm in Arm mit Dir rotte ich die Hydra der Staats- und Gesellschaftsseinde mit Stumpf und Stiel aus. Hoffentlich kommt dieses traute Bündniß zu Stande, steht doch die politische Konstellation in Deutschland ohnehin bereits unter dem Zeichen des heiligen Geistes spiritus sancti. Schnapsmonopol hier, Schnapsmonopol da, das eine irdisch, das andere himmlisch, beides aber von der Natur, von die Natur, von das Natur das edelste Geschenke. Da müßte es doch mit dem-ss"sGoltseibeiuns zugehen, wenn nicht schließ- lich doch noch ein christliches Tauschgeschäft zu Stande käme. rlc. Inder vorletzten Legislaturperiode faßte der Reichstag, um die Wirkungen des Sozialistengesetzes etwas zu mildern, die seinerzeit von uns eingehend besprochene Resolution: Die Thatsache, daß ein Sozialdemokrat eine Wählerversammlung anmelde, und daß ein Sozialdemokrat als Referent angekündigt sei, genüge nicht, um während der eigentlichen Wahlzeit, d. h. in der Zeit zwischen der amtlichen Aus- schreibung der Wahl und zwischen dem Wahlakte, das Verbot einer Wählerversammlung von vornherein zu rechtfertigen. Um ein Verbot zu rechtfertigen, müßten noch andere Thatsachen vorliegen. Dieser Be- schluß ist vom Reichstag verschiedene Male erneuert worden, und ver. schiedene Wahlen, bei denen in Folge solcher, nach Meinung des Reichs- tags ungerechtfertigter Verbote das Wahlergebniß gefälscht, d. h. ein an- deres als das ohne die Verbote wahrscheinliche Ergebniß herbeigeführt wurde, sind auf Grund jener Resolution kassirt worden. Die meisten der kleineren Bundesregierungen haben bei der letzten Reichstagswahl sich dem Reichstagsbeschluß mit mehr oder weniger Ehrlichkeit oder Unehrlichkeit angepaßt, allein einige Regierungen, allen voran die preußische, haben den Beschluß vollständig ignorirt. In der Wahl- Prüfungskommission selbst sind seitens der konservativen Mitglieder wie- derholt und systematisch Versuche gemacht worden, um die Kommiffion und schließlich den Reichstag von dem Boden dieses Beschlusses, der allerdings ein Loch in das Sozialistengesetz gebohrt hat, herabzudrängen. Bis jetzt ohne Erfolg. In einer der ersten Sitzungen nach den Weih- nachtsserien Freitag den 9. dies führte die Frage zu einer inter - effanten Plänkelei im Plenum. Bei der Wahl H ä n e l's in Kiel waren mehrere sozialdemokratische Versammlungen ohne Angabe einer bestimm- ten Thatsache einfach auf Grund des Sozialistengesetzes verboten worden. Die Wahlprüsungskommission fand dieses Verfahren der Polizeibehörden ungesetzlich, und ordnete amtliche Erhebungen an, war aber einstimmig der Ansicht, daß in diesem speziellen Fall die Sache insofern irrele- vant sei, als die Wahl Hänel's auch ohne diese Versammlungsverbote erfolgt sein würde. Die amtlichen Erhebungen ergaben das nicht über- raschende Resultat, daß die königlich preußischen Polizeibehörden durch alle Instanzen, von der Ortspolizei bis hinauf zum Minister des Innern, Exzellenz Putlkamer, den Reichstagsbeschluh als nicht existirend betrachten, und jene Verbote erlaffen und gebilligt haben auf keine andere Thatsache hin, als werl es sich um sozialdemo- kratische Wählerversammlungen handelte, und zwar grade solche, die durch jenen Reichstagsbeschluß der Polizeiwillkür entzogen werden sollten. Genoffe Liebknecht, der das Referat hatte, hob dies scharf hervor, und wies auf die Nothwendigkeit hin, die Sache prinzipiell zum Aus- trag zu bringen. Dies erregte den Aerger der Konservativen, und Herr von K ö l l e r griff Liebknecht an, ihm vorwerfend, daß er nicht die dem Referenten zukommende Objektivität und Unparteilichkeit gewahrt habe ein Vorwurf, dessen Grundlosigkeit sich leicht nachweisen ließ, so daß Herr von Koller nach allen Richtungen hin abblitzte. Einige Tage nachher bot eine andere schleswig-holstein 'sche Wahl, die des Nationalliberalen Gottburgsen, Gelegenheit, die Frage zur Entschei- dung zu bringen. Gottburgsen hatte gegenüber einem dänischen und einem sozialdemokratischen Gegenkandidaten nur 428 Stimmen über die absolute Majorität. Es kam nun für den Reichstag darauf an, ob er bei seinem Beschluß verharren und in diesem Fall das Gesammtresultat durch die unrechtmäßigen Versammlungsverbote für alterirt hielt oder nicht. Die Sozialdemokraten, in deren Namen Frohme und Liebknecht sprachen, die Fortschrittler sRickert) und das Zentrum(Windthorst) traten für den Reichstagsbeschluß ein; und nach sehr lebhafter Debatte wurde die Wahl Gottburgsen's mit großer Mehrheit für ungültig er- klärt. Es ist das eine Lektion, welche Herrn Puttkamer nur nützlich sein kann. Anläßlich des jüngste» Berliner Jubiläumsrummels war unter Anderm von einem sensationslustigen Blatt das Gerücht ver- breitet worden, es werde eine allgemeine politische Amnestie für Preußen ersolgen. Kein vernünftiger Mensch glaubte dem sensationslustigen Blatt, und die angekündigte Amnestie blieb natürlich aus. Dagegen ersährt man nachträglich, daß, wie das bei fürstlichen Festen nicht selten vor- kommt, eine Anzahl von Begnadigungen allergnädigstbefohlen" worden ist. Da dieBegnadigungen" sich, der Natur der Sache nach, nicht auspolitische Vergehen" beziehen konnten, so mußten sie selbst- verständlich gemeinen Verbrechern zu Gute kommen. Und was für welchen? Die Wahrheit kommt allmälig an den Tag. Mit Vorliebe hat die allerhöchste Gnade sich Beamten zugewandt, welche sich bei Aus- Übung ihrer Befugnisse Ueberschreitungen haben zu Schulden kommen laffen als da namentlich sind: Polizisten und Nacht- Wächter, die Leute aus dem Publikum mißhandelt haben, und deshalb verurtheilt werden mußten. Außerdem einig« Offiziere, die auf Zivilisten tapfer losg« stachen haben u. s. w. Die Anti- pathien und Sympathien, welche bei dieser Gelegenheit zu Tag getreten sind, werden dem künstigen Kulturgeschuhtsschreiber ein werthvoller Bei- trag zur Charakteristik der Rohheits-Aera sein, inmitten deren wir uns jetzt befinden. Wenn unsere Gegner ein besonders beweiskräftiges Argument gegen den Sozialismus ausspielen wollen, dann pflegen sie unter Benutzung der Einkommensstatistii trium- phirend hinzuweisen, daß bei einer gleichmäßigen Vertheilung der Ein- kommen der Vortheil selbst für die schlechtestgestellten Proletarier der bürgerlichen Gesellschaft nur ein verschwindender sein würde, daß es sich also gar nicht lohnte, darum Räuber und Mörder am heiligen Privat* eigenthum zu sein und die Schönheiten der kapitalistischen Gesellschafts- ordnung preiszugeben. Wir wollen heute gar nicht daraus eingehen, diese Nachweise auf ihre ziffernmäßige Richtigkeit zu prüfen, denn selbst wenn sie richtig wären, bewiesen sie nichts gegen den Sozialismus. Denn die Geldeinkommen geben bei der kolossalen Zerstörung von Werth en durch den Kon- kurrenzkampf in der modernen Gesellschaft und der noch koloffaleren Verschwendung von Produktivkräften ein total falsches Bild von dem wirklichen Reichthum derselben. Ganz anders gestaltet sich das Bild, wenn man die Produktion der Gebrauchswerthe in Betracht zieht. Die neueste Nummer des PariserSocialifie" bringt darüber einige sehr intereffante Zahlen. Nach der offiziellen Statistik betrug im Jahre 1835 die Weinernte Frankreichs 28'/, Millonen Hektoliter, macht auf jeden Kopf der Bevöl- kerung durchschnittlich 75 Liter oder bei einer Familie von 5 Köpfen 375 Liter pro Jahr. Die Most-(Fruchtwein-) Ernte betrug 20 Millionen Hektoliter, macht 52 Liter pro Kopf oder 260 Liter pro fünfköpfige Familie. Somit würde bei kommunistischer Wirthschaft aus jede Familie für die kalten Tage des Jahres 1886 375 Liter Wein und für die Sommer tage 260 Lister Most entfallen vom Bier ganz abgesehen. Und diese 635 Liter gegohrener Getränke wären ungetauft und unchemisirt." Obendrein war die Weinernte von 1885 eine außerordentlich ungün- stige, mehr als 30 Prozent unter dem Durchschnitt, der jetzt 42 Mil> lionen Hektoliter beträgt und, bevor die Phylloxera die Weinberge in Frankreich verwüstet, höher war im Jahre 1875 z. B. 83 Millionen Hektoliter, was per Kopf oder richtiger Kehle mehr als 2 Liter Natur- wein per Tag ausmacht." Und wenn", schließt derSocialifie",das Land durch die kommu- nistische Gesellschaft nach wiffenschaftlichen Ersorderniffen bearbeitet wird, so würde die Produktion von Wein und Most sich verdoppeln und ver- dreifachen." Und was vom Wein und den Erzeugniffen der Landwirthschaft gilt, gilt in noch höherem Grade von den Erzeugniffen der Industrie. Praktischer Sinn ist eine schöne Sache, und wenn die bür- gerlichen Organe in Deutschland uns den praktischen Geist der eng« tischen Gewerkvereinler rühmen, so sind wir die Letzten, die verkennen, daß derselbe in vieler Beziehung Großes geleistet. Aber prak- tischer Sinn und praktischer Sinn ist zweierlei; wer über dem Bestreben, nur immer hübsch praktisch zu hand-ln, nur immer das Nächstlie­gende in's Auge zu saffen, den Blick für den allgemeinen Gang der Dinge, das Verständniß für die Theorie ganz verliert, der bleibt vor dem Schicksal nicht bewahrt, daß ihm eines schönen Tages die Thatsachen in sehr empfindlicher Weise die Logik einpauken, die er als Mann der Praxis ignorircn zu können glaubte. Das erfahren jetzt die englischen Gewerkvereinler. Ihre vornehme Jgnorirung der ausländischen Arbeiterbewegung kommt ihnen jetzt theuer zu stehen. Eine Hiobspost nach der anderen werden in dieser Beziehung gemeldet. So heißt es neuerdings wieder in einer Londoner Korrespon- denz derAllgemeinen": «Aus Wolverhampton wird gemeldet, daß die dortigen Fabri- kanten sehr beunruhigt über die Zunahme der deutschen Konkurrenz sind. Nicht nur konkurriren die Deutschen scharf mit ihnen aus neutralen Märkten, sondern machen ihnen auch die Herrschaft aus heimischen Märkten streitig. Am Dienstag hieß es, daß eine leitende Wolver- hamptoner Werkzeug-Firma einen guten südamerikanischen Auftrag für Aexte verloren, weil die Deutschen diesen Artikel billiger verkaufen. Ferner bestellen Wolverhamptoner Kaufleute jetzt Draht, Nägel und eiserne Schrauben deutschen Fabrikats zu Preisen, die sich bedeutend unter denjenigen der Birminghamer Fabrikanten bewegen. Die Fabrikanten erklären, daß entweder Importzölle auserlegt oder die Arbeiter einige Stunden länger arbeiten müssen. Die Weigerung der Schiffsbau- Arbeiter in Sunderland, die angekündigte Lohnherabsetzung von 12'/, für Stückarbeit und 1» 0/o für die gewöhnliche Tagesarbeit anzunehmen, hat zu einem Maffenstreck geführt. Gegenwärtig seiern bereits 2000 Personen, und ihre Zahl-ste auf 9000 anschwellen. Fast sämmtliche Schiffsbauhöfe am Wear und am Tyne sind in Folge der Streiks ge- schloffen worden. Das Komite des Verbandes der B a u m w o l l- spinnerei-Besitzer in Oldham hat beschloffen, die Arbeiter zu ersuchen, sich eine neue Lohnherabsetzung von 5 gefallen zu laffen. Als Grund für diese Maßregel wird angegeben, daß die Baumwoll- industrie noch immer nicht die lang erwartete Befferung zeige. Vor , w ö l f W o ch e n hatten die Arbeiter nach einem dreimonatlichen Waffen- streik eine ähnliche Lohnherabsetzung genehmig t." Lohnherabsetzung Arbeitszeiterhöhung Maffenstreiks, welch letz- tere nachgrabe keinen andern Zweck mehr haben als daß die Arbeiter eine Zeitlang ihr Erspartes auf, ehren und die Fabrikanten einen anständigen Grund haben zu feiern. Wenn das noch eine Weile so fortgeht, dann dürfen die stolzen Gewerkschaften eines Tages den schönsten praktischen Krach erleben. Hoffentlich wird der sie auf den richtigen Weg führen. Aus unfern B rud e r o r ga n e n. In einem Artikel:Di- amerikanischen Arbeiter sind zum Vorkamps berufen," schreibt der New YorkerSozialist", nachdem er entwickelt, warum der Geist des Wider- st a»des der demokratischen Volkskrast in den Vereinigten Staaten stärker ist als irgendwo: Mag es auch in Ruhland einzelne nihilistische Helden geben, die heldenmäßiger sind, wie die Amerikaner; das ruffische Volk in seiner Maffe ist doch ein sehr armes, zurückgebliebenes, zum Widerstand un- ähiges Volk. Mag auch Deutschland , Frankreich und England ein« größere Zahl bewußter Sozialisten besitzen, wie unsere Republik , so fehlt doch den Volksmassen der alten Welt noch viel von dem independenren (unabhängigen) Geiste der Amerikaner. Die Arbeiter dieses Landes sind durch den Stolz ihres ererbten Cha- rakters und durch die Gunst der kolonialen, ökonomischen, sozialen und politischen Verhältniffe zum Vorkamps für die Proletarier aller Länder berufen. Zu dieser lebensfreudigen Betrachtung veranlassen uns die auf allen Seiten sich mehrenden Zeichen, daß der Sturm im Anmarsch ist. Die deutschländischen Arbeiter haben wohl ihre Wahlsiege; aber solche Streik- und B oycottsie g e wie die amerikanischen, namentlich die New Yorker Arbeiter, haben sie nicht aufzuweisen. Und da ist es wohl sehr srag- lich, wem die Palme gebührt! Wenn die Central Labor Union-inen protzigen Theaterdirektor bändigen kann, wenn sie die bedeu- tendsten Weinhändler von New-York zu veranlassen weiß, artig zu schrei- ben,daß das Interesse der organisirten Arbeiter auch das ihrige ist," und die Flegenheimer BroS., Parisette, Engel, Heller u. Co. u. s. w. freundlichst erklären,daß wir von heute ab den Herausgebern des New Yorker Herald" ,c. nicht mehr gestatten, unsere Geschäftsanzeigen in ihren Spalten auszunehmen, so lange der Boycott in Schwebe ist" wenn die arbeitende Klaffe endlich ansängt, die Unwiderstehlichkeit der Organisation auf solche Art vor den Augen des Landes zu demon- striren, dann wird auch die Zeit nicht mehr lange ausbleiben, wo das Volk den Monopolisten klar macht, wer der eigentliche Herr im Lande ist."... Seit Neujahr erschein: derSozialist" in vergrößertem Format statt vierseitig achtseitig. In der ersten Nummer, die einen schwung- vollen Ausruf der Herausgeber enthält, finden wir noch folgende Notiz über die bisherigen Erfolge des Boycottsystems in Amerika : Der siegreich verlaufene Boycott wider die Besitzer der drei New-Yorker deutschen Zeitungen:N.-Y. Herald",N.-Y. Zeitung" und«N.-Y. Revue" hat überall unter den organisirten Arbeitern New- Yorks die größte Begeisterung hervorgerufen. Daß dieHer- gelaufenen" den jetzt gründlichst zahm gewordenen Zeitungsboffes oben- drein noch eine Geldbuße von 500 Dollars auferlegt haben, erhöht den Triumph und gibt den wiederholten Beweis, daß der Kapitalismus ohn- mächtig und feige ist, sobald die Faust der ehrlichen Arbeit ihm unbe- quem an der Kehle sitzt. Was übrigens den Boycott auf Grund der Statistik anbelangt, so berichtet Broadstreet, daß bisher in den Ver» einigten Staaten 237 stattgesunden haben, wovon 99 erfolgreich waren, 24 verunglückt und 114 unentschieden sind. Nach Abrechnung der Boycotts gegen die Chinesen sind 59 von sämmtlichen übrigen 196 erfolgreich, 23 verunglückt gewesen, und 114 sind noch unentschieden. Die Richtigkeit dieser Statistik vorausgesetzt, sollten wir meinen, die Er- folge sind zahlreich genug für einen Ansang. Denn aller Anfang ist schwer." Zur Erläuterung für diejenigen, welche über das Wesen desBoy- cott" im Unklaren sind, sei noch bemerkt, daß derselbe in einer voll- ständigen wirthfchaftlichen Aechtung des zuBoycottenden" besteht. Während der Streik nur die internen Arbeitsverhältniffe berücksichtigt, geht der Boycott einen Schritt weiter und sucht den Gegner auch sonst wirthschaftlich lahm zu legen. Ist z. B. über eine Brauerei Boycott verhängt, so macht eS sich Jeder, der mit den Boycottern fympathisirt. zur Pflicht, kein Glas von dem aus dieser Brauerei stammenden Bier zu trinken, bis der Konflikt beigelegt. Ein Theater, gegen das Boycott verhängt worden, wird nicht besucht, Zigarren aus einer unterBoycott " stehenden Fabrik werden nicht geraucht tc. sc. Die Sache ist im Grunde übrigens nicht neu, sondern in etwas an- derer Form und meist aus nicht speziell wirthschastlichen Motiven, schon in früheren Zeiten ausgeübt worden. Neu ist nur ihre s y st e m a- tische Durchführung, ihr quasi offizieller Charakter. Den Namen hat sie von einem irischen Grundbesitzer, Kapitän Boycott , gegen den sie zuerst in Anwendung gekommen. Daß die deutschen Arbeiter, wenn es darauf ankommt, auch zuboy- rotten" verstehen, haben sie u. A. in dem Attentatssommer 1878 gezeigt. Nach dem Attentat von Nobiling fiel die Auflage derBerliner freien Preffe" plötzlich von über 13,000 auf 10,000, und zwar weil fast alle m str