Weiber zum Ziehen u. s. w. bei den Kanalbooten verwandt, weil diezur Produktion von Pferden und Maschinen erheischte Arbeit ein mathe-matisch gegebenes Quantum, die zur Erhaltung von Weibern der Sur-pluspopulation dagegen unter aller Berechnung steht. Man findet dahernirgendwo schamlosere Verschwendung von Menschenkraft für Lumpereienals gerade in England, dem Land der Maschinen."(S. Aufl. S. 398 u. ff.)Und im Paragraph 8 deffelben Kapitels heißt es:„Diese naturwüchsigvorgehende industrielle Revolution wird künstlich beschleunigt durch dieAusdehnung der Fabrikgesetze auf alle Industriezweige, worin Weiber,junge Personen und Kinder arbeiten. Die zwangsmäßige Regulation desArbeitstags nach Länge, Pausen, Ansangs- und Endpunkt, das Systemder Ablösung für Kinder, der Ausschluß aller Kinder unter einem ge-wiffen Alter u. s. w. ernöthigen einerseits vermehrte Maschinerie undErsatz von Muskeln durch Dampf als Triebkraft."(S. 439.)Aus dieser Schilderung der Konsequenzen der Beschränkung der Ausbeu-tung billiger Arbeitskräfte ersieht man auf's Klarste den ganzen Gangdes ProzeffeS, und der Schluß ist unvermeidlich, daß sogar das Verbotder Frauenarbeit auf allen Gebieten, wo sie den Männern Konkurrenzmacht, keine Befferung der Lage der Arbeiter zur Folge haben würde.Roch weniger aber ist dies da zu erwarten, wo man die Frauen nuraus einzelnen Branchen zu verdrängen beabsichtigt. Denn dann müffendie Betroffenen Zuflucht zu den nicht verbotenen Branchen nehmen undso auf anderen Gebieten Konkurrentinnen werden, da man nicht anneh-men kann, daß sämmtliche verdrängten Arbeiterinnen sich dem Hungeroder der Schande preisgeben werden. Das Uebel der Lohnherabdrückungwird nur verschoben, nicht aufgehoben. Für die Verdrängten bedeutetsomit unsere Forderung Ausschluß aus ihren allerdings tieftraurigenArbeitsgebieten, ohne daß wir ihnen irgend welchen Ersatz dafür bietenkönnen. Denn neue Arbeitsgebiete können wir nicht nach Beliebenschaffen, die Konkurrenz auf den schon bestehenden Arbeitsgebieten könnenwir nicht ihnen zu Liebe beschränken, und die einzige Hülfe, die ihnenin der modernen Gesellschaft übrig bleibt, ist die Armenpflege, welchefür Gesundheit wie Sittlichkeit gleich wenig erbaulich sein dürfte.Von sozialistischer Seite herrührend, wäre der Vorschlag, Arbeiterinnenzur Förderung der öffentlichen Gesundheit und Sittlichkeit aus die Armen-pflege anzuweisen, unbegreiflich, weil es mit der sozialistischen Grund-auffaffung in grellem Widerspruch stände, arbeitsfähige Mitglieder derGesellschaft der Arbeit zu entreißen, um durch sie die Last zu vermehren,welche die Arbeiterklaffe schon ohnedem zu tragen hat. Denn alle Kostendes Unterhalts der unproduktiven Elemente der Gesellschaft fallen schließ-lich auf die Arbeiterklasse zurück, eine Thatsache, welche gegenüber densozialreformatorischen Vorschlägen der herrschenden Klasse, die sämmtlichauf Philantropie hinauslaufen, von der Arbeiterklaffe mit Recht ener-gisch geltend gemacht wird. Ein extremes Beispiel dasür, wie konsequentdie Bourgeoisie in dieser Richtung vorgeht, ist Folgendes. Der Stadt-rath von Minneapolis in den Vereinigten Staaten, dem Lande derBourgeoisie par excellence, hat neuestens deschloffen, von jeder Pro-stituirten eine Steuer von 209 Mark monatlich zu erheben, und einerjeden solchen Frau eine Konzeffion für den Verkauf von geistigen Ge-tränken gegen einen Jahresbetrag von 2000 Mark zu verleihen, dieHälfte derauf diese Weise erhobenen Gelder abereiner Anstalt zur Besserung„gefallener" Frauenzu überweisen. Aus diesem Beispiele, wo die Konsequenz zwar aufdie Spitze getrieben ist, aber nichts weniger als Ueberraschendes bietet,geht hervor(abgesehen von vielem Anderen, das jedem Sozialisten ohneKommentar einleuchtet), daß die Arbeiterinnen ebensowenig wie die Ar-bester von der Bourgeoisie für den Schutz der Sittlichkeit und Gesund«heit zu erwarten haben. Sind wir uns aber deffen bewußt, so dürftenwir unter keinen Umständen die auf diese Weise betriebene Philanthropieder Bourgeoisie, nämlich die Armenpflege, sanktioniren, indem wir Ar-beiterinnen auf sie verweisen und die Sache etwa mit dem NamenStaatshülfe beschönigen, wie es von sozialistischer Seite hier und davorgeichlagen wird.Kaum logischer oder haltbarer ist die häufig ins Feld geführte Begründungder Forderung durch den Hinweis aus die Nothwendigkeit, die Mütter fürihre Familien zu retten. Gewiß wird es mir nicht einsallen, das Elend desFamilienlebens dort zu leugnen, wo die Mütter durch Roth gezwungenwerden, Haus und Kinder zu verlaffen, um den Männern auf dem Ar-beitsmarkte Konkurrenz zu machen. Und doch dürfen wir nicht vergeffen,daß unter de» heutige» Verhältniffen gerade der elende Mitverdienst derMutter allein eS ermöglicht, daß in diesen Fällen das Familienlebenüberhaupt erhalten wird. Die Forderung der Beschränkung der Frauen-arbeit und die Motivirung durch die Nothwendigkeit der Erhaltung derFamilie widersprechen sich überhaupt auf das Schärfste. Denn sollte esuns gelingen, unsere Forderung zu verwirklichen, so würden wir demam Rande des Verhungerns stehenden Manne noch die Kosten der Er-nährung der Frau aufhalsen, um ihm die Last des Familienlebens nochunerträglicher zu machen. Dazu kommt noch die Thatsache, daß es geradedie Möglichkeit selbständigen Erwerbs ist» welche der Proletarierfrau demManne gegenüber eine gewiffermaßen unabhängige Stellung verschafftund ihr die klägliche Rolle der Versorgten erspart, welche bisher derBourgeoisfrau eigen war. Der Versuch, einer Anzahl Proletarierfrauendiese Unabhängigkeit zwangsweise zu nehmen zu Gunsten ihrer Gesund-heit und Sittlichkeit, heißt ein Stück Bourgeoisehe in die Proletarierehezwangsweise verpflanzen wollen, in Hellem Widerspruch mit den that-sächlich bestehenden Verhältnissen, wie diese vortrefflich dargestellt sindvon Engels in seinem„Ursprung der Familie":„Wirkliche Regel rm Verhältniß zur Frau wird die Geschlechtsliebe,und kann es nur werden unter den unterdrückten Klassen, also heutzutageim Proletariat«— ob dies Verhältniß nun ein offiziell konzeffionirtesist oder nicht. Hier sind aber auch alle Grundlagen der klastischen Mono-gamie beseitigt. Hier fehlt alles Eigenthum, zu besten Bewahrung undVererbung ja gerade die Monogamie und die Männerherrschaft geschaffenwurden, und hier fehlt damit auch jeder Antrieb, die Männerherrschastgeltend zu machen. Noch mehr, auch die Mittel fehlen; das bürgerlicheRecht, das diese Herrschast schützt, besteht nur für die besitzende Klasteund deren Verkehr mit den Proletariern; es kostet Geld und hat des-halb armuthshalber keine Geltung für die Stellung des Arbeiters zuseiner Frau. Da entscheiden ganz andere persönliche und gesellschaftlicheVerhältniffe. Und vollends seitdem die große Industrie die Frau ausdem Hause auf den Arbeitsmarkt und in die Fabrik gesetzt hat, und sieoft genug zur Ernährerin der Familie macht, ist dem letzten Rest derMännerherrschaft in der Proletarierwohnung aller Boden entzogen—es sei denn etwa noch ein Stück der seit Einführung der Monogamieeingerissenen Brutalität gegen Frauen."(S. 42.)--•vAA/xiyvvv-Sozialpolitische Rundschau.,Zürich, 18. August 188«.x. lieber das Freiberger Nrtheil ist in allen unabhängigenKreisen, unter allen anständigen Menschen nur eine Stimme: hierist das Recht gebeugt worden, um der Gewalt einenDienst zu leisten.In der gesammten unabhängigen Presse drückt sich diese Ueberzeugungmit mehr oder weniger Schärf- aus. Charakteristisch ist die Haltungder gouvernementalen Presse. Mit Ausnahme der„Norddeutschen Allze-meinen Zeitung", des„Hamburger Korrespondent" und eines halbenDutzends nationalliberaler Blätter, den ehrlosesten unter denehrlosen, hat kein deutsches Blatt den Muth gehabt, dasUrtheil zu vertheidigen; und bis auf den heutigen Tag hat sichnicht ein einziges Blatt'in Deutschland gefunden,das die Stirne gehabt hätte, die juristische Rechtser-t i g u n g des Urtheils gegen die mannigfachen schwerwiegenden Angriffeauch nur zu versuchen. Der„politische Nerv" ist auch außerhalbder Sozialdemokratie doch nicht so ganz ertödtet, wie die Väter undGeburtshelfer des Freiberger Urtheils vorausgesetzt und gehofft hatten.Daß mit diesen ungeheuerlichen Erkenntnißgründen nicht blos einejede politische Partei, sondern auch so ziemlich jede Per«s o n, welche sich irgendwie das Mißfallen der Machthaber zugezogen hat,an da? Messer geliefert werden kann, das unterliegt für Niemand, derim Besitz seiner fünf Sinne ist, auch nur dem leisesten Zweifel. Unddas ist es auch, was wesentlich die Bedenken und die Beunruhigung derPresse hervorgerufen hat.Die verlegene Ausrede, durch Präzisirunz der Verbreitung des„S o-zialdemokrat" als Zieles der strafbaren geheimen Thätigkeit seidie Gefahr von den übrigen Parteien abgewehrt worden,kann nur ein mitleidiges Lächeln entlocken, denn das Gefährliche derErkenntnißgründe liegt nicht in dieser Präzisirung, sondern in der Ar-gumentation, durch welche man dazu gelangt ist, dieAngeklagten einer solchen strafbaren geheimen Thätig-keit für schuldig zu erkennen. Und diese Argumen-tation kann genau mit derselben Berechtigung aufjede andere Partei und, wie schon gesagt, auch auf die meistenim öffentlichen Leben stehenden Personen angewendet werden, waswir gelegentlich, sobald das Erkenntniß uns seinem Wortlaute nach vor-liegt, des Näheren anschaulichst nachweisen werden.Abgesehen von der Monstrosität des Urtheils als Ganzes, istdasselbe auch im Einzelnen sehr mangelhaft ausgearbeitet. DerEifer ist der Fähigkeit weit vorangeeilt. Wohl wurde sklavisch nachdem Rezepte verurtheilt, welches das Reichsgericht seinerzeit gegeben,allein es wurde mit großem Ungeschick gethan. Zwischen Talentund Charakter ist immerhin ein gewisser Zusammenhang, und obgleiches schon genug talentvolle Schufte gegeben hat, so ist doch der Regelnach mit einem moralischen Desekt auch ein intellektuellerverbunden. Und der Mann oder die Männer, welche das FreibergerUrtheil ausarbeiteten, haben sicherlich keine Probe von Intelligenz undjuristischem Scharfsinn abgelegt. Es war bestellte Arbeit, zu dersie stch bereit erklärt hatten, und die sie, schlecht oder recht, so gutmachten, wie sie es konnten.Ultra posse nemo obligatur— über das Können hinaus ist Nie-mand verpflichtet— lautet ein alter juristischer Satz, dessen sich dieFreiberger Richter wohl erinnern mochten. Ein scharssinnizer, gewandterJurist würde sich nimmermehr der Ungeschicklichkeit schuldig gemachthaben, ausdrücklich zu erklären, daß man für die Schuld der Angeklagtenkeine juristischen Beweise, sondern nur Annahmen habe;er würde nimmermehr den groben Bock geschossen haben, einen Grundfür die Annahme der Schuld auf einen groben sprachlichenJrrthum zu stützen, den ein Blick in das erste beste Fremdwörter-buch hätte vermeiden lassen.Wir meinen die Unkenntniß deS Wortes„Administration". DaßBebel die„Administration" des„Sozialdemokrat" für gleichbedeutendmit„Expedition" genommen hat, gilt den Verfassern des FreibergerUrtheils als ein Jrrthum, während umgekehrt gerade sie selber es sind,welche nicht wissen, daß in der Schweiz, in Frankreich, Hol-l a n d und anderen Ländern das Wort Administration, aäministratio n,administratie notorisch vollkommen gleichbedeutend mitunserem Wort„Expedition" gebraucht wird. Und diesergrobe Jrrthum der Freiberger Richter ist, wie gesagt, das Funda-ment eines Verurtheilungszrundes geworden.Aehnliche Ungeschicklichkeiten und Verstöße kommen in diesem Erkennt-niß noch weiter vor— doch wir wollen der Begründung der Revisionhier nicht vorgreifen.Genug: die Verfasser des Urtheils scheinen bei ihrem staatsrettendenWerk von der löblichen Absicht geleitet worden zu sein, der Welt zuzeigen, daß, um ein solches Denkmal der Schande zuerrichten, man neben dem Opfer der Ehre auch dasdes Intellekts, des Verstandes, bringen muß.— Was bei der jetzt mit höchster Jntenstvität betriebenenSozialistenhatz so tief empört, ist, daß es sich dabei um lauterkünstlich geschaffene Vergehen und Verbrechen handelt,die nach gewöhnlichen Begriffen nicht nur keine Vergehenund Verbrechen, sondern größtentheils sogar positiveEhrenpflichten sind.Die Freiberger Angeklagten sind verurtheilt worden, weil sie thaten,was jeder ehrliche Parteimann zu thun verpflichtet ist. DieLeipziger Verurtheilten protestirten gegen Unrecht und Gewalthat—was Pflicht jedes ehrlichen Menschen. Den HamburgerGenossen, die wie eine Verbrecherbande jüngst von der Polizei aufge-hoben wurden, wird zur Last gelegt, daß sie die Geschäfte ihrerPartei besorgten— was eine durchaus ehrenwertheH a n d l u n g ist.Dieses Bewußtsein, für ehrenwerthe Handlungen, für Ersüllung einersittlichen Pflicht verfolgt zu werden, ist es, was diese Verfolgungen, vonder moralischen Seite abgesehen, zu einer so vortrefflichen Schule fürunsere Partei und zu einer so unerschöpflichen Machtquelle der Sozial-demokratie macht. Ein Polizist, der in der„Norddeutschen Allgemeinen"eine seiner würdige Ablagerungsstelle gefunden hat, meint: Diese V-r-folgungen, diese strenge Handhabung des Gesetzes würde e i n s ch ü ch-t e r n d auf die Sozialdemokratie wirken. Welche erbärmliche Hundeseelemuß dieses Individuum haben, das die Menschen mit Hunden ver-wechselt, die sich jede Züchtigung gefallen lassen und schließlich dem ge-strengen Herrn noch hündisch die Hand lecken.O nein, Ihr Puttkamer, Mahlow-Jhring und Konsorten, wir m e r-ken uns, jeder deutsche Arbeiter merkt sich das Un-recht, das Ihr verübt und verüben laßt, wir machenEuch dafür verantwortlich, und Ihr werdet im rich-tigem Moment zur Rechemschaft gezogen werden!Deß seid versichert, und seid weiter versichert, daß wir in die p l u m-pen Fallen, die Ihr uns stellt, um uns die Möglich-keitderEuch g e b ü h re n d e n B e st r af un g zu nehmen, nichttappen werden.— Die Jubeltage in Gastein spielen noch immer in derdeutschen Presse nach, die Offiziösen in B e r l i n und W i e n werdennicht müde, von der Friedensbürgschaft zu phantasiren, welchein der„innigen Freundschaft" zwischen den Lenkern Deutschlands undOesterreichs gegeben sei. Und wenn von Rußland Niemand inGastein zu blicken war, wenn der russische Minister des Auswärtigen,Herr G i e r s, erst nach Franzensbad kam, als Kaiser Wilhelm Gasteinverlassen, so ist das purer Zufall, Schuld von Familienverhältnissen.Unsere Beziehungen mit Rußland sind vortreffliche, die russische Pressehetzt zwar in recht häßlicher Manier, aber die russische Regierung istdie freundlichst gesinnte von der Welt, sie trübt kein Wässerchen. Waskann die arme russische Regierung für das Treiben der russischenPresse?Wer kein preußischer Osfiziösus ist, weiß, was er auf letztere Fragezu antworten hat. Die russische Regierung und die russische Hetzpressesind eins, in Rußland kann kein Watt hetzen, wenn es der Regierungnicht beliebt. Wird gehetzt, so beweist es, daß Väterchen will, daß gehetztwerde.)Aber warum läßt Väterchen heben? Nun, auf diese Frage habenwir als Antwort nur einige weiter« Fragen: Warum werden vom 18.bis Ende August bei Wilna, d. h. hart ander preußischenGrenze, zwölf russische Armeekorps(sechs gegen sechs) manövriren,d. h. schwach gerechnet 244), 00« Manu? Warum hat sich Väterchenbei diesem Manövriren die Anwesenheit aller fremden Offiziere, selbstdie des preußischen Gesandten Werder verbeten? Warumhaben deutsche Offiziere in London, welche Mitglieder desdortigen Turnvereins sind, Ordre erhalten„sich in Bereitschaft zuhalten für Einberufung"?Alles nur, weil der Friede so außerordentlich gesichert ist? Hat Ruß-land so viel Geld überflüssig, daß es die enormen Kosten für solcheManöver purer Renomisterei zu Liebe zum Fenster hinauswerfen kann?Kein Zweifel, es wird oben gewaltig intriguirt. Alexander III.braucht nach seinen fortgesetzten Blamagen Erfolge und wird sie umjeden Preis zu ergattern suchen. Daß es ihm nicht darauf ankommt,zu diesem Zweck einen frisch-fröhlichen Krieg zu entfachen, ist bekannt,und so darf sich das deutsche Volk auf allerhand artige Ueberraschungenvon Seite des braven„Erbfreundes" gesaßt machen.Nicht das„unruhige" republikanische Frankreich, sondern das ruhigemonarchisch- despotische Rußland, dieser„Hort der Ruhe und Ord-nung" in Europa, läßt die Völker nicht zur Ruhe kommen und ist einestete Gefahr für den Völkerfrieden. Wann werden sich die Völker dazuentschließen, diesem ewigen Ruhestörer das Handwerk zu legen?— Soldatenschinderei und kein Ende. Aus Karlsruhewird wiederum ein Akt empörendster Brutalität gegen| Soldaten gemeldet. Am 10. August ließ der GeneralmajorvonRöder das dort garnisonirend« Leibgrenadier-Regiment feldmäßig(mit gepacktem Tornister und Mantel) um« Uhr früh ausrücken undtrotzdem der Tag außerordentlich schwül war— der Thermometer zeigte29 Grad im Schatten!— bis Mittags in der ärgsten Sonnenhitze exer- offeiziren, so daß viele Soldaten schon auf dem Uebungsfeld, viele auf dem derHeimmarsch, und eine ganze Anzahl noch auf den Korridors der Kasernebewußtlos umfielen. Einer davon ist bereits an den Folgender viehmäßigen Abrackerung gestorben, andere sind schwer erkranktund werden, wenn sie auch mit dem Leben davon kommen, dochjahrelang, vielleicht ihr Lebenlang.unter den Nach-Wirkungen derselben zu leiden haben. Wie weit die Rücksichtslosigkeitgetrieben wurde, geht daraus hervor, daß— wie ein Augenzeuge demdemokratischen Offenburger„Volksfreund" schreibt— die Soldatenbeim Einzug in die Stadt, trotzdem schon vorher viele umgestürzt, undsie fast sämmtlich sich kaum mehr aufrecht erhalten konnten, noch vor-her die Halsbinden fest schließen mußten, was natürlichnun erst recht Ohnmächten ic. zur Folge hatte. Das nennt man schön-färberisch„Abhärtung für den Krieg", während sich im Kriegsfall keinMensch darum scheert, ob die Halsbinde fest oder lose fitzt. Es ist deralbernste Gamaschenzopf, der nur lächerlich wäre, wenn er nicht, wieFigura zeigt, Opfer über Opfer kostete und dadurch zum Verbrechenwird.Aber nicht genug damit, Leben und Gesundheit der Söhne des Volkesin so schändlicher Weise um nichts und wieder nichts preiszugeben, ent-blödet man sich in den Kreisen der maßgebenden Offiziere nicht einmal,die Opfer solcher viehischen Rücksichtslosigkeit obendrein in gemeinsterWeise zu beschimpfen. Man höre nur, was dem Badischen„Landes-boten" von einem Einsender, der selbst Soldat war, darüber geschriebenwird:„Bei dem Einmarsch der Soldaten trat vor dem Güterbahnhofe ausden Reihen seiner Kompagnie ein Einjähriger, der aus dem Gehwegebewußtlos zusammenstürzte. Die Kompagnie mar-schirte ruhig weiter, ohne baß zur Hilfe oder zum Schutze desbesinnungslos daliegenden Soldaten irgend Jemand zurückgelassen wordenwäre. Leute des Güterbahnhofes hatten Erbarmen mit dem armenMenschen und trugen denselben in die Halle, woselbst sie ihn aufSäcke betteten. Nach einiger Zeit erschien der Kompagnie-Chef des Ein-jährigen und fuhr die Leute, welche sich um den kranken Soldaten an-genommen, mit barschen Worten an. indem er dieselben fragte,wer ihnen das Recht gegeben hätte, den Mann von der Straße weg-zunehmen. Einer der Arbeiter, der selbst den Soldatenrock gettagen,ließ sich durch die Grobheit des Offiziers nicht verblüffen, sondern hieltdemselben entgegen, daß es doch mindestens nothwendig gewesen wäre,dem gefallenen Mann zur Hilfeleistung Jemand beizugeben und zudemsei der Einjährige so schwer erkrankt, daß schnelle Hilfe ihm nothwendigerschienen sei. Daraus erwiderte der Hauptmann:„Ach was, dieser„Kerl" ist wahrscheinlich gestern Nacht wieder be-soffen gewese n."Ist so etwas erhört? Wem steigt nicht, wenn er von solcher Gemein-heit liest, das Blut in's Gesicht, ballt sich nicht unwillkürlich die Faustbeim Lesen solcher Niedertracht?„Der Kerl wird wohl wieder besoffengewesen sein!" Mit dieser Redensart soll die Schuld von dem Peinigerauf das Opfer abgeladen werden, nicht die Bestie von General, welcherden Soldaten solch' unerhörte Strapizen zumuthete, diese selbst sindSchuld, daß sie vom Hirnschlag getroffen wurden. Das ist der Gipfelder Frechheit.Wie lange wird sich das Volk solche Infamie noch ruhig bieten lassen?Wie lange wird es noch dulden, daß man dem Moloch des Militarismusimmer neue Hekatomben hinopfert, ihm den Wohlstand, Gesundheit undLeben seiner Angehörigen preisgibt?Endlich muß ihm doch die Geduld reißen, es muß und wird der Tagkommen, wo es des Soldatenspielens und vor allem der Soldaten-schinderei müde wird und mit seinen Schindern Abrechnung hält. Undauch dieser Tag wird heiß werden, heiß für manchen, der vielleicht nochNachts vorher wirklich„wieder besoffen" war.— In Brüssel hat am vorigen Sonntag nun doch die großeVolkSdemoustratiou zu Gunsten deS allgemeinen Stimm-rechts statigesunden. Die Regierung und die Organe der herrschendenKlasse— liberale wie klerikale— hatten zwar ihr Möglichstes gethan,um die ihnen so fatale Bewegung für das allgemeine Stimmrecht nochKräften zu dämpfen, durch eine schlau berechnete Zauderpolitik hatteman die Massen zu ermüden gesucht, an vielen Orten boten die Fabri«kanten durch Einschüchterungen aller Art ihr Möglichstes auf, dte vonihnen abhängigen Arbeiter von der Reise nach Brüssel abzuhalten—aber ungeachtet aller dieser Manöver war die Theilnahme an der De«monstration eine außerordentlich starke.Von allen Theilen des Landes waren Arbeiter herbeigeströmt— manschätzt die Zahl der von außerhalb Gekommenen auf über 13,000—um mit der organistrten Arbeiterschaft Brüssels für das elementarstealler politischen Rechte zu demonstriren.Mehr als dreißigtausend Personen bewegten sich imimposanten, mit Fahnen und Emblemen geschmückten Zuge durch dieHauptstadt, überall mit freudiger Sympathie von der Volksmenge be<grüßt, welche ihnen Blumen streute. Ueberall ertönte der Ruf:„Eslebe das allgemeine Stimmrecht!"„Hoch die Befreiung des Volkes!"und, mit Hinweis auf die jüngsten schmählichen Berurtheilungen inCharleroi k.:„Amnestie! Amnestie!"Das kolossale Aufgebot von„Ordnungs"mannschasten— es waren30,000 Mann Militär und Milizen in und um Brüssel konzentrirt—erwies sich als total überflüssig. Die Ruhe wurde in keiner Weise ge-stört, ruhig und würdig gingen die Demonstranten auseinander, nachdemder Umzug beendet.Vom Komite der Arbeiterpartei wurde dem Ministerpräsidenten B e r-naert eine Adresse zugestellt, in der es u. A. heißt:„Seit 5« Jahren befindet sich nur eine Klasse Staatsbürger im Be-sitz des Wahlrechts. Nur Diejenigen, die 42 Frs. 32 Cts. direkterSteuern zahlen, sind Wähler.Die Gleichheit aller Belgier vor dem Gesetz ist nur leeres Wort undeine Lüge....Eine Minorität herrscht als souveräner Gebieter. Das Land ist ihrGut, ihre Sache; sie verwaltet eS nach ihrem Gutdünken.Die preisgegebenen Klassen haben während der langen Dauer eineShalben Jahrhunderts die zahlreichen Ungerechtigkeiten dieses Systemsertragen..... Müde, zu leiden und als Wesen nieverer Art in ihremLande behandelt zu werden, verlangen sie die Revision des Art. 47 derVerfassung und das allgemeine Stimmrecht.Der Artikel 47 der Verfassung stemmt sich jeder Wahlreform entgegen.Er muß revidirt werden.Die Weigerung, der gewaltigen Mehrheit des Volkes, Denen, die denBesitz des Stimmrechts verlangen, Genugthuung z» geben, heißt eineKrise heraufbeschwören, die vernichtende Folgen für das Land habenkönnte.Die Unterdrückung deS Zensusprivilegiums und die Ertheilung desStimmrechts an alle Staatsbürger heißt die Ruhe in den Gemüthernwiederherstellen, heißt den Arbeitern gestatten, Vertreter ihrer Sache zuernennen, die sich mit Allem zu beschästigen haben, was auf die Ver-befferung deS Looses der Arbeiter Bezug hat."...Wie man sieht, hält sich die Adreffe durchaus auf dem Boden dessen,was das Programm der bürgerlichen Demokratie bildet.Trotzdem haben die bürgerlichen Demokraten Brüssels unter nichtigemVorwande die Theilnahme an der Demonstration abgelehnt. Manüberließ die Demonstration für ein demokratisches Volksrechteinzig und allein den Arbeitern und bewies damit auf's Neue,daß es eine ernsthaft kämpfende bürgerliche Demokratie überhaupt nichtmehr gibt.Daß die Demonstration, abgesehen von dem moralischen Erfolge, de«schon jetzt feststeht, auch einen greifbaren politischen Erfolg haben wird,ist, wie die Sachen heute stehen, kaum anzunehmen. Die herrschendenKlassen Belgiens machen nicht die geringste Miene, auch nur ein Titel-chen ihrer Vorrechte gutwillig aufzugeben. Nun, die Arbeiter werden dieLehren aus dem Verhalten ihrer Herrscher und Unterdrücker schon zuziehen wissen, sie werden die Agitation für ihre politischen Rechte nichtausgeben, sondern unablässig für ihre Forderungen Propaganda machen,aber sie werden auf neue Mittel sinnen, sich die vorenthaltenen Rechtezu erobern, und mögen sich die Herrschenden in ihrem Besitz nochso sicher dünken— die Stunde ihrer Herrlichkeit hat trotz alledem ge-schlagen.— Das gute Gewissen der Jhring»Mahlow-Richter hatsich vortrefflich in der schriftlich ausgeserttgten Urtheilsbegründung