verschiedensten Altersstufen, obgleich in ihrer naturwüchsig brutalen kapita- listischen Form, wo der Arbeiter für den Produktionsprozeß, nicht der Produktionsprozeß für den Arbeiter da ist, Pestquells des Verderbens und der Sklaverei, unter entsprechenden Verhältnissen umgekehrt zur Quelle humaner Entwicklung umschlagen muß." Natürlich bin ich sehr weit davon entfernt, aus diesen Ausführungen den Schluß zu ziehen, als ob man überhaupt nicht dazu beitragen könne und müsse, dem zunehmenden Elende des Proletarier- Familienlebens abzuhelfen. Das hieße die Bedeutung der Schutzmaßregeln bestreiten, welche die Aufrechterhaltunz der Arbeiterklasse im Allgemeinen zum Ziele haben, wie z. B. die Verkürzung des Arbeitstags, Verbot der Sonntags- und Nachtarbeit, Anwendung hygienischer Maßregeln in Ar- beitsräumen zum Schutze der Gesundheil der Männer und der Frauen, besondere Maßregeln zum Schutze der Frauen vor, während und nach der Entbindung, Maßregeln, welche gewiß von viel größerer Tragweite sind, als das Herausreihen einiger Tausend Arbeiterinen aus einzelnen Arbeitsgebieten, ohne ihnen dafür Ersatz bieten zu können. Wir lassen für Männer und Frauen den Grundsatz gelten, daß eS Forderungen gibt, die wir Sozialisten in Betreff ihrer an die moderne Gesellschaft stellen dürfen, ohne daß wir irgendwie gegen die wissen- schaftliche Auffassung der wirthschastlichen Verhältnisse verstoßen. Allein wir können dies nur auf Grund sehr genau präzistrter Entwürfe, welche von Organisationen männlicher und weiblicher Arbeiter gemein- schaftlich ausgearbeitet werden. Sollten sich dann unter den auf diese Weise gestellten Forderungen solche finden, die auf das Verbot irgend welchen Zweiges der Industrie oder irgendwelcher Frauenarbeit hinaus- laufen, so würde keiner der Einwände zutreffen, welche jetzt gegen Auf- oktroyirung mitunter vermeintlicher Schutzmaßregeln für Frauen, ohne daß die letzteren darüber mitbestimmten, erhoben werden. Sobald wir für Arbeiterschutzgesetzgebung überhaupt eintreten, wie unsere Partei es von jeher gethan hat, ist selbstverständlich damit die Möglichkeit verbun- den, daß dieses oder jeneS Verbot, zu Stande kommen kann. Nur muß man streng unterscheiden zwischen einer Forderung, welche das Verbot der Arbeit des einen Geschlechts— was mit den elementarsten Begriffen der modernen Wirthschast in Widerspruch steht, wie schon zur Genüge hervorgehoben wurde zum Prinzip— erhebt, und gelegentlichen ausnahms- weisen Verbotsforderungen, an welchen die Frauen sich ebenfalls betheiligen. Ich behaupte nur, daß die Forderung des Verbots aller die Gesund- heit und Sittlichkeit schädigenden Frauenarbeit, von uns an die jetzige Gesellschast gestellt, prinzipiell falsch ist, ein verkehrtes Mittel, welches von uns nicht befürwortet werden kann, ohne daß wir uns eine Hand- lungsweise zu Schulden kommen lassen, analog derjenigen der Arbeiter, welche zu Anfang unseres Jahrhunderts das Uebel der Lohnherabdrück- ung dadurch zu beseitigen suchten, daß sie einfach die Maschinen zer- schlugen; oder etwa„bewußter" männlicher Kapitalisten, welche der Konkurrenz innerhalb der Kapitalistenklaffe dadurch entgegenwirken wollten, daß sie es den weiblichen Besitzern von Kapitalien gesetzlich ver- bieten, sich konkurrirend auf dem Weltmarkt zu betbeiligen. Nur wäre die Ausrechterhaltung unserer bisherigen Stellungnahme unsererseits um so unverzeihlicher, je mehr wir darüber klar sind, daß der Eintritt der Frau in das industrielle Leben ein wesentliches Element des Fortschritts der modernen wirthschastlichen Entwicklung ist, eine Folge des Fortschritts der Technik. Ebensogut dürsten sonst die Frauen gegen die Kinderarbeit auftreten, mit der Motivirung, daß die Kinder ihnen Konkurrenz machen. Nun, gegen Schutzgesetze für die Kinder kann man wohl nichts ein- wenden. Sie brauchen eben Bevormundung, während die Frauen, als erwachsene verantwortliche Menschen, jedenfalls Anspruch darauf erheben dürfen, mitzubestimmen, welche Maßregeln zu ihren Gunsten angewendet werden sollen. Würde aber die Kinderarbeit abgeschafft, so bleibt es fraglich, ob die Kinder durch Frauen ersetzt würden, da Kinder Haupt- sächlich dort beschäftigt werden, wo keine Maschinerie verwendet wird, weil die Kinder billiger zu haben sind, oder dort, wo die Maschinerie schon so weit entwickelt ist, daß auch die Kraft einer erwachsenen Frau nicht mehr erfordert wird. Jedenfalls bestimmt in allen solchen Fällen nicht die Gesetzgebung, sondern die Technik. Aber nicht nur wegen der ihm zu Grunde liegenden Inkonsequenz dürfen wir den Versuch der Beseitigung einer unbequemen Konkurrenz nicht befürworten, sondern auch deshalb nicht, weil es sich hier um keine bloße todte Maschinerie handelt, sondern um eine große Zahl von Leidens- und Kampfgenoffinen, die durch ihre ganze Lage mehr und mehr dahin gedrängt werden, mit uns gemeinschaftliche Sache zu machen. Statt diesen, sich täglich mehrenden Theil der Arbeiterklaffe gesetzlich hintan- setzen, der Armenpflege überliesern zu wollen, ist unsere Aufgabe eine viel höhere, wenn auch viel schwierigere. Wenn wir unserer Aufgabe bewußt sind, so dürfen wir ebenso wenig nach dem Geschlechte wie nach der Nationalität oder der Religion irgend eines Theils der Arbeiterklaffe fragen. Unsere Pflicht ist es, nach Kräf- ten für die Verbreitung der Aufklärung, der Organisation, für Stärkung des Solidaritätsgesühls und des Gleichheitsbewußtseins zu sorgen. Und besonders erheischt die jetzige Zeit ein positives agressives Auftreten unsererseits, wo die deutschen Arbeiterinnen plötzlich so energisch mit so rein proletarischen Forderungen aufgetreten sind, wie die Frauen keines zweiten Landes, wo sie Forderungen aufstellen, zu denen die Arbeiter erst nach dreißig Jahren politischer Thätigkeit gelangt sind. Natürlich soll damit nicht behauptet werden, daß sie etwa gescheidter seien wie die Männer, sondern die rapide wirthschaftliche Entwickelung und die Auf- klärung der Massen, die in Deutschland eine Höhe erreicht hat wie sonst nirgends, bedingt, daß wo die Arbeiterinnen überhaupt auftreten, sie es mit Klassenbewußtsein und zeitgemäßen Forderungen thun müssen. Nur darf man sich deshalb noch nicht der fatalistischen Auffaffung hingeben, als genüge die wirthschaftliche Entwickelung allein, die Aufklärung der Frauen zu besorgen. Daß die wirthschaftliche Entwickelung und die Er- kenntniß derselben nicht gleichbedeutend sind, das brauchen wir den vielen Männern in den Kulturländern, welche seit Jahrzehnten für die große Sache der Aufklärung der Proletarier thätig sind, nicht zu sagen. Wäre dem so, so mühten die Arbeiter Englands und Amerikas an der Spitze der aufgeklärten Arbeiter stehen, diejenigen Deutschlands aber politisch noch in den Kinderschuhen stecken, während thatsächlich die Sache umge- kehrt liegt. Hier ist es daher Sache der schon Aufgeklärten, auf das Ent- schiedenste für die Aufklärung der Arbeiterinnen einzutreten. Am allerwenigsten aber dürfen wir Forderungen ausstellen, welche irgendwie auf Bevormundung des einen Geschlechts von Seiten des anderen hinauslaufen. Denn das hieße den Frauen gegenüber die Stellung einnehmen, welche bis jetzt von der Bourgeoisie den Arbeitern gegenüber eingenommen wurde, was auch dann nicht zu billig»», wenn anzunehmen wäre, was entschieden nicht anzunehmen ist, daß wir bei der Ausarbei- tung einer bestimmten Maßregel immer das Richtige treffen würden. Und wir wollen unseren Parteigenossen offen sagen, daß viele unter ihnen in dieser Hinsicht nichts weniger als fozialistisch denken. Wir sind eine hauptsächlich theoretische Partei. Unsere Praxis kann unmöglich darauf gerichtet fein, auf die Gesetzgebung maßgebend einzu- wirken. Unsere Aufgabe ist es, im Volke Aufklärung zu verbreiten, die Erkenntniß unserer wirthschastlichen und politischen Anstände und des modernen wirthschastlichen Entwickelungsprozeffes in immer ausgedehntere Kreise hineinzutragen. Und es ist für unS daher von der größten Wich- tigkeit, daß unsere Stellungnahme bei jeder neuen Tagesfrage eine rich- tige, nach allen Richtungen hin theoretisch aufrecht zu erhaltende sei. Besonders trifft dies da zu, wo eS sich um Gewinnung einer Masse Alliirter handelt. *■ Vor Jahren, zur Zeit, wo das jetzige Programm aufgestellt wurde, mag die paffive Stellungnahme der Partei vielleicht taktisch richtig ge- wesen sein. Damals entsprach die Lage der deutschen Arbeiterinnen der ganzen bisherigen niedrigen Stellung der Frau in einem Lande, wo die Universitäten noch heute den Frauen geschloffen sind, nachdem sie in allen anderen Kulturländern den Frauen Zutritt gewähren, wo die Gymnasien den Mädchen ebenso wenig zugängig sind wie die höheren Berufe den Frauen. Jetzt aber ist die Lage der Arbeiterinnen eine andere geworden. Nach Zehntausenden sind sie durch die rapide Entwickelung des indu- striellen Lebens in daffelbe hineingezogen worden, und dadurch sowie durch die Thatsache, daß sie von einer so fortgeschrittenen Arbeiter- bewegung umgeben sind, sind sie, man kann fast sagen, instinktiv dahin gekommen, Forderungen zu stellen, die klarer und weitergehender sind als diejenigen, welche in anderen Ländern gestellt werden von Frauen, die seit einem halben Jahrhundert mitten in einer rührigen Frauen- bewegung stehen. Hier genügt es nicht, daß einzelne Fachvereine oder einzelne Sektionen unserer Partei den Frauen entgegenkommen, hier
liegt es an uns als Partei, welche durch die Logik der Verhältniffe dazu gekommen ist, wie es im Anfange dieses Aufsatzes(Nr. 3Z) her- vorgehoben wurde, jetzt bewußt den sich regenden Arbeiterinnen die Hand zu reichen, sie nach Kräften zu unterstützen und ihre weitere Auf- klärung zu befördern. Vor allen Dingen aber sollten wir aus unserem Programm den Paragraphen streichen, der eine große Zahl von Arbeite« rinnen mit Brodlosigkeit bedroht, der Willkür wenn auch seitens ihrer Klassengenossen preisgibt, und ebenso sollten wir den Paragraphen über Stimmberechtigung so präzisiren, daß für keinen Menschen Zweifel darüber bestehen kann, daß wir dieselbe auch für die Frauen verlangen.
Sozialpolitische Rundschau.
— Das Ereigniß des Tages ist die Palastrevolution in Bul» garten.„Alexander III. braucht Erfolge und wird sie um jeden Preis zu ergattern suchen," schrieben wir in voriger Nummer. Nun, der all- mächtige Feigling hat seinen„Erfolg" weg, zwar nicht auf„dem Felde der Ehre", wo sich sonst Fürsten ihren Lorbeer zu erringen suchten, son- dern aus dem Felde der I n t r i g u e. Der„Hort der Ordnung und des Gesetzes" in Europa hat in Bulgarien eine Revolution angezettelt und den gesetzmäßigen Fürsten dieses Landes aus höchst ungesetzliche Weise stürzen lassen. Wenn Zwei dasselbe thun, ist es nicht daffelbe. Den Beherrschten predigt man Gesetzlichkeit, die Herrschenden aber pfeifen aus die Gesetze, wann und wo es ihnen paßt. Jetzt zeigt es sich aufs Deutlichste, daß die fortgesetzten Hetzereien der russischen Preffe ihren guten Zweck hatten und thatsächlich, woran übri- gens kein vernünftiger Mensch auch nur einen Augenblick gezweifelt hat, bestellte Arbeit waren. ES wurde auf Deutschland geschimpft, über Deutschlands „Undankbarkeit" gejammert, mit dem russisch- französchen Bündniß gedroht, um Deutschlands Zustimmung zu der neuen Mogelei auf dem Balkan zu erzwingen oder wenigstens vor der Welt zu m o t i v i r e n. Denn es bleibt ja immerhin möglich, daß Bismarck von vornherein bei der Mogelei die Hand im Spiel hatte. Wie dem aber auch sei, ob er nun freiwillig oder als Mitschuldiger seine Zustimmung zu den, durch den ruffischen Rubel bewirkten Ge- schehniffen gibt, immer kennzeichnet sich Bismarck's Politik in dieser Frage als eine überaus erbärmliche. Oder ist es etwa nicht er- bärmlich, wenn der Vertreter der nationalen Interessen Deutschlands durch seine Organe sofort der Welt verkünden läßt:„Deutschs Jnter- effen werden durch diese oder andere bulgarische Bewegungen nicht be< rührt"? Würde es sich wirklich nur um eine interne Angelegenheit Bul- gariens handeln, so ließe sich gegen solche Auffaffung der Dinge gewiß nichts einwenden, thatsächlich aber handelt es sich um eine ganz außerordentliche Ausdehnung derMachtsphäreRuh- lands auf dem Balkan , und damit überhaupt in Europa . Es kann uns an sich natürlich gleichgültig sein, wer Fürst von Bul - garien ist, wenn dieses Land eine wirkliche Selbständigkeit besäße. Aber den Battenberger um eines ruffischen Werkzeuges willen fallen lassen, das ist eine Politik, die einem wirklich national gesinnten Deutschen die Schamröthe in's Gesicht treiben müßte, und die daher in Deutsch - landauch blos von den— National liberalen gutgeheißen wird. Daß die Bulgaren , das heißt die bulgarischen Politiker, den Für- sten, der noch soeben an der Spitze seines Heeres für die Unabhängig- keit des Landes gekämpft, Rußland zum Opfer brachten, ist zu natür- l'ch, als daß wir uns darüber besonders aushalten sollten. Rußland hat ihnen eben mehr versprochen, als Alexander leisten konnte. Als er im vorigen Jahre, nach dem Staatsstreich von Philippopel, von Ruß- land fallen gelassen, von Serbien im Auftrage Oesterreichs drangsalirt wurde— während Bismarck ruhig dreinsah— sah sich der Battenberger gezwungen, mit der Türkei zu paktiren und dieser Konzessionen zu machen. Das haben nun seit Monaten die russischen Agenten in Bul - garien weidlich ausgenutzt. Es ist-gar keine Aussicht vorhanden, sagten sie, daß Ihr mit dem Battenberger gegen Rußland zu einer Vereinigung mit Euren mazedonischen Brüdern kommt, der hat sich und Euch den Weg dazu verrammelt. Jagt ihn fort oder Ihr werdet auf die Erfüllung Eurer heißesten Wünsche Verzicht leisten müssen. Das zog und das Uebriae leistete der„Rubel auf Reisen". In einem Lande, wo der Abstand zwischen den Gebildeten und der großen Maffe des Volkes ein so gewalttger ist wie in dem halbkulttvirten Balkanstaate, findet Korruption und politische» Streberthum ein ganz besonders dank- bares Feld. Und die Streber haben in diesem Fall den Vortheil, sich als Streiter für die nationale Unabhängigkeit aufspielen zu können. Sie sind jetzt wieder unabhängig, die Bulgaren , sie sind ihrer Verpflichtungen gegen die Türkei ledig, um— die Sklaven Rußlands zu werden. Bilden sie sich ein, daß Väterchen sie um ihrer selbst willen befreit? Di- Zu- rechnungsfähigen unter ihnen gewiß nicht. Aber sie bilden sich ein, sie können Rußland gegenüber dieselbe Roll« spielen, wie Italien gegenüber Frankreich . Dabei vergessen sie aber ganz die übrigen Unterschiede und die notorischen Bestrebungen der ruffischen Politik. Früh genug werden sie inne werden, daß sie für den Selbstbeherrscher aller Reußen gearbeitet. Wir betonten in voriger Nummer die Nachricht, daß in W i l n a, hart an der preußischen Grenze, 12 russische Armeekorps gegen einander manövriren werden. Sie hat sich nicht bestätigt, der Plan, der Zweifels- ohne bestanden hat— der sehr ernsthafte Petersburger Korrespondent der„Daily News" behauptete wieberholt und auf das Entschiedenste sein Bestehen— scheint zurückgezogen zu sein, man thut wieder schön mit Deutschland , das zum so und sovielten Male gegenüber den russi- schen Stänkereien„wohlwollende Neutralität" beobachtet. Warum? Siehe Frankreich . Seitdem sich Deutschland durch die Annexion Elsaß-Lothringens Frank- reich zum Feind gemacht, ist es dazu verdammt, dem halbbarbarischen Zarenreich die erniedrigendsten Hand- und Spanndienste zu leisten, muß es-inen Preis nach dem andern zahlen, um die Neutralität Rußlands für den Fall eines Krieges mit Frankreich zu erkaufen. In wenigen Tagen feiert das offizielle Deutschland den Tag von Sedan. Das deutsche Volk hat alle Ursache, diesen Tag nicht zu feiern. Von ihm datirt der Siegesrausch, der Annexionstaumel, an dessen Fol- gen, der Verfeindung zweier der vorgeschrittensten Völker Europas , wir noch heute leiden. Die„wiedergewonnenen Brüder" wissen dem deutschen Volke wenig Dank für ihre Loireißung von Frankreich , ihre „Befreiung" hat uns nur Feinde gemacht. Immer deutlicher zeigt es sich, daß Diejenigen die besten Freunde des deutschen Volkes waren, die damals ausriefen:„Keine Annexionen! Ein billiger Friede mit dem französischen Volke!" und die man dafür als vaterlandslose Beräther denunzirte und prozessirte.
— Alle Personen find vor dem Gesetze gleich— lauten die bezüglichen Bersassungsparagraphen der verschiedenen deutschen Vater- länder. Wohlan! Der Richterspruch des 4. August hat neun Sozial- demokraten zu schweren Gefängnißstrafen verurtheilt, weil sie durch Begünstigung der Verbreitung des verbotenen„Sozialdemokrat" die „Annahme rechtfertigen", sie hätten eine Anordnung der Obrigkeit oder ein Gesetz unwirksam machen wollen und sich dadurch eines Verstoßes gegen§ 129 des R.-St.-G.-B. schuldig gemacht. Ein eigenthümlicher Zufall hat es gefügt, daß gerade in diesen Tagen ein geheimes oder„ganz vertrauliches" Zirkular einiger konservativen Herren, darunter des Herrn v o n K ö l l e r, des bekannten parlamen- tarischen Lustigmachers und Führers der konservativen Partei, in die Oeffentlichkeit gelangte, welches Zirkular sich an die O f f i z i e r e des deutschen Heeres richtet und diese auffordert, den„Berein zur Verbrei- tung konservativer Zeitschriften" mit Geld und moralisch zu unter- stützen. Daß ein Verein zur Verbreitung konservativer Zeitungen ein poli- tischer Berein im eminentesten Sinne des Wortes ist, wird von Niemandem bestritten werden. Nun besagt aber§ 49 des ReichLmilitärgesetzeS, daß den Offizieren jede Theilnahme an einem politischen Vereine untersagt ist. Daß die Unterstützung eineS Vereins durch Geld oder„mora- lische" Mittel eine„Theilnahme" ist, wird ebenfalls von keinem vernünftigen Menschen bestritten werden können; denn Theilnahme
und Mitgliedschaft ist zweierlei, und außerdem ist der fragliche Verein zur Verbreitung konservativer Zeitschriften ein solcher, bei dem die Theilnahme und selbst auch die Mitgliedschaft gerade durch die „Unterstützung" mit Geld tc. bedingt wird. Der Zweck jenes K 49 des Reichsmilitärgesetzes ist der Absicht und dem Wortlaute nach: die Offiziere von dem Parteileben fernzuhalten— er verbietet ihnen also eine Thätigkeit wie diejenige, zu der Herr von Köller, beiläufig ein Intimus des Kriegs- Ministers, sie in diesem seinem„ganz vertraulichen" Zirkular auf« fordert. Herr v. Köller und Genossen haben sich hiernach— die Echtheit des„ganz vertraulichen" Zirkulars vorausgesetzt, und wäre eS nicht echt, so wäre längst ein Dementi erfolgt—, indem sie die Offiziere des deutschen Heeres zu einer Thätigkeit auffordern, welche geeignet ist, „ein Gesetz unwirksam zu machen", sich unzweifelhaft eines Verstoßes gegen Z 129 deS Reichsstrafgesetzbuches schuldig gemacht und müssen, wenn anders die Gleichheit vor dem Gesetz kein leerer Wahn ist, deshalb zur Verantwortung gezogen und bestraft werden. Ist denn kein Staatsanwalt da? Sind denn keine Richter da? Ist denn kein Justizminister da? Jedenfalls liegt die Sache für den Strafrichter in diesem Falle durch- aus klar; es bedarf keiner künstlichen„Annahmen" und gewaltsamer Rechtsbeugungen und-Verrenkungen. Der Beweis der Schuld liegt greif« bar da, und da es sich hier um ein Reichs gesetz und nicht blos um ein polizeiliches Ausnahmegesetz handelt, so inuß selbstoer« ständlich das Urtheil weit strenger ausfallen als gegen die Opfer des Freiberger Prozesses. Kurz, so gewiß es noch Richter und Staatsanwälte in Deutschland gibt, die ohne Ansehen der Person das Gesetz anwenden, wird Herr v. Köller nebst seinen Genossen demnächst die Bank der An- geklagten und dann irgend ein hinterpommer'sches Ge- sängniß zu zieren haben.
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— Die nationalliberale Presse leistet in der gegenwärtigen Hätz gegen die Sozialdemokratie wieder das Höchste und läßt sogar die ko n> s e r v a t i v e Preffe weit hinter sich. Daß die Nationalliberalen ganz besonders bös auf die Sozialdemokraten zusprechen sind, kann uns nicht Wunder nehmen, denn sowohl aus politischem wie auf sozialem Gebiet sind die Sozialdemokraten die vollständigsten Antipoden dieser reaktionären Bourgeois, die sich, mit der ihnen eigenen Verlogenheit „nationalliberale Partei " nennen. WaS nun die gegenwärtige Hätz an- belangt, so unterscheidet sie sich von den früheren blos durch die etwas größere Rohheit der Sprache— ein Umstand, der sich daraus erklärt, daß die sogenannte„öffentliche Meinung" gegen die Sozialdemokraten nicht im Mindesten aufgebracht ist, und man, um die bekannte 1878er Attentatsstimmung künstlich zu erzeugen, zu den schärfsten Mitteln des Schimpsens und Verleumdens seine Zuflucht zu nehmen für nöthig hält. Das bekannte„Du schimpfst, also hast Du Unrecht," paßt aus die nationalliberale Presse. Sie schimpft, weil sie Unrecht hat— sie schimpft, weil sie weiß, daß dem Feind, welchen sie fürchtet und deshalb mit alle« Waffen vernichten möchte, auf ehrlichem Wege nicht beizukommen ist. Durch ihr Schimpfen legt sie also ein unfreiwilliges Zeugniß zu Gunsten der Sozialdemokraten ab. Eine ganz besondere Gemüthsrohheit bekundet die nationalliberal« Presse bei Besprechung der Hamburger Verhaftungen. Ueber die- selben wird nicht nur in der unverschämtesten Weise gelogen— das wollten wir noch hingehen lassen— das Lügen ist ein„moralischer Defekt", für welchen der von ihm Behastete, aus die moderne Wissen- schaft gestützt,„mildernde Umstände" und beschränkte Verantwortlichkeit plaidiren kann— es werden auch noch obendrein die Opfer dieser Polizeirazzia, und das ist das Empörendste bei der Sache, in schamlos frecher Weise verhöhnt und verspottet. Daß man dem entwaff' neten, zu Boden geworfenen Feind mit achtungsvollem Anstand begez- nen soll, ist eine Regel, die selbst von wilden Indianern begriffen und befolgt wird. Indem dieses nationalliberale Preßgesindel diese»infachst« Regel des politischen Anstandes mit Füßen tritt, kennzeichnet es nur sick selbst und drückt sich das Brandmal der Infamie auf,- namentlich wenn man bedenkt, daß die angeblichen Verbrechen der Hamburger und anderer Genossen Handlungen sind, die— von der Verschiedenheit des Ziels abgesehen— von Mitgliedern einer jedenPartet begangen werden und begangen werden müssen, wenn überhaupt eine Partei und ein Parteileben bestehen soll. Beiläufig rühren die unverschämten Lügen über die Hamburger Affaire von dem berüchtigten Engel her, der aus der Mücke einen Elephant machen will, um sich als großer Staatsretter hin- zustellen. Daß es auch diesmal nichts mit der StaatSretterei ist, brauche» wir unfern Lesern gar nicht erst zu sagen.
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— DaS Monströse deS UrtheilS im Freiberger Prozeß besteht darin, daß es, von der juristischen Regel abweichend, statt auf That- fachen, sich nur auf Annahmen gründet, und obendrein aus rei» willkürliche und geradezu absurde Annahmen. Denn kei« Mensch mit seinen fünf Sinnen wird im Ernst glauben, daß die Führe« einer großen politischen Partei sich mit der Verbeitung verboten«« Schriften befassen oder gar diese Verbreitung zum Zweck haben. Rückblick hinter das„tolle Jahr" wird die kolossale Albernheit dies«« Freiberger„Annahme" klar machen. Vor 1348 wurde bekanntlich di« Verbreitung verbotener Schriften in großartigem Maßstabe betriebet weit großartiger als jetzt. Damals war es das B ü r g e r t h u m, de» eS durch die deutschen Preßverhältniffe unmöglich gemacht wurde, sei» Lesebedürsniß mit gesetzlich erlaubter Lektüre zu befriedigen. Es grifl also zur verbotenen Lektüre. Und damals kam das Sprichwort auf: Verbot ist das beste Mittel, einem Buch einen guten Absatz zu sicher» Wie wurden damals nun die verbotenen Schriften verbreitet? M»' schmuggelte sie aus dem Ausland herüber— ganz wie heute— um die Buchhändler besorgten den Vertrieb. Heute sind's keil» Buchhändler, weil diese durchweg der sozialdemokratischen Bewegunl feind sind. Heute wird das durch Andere besorgt— das ist d«« ganze Unterschied. Damals ist es aber Niemand eingefallen, die Hecker, Itzstein Matth y, Robert Blum u. s. w. für die Verbreitung der v«« botenen Schriften zur Strafe zu ziehen. Daß die Genannten an dies» Verbreitung ihre„Freude" hatten, ganz so wie die Freiberger Ang' klagten, das versteht sich von selbst, allein damals gab es noch kein Richter, die sich soweit in den mittelalterlichen Jnqusitionsprv z e ß hineingelebt hatten, daß sie, gleich jenem Freiberger Richter,» politische Angeklagte die Frage richten konnten:„ F r e u e n Sie si über die Verbreitung verbotener Schriften?" Oder„wünschen dieselbe?" Kurz, auf Grund einer willkürlichen und obendrein notorisch fal schen Annahme erfolgte das Freiberger Urtheil. Als im Jahr 1878 bei Berathung des Sozialistengesetzes von dess» Gegnern der Einwand erhoben ward:„Wenn die Sozialdemokrat» gegen das Gesetz verstoßen, dann bestrafe man sie nach dem Gesetz
da" antworten die Väter und Geburtshelfer deS Sozialistengesetzes: 3i das Gesetz würde schon genügen, wenn nicht zu einer B e r u r t h e!
lung auf Grund des gemeinen Rechts der juristis«� Beweis gehörte, der meist schwer, oft gar nicht zu erbringen» Für die Polizei- und Verwaltungsorgane genügt die bloße Annahm« deshalb bedürfen wir eines Polizeigsfetze S." Im Freiberger Urtheil ist ausdrücklich zugestanden, daß die„j u r i ß schen Beweise" fehlen; und ist ausdrücklich die Berurtheiln» auf bloße Annahme begründet. Der heiligste Rechtsgrundsatz ist durch die Freiberger Richter l'
o p s«a t und die polizeiliche Willkür auf den Richte« strahl gesetzt worden!
Darum ist dieses Urtheil gewissermaßen epochemachend und hat o" immer keinen berufenenBertheidiger gefunden. J«t>» mann fühlt, hier liegt nicht blos ein Justizmord vor, sondern n» ein Mord der Justiz.; Das amtlich« Organ der sächsischen Regierung versucht eS in ei»« charakteristischen Artikel wenigstens, eine Lanze zu brechen für die F«« berger Richter. Der Artikel, welcher durch zwei Rummern deS Bl«» geht und offenbar im Austrage des Veranstalters dieses traurigen zesses, des Herrn Abelen, verfaßt ist, sucht die Qualität durch Quantität zu ersetzen, bringt es aber nur zu einer Entschuldig»» welche zeigt, wie selbst den abgebrühtesten Bureaukraten— und nur«1