zweite Ehe Töpfer'« keine glückliche war, gab sich der Vater allmältg dem Trunk hin, während die Stiefmutter die Kinder zum Bettel aus- schickte, wobei sie ihnen gebot, sich falsche Namen beizulegen und falsche Angaben zu machen. Kamen die Kinder dann nach Hause, ohne„ge- nügend" erbettelt zu haben, so wurden sie mit Schlägen traktirt. AlS sie wegen des Bettelns vor Gericht geladen wurden, gebot ihnen die Stiefmutter, sie sollten aussagen, daß sie das Betteln au« eigenem Antrieb thäten. Sie haben dies jedoch nicht gethan, vielmehr der Wahrhett gemäß ausgesagt, daß sie seitens der Eltern zum Betteln aus- geschickt würden. Die Stiefmutter, darüber erbost, hatte sie dann wieder tmßhandett und namentlich der Bertha mit einer Feuerschippe Rücken und Kopf total zerschlagen. Daraufhin wurden sie behördlich den Eltern genommen und Bertha im Rettungshause zu Schildesche untergebracht; was aus ihrem Bruder geworden, darüber hat sie nichts erfahren. Dies das Borleben der Bertha Töpfer; den weiteren Verlauf siehe in voriger Rummer. Sticht wahr, Herr Staatsanwalt Günther, w i r haben umfangreiche Ermittelungen angestellt? Was wir hier mittheilen, sind Thatfachen, an denen sich nicht rütteln läßt, was aber die angeblich eigenen Aussagen der Bertha Töpfer betrifft, so haben dies« denselben Un- werth, wie Aussagen, welche mittelst der Folter erzwungen werden, denn Bertha Töpfer wird widerrechtlich gefangen ge- halten. Wenn Sie, Herr Staatsanwalt Günther, dann weiter argumentiren: Es wäre au» in der That nicht abzusehen, warum ein Recht, wel- che» der Besserungsanstalt bezüglich der ihr im strafunmündigen Alter Ueberwiesenen gesetzlich eingeräumt ist, ihr bezüglich der im strasmündigen Alter Zugebrachten nicht zustehen sollte", so sind wir Ihnen sehr dankbar für dieses Ihr Geständniß. Die Herr« schaft der Knute wiederherstellen, für Kinder wie für Erwach- jene, das ist Ihr Ideal, nicht wahr, Herr Günther?— Wir werden beim„Väterchen an der Newa" einen Knuten-Orden für Sie beantragen. Sodann behaupten Sie, die von der Bertha Töpfer ausgeführten Diebstähle feien der Anlaß zu der Züchtigung(wie Sie e« nennen) der- jelben seitens des Pastors Mangelsdorf gewesen. Worin diese„Diebstähle" bestanden, haben wir bereits gezeigt. Das Mädchen hatte sich 2 Eier und einen Haarpfett im Werthe von 15 Pf. angeeignet, bei Beurtheilung welcher That noch in Betracht zu ziehen ist, daß sie, obwohl schon IS Jahre alt, nie Geld im Besitz hatte, da ihr Hohn an das„Nettungs- haus" gezahlt wurde, und sie bei jedem Bedürsniß sich an die drei Stunden entfernte Anstalt zu wenden hatte. Außer Stande, sich einige Haarnadeln anzuschaffen, um ihr Haar aufstecken zu können, nimmt sie sich einen Haarpfeil im Werthe von 15 Pfg.— welch' ein Verbrechen I WaS sodann die Entwendung der zwei Eier betrifft, so denke man sich, was das heißt auf einem Bauernhofe, wo viele Hühner sind und infolgedessen häusig Eier sozusagen herumliegen I Wenn der Bauer Riederbeckmann Schamgefühl besäße, so würde er sich geschämt haben, dies auch nur zu erwähnen. Aber bei diesem Bauern soll es mit dem Effen für die Dienstboten gerade nicht sehr reichlich hergehen. Kann man hier doch überall die Kinder nachfolgenden Reim singen hören: „In einem Ort bei Herford ,— Da gibt es Mucker viel,— Besonders wohnt ein Mucker dort,— Der treibt ein böses Spiel.— Der hat 'ne Dienstmagd engagirt— AuS dem Schildescher Rettungshaus,— Doch die ist gründlich angeführt,— Da gibt's nicht viel zum Schmaus.— Bei schwerer Arbett, hart und viel,— Reicht ihr die Kraft nicht aus»— Sie denkt, das ist ein böses Spiel,— Ich trink' zwei Eier aus----" Mit einem Wort, die Entwendung von zwei Eiern und einem Haar- pseil ist unter den geschilderten Uniständen sicher sehr milde zu beur- theilen. Wenn Damen der sogenannten besseren Gesellschaft„langfingern", fo wird das in jenen Kreisen gewöhnlich„Kleptomanie", krankhaste Neigung zum Stehlen, genannt, bei einem armen, völlig mittellosen Dienstmädchen aber wird die geringste Aneignung, wenn auch aus Roth begangen, Diebstahl genannt, der streng bestraft werden muß. Wo- für sind wir denn fromme Christen, die da salbungsvoll über das Gleichniß vom Splitter und Balken predigen! Ja, ja: „Nimm ein paar Eier, bist Du Sünder, Nein, mehr als das, bist Dieb, Nicht Gott , noch Menschen lieb! Nimm tausend Thaler, bist du Schwindler schon, Doch nimmst Du eine Million, Bist Du nur Gründer!" Nicht wahr, Herr Günther, das ist die moderne Moral? Ferner, plädiren Sie, sei„eine strenge Züchtigung des in hohem Grade verwahrlosten Mädchens durchaus am Platze gewesen." Wir richten an alle Diejenigen, welche die Bertha Töpfer näher kennen gelernt, mit Ausnahme Derjenigen, welche am Verbrechen gegen dieselbe betheiligt sind, die Frage: Ist das wahr oder ist sie nicht im G e g e n t h e i l ein anständiges, bescheidenes und fleißiges Mädchen? Wie können Sie sich, Herr Staatsanwalt Günther, erdreisten, das Mädchen ein im hohem Grade verwahrlostes zu nennen? Glauben Sie sie deshalb fo beschimpfen zu können, weil sie arm ist? Pfui über Sie! Weiter schreiben Sie:„bei Bbwesenhett und Verhinderung der mtt der Vornahme der Züchtigung sonst beauftragten Personen hat sich Pastor Mangelsdorf der Mühe j!) derselben persönlich unter- zog« n." Da muß der Herr Pastor wohl gar noch einen Orden dafür haben, daß er sich der„Mühe des Schlagens" persönlich unterzogen? Diese Mühe scheint bei Pastor Mangelsdorf schon mehr Vergnügen zu sein, da er sich derselben fast immer persönlich unter- zieht. Für einen Mann, der sich erwachsene Mädchen unter der Vor- fpiegelung nach der Anstalt rufen läßt, er wolle ihnen das Abendmahl ertheilen, um sie sodann derart zu schlagen, daß sie wochenlang arbeits- unfähig sind— für einen solchen Unmenschen ist das Schlagen doch wohl mehr Wollust als Mühe! Nach Ihrer Angade, Herr Staatsanwalt Günther, soll Pastor Man- gelsdorf dem Mädchen nur 22 Hiebe mit einem dünnen Rohr- stock(von ungefähr 1 Zentimeter Dicke) versetzt haben, welche daumen- breite(I) Striemen zurückgelassen, dem Mädchen längere Zeit Schmerzen verursacht und eSauf 12—14 Tage arbeitsunfähig gemacht haben. Wo habe» Sie das her, Herr Günther? Das ärzttiche Gutachten, resp. Attest des Herrn Dr. Ranjohoff lautet doch dahin,„daß sich bei vorgenomme- ner Untersuchung ergeben habe, daß sich mehrere 10 Zentimeter lange und S Zentimeter breite Blutunterlaufungen am Oberkörper der Beriha Töpjer vorgesunden, das allgemeine Befinden sei gestört rc., daS Ganze sei Folge einer groben Mißhandlung! und stimme die Angabe, daß die Verletzungen durch Schläge mit einem dicken Rohrstocke zugefügt seien, mit der Beschaffenheit der Verhältnisse vollkommen überem." Wie stimmt das zu Ihrer Angabe, Herr Günther? Sie müssen kolossal breite Daumen haben, Herr Staatsanwalt, DaumenvonfechsZentimeter Breite!? Wo haben Sie Ihre Informationen darüber«ingezogen? Beim Thäter Pastor Man- gelsdorf etwa? Oder liegt absichtliche Fälschung Ihrerseits vor? Indem Sie dann weiter die dem Mädchen zugefügte Züchtigung(wie Sie eS nennen) selbst als eine harte bezeichnen(wie gnädig!), sind Sie aber auch gleich wieder mit Entschuldigungsgründen für Pastor Mangelsborf bei der Hand— wobei Sie sich bemühen, das Mädchen zu beschimpsen! Die Krone Ihres Machwerks ist. aber unzweiselhast d-r- jenige Theil Ihrer Leistung, wo Sie behaupten:„Wenn auch eine Ueber- schrettung des Züchtigungsrechtes angenommen werden könne, so fehle «s doch für die Bestrafung des Pastors an dem für die Bestrafung unerläßlichen Moment, daß er wissentlich das Züchtigungs- recht überschritten!" Da hört denn doch Alles auf,— oder sind Sie bereits so schwachsinnig geworden, daß Sie das Strafgesetz. buch nicht mehr kennen? Pastor Mangelsdors könnte also ruhig An- statts-Zöglinge iodtchlagen, er brauchie dann nur zu bekunden, er habe das Züchtigungsrecht vorgenommen und dasselbe wissentlich nicht über- schritten, so wäre die Sache damit erledigt?— Gemach, ihr Herren, in der Anmerkung zu§ 22Z des Str.-G.-B. heißt es unter anderm: „Bei fahrlässiger Ueber>chreitung des Züchtigungsrechtes findet§ 230 des Str.-G.-B. Anwendung." Wir behaupten indeß, daß Pastor Mangels- darf das Mädchen absichtlich mißhandelt hat! Doch selbst wenn dies auch nicht der Fall, so hätte doch K 230 des S4t.«(S.<9. in Anwendung zu kommen, der da besagt:„Wer durch Fahrlässigkeit die Körperverletzung eines Andern verursacht, wird mit G.fangmß bis zu zwei Jahren oder mtt G-ldstrase bis zu 900 Mark bestraft."„War der
Thäter zu der Aufmerksamkeit, welche er aus den Auqen setzte, vermöge'. seines Amtes, Berufs oder Gewerbes besonder? verpflichtet, so kann die Strafe auf dreiJahr« Gefängniß erhöht werden! Herr Staats« anmalt Günther, existirt dieser Paragraph für Sie nicht? Oder lassen Sie denselben absichtlich außer Acht? Pastor Mangelsdorf war vermöge seines Amte» und Berufes als Pastor erst recht zur Aufmerksamkeit verpflichtet, daher hätte mindestens Absatz 2 deS Z 230 des St.-G.-B. auf ihn in Anwendung zu kommen l Drei Jahre Gefängniß mindestens gebührten dem Pastor Mangelsdorf lautStraf- gesetzbuch allein für die Mißhandlung der Bertha Töpfer! Außerdem besagt§ 234 deS Str.-G.-B.:„Wer sich eines Menschen durch List, Drohung oder Gewalt bemächtigt, um ihn in hüls- loser Lage auszusetzen, oder in Sklaverei, Leibeigenichast, oder in aus- wältige Kriegs- oder Schiffsdienste zu bringen, wird wegen Me n> schenraub mit Zuchthaus bestraft. Auch dieser§ 234 wäre auf Pastor Wangelsdorf anzuwenden, denn er hat die jetzt säst 20 Jahre alte Bertha Töpfer am 23. Juli d. I. gewaltsam auS dem Dienste geholt, und hat sich unter Beihülfe gewaltsam ihrer bemäch- t i g t, hat sie gewaltsam entführt— verschwinden lassen, und sett jener Zeit, 23. Juli d. I., wird die Bertha Töpfer gewaltsam widerrechtlich gefangen gehalten! Alto in's Zuchthaus mit dem Burschen Mangelsdors, dort gehört er laut§ 234 d. Str.-G.B. hin l— Und Sie, Herr Staatsanwalt Günther, gehören ebenfalls dort- hin, da Sie durch Ihr Verhalten Antheil haben an den Verbrechen Mangelsdorf's I— Im Volke hört man, wie gesagt, schon die Aeuße- rungen laut werden,„die Bertha Töpfer sei jedenfalls ums Leben ge- bracht, um das oorpus delicti dieses Pastor Mangelsdorf'schen Ver- brechend aus der Welt zu schaffen I"— Wir wiederholen hier- mit unsern letzthin erhobenen Protest gegen derartige Schandthaten, wie hier vorliegen, und verlangen, daß die widerrechtlich gefangen gehaltene Bertha Töpfer unverzüglich in Freiheit gesetzt, die Schuldigen zur Rechen- fchast gezogen und entsprechend bestraft werden l Der Richterspruch der öffentlichen Meinung ist gefällt, derselbe lautet: An den Schandpsahl mit allen denen, welche an dem Verbrechen bethei- ligt! Dieselben seien denn somit zur Einverleibung in das Verbrecher- Album geweiht: 1) Pastor Mangelsdorf am Rettungshauie zu Schildesche ; 2) Superintendent Huchzermeier in Schitdesche; 8) Pastor S i e b o l d in Echildesche; 4) Staatsanwalt Günther in Bielefeld ; 5) Hausvater Behl« am Rettunashause zu Schildesche ; und als ihr mehr blindes Werkzeug«) Kolon Niederbeckmann in Elver- bissen bei Herford . Auch Dr. Klare hat sich durch sein Verhalten zum Mit- schuldigen gemacht. Die Namen der übrigen Betheiligten werden wir gelegentlich zum selben Zwecke veröffentlichen. Und daß alle diese und derartige Schandthaten zur allgemeinen und weitgehendsten Kenntniß auch außerhalb dieses Kreises gelangen, dasür werden wir Sorge tragen, und wir sind gewohnt, Wort zu halten. Denn Verössent- lichung derartiger Schandthaten ist das wirksamste Mittel, daß daS Volk die Wölfe in Schasskleidern erkennen lerne. „Wie viel der Schmerzen trug in dumpfem Grollen Ein edles Volk, gebeugt die stolze Kraft, Doch es erwacht einst bei des Donners Rollen Und schüttelt sich in seiner Eisenhast." Darum werdet nur bleich, ihr stolzen Herren, die Sonn« der Erkenntniß steigt empor! Das nächste Mal werden wir die Pastor Bodelschwing'schen Anstalten und deS letztgenannten Herrn sonstige Unternehmungen ins rechte Licht stellen und sodann auch Leben und Thaten der vorgenannten, sowie noch einiger anderer dazu gehörenden Vertreter der patenttrten Moral unter die Loupe nehmen. Mögen jene auch darüber zetern, ihr Haß soll uns nicht abhalten, Recht und Wahrheit zu vertheidigen und daS Schlecht« und Unwahre ans Tageslicht zu ziehen und zu bekämpfen. „Wer der Narren Haß verdient, Dem werden die Weisen hold gesinnt." Di« rothe Lehme.
Sozialpolitische Rundschau.
Zürich , S. Dezember 1886. — Unsere in Frankfurt am Main verhafteten Genossen be- finden sich nicht nur noch imnier in Untersuchungshaft, sondern ihre Zahl wird noch täglich durch weitere Verhaftungen ver- mehrt, sie beträgt nach den letzten Nachrichten bereits 47. Die Polizei- banditen haben nämlich noch immer nicht das nöthige Material, dessen sie bedürfen, um unseren Genossen den Strick zu drehen, und deshalb wird aufs Geradewohl gehauesucht unv verhaftet, in der Hoff- nung, entweder etwas Geschriebenes zu„finden" oder eine Aussage zu erpressen, die sich in dieser Richtung verwerthen ließe. Das ist überhaupt das System, nach dem seit einiger Zeit auf Befehl von Oben gearbeitet und— vorgearbeitet wird, und daher richten wir an die Genossen allerorts die dringende Aufforderung, unausgesetzt auf der Hut zusein, und namentlich dasür zu sorgen, daß a b s o l u t n t ch t s bei ihnen ge- sunden wird, was strebsame Staatsanwälte als„geheime No- tizen" auch nur deuten könnten. Namentlich bei geselligen Zusammenkünften, und seien sie noch so harmloser Natur, untersuche man seine Taschen, Notizbücher:c. vorher aufs sorgfältigste und lasse womöglich alles Geschriebene in den Orkus wandern. Wer diese elementaren Sicherheitsmaßregeln nicht streng beobachtet, ist unter Umständen schlimmer als ein Verräther, macht sich aber jedenfalls eines frivolen Leichtsinnes schul- dig, der nicht hart genug verurtheilt werden kann. Ferner machen wir wiederholt darauf aufmerksam, daß Niemand zu einer Aussage gezwungen werden kann, von der er Grund hat, vorauszusetzen, daß sie ihn selbst belasten könnte. Jeder Versuch des Untersuchungsrichters»c., eine Pression in dieser Richtung auszuüben, ist strafbar. Lasse man sich also gegebenenfalls durch keinerlei Drohung einschüchtern, und verweigere man lieber jede Aussage, als durch unüberlegte Aeußerungen sich und Andere zu schädigen. Jedenfalls überlese man jede Aussage vorher aufö Genaueste, und lasse sich zu keiner schnelleren Beant« woriung der gestellten Fragen drängen, als man zur reiflichen Ueber- legung nöthig zu haben glaubt. Lasse man sich auch weder durch Ver- sprechungen(auf baldige Entlassung) noch durch Vorspiegelungen, ein Anderer habe bereits gestanden, hinter's Licht führen. Ruhe und Umsicht— das sind die besten Waffen gegen die Niedertracht unserer Feinde. Und noch Eines legen wir den Genossen dringend an's Herz: bei ihren Aussagen sich stets zu vergegenwärtigen, was in jedem ein- zelnen Falle auf dem Spiele steht, und nicht um einer relativ geringen Sache willen sich zu Schritten hinreißen zu lassen, bei denen das Risiko viel größer ist als diese selbst. So begreiflich daS Bestreben ist, den Freund oder Genoffen durch günstige Aussagen von einer Anklage zu befreien, und so erklärlich es namentlich dann ist, wenn es sich um Bergehen gegen Gesetze handelt, die unserem Rechtsgesühl als verwerf- lich, als infam erscheinen, die eine freche Verhöhnung unserer natürlichen Rechte bedeuten, so müssen sie doch dieses Gefühl namentlich da unter- drücken, wo diese Aussage mit einem Meineidsprozeß beant- wortet werden kann. Wir haben schon früher erklärt, daß wir in solchen Fällen den Mein- eid als eine entehrende Handlung nicht betrachten können, und halten das auch aufrecht, aber damtt wollen wir ihn keineswegs empfohlen haben, sondern warnen die Genossen eindringlichst vor einem solchen. Bon anderen Bedenken ganz abgesehen, wird ihnen ja die einfachste rechnerische Logik sagen, wie falsch eS wäre, um eine Gefänzn-ßstrafe von drei, selbst sechs Monaten zu vermeioen, sich einer mehrjährigen Zuchthausstrafe auszusetzen. Lieber gar keine Aussage als eine solche. Genossen in Deutschland ! Der Wind weht zur Zett wieder einmal scharf, man will unsere Partei mit Gewalt auseinandertreiben, die
Einen durch den Ruin ermatten, die Anderen zu Berzweif' lungsstreichen provoztren. Lassen wir uns jedoch dadurch nicht beirren. Auch dieser Sturm wird vorüberziehen, sorgen wir nur dafür, daß die Zahl seiner Opfer so gering als möglich sei. Alle An- schläge unserer Feinde werden an unserer Festtgkett zerschellen; sie sollen uns nicht dahin bekommen, wohin sie uns treiben wollen. Aber darum soll ihnen doch keine ihrer Schurkereien geschenkt werden, wir behalten sie gut im Gedächtniß, und im Begriff, die Wunden zu verbinden, die heute dem Einzelnen unter uns geschlagen, geloben wir unS: Aug' um Aug', Zahn um Zahn! — Vor einigen Wochen machte die fortschrittliche Berliner„Volks- zeitung" die sehr richttge Bemerkung, daß nichts die gänzliche Wir« knngslosigkeit de« Sozialistengesetzes mehr beweise als die That- fache, daß durch die in unserm Verlage in regelmäßiger Folge erschei« nende„Sozialdemokratische Bibliothek" nunmehr auch die letzte Lücke gestopft sei, welche das Sozialistengesetz in dem Register unserer Pro« pagandamitttel zeitweise gerissen. Wie sehr dies der Fall, beweist der Umstand, daß trotzdem die ersten Hefte der Bibliothek von vornherein in der für eine verbotene Schrift gewiß ungemein starken Auflage von 3000 Exemplaren erschienen, von ihnen zum großen Theil bereit« wiederholte Neuauflagen nöthig wurden. Als„schätzbares Material" für die bevorstehenden ReichstagSdebatten über den„Kleinen" im Speziellen und das Sozialistengesetz im Allgemeinen können wir mit« theilen, daß die G e s a m m t- A u f l a g e der ersten 10 Hefte, von denen einzelne bekanntlich eine Stärke von 4 bis 5 Bogen haben, 68,000 beträgt, und schon wieder nene Auflagen nothwendig sind. Dabei ist noch zu bemerken, daß als die Bibliothek eingerichtet wurde, Engels'„Snt- Wickelung de« Sozialismus" kurz nacheinander in drei Auflagen von zusammen 9500 Exemplaren, das„Kommunistische Manifest" in dritter Auflage in einer Stärke von 5000 Exemplaren erschienen war, die in die obige Zahl nicht einbegriffen sind. Ferner ist von Bebels„Die Frau in der Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft" jetzt die sechste Auf« läge im Druck, das 14 Bogen starke Buch bereits in 12,500 Exem» p l a r e n verbreitet. Dazu kommt dann noch die große Zahl der Gelegenheitsschriften, die, bevor der„Reichsanzeiger" ihr Erscheinen dem großen Publikum durch eine VerbotSnotiz kundgibt, ge- wöhnlich schon in einer Stärke bis zu 20,000 Exemplaren verbreitet sind. Und alle diese Schriften werden nicht wie die Literatur anderer Parteien verschleudert, sondern verkauft, und, weil unter dem Druck einei Ausnahmegesetzes gekauft, auch sehr eifrig gelesen. Wir theilen alles das mit, nicht weil wir etwa uns dem Wahne hin« geben, dadurch unsere Feinde zu bekehren— sie werden ja im Gegen« theil mit der ihnen eigenen Logik daraus gerade die Nothwendigkeit de« Ausnahmegesetzes deduziren— sondern zur Erhebung unserer Genossen und Freunde und zur Festigung derjenigen unserer Gegner, denen Furcht und Haß noch nicht die Fähigkeit de« Denkens geraubt. — Doktrinäre Illusionen. Frankreich erfreut sich in diesem Augenblick wieder einer Ministerkrisis. Herr Freycinet hat de» missionirt— oder vielmehr seine Demission angekündigt, denn schließlich wird er wahrscheinlich doch dem Patriotismus das„Opfer" bringen, zu bleiben— weil die Kammer mit einer Majorität von 262 gegen 249 Stimmen die Gehalte der Unterpräfekten ge« strichen hat, die Monarchisten aus grundsätzlicher Opposition, die radi« kalen Republikaner, um endlich einmal einen ernsten Anfang zu machen, das von Jahr zu Jahr anschwellende Budget der Republtt von unnützen Ausgaben zu entlasten. „Die Unterpräfekturen sind eine Institution de« Kaiser« r e i ch s, dessen zentralisirter Despotismus nicht genug politische Agenten haben konnte, in der Republik sind sie min« bestens überflüssi g." So wörtlich zu lesen im Leitartikel der„Frankfurter Zeitung " vom 5. Dezember. Danach sollte man meinen, daß das Hauptorgan der bür- gerlichen Demokratie in Deutschland den Beschluß der Kammer nur billigen und Herrn Freycinet und seine Kollegen scharf tadeln würde, weil sie die Erhaltung einer„mindestens überflüssigen"— also doch eher schädlichen— Einrichtung zur Kabinetsfrage gemacht haben. Aber weit gesihlt, eine solche Schlußfolgerung paßt nicht in da» System der Staatsmänner der„Frankfurter Zeitung ". Nach ihnen ist nicht der Eigensinn der Minister, sondern die Haltung der Radikalen an der Krisis schuld.„Es ist unzweifelhaft," heißt es da,„daß die Radi« kalen die H a u p t s ch u l d an der fatalen Lage der Regierungsgewall tragen. Sie wollen wohl die Vortheile der Gewalt genießen, aber keine Verantwortlichkeit übernehmen und keine Pflichten erfüllen. Sie wollen nur die Regierung binden, selbst aber frei sein. Sie möchten praktisch regieren, aber aus keine ihrer doktrinären Illusionen ver- zichten...." Doktrinäre Illusionen! Ist etwa die Entlastung des Steuersäckels von der Besoldung einer Anzahl Schmarotzer eine doktrinäre Illusion? Sind die Radi« kalen nicht auf ganz bestimmte Programme hin gewählt worden, al« Vertreter von Grundsätzen, für deren Verwirklichung sie in der Kammer zu wirken Haien? ES ist durchaus nicht unseres AmteS, die Herren Clemenceau , Pelletan k. zu vertheidigen, denn wir hätten ihnen eher den umgekehrten Vorwurf zu machen, den nämlich, daß sie viel zu oft ihre„doktrinären Illusionen" im Stich gelassen haben, nur um die „republikanische Einheit nicht zu gefährden." Aber in diesem Punkte waren sie im Recht, eS muhte einmal mit dem System gebrochen wer- den, alle Reformen mtt dem Hinweis auf die monarchische Gefahr auf den Sankt Nimmerleinstag zu verschieben. Daß die Monarchisten mtt ihnen stimmten, konnte sür sie um so weniger ein Grund sein, von ihrer Stellungnahme abzugehen, als die Herren„gemäßigten Republikaner " oft genug gemeinsam mit den Monarchisten Anträge der Radikalen abge« lehnt haben. Wer und waS sind denn aber diese Herren Gemäßigten? Nun, zum großen Theile nichts anderes als die N a t i o n a l l i b e r a l e n Frank« reichs. Eine Partei, die die Republik dem Namen nach akzeptirt hat, deren Politik aber im Verleugnen aller republikanischen Grundsätze besteht. Staatsmänner von der Art des Herrn Ferry, welcher der Republik die Pestbeule Tonking so glorreich angehängt hat»c. Und dies« Herren er« freuen sich des Beifclls der„Frankfurter Zeitung ", gegen sie und ihre volksfeindlichen Jnii guen hat sie kein Wort des Tadels, die bösen Radikalen sind an acem Uebel schuld. Die deutschen Natwnalliberalea können für ihr- jämn erliche Haltung im Reichstag ganz dieselben Argu« mente in's Feld führen, und thun es ja auch, welche die„Frankfurter Zeitung ", das Organ des vorgeschrittensten Flügels des deutschen Bür« gerthums, in Bezug auf die französische Republik verficht. Welcher V e r r a t h hat stch nicht schon hinter die Worte„doktrinäre Illusionen" verkrochen! Wenn die Herren von der„Frankfurter Zeitung " nicht sett Jahren am Staatsmannskoller litten, so würden sie solche Redensarten den Reptilien diesseits und jensetts de« RheinS überlassen. — Zur Aufeneruug strebsamer ReichSgerichtSautvälte. Wie die Zeitungen melden, ist der OberlandesgerichtSpräsi« dent von Holleben zum Kanzler deS Königreich» Preuße« und damit zum lebenslänglichen Herrenhausmitglied ernannt worden. Holleben ist einer von den schurkischen Obertribunalsmit« gliedern, die in der preußischen KonfliktSzett den Artikel 84 der preußischen Verfassung, der den Abgeordneten Straffreihett sür ihre Reden im Landtag zusicherte, in das Gegentheil umsälschten. Damals ging«in Schrei der Entrüstung über solch' steche RechtSgaunerei durch daS Land und allgemein jubelte man dem Gedicht„Alle Neun" von Heinrich Minden zu, das wir schon einmal veröffentlicht, und worin eS hieß: „Eding, Rake und Holleben , Würdig, in der Luft zu schweben." DaS war vor 20 Jahren l Und heute? Mtt welcher Gleichgiltigkeit hat die deutsche Presse— einzelne aner« kennenswerthe Ausnahmen abgerechnet— die nicht minder erbärmlichen Rechtsverdrehungen des Reichsgerichts in den Diäten- Prozessen� dem Freiberger Prozeß ,c. hingenommen! Die Bourgeoisie ist sett geworden und hat das Gewissen verloren, aber Schurkerei bleibt darum Schurkerei, und so gut wie Holl-ben und Konsorten, sin, auch die Mittelstadt und Konsorten der höchsten Beförderung werth.