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Deutschland bis auf diese Stunde start vertreten. Und zwar einerseits burch Katheberfozialisten und Menschenfreunde aller Art, bei denen der Wunsch, die Arbeiter in Eigenthümer ihrer Wohnung zu verwandeln, noch immer eine große Rolle spielt, denen gegenüber also meine Arbeit noch immer am Plaze ist. Andererseits aber in der sozialdemokratischen Partei selbst, bis in die Reichstagsfraktion hinein, findet ein gewiffer fleinbürgerlicher Sozialismus seine Vertretung. Und zwar in der Weise, baß man zwar die Grundanschauungen des modernen Sozialismus, und bie Forderung der Verwandlung aller Produktionsmittel in gesellschaft liches Eigenthum als berechtigt anerkennt, aber ihre Verwirklichung nur in entfernter, praktisch unabsehbarer Zeit für möglich erklärt. Damit ist man denn für die Gegenwart auf bloßes soziales Flickwerk angewiesen, und kann je nach Umständen selbst mit den reaktionärsten Bestrebungen zur sogenannten hebung der arbeitenden Klaffe" sympathisiren. Das Bestehen einer solchen Richtung ist ganz unvermeidlich in Deutschland , bem Land des Spießbürgerthums par excellence, und zu einer Beit, wo die industrielle Entwicklung dies alteingewurzelte Spießbürgerthum gewaltsam und massenweise entwurzelt. Es ist auch für die Bewegung ganz ungefährlich bei dem wunderbar gesunden Sinn unserer Arbeiter, ber fich gerade in den letzten acht Jahren des Kampfs gegen Sozialisten gesetz, Polizei und Richter so glänzend bewährt hat. Aber es ist nöthig, baß man sich darüber llar werde, daß eine solche Richtung besteht. Und wenn, wie dies nothwendig und sogar wünschenswerth ist, diese Richtung später einmal feftere Form und bestimmtere Umrisse annimmt, dann wird fte zur Formulirung ihres Programms auf ihre Vorgänger zurückgehn müssen, und dabei wird auch Proudhon schwerlich übergangen werden. Der Kern sowohl der großbürgerlichen wie der fleinbürgerlichen Lösung ber Wohnungsfrage" ist das Eigenthum des Arbeiters an seiner Woh nuna. Dies ist aber ein Punkt, der durch die industrielle Entwicklung Deutschlands in den letzten zwanzig Jahren eine ganz eigenthümliche Beleuchtung erhalten hat. In keinem andern Land existiren so viel Lohns arbeiter, die Eigenthümer nicht nur ihrer Wohnung, sondern auch noch eines Gartens oder Feldes sind; daneben noch zahlreiche andere, die Haus und Garten oder Feld als Bächter, mit thatsächlich ziemlich gefichertem Befit inne haben. Die ländliche Hausindustrie, betrieben im Berein mit Gartenbau oder fleiner Ackerwirthschaft, bildet die breite Grundlage der jungen Großindustrie Deutschlands ; im Westen sind die Arbeiter vorwiegend Eigenthümer, im Dsten vorwiegend Pächter ihrer Heimstätten. Diese Berbindung der Hausindustrie mit Garten- und Feld bau, und daher mit gesicherter Wohnung, finden wir nicht nur überall, wo Handweberei noch ankämpft gegen ben mechanischen Webstuhl: am Rieberrhein und in Westfalen im sächsischen Erzgebirge und in Schlesien ; wir finden sie überall, wo Hausindustrie irgend einer Art sich als ländliches Gewerbe eingedrängt hat, z. B. im Thüringer Wald und in der Rhön . Bei Gelegenheit der Tabatsmonopol Verhandlungen stellte sich heraus, wie sehr auch schon die Cigarrenmacherei als ländliche Hausarbeit betrieben wird; und wo irgend ein Nothstand unter den Klein bauern eintritt, wie vor einigen Jahren in der Eifel , da erhebt die Bürgerliche Preffe sofort den Ruf nach Einführung einer paffenden Hausindustrie als dem einzigen Hülfsmittel. In der That drängt sowohl die wachsende Nothlage der deutschen Parzellenbauern wie die allgemeine Lage der deutschen Industrie zu einer immer weiteren Ausdehnung der ländlichen Hausindustrie. Es ist dies eine Erscheinung, die Deutschland eigenthümlich ist. Etwas Aehnliches finden wir in Frankreich nur ganz ausnahmsweise, z. B. in den Gegenden der Seidenzucht; in England, wo es teine Kleinbauern gibt, beruht die ländliche Hausindustrie auf der Arbeit der Frauen und Kinder der Ackerbautaglöhner; nur in Jrland sehen wir die Hausindustrie der Kleiderkonfektion ähnlich wie in Deutsch land von wirklichen Bauernfamillen betrieben. Von Rußland und andern auf dem industriellen Weltmarkt nicht vertretenen Ländern sprechen wir hier natürlich nicht.
Zeitgemäße Warnung.
Den Genossen allerorts bringend zur Beachtung
empfohlen.
Die neuerdings mit verdoppelter Heftigkeit auf unsere Genossen in Deutschland eindringenden Verfolgungen und Maßregelungen legen Bielen den Gebanken nahe, sich durch Auswanderung in die Schweiz den unerträglichen Chitan rungen durch Polizei und Behörden zu entziehen. Hier in der Republik hoffen ste, endlich einmal wieder frei aufathmen zu fönnen, aller Belästigung enthoben zu sein.
So sehr wir diesen Wunsch begreiflich finden, so dringend müssen wir die Genoffen davor warnen, ihm ohne unbedingt zwins gende Veranlassung Folge zu geben.
Zunächst, und dieser Umstand wird in der Regel ganz außer Acht gelaffen, ist für die meisten Branchen die Aussicht, in der Schweiz Arbeit zu bekommen, eine äußerst geringe. Der Arbeitsmarkt ist hier fast in allen Berufen überfüllt, manche Geschäftszweige zubem weit schwächer vertreten, schon weit mehr der Konkurrenz der Großindustrie, in der die Frauenarbeit kultivirt wird, erlegen als in Deutschland . Vielfach ist es selbst den eifrigsten Bemühungen der Unters ftügungs 2c.- Romites nicht gelungen, einen solchen zugereiften Genoffen unterzubringen, und erwies sich nicht nur das für die Reise in die Schweiz verausgabte Geld als weggeworfen, es mußten auch noch die Mittel aufgebracht werden, den Betreffenden die Rückkehr nach Deutschlanb zu e möglichen.
Wer also nicht gezwungen ist, Deutschland zu verlaffen, thut beffer, si nicht nach der Schweiz zu wenden.*) Wer aber glaubt, bazu genöthigt zu sein, dem legen wir es in seinem eigenen Intereffe ein bringlichst ans Herz, sich, wenn es irgend möglich ist, vorher Erkun bigungen einzuholen, ob er irgend welche Aussicht hat, hier Arbeit zu finden.
Der Landesausschuß der in der Schweiz lebenden deutschen Genoffen, ben die Frage neuerdings wiederholt beschäftigte, hat Vorkehrungen ges offen, die es ermöglichen, in verhältnißmäßig furzer Zeit aus sämmt lichen größeren Ortschaften der Schweiz Auskunft einzuholen. Die beutschen Genoffen in der Schweiz sind durchaus nicht gesonnen, sich den Berpflichtungen, welche die außergewöhnlichen Verhältnisse ihnen auferlegen, zu entziehen, sondern im Gegentheil bereit, ihre Anstrengungen im Intereffe der Sache noch zu verdoppeln, sie wünschen nur, daß auch nach dieser Richtung hin alle Planlosigkeit vermieden wird, bamit burch zwedgemäßes Vorgehen selbst mit unseren bescheidenen Mitteln mehr und Besseres geleistet werden kann als bisher.
Ferner machen wir die Genoffen darauf aufmerksam, daß, wer in der Schweiz fich zeitweise aufhalten will, unbedingt mit ben erforderlichen Legitimationspapieren versehen sein muß. Zu diesen gehört vor allen Dingen ein Heimathschein, der von der Heimathsbehörde auszustellen ist und Niemand vorenthalten werden darf. Es hat diese Vorschrift mit dem Asylrecht nichts zu thun, sondern bezieht sich auf die eventuelle Unterstüßungsberechti ung. Sehe also Jeder zu, sich möglichst vorher einen solchen Heimathsch in zu verschaffen, weil er sonst Unan nehmlichkeiten aller Art risfirt, unter Umständen sogar die Aufenthalts verweigerung. In Zweifelsfällen ist auch in dieser Beziehung vors herige Anfrage bringend anzurathen.
Nur wenn diesen, von der Efahrung diktirten Rathschlägen allseitig entsprochen wird, werden die Genossen sich selbst manchen Verdruß und fich und der Partei viele unnüze Opfer ersparen. Jedes unnüge Opfer aber ist eine verwerfliche Schädigung der Partet.
Genossen ollerorts! Machen wir die Anschläge unserer Gegner dadurch zu nichte, daß wir uns immer fefter an einander anschließen und durch planvolles Vorgehen nach allen Seiten hin das verhindern, was unsere Gegner durch ihre nichtswürdigen Maßregeln hauptsächlich bes sweden: die Schwächung ber Attionsfähigteit der Partei.
*) So mögen es sich die Genoffen bei geringfügigen Gefängnißftrafen ftets boppelt überlegen, ob es gut get han ist, sich durch eine Flucht in bie kleine Schweiz , wo die Altlimatisation sehr schwer ist, ein großes Arbeitsfeld, ouf dem sie heimisch sind, zu versperren. Fast Alle, welche über diese Frage leicht hinweggingen, find später doch nach Deutschland zurückgekehrt.
Sozialpolitische Rundschau.
3ürig, 12. Januar 1887.
- Gibt's Strieg, gibt's nicht Krieg? Diese Frage steht trot aller Friedensbetheuerungen noch immer auf der Tagesordnung, genau so wie speziell in Deutschland die Frage: Gibt's Auflösung( des Reichstags) oder gibt's nicht Auflösung? Und wie gar nicht anders zu erwarten, wirkt diefe politische Unsicherheit im böhften Grade lähmend auf den Gang der Geschäfte. Darüber wird allerorts geklagt, aber wie weit sind die Völker noch davon entfernt, die Konsequenzen aus diesen Mißverhältnissen zu ziehen, unter denen sie alle leiden?
Die Bismard'schen Reptile möchten dem deutschen Volk einreden, das fonftitutionelle Regiment, der Parlamentarismus sei der Schuldige. Eine frechere Unwahrheit ist gar nicht denkbar. Den Konstitutionalismus trifft zwar der Vorwurf, daß er das Uebel nicht verhindert, aber warum thut er es nicht? Weil er dem erstrebten Ziel der Bismärder, dem pers sönlichen Regiment, nicht genügend zu Leibe geht. In Rußland gibt es feinen Barlamentarismus, feinen Ronftitutionalismus, in Rußland ist das Jdeal des deutschen nationalliberalen Profefforentbums verwirk licht und findet in Alexander dem Wahnsinnigen seine höpfte Infarna tion. Und gerade Rußland ist der beständige Störenfried Europa's , gerade Rußland die Hauptursache, warum Handel und Gewerbe fortge setzt durch die drobende Kriegsgefahr beunruhigt werden. Und wären nicht die wirthschaftlichen Verhältniffe noch stäcker als der Zar, müßte nicht der autofratische Despot mit der Finanzlage seines Reiches rechnen, die ihm zur Zeit die Auerüftung des ihm zur Verfügung stehenden Menschenmaterials und sol den Krieg verbi tet, so hätten wir denselben wahrscheinlich längst als Frucht des persönlichen Regiments, bes alleinseligmachenden Gottesgnadenthums.
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Das sind Wahrheiten, die eigentlich nicht wir Sozialdemokraten, son bern die Vertreter des Bürgerthums hervorheben, und aus denen fie die nöthigen Konsequenzen ziehen müßten. Aber das ist in Deutschland nicht zu erwarten. Wir als die natürlichen Erben der Bourneoisie werden auch ihre Schulden übernehmen, das heißt, diejenigen Aufgaben lösen müssen, deren Durchführung von Rechtswegen ihr gebührte. Und dazu gehört der Kampf gegen den Absolutismus und feine Bastardformen, bie, schlimmer als dieser, den Monarchen die Macht zuerkennen und den Völkern die Verantwortung aufhalsen."
- Die Differenzen zwischen der Reichstagamajorität und der Reichsregierung in Sagen der Militärvorlage haben sich, wie man uns unterm 7. b. M. aus Berlin schreibt, allmäl g zu einem Konflikt zugefpigt. Nachdem die Reichstagstommission schon in der ersten Lesung bie Regierung vorlage verstümmelt hatte, hat sie dieselbe in der zweiten Lesung vollends zu einem gestaltlosen, lebensunfähigen Ding gemacht. Wohl ist die Mehrheit geneigt, der Regierung ben geforderten Mehrs bestand der Armee ohne jeglichen Abstrich zu bewilli gen, und zwar auf drei Jahre, allein die Regierung steift sich auf die sieben Jahre und will offenbar eine Auflö ung gewaltsam herbeiführen, in der Hoffnung, durch den bekannten administrativen Drudapparat eine bem Schnapsmonopol und anderen reattionären Maßregeln günftige Mehrheit zu erlangen.
Die jetzige Mehrheit würde sich zwar nichts vergeben, wenn sie, nachdem sie 3 Jahre verschluckt, nun auch noch die weiteren 4 Jahre hinunterschludte- benn bas parlamentarische Prinzip der jährlichen Budgetbewilligung ist mit drei Jahren ebenso gründlich durchbrochen wie mit sieben Jahren aber die Fortschritts und die Zentrums Partei scheinen durch bas klägliche Fiasto der Entrüftungs" Sturmelei Rourage bekommen zu haben. Jedenfalls haben fie in der Kommission Erklärungen abgegeben, so präzis, daß ein Zurückweichen nicht gut möglich ist.
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Nun wiffen wir freilich, daß das Wort unmöglich" in der Politit nicht mehr gilt, indeß es kann doch nicht geleuanet werden, daß die Situation eine fritische ist und die Auflösung in der Luft liegt. Unter solchen Umständen haben die Genoffen überall auf dem Qui vivel zu sein und ihre Maßregeln fo su treffen, baß sie durch das Ausschreiben von Neuwahlen nicht überrascht werden.
Wenn es zur Auflösung kommt, wird dieselbe voraussichtlich nach 8-10 Tagen erfolgen! Die Losung lautet:
Alles lar zum Gefecht!
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„ Am Jahresschluß hielten die Herren Antisemiten hier eine ihrer üblichen Nadauversammlungen, und zwar auf dem Tivoli, wo fte schon verschiedenemale fich Lorbeeren gesammelt haben. Vorwand: die Militärvorlage, für welche die Stimme des Volts"( der Söder und Konsorten) erhoben" werden sollte. Die üblichen Redner, der üb. liche Standal- und deshalb unnöthig, darüber zu berichten. Wenn wir dieser grotesken Hanswurstiabe hier erwähnen, so geschieht es eines Bwischenfalles wegen, der und Sozialdemokraten angeht.
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Es hatten sich nämlich zu dieser Boltsversammlung" eine Anzahl Sozialdemokraten eingefunden, die gegen die Ausführungen der antisemitischen Redner protestirten, und dafür unter Mitwirkung der Polizei sehr unsanft hinausgeworfen wurden.
Es will uns bedünken, daß die betreffenden Genoffen weit besser ge than hätten, zu Hause zu bleiben. Sich durchprügeln laffen, ist weber ehrenvoll noch ein Vergnügen. Und daß die Herren Antisemiten Angän. ger des Faust rechts sind, das mußte man wissen. Wer ihnen ent gegentreten will, muß sich ebenfalls auf den Boden des Faustrechts stellen und bereit sein, der Gewalt mit der Gewalt zu ant worten. Wären unsere Genossen in hinreichender Zahl auf's Tivoli" gegangen und hätten sie die Herren Antisemiten hinausgeworfen, statt sich von ihnen hinauswerfen zu laffen, so wäre das vielleicht nicht flug gewesen, aber auch nicht blamabel. Wir hoffen, daß man künftig bei berartigen Gelegenheiten etwas praktischer verfährt.
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Natürlich hat der reaktionäre ,, Entrüstungs" schwindel hier wie in andern Drten mit einem Fiasko geendigt baß eine Stadt, deren Wähler zu neun Zehnteln Sozialdemokraten oder Fortschrittler find, für den Militarismus und die Neubelastung des Volks nicht begeistert sein kann, liegt auf der Hand; und es gehörte die bodenlose Frechheit der Herren Antisemiten dazu, um dem Publikum in dieser Beziehung ein für ein U vormachen zu wollen."
So der Einsender. Wenn sich unsere Berliner Genoffen in der Tivoli Versammlung diesmal eine Schlappe geholt, so erklärt sich dieselbe dars aus, daß die Antisemiten den Saal bereits vor der Eröffnung besett hatten, und daß die Mehrzahl der erschienenen Arbeiter schon am Eins gang zurüdgewiesen wurden. Trotzdem wäre es den„ Entrüstern" schlecht ergangen, wenn ihnen nicht die in großer Anzahl vertretene Pos lizei beim Hinauswerfen der Opponenten direkt hülfe geleistet. Die Mannschaften des Herrn von Richthofen erwiesen sich als die bienftfertigen austnechte der antisemitischen Radaubrüder. Schr ehrenvolle Bethätigung ihrer Mission als hüter der heiligen Ordnung."
Eine brillante Revanche für die ihren Freunden am 28. Des sember zugefügte Unbill nahmen die Berliner Arbeiter am 6. Januar, zember zugefügte Unbill nahmen die Berliner Arbeiter am 6. Januar, als die Bismarcker ben frechen Versuch machten, im eigentlichen Ars beiterviertel eine Entrüftungsversammlung in Szene zu setzen. Der Frankfurter Zeitung " schreibt man darüber:
Berlin , 6. Januar. Die zweite Entrüftung der Berliner Einwohnerschaft sollte heute Abend in einem Saale der Weberstraße, inmitten des eigentlichen Arbeiterviertels, vor sich gehen. Bereits um 8 Uhr war der Saal bis auf den letzten Platz dicht gefüllt, und noch immer brängten viele Hunderte von Männern heran. In den vordersten Reihen faßen einige Duhend gutgesinnter Bürger", denen das heiße Verlangen nach Entrliftung wohl anzusehen war. Den übrigen Theil des Saales füllten jedoch in bichtgedrängten Maffen wohl an 1200 Sozial demokraten aus. Woll bangen Grauens berathschlagten nun die armen Entrüftungshäupter, was ob solcher mißlichen Situation das Beste wäre, bis endlich um halb neun ber Einberufer mit der Klingel in der Hand aufs Podium sprang und erklärte, daß die Versammlung wegen eines Formfeblers in ber polizeilichen Anmeldung nicht stattfinden könne! Ein betäubender Lärm beantwortete diese heldenhafte Ers Klärung des Entrüftungsführers, aus dem sich bald donnerude Hoch
rufe auf die Sozialdemokratie entwidelten. Darauf wurde fix einer Ede des Saales die Marseillaise angeftimmt, in die sofort die ganze Versammlung einfiel. Der überwachende Polizeilieutenant sprang auf einen der Sänger zu, um ihn zu verhaften. Jm Nu war derselbe jedoch von einer wogenden Arbeitermasse umringt. Einige Stühle fiü zten, Gläser flirtten, ein grauenvolles Getöse erhob sich da drehte der Wirth den Gashahn um, und langsam löfte sich der dichte Menichenknäuel auf. Noch anderthalb Stunden lang wälzte fich eine dunkle M nich nmaffe durch die benachbarten Straßen, während einige hundert Schußleute zu Fuß und Pferde die Ruhe nur mit genauer Noth aufrecht erhalten konnten."
Die Polizei rächte die Niederlage ihrer Schüßlinge durch eine Anzahl, mit frecher Willkür vorgenommener Verhaftungen. Scha digung von Privat. Existenzen ist ja stets die letzte Zuflucht dieser nichtswürdigen Banditengesellschaft. Aber all ihre Niedertrocht fanx das Gewicht der Thatsache nicht verhindern, daß die Bismärder selb der Sozialdemokratie zu einer alänzenden antibismärdischen Demonstration in der Reichshauptstadt verholfen haben. Unb zu dieser rufen wir von Herzen: Bravo !
- Der torrumpirende Einfluß des Sozialistengesetzes, durch welches schon so mancher von Haus aus ehrenwerthe Mann zum Schurken und Lumpen gemacht worden ist, läßt sich an der Person eines Leipziger Staatsanwalts, der in neuerer Zeit in Verbindung mit Sosialistenprozessen viel genannt worden ist, recht handgreiflich und augenfällig nachweisen.
Wir meinen den Staatsanwalt Hänschel. Dieser Beamte zeichnete sich früher durch Humanität und anständige Manieren aus. Von dem Momente an, wo in Leipzig auf Grund des Sozialistengefeges die Sozialistenhat begann und unschuldige Leute wegen Handlungen, die nag gemeinem Recht erlaubt find, vor Gericht geftelt und zu Ver brechern gestempelt wurden, ging mit diesem Herrn Hängstel ein ers fichtiche Aenderung vor, und heute ist er wie umgewandelt. In dem nervösen Menschen, der Untersuchungsgefangene anbrüllt, wie nan den gemeinsten Verbrecher nicht anbrüllen darf, der von einer verfolgten Partei nur in den roheften Schimpfworten spricht, der, wenn er in Aufregung kommt, die Mienen und Geberden eines nürdelosen Zolls häuslers annimmt, in dieser schreienden, geifernden Polizeitreature wird Niemand den humanen Beamten wieder erkennen, der sich vor Jahren allgemeiner Achtung erfreute.
Únd Herr Staatsanwalt Hänsel ist nur Einer von Bielen.
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Alles nur für die Arbeiter. In ihrer verzweifelten Anftren gung, die fortgesette Anspannung der Militärschraube dem Volt plausibel zu machen, find die nationalservilen Agitatoren schließlich auf die kühne Jdee verfallen, sie als gerade im Interesse der Arbeiter gelegen zu bezeichnen. So u. A. ein Herr Pasig, Redakteur des Frankfurter Journal", neulich in einem in Aschaffen burg gehaltenen Bortrage. Eine Bermehrung des Militärs, meinte der Herr, entzieht Tausende von Arbeitskräften, hiedurch ver mindere sich das Angebot der Arbeit und der Lohn müsse fte igen. Andererseits würden, wenn eine Herablegung der Militärdienst seit auf zwei Jahre, was„ Gott " verhüten wolle, eintrete, tausenb und abertausend Menschen Arbeit suchen und hiedurch auf die Lohnsäte brücken."
Einleuchtend, nicht wahr?
Schade nur, daß Herr Pasig nicht hinzugefügt hat, aus weffen Tasche benn diese mehr einzustellenden Soldaten ernährt und gekleidet werden sollen. Bis er diese Frage nicht beantwortet, werden die deutschen Arbeiter wohl der Ansicht bleiben, daß es beffere und wirksamere Mittel gibt, das Ueberangebot von Arbeitsträften zu verhindern, als die Ber schleuderung der aus ihrem Schweiß und Blut aufgebrachten Mittel zu den allerunproduktivsten Zwecken. Höchstens als Zeugniß für die Nightsnusigteit der heutigen fapitalistischen Gesellschaft tönnten sie das Eingeständniß gelten lassen, daß auf dem Boden derselben die Zerstörung oder Bergeudung von Produktivkräften ein vorzügliches Mittel sein soll zur Hebung der Lage der Arbeitertlaffe. Als Konsequenz ergibt sich dann der Vorschlag unseres Freundes Guesde: Periodische Ansehung einer allgemeinen Plünderung aller Läden und Magazine. Eine solche würde die Nachfrage nach Arbeitern noch viel wirksamer heben als die Ein ftellung von ein paar tausend Soldaten mehr per Jahr zur selben Zeit, wo man dem Arbeiter durch Koalitionsverbote die Ausnutzung der günftigen Ronjunkturen unmöglich macht.
Vor nahezu 40 Jahren schrieben Marg und Engels über den Bour gois Sozialismus:" Freier Handel! im Interesse der arbeitenden Klaffe; Schutzölle! im Interesse der arbeitenden Klaffe; Bellengefängnisfe! im Intereffe der arbeitenden Klasse: das ist das letzte, das einzig ernst gemeinte Wort bes Bourgeois- Sozialismus." Den Nationalservilen, diesen Pächtern der Bismardischen Sozialreform" ein Bastard von Junter und Bourgeois Sozialismus blieb es vorbehalten, das Re gister noch zu ergänzen: Stehende Heere! im Interesse der arbeitenden Klasse- das ist die höchste Weisheit des chriftliche germanischen praktischen Sozialismus im Jahre des Heils Eintau fend agthundert sieben und achtzig!
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- Emil Zola über die deutschen Sozialisten. Der Verfaffer von„ Germinal " hat jüngst in einem Gespräch mit einem Redakteur der Pariser Lanterne" folgendes ehrende Urtheil über die deutsche Sozialdemokratie gefällt:
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" Ich glaube nicht, daß die nächste revolutionäre Bewegung von Frank reich ausgehen wird, und ebenso wenig von Rußland , denn der Nihilis mus ist ein besonderes, einheimisches Gewächs. Ich glaube vielmehr, wenn eine soziale Revolution über Europa hereinbrechen sollte, daß fie von Deutschland ausgehen wird. Ich habe viele Sozialisten gefehen; die deutschen Sozialisten scheinen mir die entsolo fenften- und dann drückt auf sie das harte Joch des Kaisers reichs, und eine so starke Unterbrüdung muß eine wüthende Erhebung erzeugen."
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Unsere deutschen Genoffen werden diese Anerkennung aus dem Munbe eines durch seine scharfe Beobachtungsgabe ausgezeichneten Mannes mit froher Genugthuung lesen, nicht um mit prahlerischem Dünkel auf A bere herabzusehen, sondern im Sinne des Göthe 'schen Wortes: Brave freuen sich der That."
Die Anerkennung wird für sie eine Aufmunterung sein.
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Intereffant, wenn auch nicht neu, ist ferner folgender Ausforuch Zola's über die Gesetzlichkeit und den Patriotismus der Bauern: Wenn der Bauer morgen an der Mauer der Mairie eine Proklama tion sähe, die lauten würde:" Die revolutionäre Commune hat des Militärbien ft und die Grundsteuer abgeschafft," so würde ber Bauer rufen: Es lebe bie revolutionäre Commune! i Denn nur zwei Dinge ärgern und bedrücken ihn die Steuer, weil ne es eine Dual für ihn ist, sein Geld auf das Steueramt zu tragen, unb ber Militärdienst, weil er ihm die Söhne in einem Zeitpunkte wegnimmt, da er fie am nöthigften brauchte. Der Patriotismus der Bauern ist, mit Ausnahme vielleicht der Grenzgebiete, eix flegter Spaß, wenn auch ber allgemeine obligatorische Dien die Laft, indem er fie verallgemeinerte, weniger empfindlich gemacht hat. Früher dachte jeber Bauernjunge nur daran, durch irgend eine Ber fümmelung sich bienftuntauglich zu machen."
Dieser Ausspruch hat die besondere Wuth der französischen Chauvinisten erregt, in deren Rram er natürlich nicht paßt. Scheinbar durch die Thats sachen mehrfach wiederlegt, enthält er doch einen richtigen Kern. Freis lich ist der Bauer, den Zola da im Auge hat, noch weniger Kosmode polit wie Patriot letteres Wort im modernen Sinne genommen. Es ist der elbe Bauer, für den Herr Schäffle schwärmt, weil er in ihme einen Beschüßer gegen ben bösen Kommunismus erblickt. Leiber räumt aber die moderne Entwicklung der Landverhältnisse mit diesem kostbaren Menschenmaterial unbarmherzig auf, und macht aus partikularistischen Eigenthümern auf Umfturz finnende Proletarier.
-In Bezug auf die Vorgänge in Frankfurt am Main wirb uns mitgetheilt:
Also" nur" wegen Verlegung ber§§ 128 unb 129 soll den Opfern ber legten Polizei- Razzias der Prozeß gemacht werben. Thatsache ist aber, daß eine Zeit lang die Absicht bestand, einen hoch und Lans besverraths Prozeß in Szene au feßen. Und die offizielle Notiz, es habe eine derartige Absicht nicht bestanden, ist einfach un