ihren Kämpfen gegenüber den Arbeitern anderer Geschäftszweige viele Vortheile voraus. Daher ihre Erfolge. Aber sie müssen sich doch sagen, daß ihnen auch darin Grenzen gesteckt und daß sie von der allgemeinen Situation der Arbeiterschaft beeinflußt werden. Deshalb er- fordert es ihr Interesse und es ist die Pflicht solcher besser fituirten Arbeiter, schlechter gestellten Brüdern zu helfen. Gegenüber den deutschen Zimmerleuten braucht man das kaum zu betonen, aber die englisch - sprechenden hätten, soweit unsere Erfahrung reicht, Veranlassung, sich diese Ermahnungen zu Gemüthe zu ziehen."

Einen sehr bemerkenswerthen Kommentar zu diesen Ausführungen liefert«in Artikel des englischen Sozialisten JameS Blackwell in derJustice" überDie Gewerkschaften und die Frage der» r b e i t s l o s e n", den der Verfasser so freundlich war, uns im Abzug zu übersenden. Derselbe lautet: Das Blaubuch, welches soeben von Herrn John Burnett, dem Korre- spondenten des HandelSamtes über Arbeitsangelegenheiten, der Oeffent- lichkeit übergeben worden ist, sollte von allen, die an der Emanzipation der Arbeit ein Interesse haben, sorgfältig studirt werden. Die Zahlen« angaben, die es enthält, sind von den Beamten der Gewerkschaften selbst geliefert und von einem Manne, der mit ihnen persönlich befreundet ist, bearbeitet worden. Wir können daher annehmen, daß die möglichst gün- stige Lesart vorgezogen worden ist. Und trotzdem zeigt die flüchtigste Untersuchung der gegebenen Zahlen jedem Denksähigen, daß die britischen Gewerkschaften einer sehr schlimmen Zukunft entgegengehen. Di« Ge- sammtzahl der Gewerkschaftsmitglieder unseres Landes wird auf«00, OO» geschätzt, über 196,341 von ihnen, die den 18 hauptsächlichsten Vereint- gungen angehören, wird in dem Bericht Mittheilung gemacht. In drei- zehn dieser Vereinigungen überstiegen im letzten Jahr die Einnahmen bei Weitem die Ausgaben. Zum Beispiel verausgabten die Vereinigten Maschinenbauer 7000 Pfd., die Eisengießer 8000 Pfd., die Dampfkessel- »rbeiter 16,000 Pfd. über ihre Einnahmen. Die Gewerkschaften, welche ihre Einnahmen nicht überschritten, waren: die Maurer und die Schuh- und Stiefelzurichter. Gewerkschaft, die keine Arbeitslosen-Unterstützung gewähren, der Londoner Schriftsetzerverein, die Vereinigten Lond. Buch- bindergehülfen und die Vereinigte Gewerkschaft der Eisenbahnangestellten. Die Erklärung für die schlechte Finanzlage der Gewerkschaften findet man, wenn man die Tabellen durchsieht, in denen die für Arbeitslose ausgegebenen Summen aufgezählt sind. Wenn wir die Summe heraus- greifen, welche die von Herrn Burnett für seine Tabelle der Prozent- zahlen(?) ausgewählten acht Gewerkschaften ausgegeben haben, so erhalten wir folgendes Resultat:

Maschinenbauer Zimmerleute und Bauschreiner Dampfmaschinenarbeiter Eisengießer Kesselarbeiter Modellirer Londoner Schriftsetzer Grobschmiede

Pfd. Stg. 86,460 40,732 5,823 >32.85« 37,414 2267 5,442 2,923

Summa: Pkd. Stlg. 213,937 (Mk. 4.278.740.) Die Verausgabung einer so gewaltigen Summe für die Arbeitslosen eines Jahres unter den bevorzugten Arbeitern sollte selbst die konser- vativsten Gewerkschaften zum Nachdenken veranlassen über eine Orgarn- sation der Arbeit, welche solche Verschleuderung unnöthig macht. Aber hier fällt noch ein anderer Punkt in Betracht. So groß diese Ausgabe ist, so genügt sie doch schwerlich, die Arbeiter in den Stand zu setzen, den Kampf siegreich fortzuführen. Es ist schwierig genug für«inen Mann, auszukommen, wenn er vollbeschäftigt ist, besonders wenn er Familie hat. Ist er außer Arbeit, so erspart die Gewerkschaftsunterstützung ihm durch- aus nicht den Druck der Armuth. Im letzten Jahr waren in den ge- nannten acht Gewerkschaften nahezu 15,000 von einer Gesammtmitglieder- zahl von 131,000 sdurchschmUUch) arbeitslos. Folgende Zusammenstellung zeigt die reative Zunahme an Mitgliedern und Arbeitslosen in den obigen acht Gewerkschaften: Eesammtiahl der Mitglieder«rbeittlose

1876 1877 1878 1879 1880 1881 1882 1883 1884 1885 188«

4508 5605 7794 14,746 7194 4583 2831 3552 11,361 13.941 14,899

101,845 105,745 105,235 102,318 103,784 109,540 121,698 128.280 131,565 133,131 130,845 Man sieht, daß die Zahl der Unbeschäftigten in den Jahren 187« bis 1379 sich erhöhte und alsdann bis zum Jahre 1832 abwärts ging, von da ab aber wieder stieg, bis sie im Jahre 1886 ihren Höhepunkt er- reicht hat. Aller Wahrscheinlichkeit nach werden jedoch die Zahlen für dieses Jahr sich als noch höher erweisen. Ebenso muß beachtet werden, daß die Zahl der Mitglieder jetzt, wie im Jahr« 1873, mit der Zunahme der Beschäftigungslosen zurückgeht und voraussichtlich so fortfahren wird. Wenn das im Jahr 1876 obwaltende Verhältniß der Un- beschäftigten zu den Mitgliedern fortgedauert hätte, würde die Total- summe der Unbeschäftigten in diesen Vereinen am Ende des Jahres 1887 5,910 statt 14,8 39 gewesen sein. Nach dem Zensus von 1881 sind beinahe 8 Millionen Personen m der Industrie beschäftigt. Nun haben wir aus den ossiziellen Berichten nachgewiesen, daß ein Achtel der Mitglieder in acht der größten Vereine unbeschäftigt sind. Jedermann wird zugeben, daß der geschickte und orga- nisirte Arbeiter zum mindesten eine so gute Ausficht auf Beschäftigung hat, als der ungeschickte und nicht organisirte. Und so wird Niemand leugnen können, daß aus die Gesammtheit der Arbeiterschaft dieselbe Proportion angewandt werden muß. Demnach ist es augenscheinlich, daß es in diesem, dem Jubiläumsjahr, zum mindesten ein« Million unbeschäftigter Arbeiter in England gibt', die gezwun. gen sind, zu existiren, so gut sie können. Hier findet sich eine Gelegen- heit für die Aristokraten der Arbeit, nicht nur sich selbst, sondern auch ihren Arbeitergenossen, die nicht ihre Vortheile befitzen, zu Helsen . Es ist kein Grund vorhanden, weshalb nicht die Gewerkschaftler, die den Weg der Organisation gezeigt haben, nicht die Avantgarde bilden sollen für die Regelung der Frage der Arbeitslosen, für die Sozialdemo- tratie.«

V

So Blackwell, der selbst«in Gewerkschaftsmitglied ist.(Er gehört der Londoner Schriftsetzervereinigung an.) Möchten seine Worte nur zu recht vielen seiner Kollegen dringen!

Manifest

de«

ZeAtral-Waht-Komites der sozialdemokratischen Partei Deutschlands an die Wähler des Deutsche« Reiche».

(Fortsetzung.)

Wären wir Sozialdemokraten, statt verfolgte Partei zu sein, an

der Regierung gewesen und im Besitz der nämlichen Machtmittel wie unsere Gegner, und hätten wir von diesen unseren Machtmitteln den- selben Gebrauch gemacht wie unsere Gegner die drei Kartellparteien zusammen hätten nicht einen Wahlkreis erobert und in ganz Deutsch- land keine hunderttausend Stimmen zusammengebracht.

Und von den Stimmen, die sie am 21. Februar erlangt haben, wird es heißen:Wie gewonnen, so zerronnen." Die schmählich mißbrauchten, mißhandelten, betrogenen Wähler werden bald wissen, wie schmählich sie mißbraucht, mißhandelt, betrogen worden sind. Die meisten fangen schon jetzt an, die Wahrheit zu ahnen, Hundert- tausende haben sie schon erkannt und den übrigen werden bald die Schuppen von den Augen gefallen sein. Keine Kunst und keine Macht wird noch auf die Länge die Thatsache verhüllen können, daß die Kriegs- gerächte, durch welche Millionen von Wählern mit reaktionären Stimm- zetteln an die Wahlurnen getrieben wurden, infame Wahllügen waren; daß Deutschland während der Wahlperiode ebensowenig bedroht war wie vorher; und daß die Annahme deS Septennats eine Kriegs- gefahr ebensowenig abgelenkt hat, als die Ablehnung des Septennats eine Kriegsgefahr herbeigeführt hätte. Dieser gigantische Betrug wird sich an seinen Urhebern und deren Helfershelfern früher oder später gewiß rächen. Genug wir Sozialdemokraten haben alle Ursache, mit dem Aus- falle der Wahl zufrieden sein. Unsere Parteigenossen haben überall unter den denkbar schwierigsten Verhältnissen ihre Schuldigkeit gethan und jene Aufopferung und Festigkeit gezeigt, welche nur das Bewußtsein einer guten Sache und die Begeisterung für ein edles und großes Prinzip gewähren kann. Unsere Feinde haben es wieder einmal gesehen: der Appell an die Furcht findet keinen Widerhall in sozialdemokratischen Herzen so wenig wie der Avvell an die gemeinen Instinkte der Selbstsucht. Unsere Partei ist im Wachsthum begriffen die feindlichen Parteien find an der Grenze ihres Wachsthums angelangt. Mehr Stimmen alS bei der letzten Wahl können unsere Feind« überhaupt nicht mehr erhalten; und eine Menge Stimmen, die sie bei der letzten Wahl hatten, werden unzweifelhaft bei der nächsten Wahl uns zufallen. Gegenüber den ge- waltigen Fortschritten, die unsere Partei gemacht hat, fällt die Einbuße eines TheUs unserer Mandate nicht in's Gewicht. Die Viertelmillion Stimmen mehr bedeuten einen MachtzuwachS, die 13 Mandate weniger bedeuten keine Machtschwächung. Ob wir Ii Ver­treter im Reichstag haben oder 25, ist gleichgiltig, solange derUnver- stand der Massen" die Volksvertretung den Gegnern der Sozialdemo- kratie und der Sozialreform in die Hände gibt, und diese Gegner keine Majorität aufkommen lassen. Im V o l k liegt unsere Mission und unsere Zukunft. Ist oas Volk für uns gewonnen, ist eS zum klaren Bewußtsein seiner Rechte, seiner Interessen gelangt, hat es das nöthige Verständniß, um einen Willen zu haben dann, wenn ein Volkswille vorhanden ist, wird auch der VolkSwille zur Geltung kommen, und durch den V o l k s w i l l e n das Programm der Sozialdemokratie. Die letzte Wahl hat neben anderen Bortheilen auch den für unS ge- habt, die UnHaltbarkeit unserer politischen Zustände und insbesondere die Mangelhastigkeit unserer Wahlgesetzgebunz in grellste Beleuchtung zu stellen. Wer eS ehrlich mit dem Volke, wer eine Volksvertretung will, die das Fühlen und Denken des Volkes treu ausdrückt, muß mit uns dar- auf hinwirken, daß Wandel geschaffen wird. Es ist nothwendig, daß die Zahl der Vertreter mit der Z a h l der Wähler in ein genaues Verhältniß gebracht wird(durch die Proportionalvertretung"). Noch nothwendiger ist es, das Geheimniß der Stimmen- abgäbe und die Freiheit der Wahl durch klare und scharfe Gesetzesbestimmung(Kouvertwahl u. s. w., strenge Bestrafung Zuwider- handelnder) zu sichern. Wer da verlangt, daß das R e s u l t a t d e r W a h l e n(die Gesetz- gebung) geachtet werde, der muß auch vor Allem die Frei- heitderWahl und die Unabhängigkeit der Wähler achten. Es ist uns Sozialdemokraten oft der Vorwurf gemacht wor- den, wir seien keine parlamentarische Partei und wir erstrebten die Ver- wirklichung unseres Programmes außerhalb des Parlaments, auf unge- setzlichem Weg, durch die gewaltsame Revolution. Einen abgeschmackteren und unehrlicheren Vorwurf kann eS nicht geben. Den heutigen Parlamentarismus schätzen wir freilich nicht hoch, aber nur weil er aus einer Scheinvertretung des Volkes beruht. Für das Prinzip der Volksvertretung vermittelst des allgemeinen, gleichen und direkten Wahlrechts sind wir stets eingetreten. Unsere Partei war die erste, welche die Bedeutung des allgemeinen Wahl- rechts erkannte, und sie ist die einzige, welche dem allgemeinen Wahlrecht aufrichtig anhängt. Wir haben stets gesagt, daß, wenn die Möglichkeit vorhanden sei, den Staat und die Gesellschaft durch das frieclichs Mittel des allgemeinen Wahlrechts so umzugestalten, wie es das L-bensmteresse des Volkes erheischt, Der«in Wahnsinniger sein müsse, welcher die gewaltsame,blutige" Revo- lution vorziehe. Das allgemeine Wahlrecht darf jedoch nicht zum Blendwerk gemacht, darf nicht gefälscht werden. Wie kann man von derStimme des Volkes" bei einer Wahl reden, die durch Lüge, Be- trug, Vergewaltigung, Bestechung zu Stande gebracht ist? Bei einer Wahl, wo Wind und Sonne nicht gleich vertheilt sind? Wo der einen Partei Alles erlaubt, der anderen Alles oerboten ist? Ebensogut könnte man es einen ehrlichen Zweikamps nennen, wenn ein bis an die Zähne Bewaffneter über einen Gefesselten und Unbewaffneten herfiele. Das Wesen einer Wahl besteht in der Freiheit der Entschei- d u n g. Ohne Freiheit der Entscheidung keine Wahl. Eine Wahl, bei welcher nicht jeder Wähler die volle Freiheit der Entscheidung hat, ist eine Posse nichts weiter. Wer wirklich die friedliche Entwicklung unserer Staats- und G e s e I l s ch a f t s« Verhältnisse will, derhat mitun« in erster Linie f ü r d i« Fr e i h e i t d e r W a h l und den Schutz der W ah l- freiheit einzutreten. Das allgemeine Wahlrecht ist zugleich die demokratischste und die konservativste Einrichtung das Wort konser- vativste Einrichtung in seinem echten ursprünglichen Sinne gebraucht, staatserhaltend", d. h. den Staat vor gewaltsamem Umsturz bewahrend. Das allgemeine Wahlrecht frei ausgeübt und der Wahl- spruch des allgemeinen Wahlrechts geachtet das ist die sicherste, das ist unserer festen Ueberzeugung nach die einzige Bürgschaft einer friedlichen Resorm, die einzige Rettung vor blutigen Umwälzungen. Zu einer friedlichen Entwickelung unserer Staats- und Gesellschafts- Verhältnisse gehört unter allen Umständen auch die Abschaffung der Ausnahmegesetze, welche der Arbeiterklasse den gesetzlichen Weg der Resorm versperren, das Rechtsgefühl des Volkes vernichten und dem Satz: die Gerechtigkeit ist die Grundlage des Staates, ins Geficht schlagen. Die Aechtung der Sozialdemokratie heißt Züchtung der Anarchie und des Anarchismus. Haben wir wirkliche Wahlfreiheit und freie Wahl; wird der Ausdruck des allgemeinen Stimmrechts als Ausdruck des Volkswillens respektirt und ist er daS oberste Gesetz, dann steht der friedlichen Lösung der sozialen Frage kein Hinderniß mehr im Weg und das Schreck- gespenst der Sozialreoolution wird durch die Sozial- resorm gebannt. Aber keine Scheinreform! Die Gesetze und Gesetzentwürfe, welche man in gewissen Kreisen für den Inbegriff der Sozialreform zu erklären liebt: das Kranken-, das Unfall- und da« zum hundertsten Male angekündigte Altersversorgungsgesetz berühren den Kern der sozialen Frage gar nicht. Sie Helsen keinem Arbeiter, dem nicht nur in anderer Form auch ohne dies« Gesetze, vom Staat oder der Gemeinde geholfen werden müßte, oder muß. Wichtiger als die sogenannte Arbeiterversicherung wäre die Arbeitsversicherung; d. h. die Garantie beständiger Arbeit. Allein unter den heutigen Produktionsverhältnissen ist an beständige Arbeit nicht zu denken. Dienationale Produktion" ist nicht planmäßig geregelt sie befindet sich in den Händen von Privatspekulanten, die nur den eigenen Nutzen, nicht das Gesammtwohl im Auge haben: die außer Stand sind, den Markt zu überblicken, also auch außer Stand, die Produltion mit der Gonsumtion(die Waarenerzeugung mit dem Waarenverbrauch) in Har- monie zu setzen; und die, in schrankenloser Konkurenz untereinander, die Gesammtproduktton nicht zu kontroliren vermögen und zur tollsten Kräftevergeudung und finnloserU e b« r p r o d u k t i o n" ge- trieben werden. (Fortsetzung folgt.)

Sozialpolitische Rundschau.

Zürich , 17. August 1887.

Man schreibt uns: Die deutsche Polizei lernt zwar nichts daS gehört zur Natur und zum Handwerk der Polizei aber sie macht doch Fortschritte, wenn auch nur in der G e m e i n h e i t und Niedertracht. Und zwar ist eS die Leipziger Polizei, da wir hier den Preis zuerkennen müssen. Wie den Lesern bekannt, wurde im Frühling dieses JahreS in Leipzig ein Blatt gegründet, welches sich von vornherein offen als Organ der Sozialdemokratie hinstellte, jedoä erklärte, sich von allenumstürzlerischen Ausschreitungen", gegen welche das Soziali st engesetz seinem ausdrücklichen Wortlaut nach ge- richtet ist, fernhalten zu wollen. Obgleich das Versprechen mit peinlichst« Sorgfalt erfüllt wurde, verbot die Polizei doch dasLeipziger Volks- blatt" dies war der Titel. Daß sie das Blatt ohne rechtlichen Gründl dem ausdrücklichen Wortlaut deS Sozialistengesetzes zuwider verbot, da« ist es indeß nicht, was ich unter polizeilichemFortschritt" verstände« habe. Das war alte Praxis, und so ziemlich alle Zeitungsverbote unter dem Sozialistengesetz sind mit gleicher Willkür und gleicher Ver- achtung des Gesetzes und Rechtes verübt worden. Das Neue d« Fortschritt war: nicht blos der Redakteur daS verstand sich nach der alten Polizeipraxis von selbst, sondern auch der Drucker, in dessen Offizin das verbotene Blatt hergestellt worden war, wurde ausgewiesen. Das war noch nicht dagewesen. Das war eine Infamie ganz neuer Sorte. Und beim Essen kommt der Appettt sagt das Sprichwort. Die Polizei der berühmten Seestadt Leipzig war auf die Bahn des Fort- schritts gerathen, und auf dieser Bahn eitte sie kühn voran. Und bald schaffte sie sich Gelegenheit ,u einer neuen, noch erstaunlicheren Polizei» sortschritti-That. An Stelle des verbotenenVolksblatt" war inzwischen eine ander« Zeitung gegründet worden:Der Beobachter", welcher, um der Polizei j» keinen Vorwand zu geben, das politische Gebiet ganz ver' mied und die soziale Frage mit der äußersten Mäßigung beha»! delte. Natürlich hinderte das die Polizei nicht, auch denBeobachter' zu verbieten. Auch das war nicht zu verwundern, denn die Polizei braucht keineGründe" wozu ist sie Polizei? Aber nun geschah das Erstaunliche: zwei Setzer, die das verboten« Blatt gesetzt hatten, sind zu Anfang dieser Woche aus Leipzig aus« gewiesen worden. Das ist ebenfalls und erst recht noi nicht dagewesen, und die Leipziger Polizei kann mit Stolz von si< sagen:Wir haben Großes geleistet und Neues, woran noch Keine von uns gedacht!" Es fragt sich nun, was wird die Leipziger Polizei nach dem nach sten Zeitungsverbot thun? Denn es ist in Leipzig bereits ein drit te s Blatt ins Leben gerufen worden:Der Landtagswähler", der, sein Name andeutet, sich blos mit den bevorstehenden Landtags wählen und anderen, den Land tag und zwar blos den sächsisch« betreffenden Dingen befaßt, und allen anderen Fragen geflissentlii aus dem Wege geht. Nun sollte man freilich meinen, im Landtag und in den Landtags wählen könne selbst mit dem stärksten Vergrößerungsglas nichts Umstürz lerisches entdeckt werden, aber die Polizei hat ihren eigenen Polizeivel stand und sie hat ihre eigenen Polizeiaugen. Sie denkt, wie kein ander« gewöhnlicher Mensch, und sie sieht, was kein anderer gewöhnlicher Mensi sieht. Und so wird sie innerhalb einiger Wochen unzweifelhaft wieder Material" zu einem Verbot aufgesammelt haben. Und dann? Dann wird sie vermuthlich die in der Druckerei beschästtgten Mäd» ch e n ausweisen die Bogenfängerinen und Falzerinnen. Und w i r werden uns dann nicht wundern s o weit haben wir'k glücklich gebracht. UedrigenS ist es ganz in unserem Interesse, daß die Polizei solch' geniale Polizeistreiche macht der Mass« der bisher Indifferenten wei­den die Augen immer mehr geöffnet. Sogar einzelnen Richtern beginnt es aufzudämmern, daß eS nich so fortgehen kann, und daß die Gerichte Front machen müssen gegen de» tollen Polizei-Unfug, wenn anders die deutsche Justiz nicht rettungslos der allgemeinen Verachtung anheimsallen soll. So hat zum Beispiel d» Strafkammer des Landgerich-S Altona es abgelehnt, die im MB dieses Jahres wegen angeblicher Verbreitung verbotener Schriften eis gekerkerten Genossen unter Anklage zu stellen, wie ein Telegramm d» Frankfurter Zeitung " mittheilt.-- Noch ehe ich Zeit habe weiterzuschreiben, wird das Telegramm widel rufen. Es hat den Altonaer Richtern ein schweres Unrecht gethan. S' sind keine sentimentalen Lämmerschwänzchen, die ideologische Rechts- vir G-wissensskrup el haben. Sie kennen ihre Aufgabe als Richter im Reich der Gottesfurcht und frommen Sitte: Ordre pariren und verurtheile» DieGründe" zu finden, ist ihre Sache. Das sonderbare Quidproquo entstand dadurch, daß die Polizei Verzeihung, ich wollte sagen, die Staatsanwaltschaft, zwei Bnklags beantragt hatte,«ine auf Grund des Sozialistengesetzes weg« Verbreitung verbotener Schriften, und eine andere auf Grund d« Reichsstrasgesetzbuches wegen Zuwiderhandlung gegen di» famosenGeheimbunds">Paragraphen 128 und 123. Die Altonaer Land richter haben nun die erster- Anklage allerdings zurückgewiese» die andere, und zwar die Haupt-Anklag«, jedoch ausrecht erhalten. Es beweist dies, daß die Altonaer Landrichter ganz gute Leute sin und begriffen haben was wir schon hundertmal gesagt, daß dal gemeine Strafrecht den Herren Reaktionären weil

taffen darbietet als das Sozialiste«

schneidigere g e s e tz. Allein warum klammern sich unsere Feinde trotzdem so fest an da» Sozialistengesetz?" fragt vielleicht Dieser und Jener. Je nun, Sozialistengesetz proklamirt die Polizeiallmacht und gibt unbeschrä! Vollmacht zu chikaniren und zu maltraitiren. Dessenungeachtet glaube ich, das Sozialisten gesetz wäre nicht erlass« worden, wenn die Urheber desselben eine Ahnung davon gehabt hätte« bis zu welcherTiefe der Niedertracht der deutsch ' Richterstand sich würde herabdrücken lassen. Freuich dazu bedurfte es gerade dererzieherischen Wirkung del Sozialistengesetzes ".

Er ist so groß, daß s pätere Zeiten es gar nicht fassen werde» daß ein solcher Manu thatsächlich gelebt hat" das ist die neueste Le> stung eines schriststellernden Patrioten. DerEr" ist natürlich d«> pommersche Krautjunker und Schnapsbrenner Bismarck . Recht m» jedoch unser Patriot haben. Spätere Geschlechter werden es allerdinjf nicht begreifen können, daß gegen Schluß des neunzehnten Jahrhundertl ein solcher Mann" auch nur«inen Tag lang sein Wesen t)4 treiben können, ohne als gemeinschädliches Subjekt in's Zuchthaus ow Rarrenhau« gesperrt worden zu sein. Apropo«, bei dieser Gelegenheit fällt unS ein, daß die deutschen Reptil blätter dem verstorbenen italienischen Ministerpräsidenten Depretis als Hauptverdienst angerechnet haben, daß er arm gestorbe» Wir wissen nicht, ob es wahr ist. Aber das wissen wir, wenn Bismarl einmal stirbt, wird ihm das Gegent heil alS Verdienst angerechn� werden müssen.

3nter Denn das ZI dürfe:

Der Kaiser ist gesund",der Kaiser ist ausgezeichnet g» sund",der Kaiser ist gesünder als gesund" das lesen wir in alle» Zeitungen jeden Tag zum Frühstück, zum Mittagessen und zum Abend brot. Der arme Wilhelm! Es muß schlecht um ihn stehen. Denn wV von der Tugend einer Frau gilt, daS gilt auch von der Gesundhett sie ist um so weniger fragwürdig, je weniger man davon spricht, uv» am besten steht'S um sie, wenn man gar nicht von ihr spricht. F>s eine neueKaiserzusammenkunft" hat's aber doch noch gelang' Und nun hören wir wieder einmal, daß der Weltfriede gesichert ist bis es morgen früh den Reptilien einfällt, daß die Welt ja keinen Fried«» haben und nicht an den Frieden glauben darf, wen« der Waizen W pommerschen Schnaps« und Krautjunker blühen soll.