Möglichste geleistet, eine Opposition im Lande zu schaffen, die leicht irregel-ttet und von politischen Abenteurern ausgebeutet werden iann> I« größer die Unfähigkeit aus dieser Seite, um so günstiger die Ver« hältniffe für die sozialistische Agitation und Propaganda, die bei ge- höriger Entfaltung ihre Wirkung nicht verfehlen wird. 0-n.
Das alte Märchen.
Wie wir auS einem Artikel des„Philadelpia Tageblatt" ersehen, hat der bekannte Naturforscher Profeffor H ux l ey in einer englischen Revue, dem„NInetenth Century"(19. Jahrhundert), einen Artikel über den „Kampf um» Dasein" veröffentlicht, in welcher er daS alte Märchen von der drohenden Uebervölierung, der die Menschheit entgegengeht, aufi Neue auftischt. „Die Menschheit, so dozirt Huxley, vermehre sich ohne Grenze; wenn sie kein biblisches Gebot achte, so befolge sie daS eine:„Seid fruchtbar und mehret euch", pünktlich. Aber in der zivilistrten Gesellschaft sei da» unabänderliche Resultat der Befolgung dieses Gebots, daß der Kampf ums Dasein— der Krieg Aller gegen Alle— dessen Abschwächung oder Beseitigung doch die hauptsächlichste Aufgabe der sozialen Organisation sei, in voller Schärfe geführt werden müsse. Drei Billionen Menschen müßten in jedem Jahrzehnt zu Grunde gehen unter dem Andrang der Neu-Ankömmlinge. Die Massen werden nicht gefüttert und werden nicht Hunger leiden wollen. Die Gesellschaft arbeite an ihrer Zerstörung durch ihr« Macht der Reproduktion. Das Wachsthum der Zahl der Individuen bringe die Löhne herab. Damit komme daS Elend, und wenn sein Maß voll ist, werden die Hungrigen die Gesellschaft zertrümmern. Solange die Zahl der Elenden gering ist, kann man mit ihnen fertig werden; ihre Gegenwart muß geduldig ertragen werden. Aber wenn die Organi- sation der Gesellschaft, anstatt diese Tendenz zu mäßigen, sie ver« schärst, wenn eine gegebene soziale Ordnung offenbar zum Schlimmen wirkt, dann werden die Leute natürlich es an der Zeit halten, ein neues Experiment zu versuchen. Der thierische Mensch, welcher finde, daß ihn der Gebildete in einen solchen Sumps geführt habe, proklamire die ur- sprüngliche Souveränität de» Individuums— die Anarchie, welche nichts Andere» bedeute, als an die Stelle deS sozialen KoSmoS(geordnete Welt) da» Chaos zu setzen und den thierischen Kampf umS Dasein aufs Neue zu beginnen. Die Entwicklung werde denselben Weg wieder einschlagen und so weiter ins Unendliche. Die Wissenschaft kenne ein Gesetz der Entwicklung, nicht deS Fortschritts, und daher möge jene wohl einen Rückschritt bedeuten." Dazu bemerkt daS„Tageblatt" sehr richtig: „Einen gräulicheren Pessimismus, der hier im Gewände der Wissen- schaft auftritt� kann man sich kaum vorstellen. Zum Glück steht die Sache denn doch wesentlich anders, als ste der Professor darstellt. Seine Bor- auSsetzung, daß die Produktion von Lebensmitteln nicht mit dem Steigen der Bevölkerung wachse, ist längst abgethan. MalthuS, zu dessen Lebens- zeit die Maschinerte in ihrer Kindheit stand, durfte dergleichen noch an- nehmen. Aber heute, wo der Ueberfluß von Lebensmitteln zu einer Quelle von Verlegenheiten wird, noch behaupten zu wollen, daß die Frag« der Ernährung überhaupt existire,— das kann nur passiren „einem Kerl, der spekulirt" und die Dinge um stch herum nicht steht. Der Mensch, der mit einem Mund zur Welt kommt, bringt auch ein Gehirn und zwei Hände mit, die er so anzuwenden gelehrt wird, daß er, mit den ihm zu Gebote stehenden Hilfsmitteln, der Maschinerie, und überhaupt derer, welche die Wissenschast dem Menschen an die Hand ge- geben hat, weit mehr erzeugt, als zu seines Lebens Nothdurft oder An- nehmlichkeit erforderlich ist. Diese Thatsachen haben wir greisbar vor unseren Augen und sie schlagen den Prof. Huxley und seine Spekulativ- nen gründlich auS dem Felde. „Was er dargelegt hat, daS zeigt nur, daß„eine gegebene so- ziale Organisation" mit den Bedürfnissen eines großen Theils der Menschheit in Konflikt koinmen kann, und dieser Fall liegt jetzt vor. Grade die große Produktivität ist eS, welche den Mangel unter den Volksmassen herbeigeführt hat, und durchaus nicht der absolute Mangel an Lebensmitteln oder die Nnsähiz- teit, dieselben zu erzeuge». E? erheben sich nun allerdings die Massen; aber wiederum ist der Schluß falsch, daß damit der Kreislauf einer neuen Entwicklungiperiode der Menschheit vom tiefsten Stande an be- ginnen müsse,— zu welchem Schluß man allerdings gelangen kann, wenn man, wie Huxley, hoffärtig die Menschen in einen großen Haufen „thierische" und eine Minderheit als„ethische" eintheilt. Sondern ste werden die Organisation der Gesellschaft ihren Bedürfnissen gemäß ge- stalten. Das ist Alles, waS von Nöthen. Die Frage der Ernährung können wir getrost denen, die weit, weit nach uns kommen, überlassen." Stimmt. Die ganzen Huxley'schen Ausführungen beweisen nichts als die absolute Nothwendigkeit einer GesellschaftS« reform im Sinne deS Sozialismus. Sie beweisen nichts, alS daß die heutige kapitalistische Gesellschaftsordnung, wenn ste sich ungehemmt fortentwickelte, mit Naturnothwendigkest die Menschheit in die wüsteste Barbarei zurückführen müßte. Sie beweisen nichts als die Kulturfeindlichkeit dieser Gesellschaftsordnung und die Nothwendigkeit der sozialen Umwälzung im Interesse des kulturellen Fortschritt». Daß der Fortschritt der Menschheit immer wieder an der Ueber« völkerung scheitern muß, ist ein Märchen, daß er an ihr scheitern kann, wenn der Sozialismus ihn nicht davor bewahrt, ist die Wahr« heit, die aber die Huxley und Konsorten nicht begreifen können, weil ste sich nicht über den Bourgeoisstandpunkt erheben können. Mögen sie an ihrer Bourgeoiskultur verzweifeln, wir Sozialisten blicken vertrauensvoll in die Zukunft.
Sozialpolitische Rundscha«.
Zürich , 28. März 1388. —„Eie Stellung Puttkamer'b ist erschüttert",„die Stel- lung Putikamer'S ist unhaltbar geworden"— erzählt unS feit Wochen die fortschrittlich« Presse, und auch ein Th-il der nationalliberalen singt das nämliche Lied. Air wollen nicht untersuchen, inwieweit hier der Wunsch Vater deS Gedankens ist. Genug— daß der preußische Polizei- minister in den letzten Monaten viel Pech gehabt und auch viele Ungeschicklichkeiten begangen hat. die in seinen eigenen Kreisen verschnupft haben müssen, da» unterliegt keinem Zweifel. Jndeß, daS ist kein Grund, ihn zu entlassen— Leute, die höher gestellt sind als Herr Puttkamer , haben Pech gehabt und Ungeschicklichkeiten begangen, und Nie- mand denkt an ihre Entlassung. Zwar— möglich ist heutzutage ja Alles, und so könnte denn auch Herr Puttkamer entlassen werden. Beklagt würde es von Niemand wer- dm außer von den— Sozialdemokraten, die sicherlich nie wieder einen der Partei so nützlichen Poltzeiminister bekommen werden. Sollte daS Schicksal ihn wirklich ereilen, so werden wir ihm einen Nachruf widmen, der seine Verdienste um unsere Partei würdigen und dem Gönner der Biedermänner Naporra, Jhring-Mahlow und Konsorten den Beweis liefern wird, daß die Sozialdemokraten nicht so bös sind, wie er sich einbildet, und jedenfalls ein dankbare« Gemüth haben. — Bis zu welchem Grade die Verblödung des Bürger« thumo in Deutschland bereit« gediehen ist, zeigt folgende Notiz, die jetzt die Runde durch die gesammte kaisertreu«— man kann auch sagen kaiser traurige— Presse des„DenkeroolkeS" macht. Sie ist, und auch das ist bezeichnend, zuerst in der von Herrn Boden st edt- R i r z a Schaff? herausgegebenen„Täglichen Rundschau" erschienen. TfefeS Organ für„gebildete" Philister erzählt über eine„merkwür- d i g- Erscheinung", welche am Tage der Beisetzung deS alten Wilhelm beobachtet worden sei: „Kurze Zeit vor Beginn der traurigen Feier, alS Alles schon vor dem kaiseriichea Palais versammelt stand und mit klopfendem Herzen, w weh- »üihig.seierlicher Stimmung de? Kommenden harrte, auch die beiden, an
der Ecke gelegenen Fenster der Kaiserin bereits so hergerichtet waren, um ihr beim Vorbeiziehen des kaiserl. Trauerzuges einen letzten Blick zu gestatten,— schwebte plötzlich hoch oben in den Lüften ein wilder Schwan, langsamen Fluges, über den Platz hinweg, wie vom Dome oder Schlosse kommend, am kaiserlichen Palais seitwärts vorüber, seinen Zug nach Westen nehmend. Uns Allen, die wir es gesehen, drängte sich der Ge- danke auf, als sei der theure Entschlafene im Geiste hinweggezogen über sein treues, dort unten trauerndes Volk!" Wirklich, eine sehr„merkwürdige" Erscheinung. Merkwürdig schon deßhalb, weil eS mit dem„Hoch in den Lüften schweben" der Schwäne so eine eigene Sache zu sein pflegt, und in profanen Gemüthem daher leicht der Verdacht aufkommt, daß der Vogel sich, wenn überhaupt an der Geschichte etwas Wahres ist, bei näherer Betrachtung als ein sehr prosaischer— Storch herausgestellt haben würde. Aber freilich, in «inen Klapperstorch konnte doch die Seele Kaiser Wilhelms nicht hinein- fliegen, und so mußte es mindestens ein Schwan sein, sintemalen die Adler in Berlin und Umgebung nur auf Hoflieferanten--c. Wappen zu gedeihen pflegen. Uebrigens war der Anblick, den das„trauernde, treue Volk" unten gewährte, nicht sehr erbaulich. Die Keilerei am Dom und auf dem Pariser Platz war durchaus nicht erhebend, selbst nicht für— Schwäne oder Störche. Doch dies nur beiläufig. Halten wir vielmehr fest, daß die Mutter Gottes von Marpingen , die„Pflaumen-Madonna", wie der „Kladderadatsch" sie nannte, als es noch Mode war, freigeistig zu thun, jetzt im protestanüschen Berlin ein treffliches Pendant gefunden hat. ES fehlte nur noch, daß die gebildeten Berliner andächtig in die Knie« ge- sunken wären. Und wer weiß, wenn's nicht so barbarisch kalt gewesen wäre, so würden sie'S auch wohl gethan haben— der März ist für der« gleichen aber keine passende Jahreszeit, weßhalb auch die Madonnen mit Vorliebe in den wärmeren Jahreszeiten zu erscheinen pflegen. So ändern sich die Zeiten. Ehedem gehörte es zum guten Ton, geist- reich zu sein, und wer eS nicht war, suchte ei wenigstens zu scheinen. Es war das keine»leicht« Aufgabe, und ging daher selten ohne die scheußlichsten Gesichtsverrenkungen ab. Heute ist es im Lande der Denker guter Ton, sich recht dumm zu geberden—„frumb und thumb"— und das bringt die respektable Gesellschaft Deutschlands mit erstaunlicher Virtuosität fertig. Mehr als weiland KobeS l. ist ste„in der Dummheit fast ein Genie." —„Interessante Enthüllungen"— wir leben nun einmal im Zeitalter der Enthüllungen— bezüglich der neuesten diplomatischen Kampagne gegen die Schweiz , bringt das ultrakonservative Organ des ultrakonservativen„eidgenössischen Vereins", die„Allgemeine Schweizer Zeitung". Unter dem Titel:„Unsere Nachbarschaft" schreibt dieses Blatt folgenden Artikel: „Die deutsche Presse nimmt sonst wenig Notiz von der schweizerischen und die Schweiz nimmt in ihr den kleinsten Raum ein... Mit der Polizeispitzelaffaire und dem in der übrigen Schweiz völlig unbekannt gebliebenen Basler Fastnachts-Pamphlet ist die Sachlage eine andere geworden. Man könnte es am Ende begreifen, wenn gewisse Berlinerkreise durch die Niederlage des Ministers v. Puttkamer etwas geärgert wurden. Aber die Beachtung, welche jenes Fastnachts-Pamphlet im Kanzlerblatte fand, deutet auf Mehreres, als nur diesen Aerger. Ja, man kann wohl sagen, daß dasselbe, wie sonst derartigen Elaboraten gegenüber üblich, keinerlei Beachtung gesunden hätte, wenn nicht eine Verstimmung schon vorhanden wäre, und in einem gewissen Sinne Stimmung gegen unser Staats« wesen gemacht werden wollte. Denn darüber kann bei der deutschen Regierung kein Zweifel bestehen, daß die Schweiz ihren int'r- nationalen Verpflichtungen ernst und gewissenhaft nachzukommen sucht. Allerdings tönt das Lied der„Norddeutschen" etwas im Tone der Polizeinoten der Vierzigerjahre; aber man würde diese Demonstrationen nur so bloS der Anarchisten- resp. der Polizeispitzelfrage wegen kaum unternommen haben und auf ein Fastnachts-Pamphlet hin nicht einen ruhigen, konservativen Staat als guaei revolutionär und sozialistisch dem deutschen Volk hinzustellen versuchen, wenn man blas mehr Strenge gegen die in der Schweiz stch aufhaltenden deutschen Sozialisten und Anarchisten erzielen wollte. Man kann wohl sagen, eS liegt etwas Andere» in der Luft, und e» kann«tck-t» schaden, auch weitere Eventualitäten in'S Auge zu sassen. Bismarcks Hände überall zu suchen oder zu finden, würde seiner eminenten staatsmännischen Befähigung viel zugemuthet sein. Die italienisch-französtsche Feindschaft, die nun zunächst in einem Zollkriege sich tiefer gründet, mag für Italien ? Alliirten gar nicht unangenehm sein. Für die europäische Verwicklung und unser Land insbesondere kommt aber dabei in Betracht, daß Italien den gegebenen Vorstoß nach Frankreich wohl am wirksamsten durch die Schweiz besorgt. Dabei erinnert man sich, daß Italien sein gesammtes Gesanbtschaftspersonal kürzlich von Bern abgeiufen hat, und die dem Lande und seiner Zentralbehörde befreundeten Persönlichkeiten mit solchen vertauschte, welche in dieser Hinficht noch keine wärmeren Gefühle haben und allfällig« Streitigkeiten mit unempfindlicher Kalt- blütigkeit ausfechten werden. Die schweizerische Neutralität stellt unser Land auf sich selbst; doch war dieselbe auch garantirt, und etwa Frank- reich gegenüber würde Deutschland unser gutes Recht event. wohl mit- betont haben. Wir waren ja auch gute Nachbarn, und daß wir jetzt auf einmal infolge eines Fastnachispamphlets so empfindlicher Ver- Warnung bedürftig«erden, verräth beinahe Wolfsstimmung, welche daS Lämmlein oben an der Quelle beschuldigt, das Wässerlein zu trüben, diesmal nicht, weil man das Lämmlein selbst fressen will, eher wohl, um jede anständige Regung niederzukämpfen, wenn stch das italienische Mitwölflein auf das Lamm stürzen wollte. Deutschland fürchtet nach Bismarck nur Gott, will Ruhe haben und wird deshalb um so geneigter sein, kleine Ruhestörer zu opfern. Wenn dem deutschen Volke der Glaube eingeimpft iverden kann, daß die Schweiz sich der revolutionär-sozia- listischen Piraterie schuldig mache, so dürft« es mit geringer Theilnahme das Schiveizerhäuschen in Brand stehen sehen. Und sollte die Schweiz im Kriegsfälle da? Aufsehen vielleicht der deutschen Macht anrufen, so wird man, wenn Italien der Friedensstörer ist, in Berlin die Achseln zucken und bedauern, daß die Schwei , nur geringem Interesse begegne; sie Hab« dies selbst verschuldet, und ihr angeblicher Deutschenhaß wird genügen, um daS Fehlen nachbarlicher Theilnahme zu entschuldigen. Doch mag dem sein, wie eS will, die Auslassungen deS Basler Fastnachtspamphlets und die geradezu unerhörte Berücksichtigung desselben sind.Anzeichen staatlicher Verstimmung, deren Ursache weder die Polizei- spitzet allein, am allerwenigsten aber Fastnachtspamphlete sind, und die überhaupt über Polizeistände hinausgeht. WaS man schon sonst wußte, daS prägt sich stärker aus: daß wir unser VerKauen nur auf Gott und uns selbst zu setzen haben." Dies der Artikel. Wie gesagt eines ultrakonservativen OrganS . Daß es sich bei der neuesten Schrneizerhatz um andere Dinge handelte alS um die Knebelung eine» mißliebigen Blattes in der Schwei, , da» mußte für jeden denk« fähigen Menschen von vorneherein klar sein. Puttkamer ist«in geschlagener, wenn auch noch nicht abgethaner Mann, und um seinetwillen, um ihm für seine Lockspitzel-„Niederlage" Genugthuung zu geben, ist der neueste Sturmlauf gegen die Schweiz nicht eingeleitet worden. Die„Allgemeine Schweizerzeitung" deutet wenigstens auf deS „Pudels Kern". Es handelt sich darum, die Schweiz für gewisse Kriegs-Eoentualitäten breit zu schlagen. Das„Rothe Gespenst" ist in diesem Falle blos die Maske deS Kriegsgespenst S. — Dem deutschen Pharisäerthum werden die tsovo Stimmen, die Herr B o u l a n g e r im Departement L'Aisne erhalten, Zweifels- ohne wieder zu allerhand hochtrabenden Betrachtungen über die z ä s a« ristischen Neigungen des französischen Volkes Anlaß geben. Nun, wir find weit entfernt, zu läugnen, daß es in Frankreich Leute giebt, die sich in der Jdeenströmung bewegen, die man gemeinhin als zäsaristisch bezeichnet, aber wir meinen, Niemand hätte weniger Grund, deswegen hochmüthig auf die Franzosen herabzusehen, als gerade die deutschen Musterpatrioten. Was in Frankreich sich jetzt aufs Neue Bürgerrecht zu erwerben sucht, das hat in Deutschland seit einem halben Menschenalter volle» Bürgerrecht, und zwar in einer viel schlimmeren, der freien Entwicklung des Volksleben« hundertmal gefährlicheren Form als in Frankreich . Seit 1868 steht Deutschland im Zeichen des Zäsa- rismus, und alle Befürchtungen, welche einsichtige Politiker nach dem
„glorreichen" Bruderkrieg jenes verhänguißvollen JahreS über den Gang der Dinge in Preußen-Deutschland äußerten, sind durch die Wirklichkeit bestätigt, ja noch überholt worden. Als wären sie heute ge- schrieben, so lesen sich folgende Sätze auS einer damals erschienenen Broschüre. Man urtheile selbst: „Wer immer die Krone deS absolutistischen Preußisch-Deutschland tragen wird, ob der wirkliche oder der Schattenkönig: es ist keine Frage, daß Bismarcks glänzender Erfolg an der Seite deS französischen Zäsarismus einen deutschen Konkurrenz- ZäsarismuS geschaffen hat, und— wenn das Volk weder in Deutschland , noch in Frankreich , die Konsolidirung des Zäsarismus vereitelt— so bereitet sich unaufhaltbar ein Riesenkampf um die Kontinental- Herrschaft vor, denn zwei Z i- sarismen können nicht nebeneinander bestehen.... Weit schlimmer noch alS für Frankreich würden sich die Folgen der Zentralisation für Deutschland zeigen. In Deutschland «angelt uns das elastische, impul- sive Element der romanischen Völker; wir haben hier keine Bevölkerung, bei der sich spontane. massenhafte Erhebungen mit Leichtigkeit und oft hervorrufen lassen. Einmal von der drohenden Zentralisation fest um- strickt, wird«S Jahrzehnte, ja vielleicht Generationen lang geduldig harren und immer tiefer in Knechtschaft versinken, bevor es(unter be- günstigenden Umständen außerhalb Deutschlands ) sich wieder einmal aufrafft.— Sehen wir doch auf Preußer. selbst. Sind dort vielleicht die Wirkungen des zentralisirenden Absolulismus nicht fühlbar genug? Hat die Rhein provinz, hat Schlesien , hat irgend eine der Provinzen noch irgend einen maßgebenden Einfluß auf die Landesregierung? oder wird etwa nicht der Gang der Dinge lediglich von Berlin bestimmt? Hat das Volk vielleicht als Ganzes noch ein« Stimme gegenüber der in Berlin zentralisirten Militär- und Steuerkraft des ganzen Landes? Ist das Volk von einer Bureaukratie, die von Berlin auS ihre Zweige bis in die fernsten Landeswinkel breitet, nicht etwa bis in die kleinsten De« tails seines Thun und Lassens bevormundet? Ist die sogenannte VolkS« Vertretung etwa nicht im selben Maße, als sich die Zentralisation voll- zog, rasch zu einer Schattenkomödie herabgesunken? Ist nicht das Volk selbst unter dem Gifthauche der Zenkalisation völlig demoralisirt?.. Was der Verfasser, M. Gritzner, ehemaliges Mitglied der beut« scheu Nationalbersammlung, hier von Preußen sagt, gilt jetzt Wort für Wort für ganz Deutschland . Der Zäsarismus hat sich konsolidirt, der Wille des Kaisers, der Zentralgewalt, ist überall entscheidend. er drückt dem ganzen öffentlichen Leben in Deutschland seinen Stempel auf. Mit Hilfe der liberalen Pfiffikusse, die sich einbildeten, mit dem Einen Fürsten später schneller fertig werden zu können, als mit de» dreißig kleinen Fürsten, trieb er diese zu Paaren, und als sie sich in ihre Vasallenrolle gesägt, vernichtete er mit ihrer Hilf« den letzten Rest von freiheitlichen Institutionen, der sich in Deutschland noch vorfand. Eine Partei nach der andern zwang er, vor ihm unterthänig Halt zu machen. in den letzten Jahren ist auch die weiland republikanisch gesinnte Volks« parket den Weg aller gutgesinnten bürgerlichen Parteien gegangen— grundsätzlichen Widerstand findet der Zäsarismus in Teutschland nur noch bei der Sozialdemokratie. Bor 22 Jahren schrieb eia Karl Blind noch im Anschluß an den oben zitirten Aussatz: „Wenn... diejenigen unserer Parteigenossen, welch« die Bismärckerei bisher als eine infame, verfluchte Tyrannei betrachtet und jeden Wider« stand gegen dieselbe für berechtigt gehalten hatten, jetzt den vorläufigen vollständigen Sieg dieses Systems herbeiwünschen, so können wir so schweren Gedanken-Jrrthum nur beklagen. Und wenn sie sich sogar gegen Solche ereisern, die vom demokratischen Gesichtspunkte aus die durch einen Monarchen, durch ein en Despoten, sich vollziehende Er« richtunz eines neuen politischen Gebäudes bekämpfen, so können wir nur erwiedern: Ihr werdet schon sehen, wohin Euch der „Teufelskerl" führen wird l" Der„Teufelskerl" hat das Wort deS Herrn Blind wahr gemacht, und heute liegt mitsammt den Freunden, die er damals warnte, auch Herr Blind vor ihm im Staube. — So wird denn auch in Holland der Sozialismus seinen Einzug in die Volksvertretung halten. Wie unsere Leser bereits aus der Tagespresse ersehen haben werden, ist unser Genosse F. D o m» l.a N l, u w e n h u i S im Bezirk Schoterland(Fries» :anb>-tir der Stichwahl ia:/» Stimmen zum Depu- tirten gewählt worden. Im ersten Wahlgange hatte er 789 Stimme» erhalten, sein liberaler Gegenkandidat, der„gemäßigte" Arbeiterführer H e l d t, 1062 Stimmen, und der Kandidat der Pietisten 567 Stimmm. Die Letzteren haben sich bei der Stichwahl theilS der Stimmabgabe enthalten, theils für RieuwenhuiS gestimmt. Wir brauchen daS nicht zu verschweigen, der Triumph unserer Genosse« wird durch diesen Umstand in keiner Weise verkleinert. Daß der viel» gehaßte, vielverlästerte Sozialist bei einem Wahlzensus, der der großen Masse der Arbeiter das Stimmrecht vorenthält, überhaupt zur Stichwahl gelangen konnte, ist schon ein Riesenerfolg der sozialistischen Agitation, die Wahl zum Abgeordneten ist da nur eine angenehm« Beigabe, der wir un» um so mehr freuen dürfen, als wir dessen sicher sind, daß die Thätigkeit unseres Genossen in der holländischen Kammer die Propa- ganda des Sozialismus in jeder Weise unterstützen und fördern wird, so daß bei der nächsten Wahl auch das Zusammengehen von Mucker» und Liberalen seinen Sieg nicht wird verhindern können. Auch in mehreren andern Wahlbezirken haben die Kandidaten der Sozialisten ansehnliche Stimmenzahlen auf sich vereinigt— ansehnlich natürlich im Verhältniß zu denen der Gegner, denn Dank dem von den Liberalen eingeführten Wahlzensus zählen die Wähler da nach Hun- derten, wo sie von Rechts wegen eher nach Tausenden zählen sollten. Es sind die frei gesinnten friesischen Bauern und Handwerker, die daS Manöver, den Sozialismus unter allen Umständen niederzuhalten, z» nichts gemacht haben. Die Liberalen haben stch mit ihrer halben Wahlreform selbst geschlagen. Sie find in der Kammer jetzt in der entschiedenen Minorität: 45 Libe« ralen stehen 27 Katholiken und 27 orthodoxe Protestanten, sowie 1 Sozia« list gegenüber. Sie haben den intelligenten Arbeitern das Wahlrecht vorenthalten und eS dem Kleinbürger, auf den sie rechnen zu können glaubten, gegeben. Dieser aber ist heute entweder ganz reaktionär oder er wendet stch den Sozialisten zu. Das hat stch anderwärt» ge» zeigt und jetzt in Holland wiederholt. Nun, mögen sie in sich gehen und in Sack und Asche trauern. Di« Niederlage des Kammerliberalismus bedeutet noch nicht die Niederlage der Freiheit und des Fortschritts. Der Geist einer neuen Zeit hält in der Person unsere» NieuwenhuiS seinen Einzug in da» bisherige Bollwerk der Privilegirten, und dazu rufen wir ihm und seinen wacker» Wählern ein herzliches Glückauf zu! — In Leipzig große Sozialistenjagd. Am 17. Mär, wurde ein Flugblatt, betitelt:„Ein Gedenkblatt zum 18. März" vertheilt,— da dasselbe höchst harmlosen Inhalts ist, so scheinen die Bertheiler keine besonderen Vorsichtsmaßregeln beobachtet zu haben, und der Polizei fiel es leicht, 30 der Vertheiler sofort abzufangen. Folgenden Tags wurden noch nachkäglich 15 Mann verhaftet, so daß sich die Zahl der Verhaf« tungen auf 45 beläuft. Offenbar soll die„konkludente Handlung" der „gemeinsamen Vertheilung" nach bekannter Schablone zu einem Ge» heimbundSprozeß verwerthet werden— dessen Arrangement für Leipzig schon seit Jahren geplant war. Daß der Coup gerade jetzt geführt wurde, ist auch nicht Zufall und hat mit der„neuen Aera" zu thun, welche nach einer weit verbreiteten Legende der RegierungSanKitt des„liberalen Kronprinzen" für Deutsch - land bedeuten sollte. Die Legende ist unbequem geworden; und da» „rothe Gespenst" muß spazieren geführt werden, damit das Angst- und Spießbürgerthum vor der„Freiheit" daS nöthig« Gruseln bekommt, und sich mit der Verlängerung des bisherigen Polizei- und GewalkegimentS abfindet. Wir müssen unS deßhalb überhaupt für die nächste Zett wieder auf eine Verschärfung der Sozialistenhatz gesaßt machen. Auch nach Attentaten, Kravallen und ähnlicher politischer Waare wird die Nachfrage sich wieder steigern. Nun— unsere Genossen find für derarttge Geschäfte nicht zu haben. UebrigenS hat die„neue Aera" fich bereits in ihrer wahren Gestatt zu zeigen beliebt: vergangene Woche wurde in Darmstadt die„Hessische Bürgerzeitung" auf Grund deS Sozialistengesetze» verboten. Also ganz wie vor dem„Zwischenreich". — Die Heuchelei obligatorisch tu Deutschland. — Dem Verbot der hessischen„Bürger-Zeitung" ging ein �denunziatorischer Artikel deS kartellbrüderlichen„Darmstädter Tageblatt"