Stütze für den Glauben an den Fortschritt der Menschheit noch niemals ist eine wirkliche Wahr- heit durch brutale Macht der Menschheit auf die Dauer entzogen, noch nie ein wirkliches Gut ihr für immer ge- raubt worden. Die Schläge, die die Wahrheit treffen sollen, mögen ihren Träger vernichten, aber der Wahrheit selbst können sie nichts anhaben. Gerade was sie tödtlich treffen soll, wird der Anlaß ihrer Bewährung. Ideen lassen sich nicht umbringen,«ine wahre Prophetie muß stch erfüllen, und eine für die Menschheit fruchtbare Umgestaltung wird allen Hinder- niste« zum Trotz stch vollziehen."... Entnommen einer CharfreitagSbetrachtung deS Doktor I. llreyenbühl in derReuen Zürcher Z e i t u n g." Warunl der Bauer so wenig von der Volksschule wissen will. Ueber dieses Thema finden wir in der Wiener  Gleichheit" einen Artikel au» der Feder Karl KautSky  '», der auch für einen großen Theil unserer Leser von hervorragendem Interesse sein dürfte. Er geht zwar speziell von den Verhältnissen im katholischen Oesterreich und ganz be. sonders deffen Gebirgsdistrikten au», trifft aber mit entsprechenden Modifikationen auch sür die Verhältniffe deS mehr protestantischen Deutschlands   zu. Kautsky   wendet sich dagegen, daß man die Zustimmung der österreichischen Bauernschaft zu dem reaktionären Liechtensteinischen  Echulantrag kurzerhand aas Unwissenheit, Bornirtheit und Verhetzung durch die Pfaffen zurückführe, sondern empfiehlt, den Gründen nachzu- spüren, welche die Bauern für dieseVerhetzung" so empfänglich machen. Er schreibt: Nichts gefährlicher im politischen Leben, als die Illusion, der Gegner wisse nicht, was er thue. Wenn eine breite Volksschichte sich einer be­stimmten Richtung zuwendet, so kann man als sicher annehmen, daß sie ihre guten Gründe dazu hat; und ist diese Richtung eine uns feindliche, so werden wir ihrer eher Herr werden durch Erforschung und wo mög> lich Beseitigung ihrer Ursachen, als durchAufklärung" und moralische Entrüstung. Ein Blick auf die Rolle, welche Kirche und Schule, Pfarrer und Schul- meister im Leben de» Bauern spielen, dürfte vielleicht Einiges zum Ver- ständniß des heutigen Kampfes um die Schule beitragen. Ein Bauer kann stch eine Dorfgemeinde ohne Pfarrer gar nicht denken. Jede Veränderung, die in einer kleinen Gemeinde von größ- ter Bedeutung ist, jede Geburt, jede Heirath, jeder Todesfall erfordert die Intervention des Pfarrers, der nicht nur diesen Veränderungen ihre feierliche Weihe zu geben, sondern sie auch genau zu registriren hat: er knüpft die Familienbande, er kontrolirt das Erbrecht. In der Kirche findet jeden Sonntag die Volksversammlung der Gemeinde statt, aller- dings immer mit einem und demselbm Redner; in ihr nimmt jede» Fest seinen Anfang. Der Pfarrer ist aber nicht blo» auf'» Engste mit dem sozialen Leben der Dorfgemeinde v:rwachsen, er ist auch in der Regel selbst ein Bauernsohn, oft stammt er aus derselben Gegend, in der er wirkt. Die Kirche rekrutirt sich heute nicht aus den Städten, sondern au» den Dörfern und den Schlössern der Großgrundbesitzer. Sie ist eine Zufluchtsanstalt sür erblose Söhne von Bauern und Adeligen und dabei eine Anstalt, die die Bauern, wenigstens direkt, nur wenig kostet. Die Kirche ist eine im Wesentlichen von Staatsmitteln erhaltene In- stitution. Ganz anders die Volksschule. Ihre Einrichtung wurde(verhält- nißmäßig gut) in Wien   von den Liberalen dekretirt, die Kosten der- selben aber wurden einfach den einzelnen Gemeinden zugewälzt. Die armen Bauerngemeinden hatten oft neue Schulen zu bauen, wodurch sie verschuldeten; ihre Abgaben wuchsen, um einenFremden" zu besolden. Denn der Schullehrer ist in der Regel kein Bauernsohn, wie der Pfarrer, sondern«inHerrischer",«in Stiidt.r, der..�erhungert auf 3 Saud kommt, UM sich auf Kosten der Bauern seinen Magen zu füllen". Und was bietet diese theure Schule dem Bauer? Das erste, was ihm ausstößt, ist, daß sie ihn in der Verwerthung der Arbeitskraft seiner Kinder hindert. Und das verdrießt ihn, der versinkende Bauer klammert sich an den Strohhalm der Kinderarbeit, wie der Handwerker an die Lehrlings ausbeutung. Er erliegt der Konkurrenz des landwirthschafllichen Großbetriebes, der Liechtenstein  « und Konsorten. Die Steuern bedrücken ihn immer härter, die Hppothekenzinsen steigen und der Ertrag seine« Betriebes sinkt. Mit den Gemeindeweiden und E-meindewaldungen hat er Viehweide und Streu verloren, bald mangelt ihm der Dünger und da» Zugvieh. Weib und Kind werden eingespannt, und zwar nicht blo» de» Sommers zu landwirthschaftlicher Arbeit, sondern vor Allem z u r Hausindustrie, die auch im Winter fortgeht, und derenSegnun- gen" immer weitere Gebiete Oesterreichs   heimsuchen. Die achtjährige Schulpflicht erscheint da dem Bauer als ein Hinderniß in seinem Kampf um die Existenz.Wie beschränkt!" ruft vielleicht Mancher.Die höhere Intelligenz, die die achtjährige Schulzeit in den Kindern entwickelt, ist später um so förderlicher." Das mag wohl sein, aber nicht für den Bauernstand. Wer intelligent und energisch ist, bleibt heute selten im Dorf. Er zieht in die Stadt, die ihm bessere Aussichten bietet. Es ist eine bekannte Thatsache, daß heutzutage das flache Land immer mehr entvölkert, indeß die großen Städte immer größer werden. Das gilt bereits nicht blo» für Europa  , sondern sogar für den Osten der Vereinigten Staaten  . Während im Westen Nordamerikas   die vor- dringenden Farmer, um Land zu gewinnen, Wälder niederschlagen, den Bison und auch den Bisonjäger, den Indianer, ausrotten, verödet im Staate New-Dork das flache Land, die Farmen werden verlassen, die Wälder dehnen sich wieder aus und der Wildstand wächst. Vielleicht er- leben wir s noch, daß die Reste der Rothhäute aus den Felsengebirgen in den Staat New-Dork versetzt werden! Die Wanderung vom flachen Land in die Großstädte ist eine Roth- wendigkeit für die kapitalistische Produktionsweise, sür die Bourgeoisie. Die industrielle Arbeiterklasse erhält keineswegs einen Lohn, der ihr« Reproduktion ermöglicht. Sie würde rasch aussterben ohne steten Zuzug vom Lande. Daher die Nothwendigkeit für die Bourgeoiste, gute Volks- schulen nicht blos für Arbeiter- sondern auch sür Bauernkinder zu haben. Denn wenn die Bauern ohne jede Schulbildung in die Städte zögen, wo sollte man verwendbare Arbeiter herbekommen? Gute Volksschulen auf dem Lande sind also eine Lebensfrage nicht so sehr für den Bauernstand als für die Bourgeoiste. Die Kosten derselben hat aber diese fast völlig dem Bauernstand aufgehalst. Der Bauer hat mit seinem Geld Zinsen an den städtischen Wucherer(für die Anleihen zu Schulbauten) und den Gehalt an einen Schullehrer zu bezahlen, da- mit dieser Arbeiter für die Stadt großziehe. Mit einem Wort, das heutige System der Aufbringung der Schul- kosten bedeutet eine Ausbeutung d-S flachen'Landes durch die Stadt, de» Bauern durch den Bourgeois, indeß das heutige System der Auf- bringung der K i r ch e n k o st e n eher da» Umgekehrte bedeutet. Daher neigt der Bauer mehr zur Kirche als zur Schule. Wollen die Liberalen dafür sorgen, daß die NeuschuU die Sympathie deS Bauern gewinnt, dann müssen sie dahin trachten, daß die Kosten für sie ebenso wie es für diejenigen Schulen bereus heute geschieht, in denen die Söhne der Bourgeoiste studiren Mittel- und Hochschulen vom Staat getragen werden, und daß jede Gemeinde eine gleich gute Schule erhält, ob sie arm oder reich sei. Das find nicht etwa sozialistische Forderungen die gehen um etwas weiter das sind Forderungen, die die Liberalen im eigenen Interesse zu stellen hätten, um ihrer Schule die Sympathien des Land- voll» zu gewinnen, um die Volksschule gegen, aste Angriffe der Feudal  - klerikalen sicher zu stellen. Es ist gar zu beq-um, auf Kosten der Bauernschaftaufgeklärt" zu sein. Ist es den Herren Liberalen wirklich so ernst mit derAus- ilärung", so mögen sie das durch die That beweisen, indem sie für sie zahlen. Uebernahme der Kosten der Schule und der Lehrmittel durch den Staat und Aufbringung der nöthigen Summen durch eine progres- sive Einkommensteuer: wenn die Liberalen einen dahingehenden Antrag dem Liechtenstein  'schen entgegensetzten, würden st« dem letzteren leicht den Wind au» den Segeln nehmen. Die Arbeiterschaft kann in der Sache nichts thun als protestiren, Dank ebenfalls dem Liberalismus, der ihr das Wahlrecht verweigerte. Jetzt kommen die Sünden der Halbheit über sein eigenes Haupt!" Sozialpolitische Rundschau. Zürich  , 4. April 1888. Run hat auch der von den deutschen   Offiziösen in Aussicht ge- stellteGnaden-Erlafi" Friedrich III.   das Licht der Welt erblickt. und wenn wir unser ehrliches Urtheil über denselben abgeben sollen, so müssen wir bekennen: wir sind zufrieden. Vollkommen und nach jeder Richtung hin zufrieden. Wie wir im Prinzip über das Recht der Gnade und Amnestie denken, brauchen wir hier nicht erst des Längeren auszuführen. ES kommt bei Beurtheilung des vorliegendenGnadenerlasses" ja nicht unser Stand- punkt in Betracht, sondern das, was bei den heutigen Machthaber« Sitte und Gebrauch ist. Die Staatsoberhäupter haben einmal dieses Recht und e» gilt oder galt bisher in monarchischen Kreisen für ein Anstands- gebot, bei gewissen Veranlassungen von ihm Gebrauch zu machen. Nicht daß von ihm Gebrauch gemacht wird, sondern w i e von ihm Gebrauch gemacht wird, ist daher der Erörterung werth. Friedrich III.   hat eS nicht sür angezeigt erachtet, seinen Regierungs  - antritt durch eine allgemeine Amnestie zu seiern. Wen darf dies wundern? Amnestiren heißt vergessen, ungeschehen machen, hat also nur einen Sinn, wenn ein politischer Systemwechsel eintritt, durchgreifend genug, um die früher begangenen politischen Vergehen wirklich aufzuheben, wenn eine Versöhnung bisheriger Gegeniätze in Aus- ficht steht. Ein solcher Systemwechsel ist aber, wie schon die ersten Regicrungsakte Friedrich III.   gezeigt haben, von ihm n i ch t zu erwar- ten. Der Mann, der in seinem ersten Erlaß von seinen Unterthanen statt von Staatsbürgern spricht, Standeserhöhungen rc. ankündigen läßt, wird vielmehr stramm an seinen Gottesinadenoorrechten und was damit zusammenhängt festhalten. Run sind zwar auch innerhalb der Schranken des bestehenden Systems Aenderungen von gewisser Tragweite denkbar, Aenderungen im Sinn« einer freieren Gestaltung deS politischen Lebens. Aber selbst wenn Friedrich III. al» Kronprinz den Willen gehabt haben sollte, in diesem Sinneliberal" zu regieren, so zeigt er als König und Kaiser, daß eS ihm an der nöthigen Kraft fehlt, feinem Willen entsprechend zu han­deln. Wie viel von diesem Mangel auf Rechnung seiner Krankheit kommt, wie viel auf seine individuellen Charaktereigenschaften, kommt hier nicht in Betracht. Wir haben es nicht mit dem Menschen, sondern nur mit dem Regenten zu thun. Die politische Persönlichkeit int-resstrt un» daß Friedrich Wilhelm Nikolaus aus dem Geschlecht der Hohen- zollern kein Menschensreffer ist, mag alte Weiber rühren, wir finden dabei nicht« Außerordentliches. Genug, Friedrich III. hat noch nicht eine Regierungshandlung vor- genommen, welche einen irgendwie in Betracht kommenden Gegensatz zum System Bismarck   erkennen ließe, wohl aber eine ganze Reihe solcher voll- zogen, aus denen hervorgeht, daß das System Bismarck   in der innern wie in der äußern Politik Preußen- Deutschlands   auch unter ihm fort- bestehen wird. Wer stch darüber noch im Unklaren befand, sich noch in Illusionen über die Gestaltung der Dinge in Deutschland   wiegte, den hat der am 1. April Bismarcks Geburtstag bekannt gewordeneAllerhöchst« Gnadenerlaß" mit nicht mißzuverstehender Deutlichkeit eines Besseren belehrt. Es werden laut ihmin Gnaden erlassen": Alle von einem preußischen Zivilgericht rechtskräftig er- kannten Geld- und Freiheitsstrafen wegen 1) Maj-stStsb-leidigung und Beleidigung von Mrtglieoern otB»»glichen Haufe«. 2) Verbrechen und Bergehen in Bezug auf die Ausübung der staats- bürgerlichen Rechte(Sprengung gesetzgebender Kör- perschaften, Wahlfälschung, Wahlbeeinflussung, Stimmenkauf. 3) Widerstand gegen die Staatsgewalt und wegen folgender, unter der Rubrik Verletzung der öffentlichen Ordnung aufgeführten Vergehen: Hausfriedensbruch, Aufreizung, Mißbrauch der Kanzel gegen die Staatsgewalt, Herabsetzung von Anordnungen der Obrigkeit durch Verbreitung erdichteter oder entstellter Thatsache n. �4) Beleidigung von Beamten, Religionsdienern, Mitgliedern der bewaffneten Macht, Beleidi- gung des Reichstags oder sonstiger gesetzgebender, bez. politischer Körperschaften. S) Vergehen gegen das R e i ch S p r e ß g e s e tz und gegen das preußische Vereins- und Versammlungsgesetz. 6) Gewöhnliche Uebertretungen. 7) Sonstiger Vergehen, sobald die Strafe nicht S Wochen Freiheitsentziehung und löl) Mark Geldbuße übersteigt. Auf den ersten Blick erscheint der Erlaß als ein ziemlich weitgehender bei näherer Betrachtung stellt sich das Bild ganz anders dar. Wegen emer ganzen Reihe der oben aufgeführten Vergehen sind, wenn über- Haupt je, in den letzten Jahren schwerlich Verurtheilungen erfolgt. So «rinnen wir uns absolut keines Versuchs,eine gesetzgebende Bersamm- lung des Reich» zu sprengen"(tz 105 des Str. G.-B.), und ebenso keiner Verurtheilung wegen Erörterung von Staatsangelegenheiten durch Geistliche von der Kanzel herab in einerden öffentlichen Frieden ge- sährdenden Weise". An Wahlfälschungen ic. hat es zwar in den letzten Jahren kaum gefehlt, aber sie sind von Angehörigen der herrschen. den Klassen verübt worden, uno wo kein Staatsanwalt ist, ist auch kein Richter. Dagegen fehle« unter 3) zwei Paragraphen, wegen deren in den letzten Jahren die meisten politischen Verurtheilungen stattgefunden haben: die W 128 und 12» de« Strafgesetzbuche«, die durch die famosen Reichsgerichtsbeschlüsse zu wahren politischen Mausefallen verinterpretirt worden sind. Die Opfer der schmachvollenGeheimbundS  "'Prozefle von Breslau und Posen, um nur die zu nennen, die den lautesten Protest der öffent- lichen Meinung erregten, sind übergangen. Ebenso ist keine Rede von Denen, die den Schlingen des schändlichen«usnahmegesetze« zum Opfer gefallen. Ueber, engte Sozialdemokraten, sowie überhaupt die poli« tische Opposition stellt dagegen zu den in den Gnadenerlaß einbe- zogenen Vergehen ein verschwindendes Kontingent. Sieht man sich z. B. die sogen. Majestätsbeleidiger näher an, so wird man finden, daß es fast ausschließlich Leute find, die sich wenig oder gar nicht um Politik kümmern und daher auch nicht gewohnt sind, ihre Zunge im Zaume zu hallen. Was da» StrafgesetzbuchWiderstand gegen die Staatsgewalt" nennt, wird in der Regel von Kutschern, Hausirern, Pflastertretern und dergleichen begangen, ernsthafte Politiker haben Besseres zu thun, als sich mit Schutzleuten zu raufen. Und so mit den meisten der im Erlaß aufgesührten Vergehen. Kurzum, der Gnadenerlaß hat eine F o r m u l t r u n g erhalten, welche die ernst- hafte politische Opposition, die Svtialdrmokratie, fast ganz leer ausgehe« läßt. Fern liegt es uns, darüber in Entrüstung zu gerathen. Wir konsta- tiren es nur, um die Situation zu kennzeichnen. Würde die Ruhe und Sicherheit des preußischen Staates im Geringsten gefährdeter sein al» jetzt, wenn sich dem in Altona   wegen Verbreitung de«Sozial- demokrat" zu 3'/, Jahre« Gefängniß verurtheilten Zigarrenmacher Kückelhahn, dem in Posen wegen Kandidirens zum Reichstag rc. zu '/»Jahren Gefängniß verurtheilten Buchbindermeister Janis- zewski und ihren Mitgefangenen die Kerkerthüren öffneten? Kein Mensch wird das im Ernst behaupten wollen. Warum bleiben sie ge- schlössen? Weil das Gesetz bleibt, dem sie zum Opfer gefallen, weil die Praxis in der Handhabung des Gesetzes bleibt mit einem Wort, weil daS System Bismarck   bleibt. Die deutsche   Repttlpresse will die Ausscheidung dersozialdemokratische» Vergehen" aus dem Gnaden-Erlaß durch einen angeblichen Beschluß der Berliner   Sozialdemokraten decken, jeden, der die Gnade annehme, au» ihrer Mitte auszuschließen. Das ist natürlich eine verlogene Ausflucht. Ein solcherBeschluß" kann höchstens im Hirn eines Puttkamer'sche» Lockspitzels, nie aber in den Kreisen vernünftiger Arbeiter gefaßt worden sein. Weiß doch jedes Kind, daß es bei generellen Gnadenerlassen über- Haupt kein Annehmen oder Ablehnen gibt. Wahrscheinlich werden unsre Berliner   Genossen jede» Einreichen von Gnadengesuchen perhorreszirt Haben, und daS würde allerdings den Betsall der Gesammtheit der Partei finden, wie eS durch das, was er nicht einschließt, auch der Gnadenerlaß zugesteht: Die Sozialdemokratie bettelt nicht um Gnade, sie verlangt ihr Recht. £! «» Der Kaiser Ist tobt eS lebe der Kaiser! Wilhelm: Sozialistengesetz, Haussuchungen, Verhaftungen, Verbote, Spitzeleien, Au»- Weisungen. Friedrich: Sozialistengesetz, Haussuchungen, Verhaf« tungen, Verbote, Spitzeleien, Ausweisungen. Wilhelm war Fried« rich, Friedrich ist Wilhelm! Nun, unsere Genossen hatten es zumeist nicht anders erwartet. Die armen Fortschrittler aber, die schon ein Regiment Richter gewittert hatten, laufen herum wie begossene Pudel und murmeln melancholisch: Wilhelm Friedrich, Friedrich und Wilhelm nach der Kladderadatsch-Melodie von Kunigunde   und Eduard. Die Polizei rächt sich für die Angst, welche sie nach dem Tode de» alte» Kaisers auSgesianden und entwickelt jetzt einen verdoppelten Eifer. Di« letzten Tage haben uns wieder zwei Zeitungsverbote, zwei Dutzend Haussuchungen und drei bis vier Dutzend Verhaftungen gebracht von kleineren Sewaltthätigkeiten und Maßregelungen gar nicht zu reden. Der MordSpatrlotlsmn» I« der Literatur. Bis zu welche« Albernheiten der Nationaldünkel und Nationaldusel führt, der sich heut» in Deutschland   allenthalben breit macht, dafür fanden wir jüngst in einem Heft derWestermann'schen Monatshefte", das uns zufällig in die Händ« gerieth, ein drastisches Beispiel. In einem Artikel über David Fr. Grabbe(Mai 1887) geniert sich ein Mitarbeiter der genannten Zeit- schrift, Namens Konrad Alberti  , nicht, folgenden Satz vor aller Welt auszusprechen: Es schmälert Schiller's poetische Größe nicht, wenn man behauptet, daß die Schillerverehrung heute nicht, wie sie e» wirklich ist, im lang- samen Sinken begriffen wäre, falls er für seine Dramen nationale Stoffe gewählt hätte!" Mit andern Worten: Schiller   hätte eS so machen sollen wie sein glück- licher Epigone Herr von Wildenbruch, dem es anVerehrung" heutzutage ja bekanntlich durchaus nicht mangelt. Der Mann ist fast so populär, obwohl lange nicht so unterhaltend, wie die selige Mutter Birch-Pfeiff-r. Das machen dienationalen Stoffe". Schiller aber, deffen Stücke, wie derWallenstein  ", in Südafrika  , oder wieKabale und Liebe  " bei den Eskimo's oder wie dieRäuber" bei den Papua'» spielen, der kann natürlich einen nationalen Deutschen de» glor- reichen zweiten Kaiserreiches nicht mehr begeistern. Gar nicht zu rede» von seinemDon EarloS", seinerMaria Stuart  ", seinerJungfra» von Orleans", seinemWilhelm Tell  ". Wie konnte der Mann nur eine« spanischen Prinzen, eine ultramontane, mit den F r a nz o s« n kokettirend« Schottin, eine französische Bauernmagd und gar einenmeuchelmörderi- scheu Schweizer  " zu Helden von Dramen nehmen! Hätte Kaisertragödie» schreiben sollen, wie der selige Raupach. Sind doch auch Shakespeare  » Hamlet  , Othello  , Lear, Romeo und Julie je. nahezu vergessen, während deS Briten   Kdnigsdramen seinen unvergänglichen Ruhm ausmachen!! Was würde dem Engländer passiren, der«ine gleiche Phrase, wie Herr Alberti über Schiller  , über Shakespeare   zum Besten geben wollte« .* sre *8 »a m H heu gei der voi . aus tut in ort ; unl »ieh S »ug als heii die Th' ich« 5-1 De! »ist S zeih Uni B-z Alle Preußen find vor dem Gesetze gleich heißt e» in der von sämmtlichen Beamten des Landes beschworenen p r e u ß i-__, schen Verfassung. Darnach sollte man meinen, daß auch alle» spri Preußen, die im Vollbesitze ihrer bürgerlichen Ehrenrechte und moralisch mei unbescholten sind, mindestens alle sogenannten freien Berufe gleichmäßig Alt offen stehen. Das ist aber ein schwerer Jrrthum. Was für den eine» Nreußen recht ist. ist für den andern nicht billig. Man lese NU» folgendes Aktenstück, welches derFränkischen TageLpost" jüngst au» Cottbus   zur Veröffentlichung zugeschickt wurde: Cottbus  , den 2S. November 1887. An den Bezirksausschuß zu Frankfurt a. d. Oder. neh jedk des nie «i vor sin! der trä: Wi t sag! zeit s e» Bf- Klage der Polizeiverwaltung zu Cottbus  wider den Konzipienten Robert G l e y Hierselbst auf Untersagung de« Gewerbebetriebs zum Anfertigen schriftlicher Aufsätze. Am S. November 1887 hat der Tuchmachergeselle Rober! Gley  , am 4. September 1850 zu Wittstock   geboren, Hierselbst, J0-' Mühlenstraße Nr. 351 wohnhaft, die Anfertigung von Schrisistücke»«ar und Ausführung von Rechtsgeschäften sür Andere beim hiesig» Magistrat angemeldet und hat derselbe diesen Gewerbebetrieb auf» aI8 genommen. Es liegen nun gegen den-c. Gley Thatsachen vor, dt« wei dessen Unzuverlässigkeit in Bezug auf diesen Gewerbebetrieb 1a9 darthun, derselbe ist nämlich ein hier öffentlich be- kanntet Agitator der Sozialdemokratie, zu der e»«je sich frei und öffentlich bekennt. Auch ist der k. Gley,»is wie das gehorsamst angeschlossene Etrasregister ergibt, wegen Ver- K-r anstaltung einer Versammlung unter freiem Himmel ohne obrigkeit- liche Erlaubniß mit 15 Mk. Geldstrafe, event. 8 Tagen Gefängniß,?er und wegen Vergehens gegen daS Sozialistengesetz, Verbreitung ver> botener Schriften mit 1 Monat Gefängniß und a Wochen Haft be- st. Beide Strafen find im Jahre 1888 gegen ihn verhängt wor- straft. den. Auf Grund dieser Thatsachen sind wir gezwungen, im öffent«! der lichen Interesse beim Bezirksautschuß klagend zu beantragen:"ei Dem Konzipienten Gley   aus Grund des§ 35 d-r am 1. Juli 1883 in Kraft getretenen ReichSgewerbeordnung für das Deutsche sov Reich, sowie des tz IIS d«S Gesetze  » über die Zuständigkeit de» üia Verwaltungsgerichtsbehörden vom 1. August 1883 den in Red« Hu stehenden Gewerbebetrieb betreffend die gewerbsmäßige Besorgung Bc fremder Rechtsangelegenheiten und bei Behörden wahrzunehmend« sin Geschäfte, insbesondere der darauf bezüglichen schriftlichen Auf- üir sätze zu untersagen. we Die Polizeiverwaltung:. sin gez. D r. M a y e r. ist, Also wegen zweier, rein politischer Vergehen untergeordnetste« Natur beantragt der biedere Polizeimeister von Cottbus  , einen sonst un- bescholtenen Bürger sür unzuverlässig im Sinne der Gewerb« ordnung zu erklären, d h. eine Maßregel zu verhängen, die von der Gesetzgeber ausdrücklich nur mit Bezug auf Leute vorgesehen worde ist, die sich g e m e i n e r Verbrechen schuldig gemacht oder gegen dii sonst Thatsachen vorliegen, welche ihre Rechtlichkeit in Zweifel stelle Und was thut der ehrenwerthe BezirksauS'chvß? Weist er die mit de. Grundsatz der Gewerbefreiheit in striktem Widerspruch stehende Zumuthung JJ- mit Entrüstung zurück? O nein; er beschloß in seiner Sitzung voo- i'1 15. Märzzu Recht", daß dem Verklagten der Gewerbe?* betrieb zu untersagen sei", und motivirte sein Urtheil damit, daß man höre:*n: ... Der Verklagte thatsächlichunzuverlässig" ,m Sinne der Gewerbe-"r ordnung sei, weil er die ihn besuchenden Personen stark beeinflussen könne, und er dadurch Gelegenhei!? hätte, noch mehr Anhänger der Sozialdemokratt«?? zuzuführen! Da« nennt man Logik! Das nennt man Rechtsgefühl! DieUnzu- verlässigkeit" besteht darin, daß er seine Klienten schädigen, zu leicht' fertiger Klage veranlaffen, belügen und betrügen könnte? Nicht doch, 7® weil er sie derSozialdemokratiezusührenkönnt«! 7� Eine prächtige Entdeckung, diese Auslegung des Begriffs derUnzu- verlässigkeit". Wird von ihr in allen Fällen der richtige Gebraus V gemacht, dann ist«in neuer Weg gegeben, den edlen Zweck desgemein- J*' gefährlichen Gesetzes":Existenzen zu untergraben" auch auf dem Bode» des gemeinen Recht» zu erreichen. Die Welt wird schöner mit jedem Tag.