wirst staunen— oder auch nicht, wenn Du ein Gedächtniß hast!) die fortschrittliche—„ V o s s i s ch e Z e i t u n g In ihrer Nummer vom 30. April sagt dieses Blatt sim redaktionellen Theil): „Unter den Mittheilungen aus der Schweiz veröffentlichen wir«ine an der Spitze des Zürcher „Sozialdemokrat" er- schienen« Erklärung, aus der hervorgeht, daß die Sozialdemokraten den vom Bundesrath geführten Schlag der A u s w e i s u n g der vier Hauptbetheiligten an jenem Blatte pariren zu können hoffen. Der„Sozialdemokrat" wird forterscheinen, und zwar an seinem bisherigen Erscheinungsorte, nachdem der schweizer Sozialdemokrat C o n z e t t die Redaktion des Blattes übernommen hat. Derselbe erklärt, daß er das Parteiorgan in dem bisherigen Geiste weiter- führen werde. Wenn der Bundesrath es nicht dulde, daß Ausländer von dem Allen zustehenden Rechte der Preßfreiheit Gebrauch machen, so könne er eS doch Schweizerbürgern nicht verbieten. Allein die Auffaffung, daß der Bundesrath Schweizerbürgern den heimischen Boden nicht wegen Gefährdung des Staat« unter Umständen eben so wie Fremden unter den Füßen wegziehen könne, scheint u n S nicht ganz sicher zu stehen. Abgesehen von der Thatsache, daß der Bund im Jahre 1373 den Schweizerbürger Bischof Mer- m i l l o d im Jntereffe der Eidgenoffenschaft und zur Aufrechthaltung der öffentlichen Ordnung ausgewiesen hat, untersagt die Verfassung auch nur den Kantonen die Verbannung ihrer Bürger, nicht aber ist der Bund durch sie in diesem Rechte beschränkt. Wenn der „Sozialdemokrat" unter der neuen schweizerischen Redaktion also glauben sollte, sich jeder Mäßigung im Vertrauen auf die Preßfrei- heit enthalten zu können, würde die Partei selber vermutlich am schlechtesten dabei fahren. Dagegen scheint allerdings festzustehen, daß die Ausweisung der vier fremden Sozialisten an der Thätig- keit der Sozialdemokratie in der Schweiz nichts ändern wird, während andrerseits die Bereitschaft, mit der die schweizerische Sozialdemokratie der deutschen hier zu Hilfe kommt, der„Jnter- nationalen" neuen Nimbus giebt." Der Vergleich mit Mermillod ist durchaus unzutreffend. Damals handelte es sich um einen Konflikt mit dem Ausland, in welchem Mermillod auf Seiten des Auslandes(des Papstes) stand— womit freilich die Maßregelung des katholischen Kirchenfürsten, die sich übrigens gleichfalls als ein Schlag ins Waffer erwiesen hat, keineswegs gerechtfertigt sein soll. Im Falle des„Sozialdemokrat" würde es sich aber einfach darum handeln, ob ein Schweizer Bürger, der von sei- nem schweizerischen Recht der freien Meinungs- äußerung gesetzlichen Gebrauch macht, deshalb, weil er dies thut, einer fremden Regierung zu Liebe aus seinem Heimathland getrieben werden kann. DaS wäre ja noch schlimmer als die Expropriation, welche den unter einem Ausnahmegesetz leben- den deutschen Sozialdemokraten seitens der Herren Bismarck , Puttkamer und Kompagnie zugedacht war und— ist. Die„Voffische Zeitung", die beiläufig schon früher verschiedentlich« höchst bedenkliche Seitensprünge dieser Art gemacht hat, kann völlig unbesorgt sein— die deutsche Sozialdemokratie wird nichts thun, was die Schweiz in Verlegenheit bringen könnte. Und nun von der deutschen Misöre. Der Streit zwar nicht um des Kaisers Bart, aber um des kranken Kaisers Person wird mit ungeschwächtem Eifer fortgesetzt. Rur daß die journalistische Meute, welche den Chef des Reptilienfonds bei seiner Kampagne etwas zu laut unterstützt hatte, zum„Kuschen" kommandirt worden ist. Der unterirdische Kampf ist darum nicht minder heftig; und die Herren Stöcker und Kompagnie rufen sogar den B e i st a n d d e s H t m m e l s an, indem sie beim Sonntagsgebet den lieben Herrgott bitten, den armen Kaiser doch durch einen sanften Tod recht bald von feinem Leiden— will sagen: Einfluß auf die Regierung zu erlösen! Man würde es nicht glauben, wenn die Thatsache nicht über jeglichen Zweifel verbürgt wäre. Und wohlgemerkt: die Pfaffen, welche so beten, und die Patrone, welche so beten lassen, betheuern ihre Hingebung an das Kaiserhaus und ihr« Begeisterung für das monarchische Prinzip. Fürst Bismarck zeigt hier wieder einmal sein großartiges D e S o r- ganifationStalent. Nachdem er das GotteSgnadenthum bombardirt, die preußische Bureaukratie untermintrt, da« deutsch « Bürgerthum demo- ralisirt hat, räumt er nun auch mit dem Kultus des Hohenzollernthums auf. Beffer könnte er nicht den„allgemeinen Umsturz vorbereiten"— um«ine seiner Polizei geläufige Redewendung zu gebrauchen. Die Aerzte des Kaisers sind bekanntlich ebenfalls in den politischen Kampf hineingetrieben worden und liegen einander in den Haaren. Herr von Bergmann, der vorigen November dazu auiersehen war, die Exekution des damaligen Kronprinzen zu vollziehen, ist so wüthend über den„Pfuscher" Mackenzie, der jene glorreiche Exekution ver- hinderte, daß er, unterstützt von einer großen Anzahl hoher und sehr hoher Herren, gegen denselben einen journalistischen Feldzug eröffnete, der ihm jedenfalls keine Lorbeeren, wohl aber die sprichwörtliche Selbst- Überhebung und Neidhammelei des deutschm Zunftgelehrten in vollstem Maße zum Ausdruck gebracht hat. Nachdem Herr von Bergmann durch seine Hetzereien den Ekel aller wahrhaft Gebildeten erregt, mußte er dieser Tage sein Amt bei dem Kaiser niederlegen. Unter der Hand hetzt er natürlich weiter. Im Verlaufe dieser widerwärtigen Polemik, welche die bodenlose Kor- ruption unserer höchsten Gesellschaft aufdeckte, entschlüpfte Mackenzie das Wort, die M i l i t ä r p a r t- i sei es, die ihn verunglimpfe. An dieses Wort klammert sich die„Kölnische Zeitung ", welche auch bei dieser Ge- legenheit ihre Aufgabe als cloacu maxima vortrefflich erfüllt hat, und fragt Herrn Mackenzie scheinheilig, was denn das sei, die„Militär- partei"— sie, die unschuldige eloaea maxima, wisse nichts davon. Nun, wir wollen der„Kölnischen Zeitung " und ihren duftenden Ge- schwistern sagen, w e r und w a s die„Militärpartei" ist. Die„Militärpartei" sind die Patrone, welche im vorigen Herbst auf die Ausschneidung des kronprinzlichen Kehlkopfes drängten und Jeden, der an dem baldigem Tod des Kronprinzen zu zweifeln sich erdreistete, für«inen Reich s seind erklärten. Die „Militärpartei" sind Diejenigen, welche sich die äußerste Mühe gaben, den nicht„exstirpirten" Kronprinzen zum Verzicht auf die Krone zu bewegen. Die„Militärpartei" sind die Junker und Pfaffen, welche die- fem Kronprinzen, nachdem er trotz ihnen Kaiser geworden, den geleisteten Treueid dadurch bekräftigen, daß sie ihn als tobten Mann hinstellen, für dessen„Erlösung" in den Kirchen zu beten ist. Die„Militärpartei" sind endlich— um auch zu dem Grund des Titels zu kommen— die Politiker und Militärs, welche fett Ritte der 70er Jahre mit zäher Ausdauer den Plan verfolgen, die französische Republik , u überfallen und Frankreich zu einer Macht zweiten oder dritten Ranges herabzudrücken. Die„Militärpartei" glaubt in dem jetzigen Kronprinzen ein ge- eigneteS Werkzeug gesunden zu haben, während der bürgerlich ange- hauchte Kaiser die Erhaltung des Friedens wünscht. Ihr Ideal ist das Bündniß mit Rußland ,— die Weltherrschaft getheilt zwischen Rußland und Deutschland — und, durch Z e r- stücklung Frankreichs ,„der Krater der Revolution" auf immer verstopft. Wer die Ereignisse des letzten Jahrzehnts und namentlich die jüngsten Vorgänge genau verfolgt hat, wird finden, wie systematisch an der Verwirklichung dieses Planes gearbeitet wird. Die Hindernisse sind freilich groß. Rußland gibt sich zu dem Büideriß nicht her, außer um den Preis der europäischen Türkei — und dann können England, Oe st erreich und Italien nicht auf russrsch-preuhifcher Seite stehen. Allein Bismarck sowohl als der russische Zar find zu verzweifeltem Spiele gezwungen, und Wil - Helm der Zweite ist von der Allmacht des Militär» und des Mili- tarismus so erfüllt, daß er das Abenteuer wohl wagen dürfte.-- Aus Frankreich . Paris , S. Mai 1888. Das Austreten eines Demagogen, und nicht einmal übermäßig geschick- ten Demagogen, wie Boulanger, hat genügt, den moralischen Bankrott der Bourgeoisie in Frankreich aller Welt vor Augen zu führen. Unter dem Geschrei,„die Republik ist in Gefahr," suchten die verschiedenen Parteien, welche das Kunststück fertig gebracht, Frankreich in siebzehn Jahren Republik an den Rand der Diktatur geführt zu haben, sich und das Volk über die Situation zu täuschen: sie haben damit indeß nur ihre Impotenz bewiesen. Gewiß, die Republik ist in Gefahr, allein weit we- Niger durch die Umtriebe und Jntriguen des Generals und seiner Hinter- männer, mögen sie alle noch so Plebiszit- und diktaturhungrig sein, als durch die Mißwirthschast der opportunistischen Bourgeoisie, welche den Namen der Republik mißbrauchte, um an dem Volke eine Ausbeutung ohne Gleichen zu üben. Im Großen und Ganzen ist nichts, fast gar nichts geschehen, was den Hoffnungen, welche die Masse an die Republik geknüpft, gerecht geworden wäre, dagegen sehr viel, was an ihren Vor- zügen irre machen konnte. Steuern und Abgaben sind ins Maßlose ge- wachsen, die Finanzen deS Staates trotzdem schwer erschüttert, Handel und Industrie fallen aus einer Krise in die andere. Arbeitslosigkeit und Elend nehmen immer riesigere Dimensionen an. DaS eigentliche Wesen der Erscheinung, die momentan als Boulangismus auftritt, ist das aus obigen Umständen folgernde, sehr berechtigte Mißbehagen der Nation. Die Kundgebungen für die Person des Generals sind nur die zufällige und unverständig« Busdrucksform der allgemeinen Unzu- friedenheit. In Folge unbegreiflicher Dummhetten seitens verschiedener opportunistischer Kabinete, die zum Untergrund der Reklame ward, ver- schaffte sich das nationale Mißbehagen unter dem Namen Hinz Ausdruck, es hätte sich ebenso gut unter dem Namen Kunz kundgegeben. So lange der General nur populär war, blieb er ungefährlich, feine diktatorischen Manöver, grobe und sklavische Kopien napoleonischer Kniffe, erhielten erst Halt durch die BundeSgenoffenschaft von Monarchisten und Bona- partisten, die ebenso wie er auf die bestehende Unzufriedenheit der Masse spekuliren. Diese ist und bleibt der Kernpunkt der Frage, die in der Form des BoulangiSmus wohl bald begraben sein wird(die Agitation und die Erregung der Gemüther haben bereits bedeutend nach- gelassen), um aber ebenso bald in einer neuen Form und so wiederholt aufzustehen, bis wenigstens die dringendsten Reformen in Kraft getreten sind. Bei dem ersten Ausbruch deS nationalen Mißbehagens, das sich in der Popularität Boulanger's äußerte, schlug den bürgerlichen Zunftpolitikern das Gewissen und erfüllte sie mit entsetzlicher Angst. Ihr Ruf von der bedrohten Republik lautet in einfache» Deutsch übersetzt:„Die Periode unsrer Mach!, das Volk zu regieren und auszubeuten, geht zu Ende!" Und im Gefühl ihrer unsicheren Situation sanken sich Opportunisten und Radikals in die Arme, die Gruppe der Poffibilisten sang:„Ich sei, ge- währt mir die Bitte, in Eurem Bunde der Dritte," und gab sich zum Schwanz der bürgerlichen Parteien her. Daß die Poffibilisten von Anfang an die gespannte Situation zu einer regen und energischen Propaganda gegen die plebiizitären Anwandlungen ausnützten, war nur zu billigen. In der Folge ist die Fraktion aber wieder auf die schiefe Ebene der„praktischen Erfolge" und einer nackten Opportunitätspolitik gerathen. Die antidiktatorische Agitation hat durch ausklärende Propaganda auf Grund des sozialistischen Programms zu geschehen; die erste Forderung, welche die Situation behufs Bekämpfung der Boulangisterei ergab, war die sozialistische Konzentra- t i o n, auf welche auch verschiedene Anzeichen hoffen ließen, während der Anschluß an die bürgerlichen Parteien durch das Prinzip des Klassen- kampfes, aus dem der moderne Sozialismus fußt, ausgeschlossen war. Die Poffibilisten predigen hingegen die„republikanische Konzentration" und marschiren Hand in Hand mit Radikalen und Opportunisten. Einer der Fraktionsführer erklärte in einer Versammlung ganz offen, daß für den Augenblick alle sozialen und ökonomischen Streitigkeiten bei Seite zu lassen seien, und die„gutgesinnte" Presse ist voll deS Lobes über die musterhafte Haltung dieser Fraktion der Arbeiterpartei; der„Temps" singt wahre Hymnen auf den gewöhnlich so verabscheuten Joffrin und seine Freunde. Man wird dem gegenüber unwillkürlich an das Sprich- wort erinnert:„Wenn uns unsere Feinde loben, so haben wir sicher eine Dummheit oder Schlechtigkeit begangen." Wie einseitig die Poffibilisten den Kampf gegen eine eventuelle Diktatur auffassen, beweist vor Allem ihr täglich erscheinendes Blatt„Le Parti Ouvrier". Die Behandlung de» Boulangismus als Personenfraze, die Angriffe gegen den General nehmen darin emen so breiten Raum ein, daß für die Erörterung der sozialen und ölonomifchen Fragen, die doch den Pfeiler deS Sozialismus bilden, kein Platz ist. Die Poffibilisten begründen ihre Haltung zwar mit dem Hinweis auf die gegenwärtige Situation, die vor Allem die Erhaltung der Republik fordere, ein Punkt, in dem alle sozialistischen Fraktionen einig sind. Auch die Kollektivisten, die unabhängigen Sozialisten, sowie trotz ihres Schweigens die Blanquisten sind die erbittertsten Feinde jeder Diktatur und bereit, mit allen Kräften für die Republik einzutreten, Gut und Blut für ihr« Erhaltung einzusetzen. Aber der lärmende Kamps gegen eine Persönlichkeit wie Boulanger ist ganz überflüssig. Eine derartige dreifache Null, wie Zola den„bravo ßöneral" ganz treffend bezeichnete, wird durch die Zeit und schweigende Nichtbeachtung weit besser abgethan, als durch eine Agitation, welche seinen Namen immer wieder in den Vordergrund zieht. Dies der Standpunkt der Kollektivisten und unabhängigen Sozialisten, die denn auch, obgleich sie sich ganz energisch gegen die Diktatur und Boulanger erklärten, und dem grund- und hirnlosen Personenkultus ent- gegengetreten sind, es doch abgelehnt haben, den Schwanz kapitalistischer Parteien zu machen. Diese prinzipiellen Momente sind auch maßgebend gewesen, wenn die letztgenannten, sonst so versöhnlich gestimmten Frak- tionen die Winke der Poffibilisten zu einer antiplebiszttären Konzentra- tion nicht beachten konnten. Es war ihnen unmöglich, die Rechte der Poffibilisten zu ergreifen, so lange deren Linke von Opportunisten und Radikalen gedrückt wirb. Wie gesagt, die Größe der Gefahr rechtfertigt die Schwanzpolttik keineswegs, denn Alles in Allem genommen lag bis jetzt mehr ein häuslicher Streit der bürgerlichen Parteien vor, dem gegenüber die Sozialisten nur wachsam zu sein hatten, damit die Masse nicht hineingezogen würde und schließlich die Zeche bezahlte.. Die bedeutendsten geistigen Kräfte der sozialistischen Bewegung Frank- reichs, Lasargue, Baillant. Suesde, fassen die derzeitige Lage in diesem Sinne aus. Vaillant hat seinen Standpunkt in einer meisterhaften Rede vor feinen Wählern entwickelt, die seine Stellung durchaus gebilligt haben, obgleich die Poffibilisten versuchen, das Schweigen der Blanquisten gegen Vaillant auszubeuten, Lasargue hat in einem längeren Brief an den„Jntransizeant" die Situation mit der ihm eignen Schärfe und Klarheit gezeichnet. Di- Taktik der Poffibilisten erschiene unbegmflrch, wenn sie mcht d,e Vermuthunz nahelegte, sie fei in Voraussicht der künftigen D-putirt-n. wählen berechnet. Di«„republikanische Konzentration" wird wahrschem- lich dadurch belohnt werden, daß die bürgerlichen Parteien etliche possi- bilistische Kandidaten auf ihr- Wahllisten setzen.<Zai vivra verra— wer leben wird, wird sehen. Der Pariser «emeiuderath hat endlich die von ihm beschloflenen Arbeitsbedingungen für städtische Arbeiten definitivs einführen können. Diese geschehen also von nun ab unter Beobachtung folgender Bestimmungen: a) Zwischenunternehmer sind ausgeschlossen. b) Pro Woche ist ein Ruhetag obligatorisch. o) Der Arbeitstag ist auf 9 Stunden normirt. ä) Für Tage-, Stunden- und Stückarbeit setzt die Stadt einen Minimal- lohn fest, Ueberstunden sind 25 Prozent höher zu entlohnen, Nacht- arbeit doppelt. «) Di- Stadt übernimmt ein Zehntel der Arbeiten in Regie, um sie direkt an die Gewerkschaften zu vergeben. () Nicht mehr als ein Zehntel der bei städtischen Arbeiten beschäftigten Arbeiter dürfen Ausländer sein. Morgen finden in Frankreich die Kommnnalwahlen statt. Nicht weniger als 36,000 Kommunen(Paris ist nicht inbegriffen, da«S sich in kommunaler Beziehung in einer Ausnahmestellung befindet) haben ihren Gemeinderath zu wählen. Die Sozialisten nehmen in der Provinz wie eventuell in Paris , regen Antheil an Kommunalwahlen, die Resultate werden nicht nur zeigen, inwieweit sich die Republik befestigt hat, sondern auch, welche Ausdehnung der Sozialismus gewonnen. Genosse G u e s d e führt feit Wochen im Norddepartement eine glänzende Agttations Kampagne, während der er auch der Boulangisterei entgegen- getreten ist, ohne dabei in die posstbilistische Taktik zu verfallen, lleber den Bussall der Wahlen werden wir seinerzeit berichten. O-n. Sozialpolitische Rundschau. Zürich , 9. Mai 1888. — Außer den bereits von uns erwähnten Demonstrationen in B e r n und Z ü r i ch haben auch i« den sonstigen größeren Städten der Schweiz , in Bafel, Biel , St. Gallen , Genf , Solo- thurn, Winterthur , sowie noch in verschiedenen kleineren Ortschaften Protestversammlungen gegen die Ausweisung unsrer vier Genossen stattgefunden, die sich sämmtlich im Sinne der Berner und Zürcher Resolution aussprachen. Ebenso haben verschiedene Bezirks- Versammlungen derGrütlivereine sich den Protesten gegen die Ausweisung angeschlossen. Daß sich in der schweizerischen Presse nur sehr wenig direkte Anwälte der Ausweisung gefunden haben, haben wir bereits erwähnt. Sehr scharf wird dagegen die Ausweisung in der gesammten Arbeiterpresse, der großen Mehrzahl der demokratischen und einem Theil der ultramontanen Organe angegriffen; von den letzteren nennen wir als ganz besonders schneidig das von Herrn Dr. Feigen- winter in Basel redigirte katholische„VolkSblatt". Von den in den ver- schiedenen Protestversammlungen aufgetretenen Rednern seien erwähnt, die Redakteure Locher in Winterthur undMettier in Biel , Fürsprech Reichel, Stadtrath Schräg und Stadtrath Riesen in Bern , Großrath Arnold in Basel und Fürsprech F ü r h o l z in Solothurn . Diese Männer, sowie überhaupt alle, welche in der Presse und in Ver- sammlungen gegen die Ausweisung ihre Stimme erhoben, haben sich nach unserer Ansicht um die Unabhängigkeit ihres Vaterlandes in hohem Grade verdient gemacht. Haben sie auch die Zurücknahme der Maßregel nicht bewirken können, so haben sie doch den Bundesrath in den Stand gesetzt, sich bei späteren, ähnlichen Zu- muthungen auf diese Proteste des Schweizer Volkes berufen zu können. Diejenigen Schweizer Blätter aber, die aus Parteihaß die Protestdemon- strationen zu verkleinem suchen, stellen ihrem Patriotismus damit das denkbar schlechteste Zeugniß aus. — Am letzten Samstag fand im Kasino Hottingen eine von den Ver- einigten Grütli- und Arbeitervereinen Zürichs zu Ehren der Ausgewiesenen veranstaltete AbschiedSfeier statt. Dieselbe war angesichts der Thatsache, daß verschiedene Arbeitervereine ihre MonatSversammlungen nicht hatten absagen können und sich entschuldige» ließen, sehr gut besucht und von ausgezeichnetem Geiste beseelt. Genosse Merk, als Vertreter des ZentralausjchusseS, leitete die Feier, die er durch eine kernige Ansprache einleitete, in vorzüglicher Weise. Von an- wesenden Schweizerbürgern sprachen unter großem Beifall Statthalter- Adjunkt(nach deutschen Begriffen etwa Untersuchungsrichter) Lang, Professor D o d e l- P o r t, sowie Arbeitersekretär Greulich, Lehrer Seidel, Genosse W ü r m l i und C o n z e t t— alle mehr oder minder scharf gegen den Bundesrathsbeschluß und die Ausgewiesenen ihrer wärm- sten Sympathie verstchemd. Diese selbst nahmen ebenfalls zu kurzen, der Situation entsprechenden Ansprachen das Wort und wurden von der Versammlung mit demonstrativem Beifall überhäuft. Dazwischen ertönten die Melodien sehr gut ausgewählter und mit kräftigem Schwung« vor- getragener Lieder. Mit einem von Genosse M o t t e l e r ausgebrachten Hoch auf den Fortbestand der Schweizerischen Republik schloß die Feier, die auf alle Theilnehmer einen wahrhast ergreifenden Eindruck machte,� und ganz besonders denen unvergeßlich sein wird, die- nun gezwungen' sind, den Boden der Eidgenossenschaft zu verlassen. Hoffen wir, daß sich die Worte bewahrheiten mögen, mit denen Herr Lang feine feurige An- sprach« schloß und deren Grundgedanke auch die folgenden Reden durch- zog:„Wir scheiden nicht für immer; in zehn Jahren wird sich Vieles ändern. Wir rufen: Auf Wiedersehen, aufWiederfehen!" — Die Sozialistenprozesse wachsen wieder wie die Pilz - aus dem Boden hervor. Im Rheinland, wo die Zahl der Haussuchungen sich auf nahezu 500, in Worten fünfhundert, belief, und die der Verhaftungen über 50— scheint kein„Material" gesunden worden zu sein. Für die 20 Genoffen, welch« in Haft behalten wurden, hat das— nach bekannter reichsüblicher Praxis— die unangenehme Folge, daß ihre üitsr-uchungshaft ä la Breslau auf unbestimmte Zeit ver- l ä n g e r t wird. Mit Gottes und eines beliebigen Lock- oder Lügen» spitzelS Hilfe muß sich ja schließlich doch etwas finden.— In Leipzig ist, nachdem wir vorigen Monat erst über den famosen Geheimbunds- prozeß gegen die Steinmetzen zu berichten hatten, aus dem Flug' blatt zum Andenken an den 18. März glücklich ein Monstreprozeß herauSdestillirt worden. Von den 42 Genoffen, welche verhaftet wurden» sind 21 noch heute im Gefängniß, obgleich die Untersuchung bereits ge» schloffen und die Anklageschrift schon vertheitt ist. Gegen alle 42 ist Am klage auf Verletzung des tz 130 und gegen 2 außerdem noch auf Grund des Z 129 erhoben.(Wir hoffen, gelegentlich Näheres mittheilen zu können.) Natürlich wird die Anklage von Herrn Oberstaatsanwalt Häutzschel vertreten, der die Sozialistenjagd nachgerade zu seiner Spezia» lität gemacht hat und gewissermaßen als Sport betreibt. — In Hannover haben in letzter Zeit verschiedene Verhöre stattge- sunden, m denen nach einem Geheimbunde geschnüffelt wird. Mit welchem Erfolge, das läßt sich einstweilen noch nicht absehen.— Fernel hatte Kassel soeben einen Sozialistenprozeß; in Berlin wird wieder ein neuer zurechtgeiocht und es gibt wohl kaum eine Stadt in Deutsch » land, in der es Sozialisten gibt— und wo gibt es keine?— aus der wir nicht von Schnüffeleien, Spitzeleien, Haussuchungen und sonstige« staatsretterischer Polizeithätigkett hörten. Man sieht so recht, welch» jämmerliche Form eine Amnestie ohne gleichzeitigen Bruch mtt der Polizeiwirthschaft gewesen wäre. Gestern„amnestirt", heut« chikanirt, verfolgt, ausgewiesen, eingesperrt. Der brave Hartwig, der voriges Jahr auf kartellbrüderliche Denunziation hin zu einem Iah« Gefängniß wegen Majestätsbeleidigung verurtheilt ward, hat die Absul- dität einer Amnestie unter heutigen Verhältnissen in seiner Person mii klassischer Deutlichkeit illustrirt. Er wurde vom Kaiser begnadigt und gleich daraus von der Polizei aus Hamburg ausgewiesen Die Strafe, mit welcher ihn die Polizei in Folge der kaiser» lichen Gnade bedachte, war jedenfalls w e i t f ch w e r e r als di< Strafe, von welcher die kaiserliche Gnade ihn befreit«; und wi« hegen nicht den mindesten Zweifel, daß Hartwig es vorgezogen hätte, sei» noch übriges Vierteljahr„abzusitzen" und nicht ausgewiesen zu werde». Uebrigens zeigt sich auch an diesem Bttspiel die untergeord- nete Stellung, in welche der deutsche Kaiser gegenüber der Polizei gebracht worden ist. Der Kaiser begnadigt und die Polizei bestraft de» Begnadigten, lind das ist kein vereinzeltes Vorkommniß. Die Hintansetzunt de» Kaisers wird mit Methode betrieben. Der„eiserne" Kanzler, de« sonst sehr menschenscheu ist, geht täglich in Berlin spazieren, und läßt sich al«„Frisdensfürst" anspitzeln. Denn nur Spitzel sind's, die sits dazu hergeben. Desgleichen regnet es Ovationen für den jungen Wilhelm Der Kaiser wird als nicht existirend betrachtet und das Publik u» soll ihn als nicht existirend betrachten. Nun, uns kann'S recht sein Wenn aber Herr Bismarck und die übrigen Vertreter de« herrschende« Systems die Absicht hätten, der Welt dle Lächerlichkett eines deutsche« Kaiserthums am Ende des 19. Jahrhunderts aä ocalos zu demonstrire» — sie könnten«8 nicht besser anstellen. — Wahrheit und— Dichtung im Laude der patentirte» „Sozialreform". Sin wahrhaft klassisches Beispiel dafür, w«lche> Humbug mit dem Begriff der S o z i a l r e f o r m jetzt in Preuße» Deutschland getrieben wird, deckt die Berliner „Volks-eitung" in ein«> Polemik mit der„Norddeutschen Allgemeinen" auf. DaS fortschrittlich« demokratische Blatt hatte an der Hand des vortrefflichen Werkes vo« Tax über die thüringische Hausindustrie den schändliche« Druckunfug in der obersränkischen Korbflechterei bei Näheren geschildert und dabei dargelegt, wie die Arbetter, nachdem ihn«« ein volles Menschenalter hindurch die bairischen Behörden nicht halte« helfen können oder wollen, durch die Gründung eines Fach' verein« den Versuch machten, sich selbst zu helfen, abf nach einem ersten Erfolge durch dieHandhabung deS Sozia li st engesetze» an der weiteren Wahrnehmung ihre» gek�.ch-l Rechts durch gesetzliche Mittel gehindert wurden. Angesicht« dieses von Sax urkundlich bargelegten Thatbestande« nun hatte dit „Norddeutsche Allgemeine Zeitung" die„eigenthümliche Dreistigkett," f* schreiben: »G r p! Ein wird «NNe! ssra
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10 (12.5.1888) 20
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