Bosse"(Unternehmer) von der Tyrannei der Arbeiter befreit d. h. ihnen die unbeschränkte Herrschaft über das Arbeitsvieh wieder erobert haben. Hören wir, was ein Mitarbeiter derNew-Dorker Volkszeitung", der die Verhältnisse der Zigarrenindustrie genauer erforscht hat, darüber schreibt(eine Erklärung der amerikanischen Ausdrücke findet der Leser am Schluß): Das Geschäft eines Bunchmachers war vor Einführung der Maschine ein verhältnißmäßig lohnendes. Er erhielt für ein 1000 Scrabs-Bunches von Doll. 2 bis Doll. 2. 80 und konnte bei einigermaßen ständiger Arbeit S K Tausend Bnnches anfertigen. Jetzt hat dieMaschine" seinen und seiner Mitarbeiter Platz eingenommen und dieselbe ist be- deutend billiger. Diesereiserne Scab" arbeitet ausdauernder, schneller, und was die Hauptsache für den stets rührigen Ausbeuter im Zigarren- geschäft, den Fabrikanten ist, sie streikt nicht! Ein Mädchen ist noth- wendig, um alsOperator" bei dieser Maschine zu arbeiten, und dieses Mädchen macht mit Hülfe der Maschine 2425,000 Bunches die Woche. DerOperator"(das Mädchen) erhält nach zuverlässigen Angaben 7 Doll. per Woche, oder ungefähr 29 Cents per Tausend. Der schlaue Boß zahlt 4 Doll.Royalty" für den Gebrauch der Maschine und hat dadurch einen ungeheuren Profit bei Benutzung derselben. Auf diese Art und Weise sind Hunderte von Bunchmachern arbeitslos geworden, ihre Familien starren dem langsamen Hungertod- entgegen, während der Boß sich vergnügt die Hände reibt und dabei denkt:Laßt sie betteln gehen, wenn sie hungrig sind!" Es sollen jetzt 220 solcher Bunchmaschinen in New-Dork im Gebrauch sein. Aber nicht allein der Bunchmacher ist es, der durch die Maschine be- seitigt wird, nein, der Erfinder hat sich auf das Feld des Einrollens der Maschine begeben und eineEinrollmaschine" ist vor nicht langer Zeit in Gebrauch genommen worden, welche in der Geo. P. Lies'schen FabrikCheroots" einrollt. Früher wurden dieCheroots" von praktisch gelernten Zigarrenmachern für 4 Doll. per 1000 eingerollt, und konnte ein Arbeiter von 1015 Doll. verdienen, während jetzt derMaschinist" an derZigarrenrollmaschine" das 1000 für Doll. 1.50 bis Doll. 3.50 einrollt. Der Verdienst eines solchenCigarrenmachers" beläuft sich jetzt auf 5 K Doll. per Woche bei zehnstündiger Arbeitszeit. Aber nicht alleinCheroots" rollt die Maschine, sondern auch Zigarren, welche früher nur ein sehr geübterRoller" einrollen konnte, werden jetzt mittelst Maschine eingerollt. So hat die Firma McCoy vor etwa 14 Tagen ihre sämmtlichen Arbeiter entlassen und macht jetzt auch Maschinen-Zigarren". Früher bezahlte die Firma von Doll. 4. 90 bis Doll. S.50 für das Einrollen von 1000 Zigarren, jetzt erhält die Maschinistin" Doll. 2. 50 per 1000. Diese Einroll-Maschine soll bis jetzt nurversuchsweise" arbeiten, aber es ist eine Thatsache, daß ateady� mit der Maschine gearbeilet wird, und die Firma Powell& Wenigmann und Smith in der 2. Avenue soll einen vollständigen Floor eingerichtet haben, in welchemMaschinen-Zigarren" gemacht werden. Die Firma besitzt auch in Kingston, New-Aork, eine wohleingerichtete Maschinen-Zigarren-Fabrik; die dort beschäftigten Mädchen erhalten den hohen Lohn von Doll. 2. bis Doll. 2.50 per Woche. Vor zwei Wochen entließ diese Firma Arbeiter, ließ aber trotzdem zehn Stunden arbeiten. Ein Komite der Arbeiter ersuchte Boß Wenigmann, doch die Arbeitszeit zu reduziren, damit keine Arbeiter entlassen zu werden brauchten. Der humane" Herr Wenigmann gab dem Komite den wohlmeinenden Rath, sich nach einer anderen Beschäftigung umzusehen:denn in drei Monaten", meinte Herr Wenigmann,würden die Maschinen so vervollständigt sein, daß man nur noch wenige männliche Zigarrenmacher gebrauchen werde." Wenn sich dieser Orakelspruch des Herrn Wenigmann bewahrheiten sollte, so werden dadurch zum Mindesten 10,000 Roller in die Roth- wendigkeit versetzt werden, andere Erwerbszweige zu suchen. Aber nicht nur die Bunchmacher und Roller, sondern auch dieHand- arbeiter" sind von der Kalamität im Zigarrengeschäft nicht ausgeschlossen. Der Handarbeiter wurde bis jetzt als der unersetzbare Arbeiter in der Zigarren-Industrie betrachtet, aber das unersättliche Kapital ist auch hier bestrebt, aufzuräumen. So z. B. hat die Firma Stratton und Storm ihre sämmtlichen Handarbeiter bereits vor Monaten entlassen und läßt Arbeit, wofür dieselbe früher 14'/, Doll. per 1000 Zigarren(Hand- arbeit) bezahlt, jetzt imRerolled"-System machen. Die früher von Handarbeitern verfertigten Zigarren werden jetzt von Formarbeitern sabrizirt, d. h. in Formen werden die BnncheS gemacht, frisch von dem Roller eingerollt, und der einzige Unterschied besteht darin, daß Herr Storm anstatt Doll. 14.50 jetzt Doll. 8.30 dem Roller und 3 Doll. dem Bunchmacher gibt. Es ist npr 5 Doll. weniger! Auch die Firma Wenigmann hat ihre Handarbeiter entlassen, und so geht daS Verderben weiter; immer mehr Arbeiter werden entlassen, immer mehr fallen dem Kapital als Opser anheim. Der Ausbeutung des Zigarren-Fabrikanten fallen überall Opfer. So findet man, daß überall neben den großen Shops eine Anzahl Tenement- Häuser stehen. In diesen müssen die Arbeiter wohnen, wenn sie Arbeit haben wollen, und müssen für Räume, welche man in jedem anderen Hause für 9 Dollars bekommt, dem Boßlandlord 13 bis 14 Dollars pro Monat bezahlen. Dieses Trucksystem existirt in erschreckendem Um- fang«. Wie lange noch, und auch dieses letzte traurige HülfSmittel, Ar- beil zu erlangen, wird durch dieallmächtige Maschine" beseitigt. ES untersteht keinem Zweifel, daß diese Maschinen sich auch ihren Weg nach Europa bahnen und selbstverständlich hier dieselben Wirkungen wie jenseits desgroßen Baches" ausüben werden. So wird eine groß« Körperschaft, welche mit die regsamsten Elemente der Arbeiterklasse stellte, aus ein immer tieferes Niveau gedrückt so weit es nicht zu Gunsten der Minderjährigen- und Kinderarbeit großentheilS ganz von der Bild- stäche verschwindet. Welche Summe von Elend, Jammer und Ber- zweiflung bedeutet diese ökonomische Umwälzung! Wann wird endlich einmal die Zeit anbrechen, wo der technische Fortschritt sich nicht als gieriger Moloch erweist, der sein« Schöpfungen nur um den Preis des Lebensglückes von Tausenden und Abertausenden verkauft! Unser Bruderorgan, der New-D orkerSozialist", bemerkt zu dem Artikel derVolkszeitung": Der Reporter derNew-Aorker Volkszeitung" hat bei Einziehung obiger Daten einen Beamten der Zigarrenmacher-Union um die Aus- sichten seines Gewerbes befragen zu müssen geglaubt und die Auskunft erhalten, daß die Auflebung des Geschäftes wieder eintreten werde und der hereinbrechende Untergang der Zigarren-Industrie(exakter: der Zigarrenmacher-Organisation) aufgehalten, resp. ganz verhindert werden könne, wenn es gelänge, all« nicht-organistrten Zigarren-Ardeiter zu organistren. Leider theilen wir diese Erwartungen nicht, weil wir sie für Illusionen halten. So lang« die Handarbeit vorherrschend und in Folge dessen noch verhältnißmäßig gut bezahlt war, hatten die gelernten Arbeiter ein lebhaftes Interesse daran, das Sinken der Löhne durch Organisation zu verhüten. Ihre Organisation bot ihnen Etwa«. Im Augenblick, wo die Theilarbeit eintrat, wo dem Nichtgelernten die Zigarren-Industrie zugänglich gemacht wurde, erlitt die Organisation ihren ersten gewaltigen und jetzt, wo die Maschine mit der Schärfe einer Sense unter den Ar- beitern wirkt, erleidet sie den letzten, den Todesstoß. Während früher die Löhne über oder auf dem Niveau einer erträglichen Lebens« Haltung standen, sind sie jetzt weit unter dasselbe gedrückt worden und werden immer noch tiefer gedrückt werden und zwar derart, daß es der proletarisirten Masse unmöglich wird, eine rein gewerkschaftliche Organisation, die ihnen nichts PossttiveS mehr bieten kann, im alten Glänze aufrecht zu erhalten. Und wollte sie Letzteres auch, sie würde bei dem ersten besten energischen Versuche, die Hundelöhne zu heben, bei der Leichtigkeit des Arbeitsbetriebes im selbigen Augenblicke durch eine andere proletarisirte unbeschäftigte Masse ersetzt werden. An Bei- spielen in anderen Gewerben fehlt es nicht. Was daher allein helfen kann, ist die politische Organisation. Zu dieser drängt die Ent- Wicklung der Ding« mit Gewalt, und wer heute noch nicht an die Roth- wendigkeit der politischen Organisation glaubt, wird morgen dieselbe als den einzigen Rettungsanker ergreifen." Das stimmt, meint aber selbstverständlich nicht, daß nun die gewerk- schaftliche Organisation der Zigarrenarbetter sofort überflüssig geworden sei und zu verschwinden habe. Im Gegentheil, einstweilen behält dieselbe neben der politischen Bewegung immer noch ihre Bedeutung, insofern es sich darum handelt, zu verhindern, daß daS Ausbeuterthum nun gar zu unverschämt auf die Preise drücke, den Lebenshalt der Arbeitssklaven ins Bodenlose herabschraube. Die Umwälzung bedarf immerhin einer gewissen Zeit, und während dieser Zeit kann die Organisation der Arbeiter, wenn sie auch keine Verbesserungen durchzusetzen vermag, doch manche Ver« schlimmerung verhindern oder mindestens aufhalten. Daran hat aber auch die auf politischem Gebiet kämpfende Arbeiterschaft ein Interesse, zumal ihre Bestrebungen sich nicht von heute auf morgen verwirklichen lassen. Es ist ganz recht, die Illusionen der Gewerkschaftler zu bekämpfen, aber darüber darf man nicht in den Fehler verfallen, da Entmuthigung auszustreuen, wo Ausdauer und fester Zusammen- halt einstweilen noch Gutes zu wirken vermag. Das liegt demSozialist" wohl auch fern, aber man könnte es aus seinen Worten herauslesen, und deshalb hielten wir es für nothwendig, diese Bemerkung anzuknüpfen. Erklärung der Fremdwörter: Bunch Wickel, ScrapS-Bunch Wickel aus verschiedenen Stücken be- stehend. Royalty Mieth« an den Inhaber des Patents. Cheroots eine bestimmte Sorte Zigarren(Manila ). Di« andern Ausdrücke sind bekannt. Sozialpolitische Rundschau. Zürich , 26. Juni 1888. Die heutige Nummer desSozialdemokrat" erscheiut bereits in London so wußte wenigstens dieFrankfurter Ztg." aus London zu berichten, und der ganze deutsche Reptilchor echote es nach. Wie unsere Leser sehen, stehen wir noch auf dem alten Posten, und die Freude und Hoffnung der verschiedenen Gentlemen und Richt-Gentlemen im In- und Ausland ist wieder einmal zu Wasser geworden. Wir hoffen, hier aus Schweizerboden denselben noch öfters solch' eklatante Genug- thuungen bereiten zu können. Die Thronrede d«S neuen Kaisers, mit welcher er unter Entfaltung alles Pompes, den man heute sonst nur noch im Talmiglanze des Faschings zu sehen pflegt, den Reichstag eröffnete, wird von der ganzen deutschen Preffe in der servilsten Weise als Bürgschaft des Frie- dens gepriesen, und die Liberalen, diese betrogenen Betrüger, sehen natürlich auch in den Sätzen, die sich auf die innere Lage beziehen, nichts für ihre Grundsätze Bedrohliches." Für ihre Grundsätze freilich nichts, denn daS ist ja eben das Charakteristische am deutschen Libera­lismus. daß er grundsatzlos, charakterlos ist. Wer. von früherem abge- sehen, nach der Proklamationan mein Hee r", der der Formalität wegen dann auch«ine nichtssagendean mein Volk" folgte, über die Geistesrichtung des jungen Wilhelm sich noch unter allen Umständen Täuschungen hingeben wollte, muß jetzt ernüchtert sein, wenn er die Sätze der Thronrede liest, die sich, im Gegensatz zu den diplomatischen Erklärungen über die auswärtigen Beziehungen, gerade über die innere Lage mit einer absichtlichen Deutlichkeit aussvrechen, welche jeden Zweifel ausschließen. Nachdem er die bekannte kaiserliche Botschaft vom Jahre 1881 auch für seine Regierung sich angeeignet, fährt Wilhelm II. fort: Ebenso aber halte Ich eS für geboten, unsere staatliche und gesellschast- liche Entwicklung in den Bahnen der Gesetzlichkeit zu erhalten und allen Bestrebungen, welche denZweck und die Wirkung haben, die staatliche Ordnung zu untergraben, mit Festigkeit entgegenzutrete n." Nun, die deutsche Sozialdemokratie nimmt diese Kriegserklärung deS neuen Kaisers ruhig auf. Sie hat esunter seinem hochseligen Herrn Großvater" verstanden, diese Politik des Zuckerbrodes und der Peitsche zu nicht« zu machen: das Zuckerbrod wurde mit Verachtung zurückgewiesen und die Peitsche den Vollstreckern des kaiserlichen Befehls zerbrochen vor die Füße geworfen. Auch der Herr Enkel wird keine andere Ersah- rung machen. Allen Verfolgungen spottend wird die Sozialdemokratie siegreich ihren Gang gehen-- trotz Alledem und Alledem! Die Zerfahrenheit unserer Zustände, die innerliche Schwäche deS herrschenden Systems, das einzig und allein auf der Schneide des Schwertes ruht, hat sich bei dem Tode des vorigen deutschen Kaisers mit einer DeuNichteit gezeigt, die selbst die Stützen und Anhänger de» System» erschreckt hat. In Deutschland und der ganzen übrigen Welt brach sich mit elemen - tarer Gewalt die Ueberzeugung Bahn, daß die Chancen des Friedens sich geändert haben und daß der Personenwechsel in Berlin den Völkern zum Unheil gereichen werde. Wenn in den Vereinigten Staaten ein neues Staatsoberhaupt an die Stelle des alten tritt, so ist das für die Geschicke des Lande« vollkommen gleichgültig durch die Wahl, welche dem Personenwechsel vorausgegangen ist, sind die leitenden Grundsätze im Sinne der Volksmehrheit festgesetzt worden, und Jedermann weiß, woran er ist. Aehnlich ist eS in allen Ländern, wo das Volk einen bestimmten Einfluß auf die Regierung hat. Wie glatt vollzog sich z. B. die letzte französische Präsidentenwahl, trotz der sensationellen Ereignisse, welche sie vor der Zeit nothwendig gemacht hatten? Wie anderS in Deutschland ! Am Tage, da Kaiser Friedrich starb, jammerte dieNationalliberale Korrespondenz", das amtliche Organ der nationalliberalen Partei: Eine selten erlebte Unklarheit über Gegen- wart und Zukunft, im Innern und nach Rußen hin, beherrscht alle politischen Kreis e." Man wird uns zugeben, daß man kein vernichtenderes Urtheil über die deutschen Zustände aussprechen konnte. Und wohl gemerkt: Die Nationalliberalen, deren Organ unter der Wucht der That- fachen zu diesem Bekenntniß gelangte, hat seit nun vollen zwei Jahr- zehnten die Legende gepflegt, daß BiSmarck's unvergleichliches Genie den Dingen in Deutschland eine granitne Festigkeit gegeben habe, an der kein Sturm rütteln könne. Und nun jammern die Herren, daß AlleS fragwürdig und schwankend ist! Es ist eben die Festigkeit der Dinge in den letzten Monaten auch harten Proben unterworfen worden. Der Tod Wilhelms des Ersten, mit deffen Person dasReich" verwachsen war, enthüllte plötzlich, welche Lücken sich in diesen Granitquadern befinden, und wie brüchig der Stein. Solange der weiße Bart des sogenanntenHeldengreises" die Lücken und Sprünge zudeckte, und solange der Kaiser nur den Willen seines Reichskanzlers hatte ging alles seinen geregelten Gang die Ein- heitltchkeit des Willens ersetzte die innere organische Kraft, dieStramm- heit des Regiments" verlieh den Schein wohldiSziplinirter, unwider- stehlicher, jeden Widerstand zermalmender Kraft. Allein es war eben nur mechanische Kraft, die im Staatsorganismus nur eine sehr untergeordnete Rolle spielen kann, und, wenn sie mit dieser unter- geordneten Rolle sich nicht begnügt, ihn nur zersetzt und schwächt. Der Tod eines alten 83jährigen Mannes, der schon viele Jahre lang an selbstständiges Handeln nicht mehr gedacht hatte, keines selbstständigen Handelns mehr fähig war brachte die stolze Maschine in Unordnung, und für eine Zeit lang ins Stocken. Und warum? Weil der Nach- folger auf selbstständiges Handeln nicht verzichtete und mit der Re- gierungsmethode des unfehlbaren Hexenmeisters, der die Politik bisher besorgt hatte, nicht übereinstimmte. Fürst Bismarck wollte natürlich seine bequeme Regierungsmethode nicht fallen laffen in seinen Jahren lernt man keine neuen Ideen mehr begreifen die bekanntenKraft- proben" erfolgten und das erstaunte deutsche Volk sah, wie die Erbpächter der Loyalität und Kaisertreue in pöbelhaftester Weise gegen einen Kaiser hetzten, der die geniale und russisch-einsache Regierung mit der Soldaten- siinte und dem Polizeisäbel nicht mehr recht zeitgemäß fand. Die offizielle Welt gerieth in eine Aufregung, wie ein Bienenstock, in welchen Jemand mit einem Stock hineingestoßen hat, und kein Mensch wußte, wer Koch und Kellner war. Statt einer Regierungsmaschine hatten wir plötzlich zwei: eine, die von dem Kanzler geleitet ward, und die andere, welche der kranke Kaiser mit dem spärlichen Material, das seine pflichttteuenVassallen" ihm gelassen, sich mühsam errichtet hatte. Und beide Maschinen arbeiteten gegen einander. Und die Kanzler- Maschine, die mit dem Oel des Reptilienfonds geschmiert war, erwies sich im Ganzen stärker als die Kaisermaschin«. Freilich, letztere ge- wann an Stärke, weil das Volk mehr und mehr der Bedeutung des Kampfes sich bewußt ward, der über seinem Kopfe gekämpft ward. Und hätte derKaiser Tod" nicht seine eisige Hand dem Einen der Kämpfer auf die Schulter gelegt, fo wären an der Kanzlermaschine bald noch andere und wichtigere Räder gebrochen, als das Puttkamer- Rädchen. Und wieder ein Personenwechsel, und wieder das beschämende Schauspiel, daß an den Personenwechsel die inhaltsschwersten Fragen sich knüpfen vor Allem die inhaltsschwerste: Krieg oder Frieden? Welche Schmach für unser Jahrhundert, welches Armuthszeugniß ins- besondere für das deutsche Volk, daß der Tod einer einzelnen Person solche Aufregungen, solche bange Besorgnisse erwecken kann! Muß nicht ein jeder denkende Mensch sich sagen, daß solche Zustände eine Schande find für unser Volk und ein Hohn aus unsere Kultur? Jedenfalls ist der Moment vortrefflich dazu angethan, den Massen die Erbärmlichkeit des herrschenden Systems und unserer so vielgerühmten politischen Einrichtungen zur klaren Erkenntniß zu bringen. Es gibt nur zwei Länder in Europa , in denen Aehnliches möglich wäre: Rußland und die Türkei , d. h. zwei halbbarbarische Länder. Junker Bismarck, der Zuchtmeister und Handlanger der deutschen Bour- geoifie, hat uns auf eine Stufe gestellt mit Rußland und der Türkei und, außer der Sozialdemokratie, ist in Deutschland keine Partei, welche die Schmach empfände und ihr ein Ende zu bereiten suchte! Uebrigens hat die Einmüthigkeit, mit der die Preffe der ganzen Welt den neuesten deutschen Kaiser kriegerischer Pläne anklagte, diesen sowie seinen Hausmeier augenscheinlich verblüfft, und es läßt sich abermals in den obersten Regionen ein Hin- und Herfchwonken beobachten. Kurz, trotz des jetzt wiedereinheitlich" gewordenen Willens ist die Zerfahrenheit noch immer vorhanden, und zur dauernden Festigkeit wird das herrschende System überhaupt nicht mehr gelangen. Das memonto mori I welches dem Haus Hohenzollern seit Jahresfrist so oft und unter so tragischen Umständen zugerufen worden ist, es gilt auch dem Herr- schenden System. Fast komisch ist die rathlose Verlegenheit, in welcher die Fort- s ch r i t t l e r sich seit dem Tode desliberalen" Kaisers befinden. Die Einbildung ist gewöhnlich da am stärksten, wo die Schwäche am größten. und so hatten die Herren Fortschrittler im Bewußtsein ihrer thatsäch- lichen Ohnmacht sich ein prachtvolles Luftschloß gebaut, da» die Gesund- heit des krebskranken Monarchen zur Unterlage hatte und das ein Luftschloß gewesen wäre, auch wenn wir nicht thatsächlich im Zeichen des Krebses gesianven hätten und leider noch stehen. Daß das Richter'sche Blatt, welches in bekannter Richter'scher Bescheidenheit sich das Verdienst der Entlassung des Puttkamer vindizirte, ganz aus dem Häuschen ist, das kann nicht wundern. Aber daß auch ein, sonst mit einer gewissen Charakterfestigkeit redigirteS Blatt, wie dieNation", wie gelähmt da- steht, das zeigt, daß die Fortschrittspartei einen Stoß ins Herz erhalten hat. Durch den Tod eines Mannes! O diese ttaurige Fortschrittspartei. die jammernd an einem Grabe steht, statt mannhast den Kampf auszu- nehmen, um das zu erringen, was keinem Volke noch von Oben herab als gebratene Taube in den Mund geflogen ist. Wir erwähnen ver Sache nicht, um den Herren Fortschrittlern eine» Vorwurf zu machen Niemand kann aus seiner Haut heraus so»- dern weil es uns daraus ankommt, zu zeigen, daß es unserseits kein« Ruhmredigkeit war, wenn wir sagten: es gibt in Deutschland nur ein« Partei, die wirklich gegen das herrschende System, auch auf politische« Gebiet, ankämpft, und das ist die fozialdemoiratische Partei Die Schule deS Kartells. In Sachsen blüht das Kartest. Sachsen ist gewissermaßen seine geistige Heimath. Dort hat de« Ordnungsbrei" zuerst bei den Wahlen seine wunderthätigen Dienst« geleistet, dort hängt das Philisterthum mit wahrer Inbrunst an de« Gedanken des unbedingten Zusammenhalts aller reichs-, d. h. polize« treuen Parteien. So fest hängt der sächsische Bourgeois am Kartest daß während z. B. im ganzen übrigen Deutschland , Schwaben ein- geschlossen, die Nationalliberalen ihrer Schadenfreude über Puttkamer'! unsreiwilligen Abgang unverhüllten Ausdruck gaben, die sächstslhe» Nationalliberalen Thränen des tiefsten Schmerzes vergossen über d«» Verlust des biedern Spitzelministers. Gr hatte ja auch zum Kartell g«- hört, ja er verkörperte ihnen den Geist des Kartell». Ging doch au«* er ganz in dem Kampf gegen denUmsturz", d. h. der nach vorwärt! ringenden Arbeiterschaft auf. Dieses Geistes ist das sächsische Ausbeute» thum voll, feit Jahren hat er sich seiner bemächtigt. Jede ArbeiterbeweguNi ist Umsturzbewegung, jeder Arbeiter, der für die Organisation seine« Kollegen eintritt, sei es zu noch so bescheidenen Zwecken, ist ein UM- st ü r z l e r, und gegen einen Umstürzler ist Alle» erlaubt, er ist Bürgt« zweiter Klaffe, so weit bei ihm überhaupt noch von Anerkennung bürge« licher und politischer Rechte die Rede sein kann. Ginge es nach de« sächsischen Kartellbrüdern, so würde das allgemeine Wahlrecht zu« Reichstag abgeschafft, das Vereinsrecht(natürlich für die Arbeite« suSpendirt, jeder Versuch der Arbeiter, sich zur Wahrung gemeinsam« Interessen zu organistren, strafrechtlich geahndet. Der Puttkamer 'sch Streikerlaß war ihnenauS den Herzen geschrieben", für den Expaw irungsparagraphen schwärmen sie. AlleS Gefühl für Recht und Gerechtij keit den Arbeitern gegenüber ist ihnen abhanden gekommen Da» der erzieherischen Wirkung des Kartell«. Wie tief der Haß gegen die selbstständige Arbeiterbewegung beb sächsischen Spießbürgerthum sitzt, hat sich erst jüngst wieder in Chem» gezeigt. Dort trat Mitte Juni ein Kongreß deutscher Zimmerleute» sammen. Die Tagesordnung war so wenig anstößig als nur irge«! denkbar. Situattonibericht und Abrechnung der Bgitations-Kommisst« Hebung des deutschen Zimmerer -GewerbeS, wie stellt sich der Konz « zur geregelten Arbeitszeit, die Organisationen der Innungen in Gegenwart zu denen der Zimmerer im Allgemeinen, Fachorgansrag Wanderunterstützung da« waren die Gegenstände, denen seine N rathungen gewidmet waren. Wohlan, ein Chemnitzer Zimmerer hatte d« Verbrechen begangen, die Delegirten am Bahnhos zu empfangen, s< Prinzipal, der in der Umgegend von Chemnitz domizllirt, erfuhr dav « und sofort erhielt der Uebelthllter seine Entlassung. Im Mittelalter, auf daS die Herren Meister so gern zurückweise» wäre dergleichen unmöglich gewesen. Das blieb dem erleuchteten Zeitalt» derFreiheit der Arbeit" vorbehalten, der Aera des praktische Christenthums. Natürlich bewirkte die Maßregelung de» Chemnitzer Zimutf rerS das genaue Gegentheil von dem, was der biedere Karrell- u»' wahrscheinlich auch Jnnungsmeister gewollt hatte. Statt eingeschüchteä wurden die zum Kongresse versammelten Kollegen, als sie von der E«» laffung erfuhren, nur erbittert.Der Kongreß", lesen wir in d« Chemnitzer Preffe",sprach bei Beginn de« zweiten Verhandlungstage über dieses Verfahren seine Entrüstung in einer unzweideutigen Resoluttd aus, worin diese Handlung als dem krassesten Egoismus entsprunge und dazu geeignet angesehen wird, den Klassenhaß zu fördern. W Kongreß erklärt sich mit dem auf solche Weise gemaßregelten Kolleg«' solidarisch." Und die weiterhin beschlossenen Resolutionen dürften das Zopfmeiste' thum noch unangenehmer berühren. Man höre nur: In Erwägung, daß die Jnnungsbestrebungen der heutigen Zeit b keiner Weise geeignet sind, das Handwerk als solches zu heben, w«' dieses durch die moderne kapitalistische Produktionsweise nawrnothwend' verdrängt wird; ferner, weil alle die vonseiten der Jnnu» aufgeworfenenFragen. wie Lehrling« zu halten. Legitlmations- Ausweis- und Arbeitsbücher u. s. w., vom krassesten Egoism»! diktirt, in keiner Weise geeignet sind, eine Besserung im Gew«' herbeizuführen, verurtheilt derKongreß aufSSchärf? das Bestreben der Innungen, über die gewerblichen Vb einigungen der Arbeiter in denunziatorischer Weise herzufallen»» höheren Ort? um deren Einschränkung resp. Beseitigung zu petitionir«'- und veranlaßt die Kongreßmitglieder, die deutschen Kollegen aufzufordett dieser heuttgen Reaktton, wie sie in den angeführten Bestrebungen Tage tritt, entgegenzutreten durch die Macht der Bereinigung." In Erwägung, daß die heuttgen Kämpfe zwischen Arbeitgeber u» Arbeitnehmer im Zimmergewerk nicht zum Wohl der daran Betheiligt« dienen, aber nicht anders, als mit durchgreifenden Reformen besetttl werden können, schließt flch der Kongreß den Ansichten des Referent« an und erblickt in der Abschaffung des kapitalistischen Baue« und in der Einführung de« Regie-Bauens, sowie in d« Abschaffung der Handwerksmeister und in der Vergebu» der Arbeit an Gesellenorganisationen das wirksam? Mittel zur Abschaffung der Streiks, sowie zur Beseitigung der Gef«? für Menschenleben(durch Häusereinstürze)." Das ist eine gepfefferte Antwort auf die Anmaßungen d« Meisterthums, und von demselben mit um so größerem Wuthgesch» aufgenommen worden, als sie das Ziel ins Schwarze trifft.Ihr st*