Die Flugschriften sollen und müssen revolutionär sein, weil jede Thätigkeit zur Verwirklichung unseres Zieles revolutionär wirkt; ob die Form der Sprache radikal klingt oder nicht, ist gleichgültig, so- bald das Flugblatt den Arbeiter zum Denken gebracht hat, hat es revolutionär gewirkt. Diese Revolution kann sich im Arbeiter voll- ziehen, ohne daß er mit den Augenlidern zuckt. Die Revolution muß sich erst in den Köpfen vollziehen,-he sie zur Wirklichkeit werden kann...„,, Der Appell an„größere und bessere Märztage"— wie im Leipziger Flugblatt— lockt keinen Indifferenten hinter seinem Stammtisch hervor, wohl aber die Staatsanwälte aus ihrem Hinterhalte. Fürdenbewuß- ten Arbeiter ist eS allerdings ein« Erinnerung an seine Pflicht; für den indifferenten nicht, weil dieser seine Pflicht nicht kennt. Diesem muß klar gemacht werden, was seine Pflicht ist; geschieht dies im Flug- blatt, dann wirkt es revolutionär. Durch„radikale" Schlagworte von„besseren Märztagen" wird ihm aber kein Verständniß von seiner Klassenlage beigebracht. Die» muß auf anderem Wege geschehen. Der Egoismus, die Sorge, unter den heutigen schlechten Verhältniffen wenigstens für seine Person ein möglichst gutes Auskommen zu haben, entfremdet den Indifferenten jeder Begeisterung für ein Ideal, das geeignet wäre und ist, ihm Alles zu sichern. Die Kurzsichtigkeit, allein, ohne Mithülfe, sich eine sichere Existenz und ruhige? Leben zu schaffen, läßt in seinem Hirn keinen Platz für ein höherei Ideal. Diese Kurzsichtigkeit muß beseitigt werden. Und dies kann nur dadurch geschehen, daß man wieder an die persönlichen Verhältnisse der Arbeiter anknüpft. Es muß ihm in jedem Flugblatte gesagt und bewiesen werden, daß er selbst seine schlechte Lage verschuldet. ES muß ihm gesagt und bewiesen werden, daß er andere Jntereffen hat als der Fabrikant— daß dieser die Tendenz hat, den Lohn zu drücken, herabzusetzen, wohingegen der Arbeiter gezwungen ist, Lohnerhöhungen zu erkämpfen, wenn er nicht zu Grunde gehen soll. Es muß ihm gesagt und bewiesen werden, daß die sämmtlichen Parteien, außer der Sozialdemokratie, nur solche Gesetze machen, welche den Arbeiter belasten und den Reichen noch reicher machen. Es muß ihm gesagt werden, daß, wenn er seine persönliche Lage verbeffern will, die« nur durch Anschluß an die Sozialdemokratie geschehen kann. Es muß dem Arbeiter gesagt werden, daß Diejenigen, welche er ge- wählt hat, seine Lage tagtäglich mehr und mehr verschlimmern, daß die Herren Fabrikanten, Großgrundbesitzer, Adeligen und ähnliche» Ge- lichter seine— deS Arbeiters— Jntereffen niemals vertreten können, weil sie sich inS eigene Fleisch schneiden müßten, was sie nicht thun werden. Kurzum, man muß alle, alle Lasten und Widerwärtigkeiten, welche der Arbeiter täglich zu erdulden hat, in jedem Flugblatt aufzählen und mit«infachen, schlichten, logischen Worten zum Schluß des Flugblatts in da» Reich de» Sozialismus einführen.„Fünf- undzwanzigmal muß die Wahrheit wiederholt werden, eh' sie ins Volk dringt," sagt Johann Jacoby , und er hat Recht. Packt in jedem Flugblatt den Menschen an seiner traurigen und elenden Seite an, greift fortwährend in seine Wunden, die er tagtäglich an sich fühlt, und führt ihn mit ruhigen, aber leicht verständlichen Worten in die Arme der Sozialdemokratie! Ferner ist bis jetzt die Beamtenklass« nicht genug gewürdigt worden. Die Regierung stützt sich heute auf alle Beamten, sucht alle sich nutzbar zu machen. Thun wir dasselbe! Viel Nutzen können wir davon haben. Sind die Beamten auf unserer Seite, so werden wir Manches erfahren, was für uns von großem Werth« ist. Suchen wir systematisch die unteren Beamtenklaffen zu gewinnen. Sagen wir ihnen: Ihr Thoren, warum unterstützt Ihr den Staat im Kampfe gegen unS, der Euch einen Hungerlohn von ein paar Mark gibt? Seht, wie Ihr Alles thut, was der Staat haben will, und doch werdet Ihr bei jeder Gehaltsverbefferung übergangen und nur die hohen Beamten bekommen zu ihrem hohen Gehalt noch eine hohe Zulage! Seht Ihr denn nicht, wie man Euch fortwährend gebraucht und nie etwas gibt? Die Briefträger, die Eisenbahnbeamten und-Hilfsarbeiter und so weiter müffen wir in jedem Flugblatt erwähnen und ihnen vorhalten, wie schlecht sie für ihre Dienste belohnt werden. In jedem Flugblatt müffen wir daffelbe wiederholen und vorrechnen, wie der Staat, dem sie geistig und körperlich ihr» ganz- Kraft geben, st» nicht in dem Maß« belohnt, wie sie e» verdienen, und daß es nur beffer werden kann und wird, wenn sie sich der Sozialdemokratie anschließen.-- Die Beamtenklasse wird als Stütze des heutigen Staats benützt— „untergraben" wir diese Stütze, appelliren wir an die persönlichen Leiden der Beamten und zeigen wir denselben, daß es nur dann beffer wird, wenn sie nicht mehr dem heutigen System Heerfolge leisten. Haben wir sie durch Erinnerung an ihre Leiden in Gegensatz zu ihrer bisherigen Denkweise gebracht, so hat das Flugblatt revolutionär gewirkt— ohne daß es einem Staatsanwalt möglich sein wird, unS einen Prozeß zu machen— dann sind auch sie für ein Ideal zu begeistern, weil sie eingesehen, daß sie nur durch geschloffenes Auftreten ihre persönliche Lage und zugleich die ihrer Mitmenschen ver- beffern können. Sie werden in daS Revolutionsheer hinüber geführt auf dem Wege der Belehrung. Durch„Kraftstellen" gewinnt man nicht immer, stößt aber Viele vor den Kopf. Für ein Flugblatt mit Kraftstellen, das mehrere hundert Monate an Gefängniß einbringt, und viele Tausende Mark Unterstützung kostet, aber kaum so viel Stimmen, wie Monate Gefängniß einbringt, kann man 2S Flugblätter herausgeben, welche zusammen Nicht mehr kosten, für unser« Ideen aber �mindestens ebensoviel Neue Anhänzer, für unsere Kandidaten ebensoviel Stimmen, aber kein« Gefängnißstrafen einbringen und keinem Genoffen Schaden zufügen. Wir müssen unter den heutigen Verhältnissen einen Weg ein- lagen, auf dem wir möglichst wenig Schaden erleiden, aber dem . eind möglichst viel Schaden thun. FabiuS der Zauderer siegte dadurch, daß er den Feind nicht offen angriff. Wenden wir denselben Schach- Sug an, er wird uns viel nützen und dem Gegner viel schaden— denn ede Thätigkeit von uns wirkt revolutionär, ob mit oder ohne „Kraftstellen". Mit„Kraststellen" haben wir bestimmt Gefängniß und Geldkosten als Deffert in Aussicht, nie aber den sicheren Zuwachs an Anhängern. Befferer Belehrung stehe ich zu Diensten. Einer, welcher den Staatsanwälten keine Freude. fondern A e r g e r bereiten will."— Dies die Zuschrift. Wir haben uns schon selbst über die Frage aus- gesprochen, so daß wir für heute nur einige Bemerkungen machen wollen. Allerding« ist es mit den Flugblättern hie und da zu leicht ge« n» m m e n worden. Ein gut«» Flugdfott zu schreiben, da» einerseit» der Partei w ü r d i g ist, auf der anderen Seite aber auch den Gegnern keine bequemen Handhaben bietet, ist heutzutage sehr tch w i e r i g und fetzt, außer der sonst nöthigen Befähigung, bei dem erfaffer oder dessen Berathern«ine große praktische Erfahrung und eine genaue Kenntniß der einschlägigen Gesetze voraus, andernfalls kann beim besten Willen und mit den besten Kräften mehr Schaden als Nutzen gestiftet werden. Gleichwohl darf man sich nicht dem Wahne hingeben, in der heutigen Zeit der Poli�ibruiaUiiu und Richterkorruption gewähr« auch die forgfälltigst angewandte Vorficht absolute Garantie gegen Strafverfolgung und Verurtheilung. Was insbesondere das in obiger Zuschrift erwähnte Leipziger Flugblatt betrifft, so wäre es allerdings nicht schwierig gewesen, alle» Gesagte und noch viel mehr in einer Form zu sagen, die dem Staat»- anwalt da« Spiel wesentlich erschwert hätte. Uebrigen« wird uns in Bezug auf diesen Fall mftgetheilt, daß das Verbleiben der„ungeschickten Stellen" nur dem Zusammentreffen widriger Umstände zu verdanken, und den Leipziger Genossen nicht Schuld zu geben ist.
Sozialpolitische Rundschau.
Zürich , 8. August 1888. — A«S Deutschland, den 3. August, wird uns geschrieben: Je mehr die Unnatur und Gemeinschädlichkeit der heutigm Staats- und GesellschaftSzustände hervortreten, desto ftecher und systematischer muß
von den Gewalthabern und deren Soldknechten gelogen werden. Recht deutlich sehen wir daS an den Aeußerungen der Kartell- und Reptil- Preffe über die sogenannte„Kaiserreise" oder„Meerfahrt"(die bei- läufig mit höchst unheldenhafter Seekrankheit verbunden war) und die sonstigen den neuesten Kaiser betreffenden Dinge. ES wird uns tag- täglich in immer längeren Arttkeln und immer emphatischerer Form vorgeredet, die Besorgnisse, welche sich an den letzten Thronwechsel ge« knüpft hätten, seien vollständig beseittgt worden, und dem pflichttreuen Sohn„unsere» Fritz" sei es gelungen, sich die Herzen und das Ver« trauen der Menschen im Sturm zu erobern. Niemals ist unverschämter gelogen worden. Weit entfernt, Be« sorgniff« zu beschwichtigen, hat die sogenannte„Kaiserreise" in der ganze» Welt Besorgnisse wachgerufen, und selbst in den„Verbündeten" deS deutschen Reichs den Argwohn erweckt, der Schüler dei Bismarck , Stock« und Puttkamer plane, im Einklang mit seinen muckerisch-kraut- junkerlichen Anschauungen ein Schutz- und Trutzbündniß mit dem barbarisch-deSpotischen Zarenreich und eine Koalition gegen die französische Republik— also den Weltkrieg. Und einen anderen Zweck hat diese Reise auch unzweifelhaft nicht gehabt— sonst wäre sie völlig sinnlos gewesen; daß au» dem schönen Plan nichts geworden, ist jedenfalls nicht die Schuld de» neuesten Kaisers, der zum Glück ebenso wie gewöhnliche Menschen sich d« Logik der Thatsachen fügen muß und mit dem Kopf nicht durch die Wand rennen kann. Eine nicht minder unverschämte Lüge— und charatteristisch«weise wird sie auch von fortschrittlichen Blätt«n verbreitet— ist die Behauptung, der neueste Kaiser Hab« die bösen G«ücht» in Bezug auf seine Person, durch seine Handlungen als Kaiser aufs schlagendste widerlegt, und da» unleugbar vorhandene Mißtrauen erfolgreichst aus der Welt geschafft. DaS genaue Gegentheil ist der Fall. Alle Handlungen des neuesten Kaisers vom Moment fein« Thronbesteigung an bis zum heutigen Tag haben ausnahmslos nur dazu dienen können, die Richtigkeit jener Gerüchte zu bestätigen und die Begründetheit jenes Mißtrauen« zu erweisen. Die Hast, mit welcher das Szepter den noch nicht erkalteten Fingern des VaterS entriffen ward— die Lequestrirung der Mutter— der Versuch, die Papiere des VaterS durch einen polizeilich-mUttärischen Handstreich in seinen Besitz zu bringen— die Anordnung der Bergmann'schen Schmähschrift, die ihre Spitze gegen die Mutter und auch den Bater des pflichttteuen SohnS richtet— die demonstrative Auszeichnung des Pasquillanten Treitschke, der die Regierung de» Vaters ziemlich unverblümt für ein nationales Unglück erklärte— wir dächten, das wäre genug, um uns ein klares und scharfes Charakterbild zu geben. Nimmt man hierzu die demonstrative Auszeichnung des Puttkamer, dem der sterbende Vater einen Fußtritt ertheilte— die Proklamattonen„an mein He«",„an meine Flotte" und„an mein Volk"— die reaktionären Banalitäten der Reichstags-Thronrede, die auch nicht den kleinsten Lichtblick eines edlen und strebsamen Geistes zeigt— die Fortsetzung der sozialistengesetzlichen Polizeipolittt und last not leaat, die Furcht, welche der neueste Kaiser vor„seinem Volk" hat, die A engst! ichkett, mit der er sich unter den Schutz d« Po- lizei und des Militärs flüchtet, und das Charakterbild ist so vollständig, hat so scharf« Umrisse, daß eine mißverständliche Auffassung einfach unmöglich ist.-- Wir gestehen, daß die Kühnheit, mit welch« der neueste Kais« sich so gibt, wie er ist, unS einen gewissen Respekt einflößt. Verschiedene Korrespondenten, die allerdings keine Ahnung von der Tragweite ihrer Vermuthung gehabt zu haben scheinen, haben von einer unverkennbaren A e h n l i ch k e i t des deutschen Kaisers mit dem ruffi- schen Zaren geredet— nur daß Letzter« einen Kopf größer ist als fein schwächlich« Neffe. Aber dieselbe Nervosität angesichts einer großen Menschenmenge, derselbe scheue Blick, wenn irgend ein Fremder, der keine Uniform und keinen Polizeischnurrbart trägt, in weniger als vierfacher Bombenwurfnähe auftaucht. Die— an Verfolgungswahn streifende Furchtsamkeit des Zaren hat den neuesten deutschen Kais«, d« von seinem Hausmeier schon gut vor- bereitet war, noch ängstlicher gemacht. Die fünfzig Spitzel, welche er aus Berlin mitgenommen hatte, genügten in Petersburg nicht mehr— die Zahl mußt« verdoppelt werden; und um die Sache nicht gar zu auffällig zu machen, hat man neuerdings die napoleonische PnqstS eingeführt— die übrigens der„Eisenstirnige" seit Jahren schon übt— und die Spitzel ganz theatergerecht auf patriottsch-loyale„VolkS-Kund- gedungen" dressirt. Schade nur, daß dieses Gesindel auch hi«für zu dumm ist; durch sein übertriebene«, aufdringliches Hochbrüllen haben die Berliner Spitzel ihrem Patron in Kopenhagen eine recht unangenehme Szene verursachter ist dort nämlich, als er sich an der Seite des dänischen Königs prä- sentirte, nach Noten ausgezischt und ausgepfiffen worden. Die Un» Popularität des jungen„alten Fritz" hat natürlich ihr Theil an dieser Explosion des Volksunwillens, allein e« sieht fest— und die dänischen Blätter««sichern e» einstimmig— daß der Unwille erst durch die Berliner Spitzel, welche sich wie toll geberdeten und unter Hurrah- Gebrüll auf den„deutschen Kaiser" Jeden zum Gruß„der Majestäten" aufforderten, entfesselt und zum Ausbruch gebracht wurde. Die Aengstlichkeit des neuesten Kais«s äußert sich in Allem und sämmtlich« Familieiiglied-r werden stet« von einer Spitzelhorde bewacht — sogar die neueste Kaiserin nebst dem neuesten kaiserlichen Rekruten. Und selbst die„vier armen kleinen Bürschchen", der„Zukunftskaiser", nebst seinen drei jüngeren Soldaten-Geschwistern werden in ihrer „Kaiser-Jdylle" aus dem Oberhof (Thüringen ) nicht von d« Angst- und Spitzel-Epidemie««schont— sie dürfen keinen Schrttt thun, ohne von Gensdarmenumringtzusein! ES ist unglaublich, aber wahr — durch die zuverlässigsten Berichte festgestellt, und von den Reptil- blättern indirekt bestätigt! Kur,— der neueste Kaiser ist, wie wir schon früher andeuteten, ganz in der richtigen Verfassung, die Erziehung deS Hausmeiers und Ober- Hofmeisters hat sich vortrefflich bewährt, und wir können uns ungefähr denken, wa» aus solchem Boden herauswachsen muß.— Und inzwischen singt die Reptilienpreffe Jubelhymnen auf daS„Er« starken deS monarchischen Gedanken« in Europa "! Dieser starke monarchische Gedanke, dessen Träger so stark find, daß sie sich nicht ohne Schutz unter die Menschen wagen! Nun— wir haben jedenfalls keinen Grund, ob dieser„Erstarkung des monarchischen Gedanken«" uns die Haare auszuraufen. Nur hübsch wetter„erstarkt"! — Die nächste Reichstagsivahl wird spätestens, das heißt wenn d« jetzige Reichstag bis zum Erlöschen seine« Mandats zusammenbleibt, im Frühling des Jahr» ISSO, also in ungefähr anderthalb Jahren, stattfinden. Es ist aber mit ziemlicher Gewißheit anzunehmen, daß die Wahl schon früher vorgenommen wird. Wir haben bereit» wiederholt darauf hingewiesen, welche« brennende Interesse die reaktiv- nären Parteien an dem Ausfall der nächsten R-ichstagswahl haben, au» welcher der erste fünfjährige Reichstag h«vorgeh-n soll. Der Aus- fall der nächsten Wahl entscheidet thatsächlich über Sein oder Nichtsein der Biimarck'schen Wirthschast. Kann die kartellbrüderliche Majorität nicht wiedergewonnen werden, so gibt e» für Bismarck keine andere Wahl, al« sich entweder dem Volkswillen zu beugen, oder mit dem jetzigen ScheintonstitutionaliSmu» zu brechen und einen Staatsstreich zu machen, der da« allge- meine Stimmrecht beseitigt und dem Reichstag bloS ein« berathende Stimme läßt. Und das Eine ist dem Fürsten Bismarck so unangenehm wie das Andere. Er braucht den Nimbus der Vo lkSthümlichkeit, welchen das allgemeine Wahlrecht ihm verleiht. Und da er jetzt weniger al» je an den Rücktritt denken kann, fo wird er selbstverständlich mit der ihm eigenen RücksichtSlosigkett Himmel und Hölle in Bewegung setzen, um sich eine Majorität zu verschaffen. Di« Melmttbomben und Bretter- baracken genügen diesmal nicht. Wir werden aller Wahrscheinlichkeit nach bii zur Mobilisirung gelangen. Zu den nothwendigen Kniffen gehört jedoch auch, daß die Wähler überrascht, überrumpelt werden. Nun kann ab« dn Wahltermin nicht gut üb« den 2l. Februar l8S0 hinausgeschoben werden, weil der Reichstag an diesem Tag« auf- hört zu existiren und nach dem 21. Februar 1890 nicht mehr da» Recht hat, zu sitzen, also nicht mehr alt Jaschreier-ChoruS benutzt w«den kann und folglich keinen praftischen Werth mehr für den Stsenstirnigen hat. Unter solchen Umständen spricht Alles dafür, daß der Wahlt«min vor dem 21. Februar 1890 sein wird. Dies setzt freilich die Auflösung
deS jetzigen Reichstags voraus. Jndeß da» ist kein Hinderniß. Der jetzige Reichstag kann, falls die Auflösung z. B. für den Herbst des kommenden Jahres geplant wird, noch recht gut zwei Sessionen haben — eine im Winter 1838/89 und eine im Spätsommer deS folgenden Jahrei— so daß die reaktionäre Majorität bis aufs Aeußerfie ausge- nützt werden kann. Ist dann Alles gehörig für die Wahl präparirt, find unter dem Gebrüll des Plagiats: WirDeutfche fürchten Gott, sonst nichts auf der Welt! die deutschen A n g st m i ch e l so ins Bockshorn gejagt, daß ihnen aus jedem Bierseidel ein paar Dutzend Franzosen entgegengrinsen, die natür- lich„vertilgt" werden müffen— dann kann die Auflösung erfolgen, und der neue Reichstag kann schon im Dezemb« zusammentreten, so daß er noch bequem Zeit hat. das Budget für 1890/91 zu„bewilligen"— denn blos ums„Bewilligen " wird sich's ja handeln. Genug— wir machen auf diese Möglichkeit, die eine Wahrschein« lichkeit ist, zu praktischen Zwecken aufmerksam. Soweit wir unterrichtet sind, lassen die Vorbereitungen für die nächste Reich»- tagSwahl innerhalb unserer Partei noch sehr viel zu wünschen übrig. Namentlich ist man in vielen— darunter einigen der besten!— Wahlkreisen noch nicht einmal über die Person des Kandidaten im Reinen. Wir wiffen all«- dings, daß die Wahl d« Kandidaten au » verschiedenen Grün- den diesmal ganz besonder« Schwierigkeiten bietet, doch das ist nur ein Grund mehr, die Kandidatensrage zeitig zu regeln und überhauptAlle»„klar zu machen" für die Wahlschlacht. Wir dürfen uns nicht überraschen lassen! — Ei« recht«etter Rechtshüter ist d« Staatsanwalt— ja, mit dem Namen können wir leid« nicht aufwarten, sintemalen d« Biedermann im Bewußtsein sein« Größe seinen Namen zu undeutlich schreibt— also d« ersie Staatsanwalt am Landgericht Kiel . Wie d«selbe seinen Beruf auffaßt, dem»«letzten Recht zur Ge« nugthuung zu verhelfen, beweist folgender Brief an einen in der Fabrik von Prie» in Neumünster (Holstein) beschäfttgten Lehrling, de» sein Meister— The ede ist der Rame dieses Prügel-Pädazozen— mit einem Stock geschlagen und, als derselbe zerbrach, mit einem zweiten, m dem ein Nagel stack, so übel zu gerichtet, daß der junge Mensch mehrere Löcher im Kopfe hatte und sich in ärztliche Behandlung geben mußte.(Wir entnehmen den Brief d«„Fränk. Tagespost ".) „Der erste Staatsanwalt beim Königlichen Landgericht zu Kiel . Auf die am achtzehnten d. M.(Juni) bei der Königlichen Kirchspi-loogt-i zu Protokoll gegebene Anzeige w«de ich gegen den Werkmeister Theede nrasrechtlich nicht einschreiten. Nach Z 127 d« Gewerbeordnung sind Sie als Lehrling der väterlichen Zucht Ihres Lehrherrn unter- warfen. In der väterlichen Zucht liegt auch daS Züchtigungsrecht dei Lehrlings für Unarten und schlechte Aufführung. Sie haben aber fich in mehrfacher Weise schwergegendasGefetz unddieOrd- nung vergangen, indem Sie die von ihrem Lehrherrn angenom- menen, fremden Arbeiter(nämlich behufs Lohndrückung i m p o r t i r t e Thüringer Arbeiter) bedroht und dieselben demnächst durch Werfen mit Spulen bei d« Arbeit gestört, und dann noch den Werkmeister durch Ableugnen d« oben begangenen Unart frech belogen habe». Sie hatten demnach dieJhnen e rt h e i l te Z ü ch ti g un g in volle« Maß« verdient.(!) Sollte bei derZüchtigung auch auSVer- sehen(!) b« eine Schlag Ihren Kopf getroffen haben, so haben Sie sich auch diese Verletzung selbst zuzuschreiben.(?!!)" Wunderbare Rechtsbegriffe, nicht wahr? Der Herr Staatsanwalt spielt hier Staatsanwalt und Richter in einer Person. Und was für einen Richter! Eine Mißhandlung, wie sie in einem Zuchthaus« unerhört wäre,„väterliche Züchtigung"! Und berechtigte väterliche Züch- tigung, obwohl noch gar nicht festgestellt ist, ob der Lehrling die ihm vorgeworfene Handlung wirklich begangen, während das Attest deS Arztes, der denselben behandelt, den Beweis lieferte für die Rißhand- lung, deren Opfer« geworden.„Sie haben sich auch dies« Verletzung selbst zuzuschreiben." DaS ist ein Freibrief für alle R o h h e i t e n und In s a m i e n, die Meisterdünkel nur ausdenken mag. Und wenn der Nagel in die Augen des Lehrlings gedrungen, hätte sich derselbe auch den Verlust dei Augenlichts„selbst zuzuschreiben" gehabt? Ei freilich, er hat sich ja„gegen Gesetz und Ordnung schwer ver< gangen". Hier liegt der Hase im Pfeffer. Der Lehrling hat für die Sache d« außer Existenz Gedrängten Sympathie bezeugt, das ist ein schweres. das schwerste Bergehen gegen„Gesetz und Ordnung" I Nämlich gegen die heiligen Gesetze der Ausbeuterordnung. Darum gibt es keinen Rechtsschutz für ihn, darum ist« vogel fr ei. D« Lehrling, resp. seine Mutter haben sich bei der Abweisung nicht beruhigt und an die höheren Instanzen appellirt. Wir wollm sehen, wi« diese üb« die Rechtsbegriffe des«sten Rechtshüt«s am Landgericht Kiel denken. — Schon wieder das„eherne Lohugesetz" gegen die«r- beiter ausgespielt. Der große Gehlert— w« in unser« rasch- lebigen Zeit etwa vergessen haben sollte, w« und wa» der Träg« dieses Namens ist, für den bemerken wir, daß Herr Gehlert ein großer Fabrik« befitzer vor dem Herrn und außerdem Reichstagsabgeordneter für den 23. sächsischen Wahlkreis ist— also dieser Herr macht Schule. Wie er im deutschen Reichstag die Erhöhung der Getreidezölle damit vertheidigte, daß, wenn auch dieselbe eine Vertheuerung des Brotes zur Folge habe, dies doch für die Arbeit« kein Nachtheil sei, da»ach dem eh«nen Lohngesetz sich der Lohn sehr bald entsprechend heben w«de, so wird auch jetzt in der lib«al-konservattven„Neuen Zürcher-Zeitung " eine Erhöhung de« Sal, preiseS wie überhaupt das Syste« der Konsumsteuern mit dem klassischen Satz besürwortet:„Je höher der Unterhalt für's tägliche Leben, desto höher find die Arbeitslöhne."-,,,> „Demnach," bemerkt dazu der„Grütlianer",„hätte der Staat nur tüchtig indirefte Steuern zu dekretiren und die Lebensmittel zu ver- theuern, dann kämen die Arbeiter ohne Weit«es auch zu größere» Löhnen." Man braucht den Gedanken nur in seinen Konsequenzen zu»«folge» und die Abgeschmacktheit leuchtet von selbst ein. „Wir wollen'» doch lieber nicht darauf ankommen laffen"— fährt der„Trüttianer" fort—„die Arbeiter wären düpirt, selbst wenn de» Satz in der„Neuen Zürcher-Zeitung " wahr wäre, wa» er nur theil« weise ist. Denn die Lohnhöhe wird noch von anderen Faktoren beein- flußt, von Angebot und Rachfrage u. s. w., wie ja thatsächlich die Stet- g«ung d« Löhne in vielen Geschästszweigen mit der V-rth-uerunz de» Lebensbedürfnisse in den letzten Jahrzehnten nicht Schritt gehalte» hat." Nicht nur daS, sondern in vielen Industrien sogar umgekehrt, traf der Vertheuerung der wichtigsten Lebensmittel, beständig gesunke» ist. Und gerade die Blätter vom Schlage der„Neuen Zürcher-Zeitung ' tragen nach Kräften das Ihrige dazu bei, diese Seite der EntwickluNS möglichst zu fördern, indem sie allen Versuchen der Arbett«, sich durt Ausnutzung des Koalitionsrechtes dagegen zu schützen, entgegenarbeit«»- Wann hätte man diese warmen Volksfreunde bei einem Streik je au! Seiten d« Arbeiter gesehen? Wie das Butterbrot fallen sie reget- mäßig auf die fette Seite, d. h. die Seite der Meister, und mache» sich alle von diesen ausgeheckten Verleumdungen zu eigen. Wenn sie ü Sozialpolitik machen, so heißt ei daher doppelt und dreifach auspaffe» A bisse! a Falschheit ist alleweil dabei. Meist ein sehr große»»iffel. — Die KucchtSsecltgkeit deS deutscheu PhiltfterthumS leider kann man den letztgenannten Begriff nicht einmal auf das Bürge» thum beschränken, da sich ja immer noch Arbeiter finden, welche dem Drang die„guten Kinder" zu spielen, nicht widerstehen können— also dp deutschen Philisters K n e ch t i f e e ligk eit wird trefflich durch folge» de» Bettelbrief eine» KriegervereinSkomite» a> irgend einen der vielen, auf Deutschlands Auen gedeihenden Prinzp illustrirt, den wir— den Brief, nicht den Prinzen— in der unÄ- hängig gesinnten Preffe abgedruckt finden: „Eurer Königlichen Hoheit gestattet sich da« u n t e r t h L n i g st g« gehorsamst gefertigte Komite allerehrfurchtsvollst vor»»- tragen, daß am Sonntag den u. f. w. die Enthüllung des Krieg«? denkmals stattfindet, und unt«breitet Euer Königlichen Hoheit dp unterthänigst gehorsamst geftttigte Komite die a l l e r e h r- furchtsvollste Bitte. Eure Königliche Hoheit möge Aller'