Weinbau in Kalifornien , unterliegen die Kleinbauern den großen. WaS Schlachtvieh anbelangt, so schreiten diese jetzt von der Kontrolle des Markt-S für den Verkäufer zur eigenen Produktion vor. Und so wird eS durchaus gehen. Wem eS um die Aufrechterhaltung der bürgerlichen Gesellschaft zu thun ist. der mag über den Untergang des selbststündigen Bauernthums jammern und vergebliche Mittel zur Erhaltung desselben anwenden wollen. Wir, die wir die Konzentration des Kapital als Borbedingung für den Sturz der Ausbeutung überhaupt betrachten, stimmen darin nicht ein, sondern sagen, je rascher desto besser.
Paris , 7. September. Die im politischen Leben eingetretene Stille wird nur noch durch etwelche„Reden" und das Familiengezänk der parlamentarischen Koterien ausgefüllt, welche allesammt merkwürdig einig sind, wenn es gilt, die Steuerschraube fester anzuziehen und Volksrechte zu unterschlagen, sich aber bitter unter einander streiten, sobald eS sich darum handelt, welcher von ihnen der reichste Antheil an der dem Sieger lachenden Beute zu- kommen soll. Die unter diesen Umständen täglich wachsende Unzufrieden« heit macht den Boulangismus allmälig zu einer wahren Gefahr, wäh- rend schon ein Minimum thatsächlicher Reformen allen plebiszitären Ge< lüsten und diktatorialen Umtrieben binnen drei Tagen den HalS brechen würde. Um die Situation, d. h. die Sinekuren, Portefeuilles, Man- date ,c. zu„retten", glänzen Präsident und Minister auf gewerbsmäßigen Kunstreisen und geben bei allen möglichen und unmöglichen Denkmals« Einweihungen Gastrollen. Die Lichter der Politik sammt ihren jour- »alistischen Schleppenträgern beschimpfen mit wüstem Geschrei AlleS, was nicht zum speziellen Klan gehört. Die Lage der Arbeiter verschlim« wert sich unterdeß stündlich, aus allen Theilen des Landes laufen Be« richte ein über friedliche Hungerrevolten in Gestalt von Streiks und illustriren eigenthümlich ironisch die auf allen Banketten schwungvoll deklamirten Phrasen von dem Segen der individuellen Freiheit und der Freiheit der Arbeit, welche die Opportunisten so einseitig und auSgiebig praniziren. Die Erdarbeiter von Paris , bezw. des Seinedepartements sind theil- weise wieder im Ausstand. Die Arbeiter verlassen die Werkplätze der größeren Unternehmer und hoffen, durch einen latenten Krieg, der bald hier bald dort geführt wird, die Herren Geldsäcke zum Nachgeben zu zwingen. Fort- und Ausbildung der seit dem allgemeinen Streik dati- renden Gewerkschaftsorganisation wird weiter betrieben, um eine Basis zu schaffen, auf welche sich eventuell im nächsten Jahr ein großer allge- meiner Ausstand stützen soll. Der Vorschlag verschiedener Personen und Gruppen, sofort einen großen allgemeinen Streik anzufangen, ist von vornherein ein todtgeborenes Kind geblieben. Keine Arbeiterorganisation Shlte sich dem Riesenkampf gewachsen, der sicher mit einer furchtbaren iederlage abgeschlossen hätte. Von den sonstigen in Paris und der Provinz(Lyon , TroyeS k.) ausgebrochenen Streiks ist der von 3000 beim Bau der Eisenbahnlinie LimozeS-Brive beschäftigten Erdarbeitern zu erwähnen. Hier wie fast überall ist die Forderung einer mäßigen Lohnerhöhung Ursache des Konflikts, die Arbeiter verlangen pro Stund« statt 22—25 Cts. 80—35 Cts. Die Streikenden durchziehen in Trupps das Departement der Corröze und konzentriren sich um und in Limoges , da dies der Sitz der Zentralverwaltung der erwähnten Arbeiter ist, und sie erwarten, daß Sh die Behörden bei den Unternehmern für sie verwenden werden. i« Nachricht vom Zug der«usständischen nach Limoges machte ur- sprünglich das gesammte Spießbürgerthum gruseln, als jedoch die Schaaken der buchstäblich Halbverhungerten ankamen, da schwand die Furcht und macht« dem Mitleid Platz. Die Limoger Bürger selbst ver- anstalten Sammlungen von HauS zu HauS, um das entsetzliche Elend zu mlldern, Volks- und Sparküchen können nicht genug„Bettelsuppen" schaffen, alle philanthropischen Anstalten sind buchstäblich von Berhun- gerten belagert, welche auf Plätzen und Straßen, in Scheunen und Ziiagazinen übernachten. Di»«tretkenden verhalten sich äaherst ruhig, und das starke Aufgebot von Truppen und Gensdarmerie kann nicht einmal durch den Schein eines Vorwandes gerechtfertigt werden. Die Tagesblätter der Börsenjobberei ergriffen mit Wonne die Gelegenheit, vermittels Darstellung des Streiks als eines boulangistischen Manövers den Boulangismus den Sozialisten an die Rockschöße zu hängen und dadurch die Arbeiterbewegung zu disireditiren. Der Führer der AuS« ständischen, G a d e t, wurde zu einem mysteriöse« politischen Agent her- ausgeputzt,„mit weißen, aristokratischen Händen, die nie eine Schaufel angerührt," nach Einigen ein Mann im Vollbesitze aller Bildung, nach Anderen ein ehemaliger Korrettionshäusler. Die reaktionären Blätter beettten sich natürlich, hinzuzufügen, daß die„zweideutige Persönlichkeit" in Verbindung mit den„Pariser Sozialisten" stände, von ihnen das Losungswort erhalte ,c. Unterdeß aber haben die lokalen Kümmelblätt- chen betreffs dieser Räuberlegenden bedeutend zum Rückzug blasen müssen: Sadet hat braune, schwielige Hände(der„TempS" registrirt diese Be- richttgung mit einem komischen Mißtrauen, als ob er künstliche Hände wittere), er erklärt, daß er ein Arbeiter ist und nur die Rechte der Ar- beiter vertreten wolle, daß für ihn der Streik eine soziale und philan- thropische(>!), aber durchaus keine polittsche Frag« sei, und daß er jeden Kameraden unerbittlich au» den Reihen der Ausständischen ausstoßen werde, welcher versuchte, die Politik in die Bewegung hineinzuziehen. Sein Ziel sei, den Streik so bald olS möglich zu Ende zu führen, und er lasse es an keinem dahingehenden Schritte bei den Unternehmern fehlen. Der„boulangistische" Charakter de« AuSstands reduzirt sich dar- auf, daß Gadet einen Augenblick daran dachte, den Abgeordneten Laguerre, der die Streikenden von Bessöges ,c. vertheidigt hatte, zum Vermittler zwischen Arbeitern und Unternehmern aufzurufen. Wie wenig die„Pariser Sozialisten" mit dem Streik zu thun haben, geht schon daraus hervor, daß weder der jetzt blanquistische„Cri du Peuple" noch der poffibilistische „Parti Ouvrier" Vpezialbericht« über denselben bringen, noch Sammlungen zu Gunsten der Ausständischen eröffnet haben.— Aus Amien » wurden bereit« vor zirka einem Monat partielle Streiks der Sammtweber gemeldet, welche nach einer„Revolution «n miniaturs" mit Kompromiß zwischen Arbeitern und Fabrikanten ab- schloffen. Letztere haben natürlich ihre Versprechungen gebrochen und »«durch einen erneuten Ausstand hervorgerufen, bei welchem die Be- Hörden von votnhrnin gegen die Arbeiter Stellung genommen haben. Kaum war nämlich der Streik erklärt, so wurden auch schon die Führer deffelben und der lokalen Arbeiterbewegung verhaftet, und zwar mit wahrhast empörender Rohhett und Brutalität. Den Inhaftirten, darunter besonders dem ehemaligen sozialistischen Sememderath Vöchard, kann kein anderer Vorwurf gemacht werden, alS daß sie dafür sorgten und Vöchard seinen Einfluß dazu benutzte, den Streikenden„Bersamm- lungslokale zu verschaffen und den Ausstand zu letten, zu berathm". Trotzdem ist Anklage auf ein Komplot betreff« Brandstif- tung und Plünderung erhoben, was sich natürlich für den„gut- gesinnten, friedliebenden" Spießer sehr schrecklich anhört. Zweck der unstunigen Lüg« ist, den Streikenden die Sympathien der Bevölkerung von Amien« zu rauben, die sich bis dato dem Ausstand gegenüber sehr anständig verhielt. Die Polizei arbeitet stets und überall mit den alten Mäechen weiter, wie die Bourgeoisie mtt den alten Dummheiten und Schlechtigkeiten weiter regiert. Da« Ministerium Floquet hat durch«wen neuen Akt die Feindseligkeit gegen dt« Arbeiterschaft zum so und sovietten Male bewiesen, daß es sich von seinen opportunistischen Borgängern nur durch die offizielle Phrase unterscheidet. Di« Regierung bat nämlich auf Grund eines alten berüchtigten Gesetzes aus den schönsten Zeiten des niedrigen Kaiserreiches zwei GewerbeschiedSrichter, Boulö und Meyer, beide Vertreter der Arbeiter, ihres Amt« entsetzt, weil sich dieselben vor ungerechten UrtheilSsprüchen mtt Protest zurückgezogen hatten.») Das Eintreten für ihre Ueber- zeugung wird als grobe Verletzung der Amtspflichten, als Bloßstellung der Würde, als Provokation des Publikums zum Skandal hingestellt und die gesammte Kapitalistenpresse klatscht Bei» fall. Die Regierung hat es sich bis dato nie angelegen sein lassen, über
*) Siehe auch unter Sozialpolitische Rundschau.
Beobachtung der Amtspflichtm, Bewachung der Würde:c. der Gewerbe- schiedsrichter zu wachen. In vielen Gewerberäthen der Provinz haben z. B. zu Schiedsrichtern erwählt« Unternehmer jahrelang nicht an den Sitzungen thetlgenommen, weil sie sich weigerten, mit und neben Ar- bettern im Ausschuß zu fungiren, in Lyon kam ein Schiedsrichter— Kapitalist— regelmäßig hochgradig ange— heitert zu den Sitzungen, er und anders seiner Sippe erlaubten sich allerlei Gesetzwidrigkeiten— und wurden nie zur Rede gestellt, geschweig« denn abgesetzt. Die bürgerliche Gerechtigkett hat eben stets zweierlei Maß und Gewicht in Bereitschaft, je nachdem es sich um Privilegirte oder Unterdrückt« handelt. Der Zweck der Maßregelung der beiden Mitglieder des Pariser Gewerbe- schiedsgerichts liegt klar auf der Hand; an Boulö soll wegen seiner Rolle bei dem Streik der Erdarbeiter, für seine langjährig« unermüd- liche Agitation unter den Bauarbettern Rache genommen, er soll ökonomisch todtgeschlagen werden. Da er als„Agitator, Wühler und Rädelsführer" seit Jahren von keinem Unternehmer mehr«ingestellt wird, so soll er durch Entziehung seines Amts bezw. des damit ver- bundenen Gehalts, durch den Hunger mundtodt und gefügig gemacht oder ihm durch die Sorg« für die Existenz die Möglichkeit der Wetterführung seiner Agitation geraubt werden. Meyer's Absetzung ist nebensächlich, sie soll nur de» Vorwand wahren, als ob die Regierung thatsächlich blos die durch Protestirung und Ver- lassen des Ausschusses begangene Amtsverletzung(?) strafen wolle. In seinem Bestreben, dm Gemeinderath für alles Unheil verantwort- lich zu machen, hat der„Temps", das eigentliche Motiv der Amtsent- setzung verrathen. Der schreckliche Stadtrath hat nämlich jedem Ge- werbeschiedSrichter einen Gehalt von 1200 Fr. pro Jahr ausgesetzt, durch welche Maßregel er nach dem Bourgeoisblatt nur das Offizierskorps der sozialistischen und revolutionären Armee besoldet.„Die zu Schiedsrichtern erwählten Arbeiter verlassm ihre Werkstätten unter dem Vorwande, sie seien von ihren Amtspflichten völlig in Anspruch genommen. Man findet sie nie mehr bei der Arbeit, dafür stets in allen öffentlichen Ver- sammlungen, wo sie ihre Muße dazu benutzen, Streiks anzuzetteln und lärmende Manifestationen zu organisiren." Die Amtspflicht also schlägt man, die Agttation unter dm Arbeitern meint man. Recht bezeichnend ist übrigens der Borgang, der zu der„Verletzung der Amtspflicht" führte. Nach dem bekannten Beschluß des Pariser Gemeinderaths, der für die städtischen Arbeiten bestimmte Minimallöhne festsetzte und den Ausschluß der Zwischenunternehmer vorschrieb, hatten die bei den Ergänzungsbauten der Deputirtenkammer beschäftigten Putz- maurer Quästor und Präsidenten der Kammer beim Gewerbeschieds- gericht verklagt, weil sie unter den Tarifpreisen entlohnt worden waren. Statt der genannten Persönlichkeiten war der Unternehmer vor dem betreffenden Ausschuß erschienen und am S. Juni, an welchem Tage ein Arbeiter den Vorsitz führte, zur Zahlung der Differenzsumme zwischen den gezahlten Löhnen und den nach den Tarifpreisen sich ergebenden verurtheilt worden. Der Unternehmer legte Einspruch gegen das Urlheil ein und die Angelegmheit gelangte Ende Juni von Neuem zur Ver- Handlung, diesmal vor einem Ausschuß, dessen Präsident ein Unter- nehmer war. Als der Ausschuß mit drei(Unternehmer) gegm zwei (Arbeiter) Sttmmen Aufhebung des ersten UrtheilS beschloß, zog sich B o u l ö, der gerade als Schiedsrichter fungirte, vor der Verkündigung des Verdikts unter Protest zurück. Er bezeichnete das Urtheil als ein ungerechtes, vom Klasseninteresse diktirtes, unter das er nie seine Unter- schrift setzen könne. Er wies ferner darauf hin, daß die ganz« Angelegen- heit ungesetzlich geführt worden sei, da sich an Stelle des Quästor und Präsidenten der Kammer, die die eigentlichen Bauherren seien, der Zwischenunternehmer vogeschoben habe, während doch bereits das Gesetz von 1848 das Zwischenunternehmerthum untersage. DieS fein Verbrechen. Meyer hat sich in einer anderen Angelegenheit ein ähnliches Bergehen zu Schulden kommen lassen. Die Arbeiter, welchen da» Wahlrecht für das Gewerbeschiedsgericht zusteht, sind ent- schloffen, Boulö und Meyer wieder zu wählen» obgleich denselben, nach dem vom Ministerium Floquet ausgegrabenen und auf sie angewendeten Gesetz, zugleich mit der Amtsentziehung auf K— 10 Jahre das aktive und passive Wahlrecht für das Gewerbe-Schiedsgericht aberkannt ist. Außer der anrüchigen Finanzpresse billigt auch der poffibilistische«Parti Ouvrier" Boulö's Maßregelung. Dieselbe ward Anfangs ohne ein Wort der Mißbilligung gegen die Regierung verzeichnet, bald auch fehlte e« nicht an verblümtem, aber nicht mißzuverstehendem Beifall des gouver- nementalen Beschlusses. Boulv ist ja ein Nicht-Possibilist, eine„markt- schreierische im Wege befindliche Persönlichkeit", er bekommt jetzt die Esels fußtritte, auf welche ein Besiegter stets zählen kann. Die possibilistischen Führer haben vbn jeher in derartigen Dingen eine staunliche Virtuosität bewiesen, es ist also nicht überraschend, wenn sie im gegenwärttgen Moment von Neuem anfangen, Boulö mit faulen Eiern und Krautschinken zu bewerfen— natürlich„moralisch". Zum Schluß, xour 1» bonns doueds, einige Worte über den tiefen Eindruck, welchen die Berliner Wahl, der Sieg der Sozialdemokratie, hier gemacht hat. Alle Blätter, ohne Ausnahme der Richtung, haben dem Ereigniß Artikel gewidmet und erkennen an, daß die Sozialdemokratie.in Deutschland zu einer Macht geworden ist, mit welcher jede einigermaßen ernste Politik rechnen müsse. Dem gedigenen Karakter der deutschen Arbeiterbewegung, ihrer wissenschaftlichen Basis, ihrer musterhaften Organisatton, der Energie und Opferfreudigkeit ihrer Parteigänger ließen viele reaktionäre Organe, die sonst im eigenen Lande die ärgsten vozialistensresser sind, volle Gerechtigkeit wider- fahren. O-n.
Sozialpolitische Rundschau.
Zürich , 12. September 1888. — DaS Wahlergebnis im sechsten Berliner ReichStagswahlkreise stellt sich, nach den einzelnen Stadtbezirken geordnet, folgendermaßen: ? ll I --L Z~n U. üfe-»1£1£
Stadttheil
1* Ii J-» 03»
18|i I I
Prenzlauer Borstadt Schönhaus. Vorstadt Rosenthaler Borstadt Hamburger Vorstadt Oranienbg. Vorstadt Roabtt..... Wedding .... Gesundbrunnen ..
8854 12761 20941 8240 7394 16080 14182 6630
8428 5628 10269 8558 2907 5869 6959 3173
1856 3287 7226 2108 1336 2963 6072 2220
728 1255 1571 727 688 1030 1041 517
887 444 596 319 582 821 1045 496 845 252 180
»t-- S- a? 458— 630 10 869 7 400— 395 8
Summa 93582 41791 26067 7507 3847 4322 24 Ueber das Verhältniß der abgegebenen sozialdemokratischen Stimmen zu den gegnerischen bringt die„Volkitribüne" folgende lehrreiche Zu- sammenstellungen: „Auf 1000 sozialdemokratffch« Stimmen kamen nur 592 Sttmmen der Bourgeoisparteien, und zwar 280 Freifinnig«, 165 anttsemttisch« und 147 konservative. Vergleicht man diese Verhältnißzahlen mtt denen der Wahl vom 21. Februar 1887, bei der die höchste Stimmenzahl abgegeben wurde, wo auf 1000 sozialdemokratische 939 Stimmen der BourgeoiSparteien, und zwar 386 freisinnige und 553 konservative und anttsemittsche fielen, so kann man erst die Bedeutung unsere« Wahlsieges voll würdigen. Auch ein anderer Vergleich ist sehr lehrreich. Wie bei allen Nach- wählen, war die Zahl der für jede Partei abgegebenen Stimmen med« riger als bei den Hauptwahlen. Während bei diesen im 6. Berliner Wahlkreise 59,039 Wähler ihre Stimmen abgaben, wählten am 30. August nur 41,758, d.h. auf je 1000 am 21. Februar 1887 abgegebene Stimmen wurden bei der Nachwahl nur 721 abgegeben, wie stellt sich nun aber da» Verhältniß für die einzelnen Parteien? Während die sozialdemokra- tischen Sttmmen von 1000 auf 856 zurückgingen, gingen die freisinnigen Sttmmen von 1000 auf 639, und die der Konservattven und Anti-
semiten gar auf 485 zurück! Zu diesen Zahlen braucht man keine« Kommentar zu schreiben!" Wenn man übrigens von der schwächeren Wahlbetheiligung spricht, so darf man neben den übrigen hier in Betracht fallenden Gründen auch nicht übersehen, daß eine groß« Zahl von Arbeiterwählern in ganz anderen Stadttheilen arbeiten und so den ganzen Tag von ihren Wohnungen entfernt find; man denke hier nur an die Bauarbeiter. Bei den allgemeinen Wahlen pflegen all« diese Arbeiter Mittags die Arbett niederzulegen, so daß fie in den Nach Mittagsstunden Gelegenheit zur Sttmmabgabe erhalten. Bei Stich- und Ersatzwahlen gehen alle diese Stimmen uns verloren, namentlich dann, wenn der Wahlkreis als so sicher gilt, wie der 6. Berliner . Wenn trotz alledem der Sieg unseres Kandidaten ein so glänzender war, so ist dai eben nur ein neues Zeichen für die Unbesiegbarkeit unserer Partei und für den unbeugsamen Kampfesmuth unserer Berliner Genossen l — Die Yerliner Wahl und die Arbeiterpresse des«ns- landeS. Im Brüsseler„Peuple ", dem Organ unserer belgischen Ge- nassen, widmet Cäsar de Paepe der Wahl«inen längeren Artikel, dem wir folgende Stelle entnehmen: „.... Liebknecht ist starrer Atheist in religiösen Fragen, R e p u- blikaner in politischer, Kommunist in wirthschaft- l i ch e r Beziehung. Auch in dieser Hinsicht gibt es nichts Klareres, Un« zweideutigeres als diese Wahl. Wohlan, im Herzen Europas gibt es ein Reich, von allen anderen Mächten gefürchtet, ein Militärstaat, der mit seinem Gewicht auf der übrigen Welt lastet und die europäische Reaktion in sich verkörpert. Und im Herzen dieses Reiches befindet sich eine Hauptstadt von über einer Million Einwohner, in der die Hauptwürdenträger dieses Lande?, der Kaiser und sein Vize-Kaiser, der furchtbare eiserne Kanzler, residiren. Und der Mittelpunkt dieses Reiches, das über die Geschicke der Welt entscheidet— die Hauptstadt dieses auf Millionen von Bajonetten ge- stützten Staates, entsendet als den Mann, der ihre Wünsche, ihre Be- strebungen am Würdigsten verttitt, wen in's Parlament? Einen Feld- Marschall? Einen Diplomaten? Einen Geheimrath? Einen Admttal? Einen Führer des Adels? Einen reichen Finanzmann? Einen großen protestantischen Kanzelredner? Nein, einen Mann aus dem Volke, einen armen Lehrer, der stets inmitten des arbeitenden Volkes gelebt und seine ganze Existenz der Erkämpfung der Rechte deS Proletariats und dem ttefen, ehrlichen, unbeeinflußten Studium der sozialen Fragen gewidmet hat, von denen die Proletarier ihre Befreiung erwarten— einen Mann, der vor versammeltem Parlament die Eroberungspolitik bekämpft und gegen die Annexion Elsaß -Lothringens gestimmt, der unerschütterlich alle, von dem allmächtigen Kanzler verlangten Maßregeln bekämpft hat, mit mtt einem Wort, einen jener Utopisten, die die Verbrüderung der Völker durch Zertrümmerung aller Throne erstreben, wie sie die Gleichhett aller Menschen durch die Aushebung aller Klassenunterschiede und die Beseiti- gung aller politischen und wirthschafllichen Borrechte deS Geldsacks, de» Kapitals ersehnen. In der That, von diesem Gesichtspunkt aus kann man nicht ander» als der Wahl Liebknechts im gegenwärtigen Moment die denkbar höchste politische und soziale Bedeutung zuzuerkennen. Diese Wahl ist gleichzeitig die Verurtheilung der ganzen Politik Bismarcks und des Hohenzollernreiches und eine große, der alten Gesellschaft insgesammt «rtheilte Lektton."... — Die Saat trägt Früchte. In deutschen Blättern wird bitter darüber Beschwerde geführt, daß die Theilnehmer an dem jüngst in Köln stattgehabten Architektentag sammt ihren weiblichen An- gehörigen wiederholt von einem frechen Janhagel in der rohesten Weise belästigt worden seien.„Es ist das, schreibt z. B. ein Kölner Korr«» spondent der liberalen„Barmer Zeitung", tief beschämend für unsere „heilige Stadt", die so„viele Kapellen und Kirchen hat" und überdies nicht in dem„pa�e sauvage"(im wilden Lande Frankreich ), sondern im Kultur- und Jntelligenzstaat Preußen liegt." Im Anschluß daran werden noch einige Rohheiti-Exzesse, die sich in der Umgebung Kölns abgespielt, erzählt.„In Kalk fordert, heißt es u. A., ein Nachtwächter einen Slandalmacher zur Ruhe auf. Die Antwort des wüsten EchreierS ist ein Schlag in's Gesicht deS Beamten. Als dieser zwei vorübergehende Soldaten bittet, ihm bei der Verhaftung des rohen Lümmels beliülflich zu sein, ziehen die beiden ihre Seitengewehre und traktiren den Nachtwächter mit Säbelhieben, während der edle Zivilist dem Beamten die„Plempe" stiehlt l"... Auch bei dem Zapfenstreich in Berlin , den Wilhelm der Redselige neulich aufführen ließ, sollen sich etwelche allerliebste Radauszenen abge« spielt haben, bei denen die Schutzmannschaft an Rohheit mit demjenigen „Volk" wetteiferte, welche» bei derarttgen Aufführungen die„Hurrah- schreier" zu stellen pflegt. Dies« gesteigerten RohheitSexzesse find kein« zufällige Erscheinung. Sie wiederholen sich zu allen Zeiten, wo von den Wortführern der öffent- lichen Meinung, wo in Presse und Literatur mit der rohen Gewalt, mtt der physischen Kraft Fetischdienst getrieben wird. Wir haben da» in den siebziger Jahren im unmittelbaren Anschluß an den Siegesrausch deS„glorreichen Krieges" erlebt, als die UnterosfizierS-Erzählungen die Literatur verpesteten, und wir sehen das jetzt auf's Neue im Anschluß an— zwar keinen glorreichen Krieg, aber einen nicht minder glorreichen Hetz-Feldzug, der nun bereits in'» dritte Jahr währt und dessen Ende noch gar nicht abzusehen ist. Hat er auch nicht zu wirklichem Blutvergießen geführt, so hat er doch die Phantasie großer Kreise der Bevölkerung mit Blut- und TodtschlagSphantasien über- reizt, in dieser Beziehung daS Jahr 1870 weit in Schatten gestellt. Da« ethische Moment, das damals doch noch ein« gewisse Rolle gespielt, ist heute ganz in den Hintergrund getreten. Damals hatte man an die edelsten Empfindungen appellirt, an den Gemeinsinn, da» Vaterlands» gesühl, um sie in falsche Bahnen zu leiten, heute wendet man sich an die niedrigsten Instinkte, den nationalen Dünkel, die Kraftmeierei, um auf sie«ine Politik der Abenteurerei zu stützen. Wie systematisch in dieser Beziehung von„berufener" Lette au» gearbeitet wirb, zeigt ein Blick in diejenige Ltteratur, die von den amtlichen und halbamttiche« Organen als ganz besonder» für da» Volk geeignete Lettüre nicht nur empfohlen, sondern gleich verbreitet wird. Man hör« nur, waS z. B. die neueste Rammer des„Daheim", da« von der Reptilienpress« al» Muster«ine»„deutschen Famtlienblatt«»" gepriesen wird, ihren Lesem darbietet. „Die Rummer 48 des„Daheim", lesen wir in der Berliner „Volks- zettung", enthält 17 Illustrationen. Davon stellen 15— sage und fchreib« fünfzehn— militärisch« Dinge, Paraden, Uniformen,(Mords- gewehre au» allen möglichen Jahrhunderten u. a. m. dar. Man fragt vielleicht: aber daS„Daheim" ist ja«in Stöckerblatt, wo bleibt da die Judenhetze? Bah— da müßte man die Stöckerei schlecht kennen, wenn sie nicht das Nützliche mit dem Angenehmen zu verbinden wüßte. Bor einem Schrank mit Uniformen ist das bekannte Zerrbild eines polnischen Juden hingekleckst und quer über den Schrank weg liest man in fetten Lettern:„tzaiszt'n königliches SzeughauS! Vermoderte Monturen!" DaS heißt den Stöcker an lapidarem Ausdruck noch über- bieten. Funkelnder Witz, Nahrung für Geist und Gemüth gebildeter Frauen, militärstommer Patriotismus, Judenhetze— alles das harmonffch vereinigt in einem Clich«, das kaum den vierten Theil einer Spalte ein» nimmt. Diesen Illustrationen entspricht der Text. Ein« Kasernengeschichte, in welcher«ine königliche Hohett,«in Unteroffizier und ein Papagei die Hauptrollen spielen, geschrieben in jenem läppisch-witzelnden Tone, von welchem Herr von Treitschke, der es ja wissen muß, behauptet, daß er jedem rechten Soldaten ein Greuel sei; dann ein Gedicht von mehr al» zweihundert Zellen, in welchem„ein Pommer schlecht und recht" in schauderhaften Knittelreimen erzählt, wie viele Franzosen er „niedergeknallt" hat— beiläufig, unter dem Ausdrucke„da» liebe Gut" verstand man bisher in Pommern und anderSwo da» Brod, nach dem„Daheim" sind darunter— Patronen zu ver- stehen—; endlich«inen Artikel von vierzehn Spalten über das Berliner Zeughaus. Den beiden nichtmllitärischen Bildern, welche die Nummer enthält, werden dann 21 Zellen, Zeilen wohlgemerkt und nicht etwa Spalten, gewidmet, und damit ist das Vergnügen au»." Die„Volkszeitung" hat Recht, wenn sie dies« Art,„christlichen Sinnin der„deutschen Familie" zu fördern, mit bttterem Spott geißelt. Aber das„Daheim" spinnt nur die gröbere Nummer eines Faden», i«