-Keine Anwartschaft auf die 20 Pfennige Reichspension. Die Zigarrenarbeiter in Hemelingen bei Bremen haben unter sich eine Alters- Statistit aufgestellt und dieselbe der Arbeiterpresse mitgetheilt. Danach stehen von 220 3igarrenarbeitern in Hemelingen im Alter von 17-20 Jahren 20 Arbeiter
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und damit hat das Lied ein Ende. Wäre die Krönung des Prachtbaues der kaiserlich- deutschen Sozialreform schon vollendete Thatsache, unter den Hemeliger Zigarrenarbeitern befände sich kein Ginziger, der so glücklich wäre, mit 20 Pfennigen pro Tag in Wonne und Seligfeit am Hungertuch nagen zu dürfen. Sie dürften alle zahlen und feiner brauchte zu genießen". Und das nennt man Fürsorge für die Invaliden der Arbeit.
Der Gießener theologischen Fakultät und Gesinnungsverwandten in's Stammbuch." Dem Reiche Gottes ist Heil widerfahren. Fürst Bismarck , Kanzler und Staatsmann, Blut- und Eisenpolitiker, Schußzöllner und Stüraffieroberst, ist von der Universität Gießen zum„ Doktor der Theologie" ernannt worden. Der Mann hat noch nie eine Predigt gehalten, keinen Leitfaden für den Konfirmandenunterricht herausgegeben, keinen Kommentar über die Offenbarung Johannis geschrieben, über seine Stellung zur Ritschl'schen Theologie nicht die mindeste Auskunft gegeben, die Kirchengeschichte höchstens um einen zweiten Gang nach Canossa bereichert und ist doch Doktor der Theologie geworden! Zu solcher Komik führt das gegenwärtig in Deutschland grafsirende, friecherische, in Ehrfurcht ersterbende Huldigungsfieber der Beamten- und Professorenwelt. Ohne irgend welches Verdienst unt Kirche und theologische Wissenschaft kann man in Deutschland Doktor der Theologie werden. Jezt bin ich erst recht froh, daß ich keiner bin. Glücklicherweise ist noch ein Unterschied zwischen Theologie und Religion. Aber man kann ja nicht wissen, ob irgend ein deutscher Kirchenrath den Bismarck noch als Religionsstifter" ausruft. Es fehlt jetzt nur noch, den allmächtigen Kanzler zum Doktor der Medizin zu ernennen. Im politischen Pulsfühlen, Auskultiren, Amputiren, im Blutegelansezen, in der Handhabung der Zwangsjacke, in der Wundbehandlung und im Staiserschnitt" hat er in der That gute Kenntnisse an den Tag gelegt." So schreibt ein schweizerischer Geistlicher, Pfarrer Albrecht in Rorschach im„ Religiösen Volksblatt". Klingt nicht sehr erbaulich, trifft aber darum doch den Nagel auf den Kopf.
Unsere Genossen erinnern sich vielleicht noch des in Nr. 18 unfres Blattes veröffentlichten Briefes, den wir als von einem Pfarrer in der Westschweiz herrührend bezeichneten, und in welchem der Schreiber einem unserer, vom Bundesrath aus der Schweiz ausgewiesenen vier Genossen in herzlichen Worten sein Bedauern über den Ausweisungsbeschluß ausdrückte. Die Gründe, die uns damals veranlaßten, den Namen des Verfassers nicht zu veröffentlichen, sind jezt in Wegfall gekommen: Herr Paul Brandt, bisher Pfarrer in Delsberg , im Bernischen Jura, ist nenerdings in die Redaktion des„ St. Galler Stadtanzeiger" eingetreten, für den er bereits seit längerer Zeit aus der Ferne journalistisch thätig war.
Herr Brandt ist, wie man aus Bern schreibt, ein ächter Demokrat und ein vorzüglicher Journalist. Sein Styl ist einfach, wie sein Wesen; nicht geziert, nicht kunstvoll, darum durchaus klar und verständlich. Ohne der Polemik aus dem Wege zu gehen, findet er doch mehr Befriedigung darin, den Lesern neue Ansichten und Ueberzeugungen beizubringen, als fie in den ihrigen zu bekämpfen. Als liebenswürdiger, bescheidener, fast zu bescheidener Mann, hat Herr Brandt überall, wo er hinkam, sich Freunde zu erwerben gewußt.
Wir begrüßen Herrn Brandt freudig als Kollegen und können dem vortrefflichen Organ der St. Galler Demokratie nur Glück wünschen zu dieser Bereicherung seines Redaktionsstabes.
Oesterreich. Mit welcher zynischen Willkür das Koa= litionsrecht der Arbeiter in Oesterreich von den Behörden ge= meuchelt wird, zeigen zwei Beispiele, welche die„ Gleichheit" in ihrer Nr. 47 mittheilt:
Der Fachverein der Bäcker Wiens gedeiht, er beginnt eine Organisation dieser versklavten Menschen zu werden. Die Bäckergehilfen denken nicht an den Streit, obwohl sie Grund dazu hätten. Aber die Bäckermeister denken daran. Sie fürchten sich und die Polizei sistirt den Fachverein.
Die Buchdrucker Wiens , die politisch harmloseste Arbeiterorganifation Oesterreichs , deren Mehrzahl nicht über die Nase hinaussieht, geschweige über den Klassenstaat hinaus denkt diese braven Leute wollen ihre Lage verbessern. Sie stellen einen Tarif auf, sie wählen eine Kommission ihn durchzusetzen, sie sammeln einen Fond, um ihn zu erkämpfen. Lauter Dinge, die nicht nur mit dem Gesetze, sondern mit höchst reaktionären Ansichten sehr vereinbar sind. Nicht vereinbar aber sind sie mit dem Interesse ihrer Herren, der Buchdruckereibefizer. Zwei Jahre fieht die Behörde dem Sammeln der Gelder, der Thätig= keit der Kommission zu und findet beides, wie natürlich, ganz gesetzlich. Nun find 30.000 ft. beisammen; die Chefs finden, daß sie Grund haben, fich zu fürchten.
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Nie sind Bourgeois mächtiger, als wenn sie Furcht haben.
Der Magistrat als Gewerbebehörde löst die kommission auf, die zwei Jahre lang unter seinen Augen gearbeitet, ja, die in Anwesenheit seines Vertreters gewählt wurde. Die Statthalteret, an welche die Gehilfen sich wenden, bestätigt die Auflösung. Noch mehr, der Magistrat verlangt mun, daß die Summen, welche sich die Tausende von Arbeitern durch zwei Jahre kreuzerweise vom Munde abgekargt haben, daß die Waffe, welche ihnen eine fleine Verbesserung ihres Lohnes erfämpfen soll, daß der Tariffond abgeliefert werde. An wen? An ihre Feinde, au das Gremium der Prinzipale! Und als sich die Gehilfen in ihrem Organe„ Vorwärts" darüber beklagen, wird er einfach tonfiszirt.
Wir haben ein Koalitionsrecht, aber die Prinzipale fürchten sich." Ueber die Folgen, die solch nichtswürdiges Spiel nothwendigerweise hervorbringen muß, äußert sich die Gleichheit" sehr treffend:
Nun werden die Buchdruckergehilfen weiter refurriren, vielleicht wird ein Abgeordneter interpelliren, und zuletzt werden sich möglicherweise die Gemüther der konservativsten aller Arbeiter- revolutioniren. Vielleicht werden sie endlich einsehen, daß ihr Loos das Loos aller Arbeiter ist: ökonomische Knechtschaft; daß es nichts müßt, gegen den Stachel zu lecken, daß das einzige vernünftige Ziel ist, den Stachel zu beseitigen. Für die Entwicklung der Buchdruckergehilfen wird also. ihr heutiger Lohnkampf jedenfalls sehr nüßlich sein. Vor Allem werden sie Eines lernen: Der gesetzliche Boden ist eine vortreffliche Sache, aber muß vorhanden sein."
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Italien . Ueber eine Maßregel des Herrn Crispi, die nach ihrer Ansicht Lob verdient, berichtet die Frankfurter Zeitung ":
Dieselbe( die Crispi'sche Reform) regelt das Bettler- und Vagabundenwesen und überweist arbeits- unfähige Individuen an Lokale Asyle. Das Bettler- und Vagabundenwesen ist bekanntlich eine Landplage Italiens , die wie in Spanien ihren Ursprung auf die ab= sonderliche Art kirchlicher Wohlthätigkeitspflege zurückführt. Die Zahl der Bettler allein beträgt nach den Berichten der Präfekten 13,000, eine Zahl, die selbst nach der Ansicht Crispi's zu niedrig gegriffen ist. In der Debatte sagte Grispi, er gehöre nicht zu denen, welche die soziale Frage durch freiwillige Almosen der Reichen aus der Welt schaffen wollen. Meiner Meinung nach hat die Gesellschaft die Pflicht, für die Armen zu sorgen, die nicht mehr arbeiten können. Ja, ich be= haupte jogar, daß, wenn wir diesen sozialen Bedürfnissen nicht entgegenkommen, die Armen das Recht haben, uns dafür zur Rechenschaft zu zichen." Die Vorarbeiten zu dieser Reformt lagen in einer statistischen Aufnahme des Vermögens der religiösen Wohltätig
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kettsanstalten( opera pie) Italiens , welche die enorme Summe von über drei Milliarden ergab, deren jährliche Zinsen von 150 Millionen zu zwei Dritttheilen durch die klerikale Ver waltung verschlungen werden, während der Rest größtentheils für klerikale Sonderzwecke verausgabt wird, die mit der Wohl= thätigkeit mur entfernt oder gar nicht in Zusammenhang stehen. Crispi schlug ursprünglich vor, daß die zu errichtenden Asyle aus den Vermögen der religiösen Wohlthätigkeits- Bruderschaften( die sogenannte Confraternità) organisirt und unterhalten werden sollen, ein Vorschlag, der einer Konfiskation des Bruderschafts= Vermögens zu Staatszwecken gleichkommt. Dem Ausschuß ging „ Die Arderselbe jedoch zu weit und er schlug folgende Fassung vor: beitsunfähigen werden im Armenhause der Gemeinden untergebracht. Die Kosten der Unterhaltung tragen die Wohlthätigkeitsstiftungen der Gemeinden; reichen ihre Mittel nicht aus, so sind in erster Linie die in der Gemeinde existirenden Wohlthätigkeits- Bruderschaften und in zweiter die übrigen Bruderschaften, auch wenn sie andere als Wohlthätigkeitszwecke verfolgen, heranzuziehen." In dieser Fassung, der Crispi schließlich zustimmte, hat die stammer die Maßregel genehmigt. An sich nicht so radikal wie der Crispi'sche Vorschlag, ist die Maßregel doch einschneidend genug, um der geplanten Reform mächtigen Vorschub zu leisten und vielleicht die Verweltlichung des ge= sammten Wohlthätigkeitswesens einzuleiten. Das letztere ist offenbar das Endziel, auf welches Crispi zusteuert."
Das ist gewiß recht schön und gut, nur ist die Fürsorge für die Armen hier etwas billig, da sie auf Kosten Dritter geschieht, die man nun einmal, aus politischen Gründen, gern matt seßen möchte, Indeß die Motive können uns schließlich gleichgültig sein, die Sache ſelbſt würde wenigstens ein schwacher Ausgleich sein gegenüber dem, was man der Kirche zu Gunsten der Reichen weggenommen. Nun aber, da man auf halbem Wege stehen geblieben, können wir uns des Gedankens nicht entschlagen, daß aus der ganzen Geschichte nicht viel werden wird. In der Zwischenzeit haben die Bruderschaften reichlich Zeit und Gelegenheit, mit ihrem Gelde noch viel Allotria zu zu treiben oder es ganz auf die Seite zu bringen. Und für den Rest wird die liberale Bourgeoisie sorgen, die bekanntlich auch weiß, was Verwaltungsspesen sind.
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England. In England finden gegenwärtig die Wahlen zu den Schul- Ueberwachungsbehörden( school- boards) statt, die nicht, wie im„ freien" Deutschland , von den Stadt- 2c. Vertretungen, sondern vom Volf in freier Wahl ernannt werden. An verschiedenen Orten sind auch die Sozialisten in Aftion getreten und haben ganz an= sehnliche Minoritäten erzielt. In Birmingham hat z. B. der Sozialist Tanner, der auf dem Internationalen Trades Unions Kongreß energisch gegen das Parlamentarische Komite Front machte, 7281 Stimmen erhalten, in London ist im Tower Hamlet Bezirk( OftLondon) Frau Annie Besant , die sich der Sozialdemokratischen Federation angeschlossen hat, mit 15,926 Stimmen, in einem anderen Bezirt, ebenfalls in Ost- London, ist der christliche Sozialist Stewart Hedlam, der, trotzdem er Prediger ist, für die konfessionslose Schule eintritt, mit 12,236 Stimmen gewählt worden. In weniger günstigen Bezirken haben die Sozialisten Bland 3876, Quelch 2893, Annie Hicks 3578 und Sansom 1905 Stimmen erhalten.
Außer Frau Besant sind noch mehrere Frauen in den Schulvorstand gewählt, meist mit einem sehr forschrittlichen Programm. Ueberhaupt haben bei den Wahlen die Anhänger der unentgeltlichen konfessionslosen Schule wesentlich Zuwachs erhalten. Die bisherige konservative Majorität ist gewaltig zusammengeschmolzen und moralisch in die Defensive gejagt. Es geht in England langsam vorwärts, aber es geht vorwärts, sowohl auf dem politischen Gebiet wie auch auf andern Gebieten des öffentlichen Lebens.
Mit Bezug auf das Wahlsystem zu der Schulbehörde sei noch erwähnt, daß in den einzelnen Bezirken nach Listen gewählt wird. Es hat aber jeder Wähler das Recht, weniger Namen auf seinen Wahlzettel zu schreiben und dafür den einzelnen Kandidaten entsprechend mehr Stimmen zu geben, z. B. in einem Bezirk, wo sieben Vertreter zu wählen sind, nur zwei zu benennen, aber dem Einen 4, dem Andern 3 Stimmen zuzuweisen 2c. Dieser Modus ist zwar nicht das Muster der Vollkommenheit, aber er ermöglicht doch der Minorität eine Ver= tretung. Daß die konservativen Engländer" den Frauen nicht nur, soweit sie selbständig sind, das Stimmrecht, sondern auch die Wählbarfeit zugestanden haben, sei ebenfalls konstatirt die„ fortschrittlichen" die„ fortschrittlichen" Deutschen würden glauben, die Welt gehe unter, wenn sie die Frau nicht auf die Alternative beschränkten, Sklavin des Hauses oder Freudeumädchen zu sein.
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Korrespondenzen.
Der erste Nichtgentleman auf dem Zeugenstand e." So ist eine Broschüre betitelt, welche über den jüngsten Geheimbundsprozeß vor dem Landgerichte Münchens vom 26. und 27. Oftober 1888 Bericht erstattet. Gegen Birk und Ge= nossen, so lautete die Anklage, Prozeß Gehret, so heißt er jetzt im Volksmunde, nachdem das Urtheil verkündigt ist. Welche Wendung! Aber eine verdiente Wendung. Hunderte und aber hunderte unserer bravsten Genossen haben des Schandgeses wegen Ichon auf der Anklage= bank gesessen, infolge der Meineide streberhafter Polizeisubjekte in's Gefängniß wandern müssen, nur in ganz vereinzelten Fällen finden die Organe der Polizei bei den Gerichten nicht die gewünschte Gegenliebe. Gewöhnlich war mit ihrem Dienſteid Alles erledigt, die Verurtheilung unserer Genossen besiegelt. Um so freudigeren Widerhall findet das hiesige freisprechende Urtheil in den Herzen aller Derer, die noch fest= halten am ehrlichen Ringen nach Freiheit und Gerechtigkeit.
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Gin wahrer Jubel durchbrauste die Stadt und besonders die Kreise unserer Genossen, endlich, endlich ist der Gemeinſte aller Gemeinen, der Gehret- Michel entlarvt, als ein meineidiger Schwindler gekenn= Wir Genossen kannten ihn zeichnet und zwar von Rechtswegen! längst als solchen, wir wußten, daß nur die Meineide dieses gewissenlosen Burschen es waren, die in drei Prozessen unsere politischen Freunde dem Gefängnisse überliefert hatten. Wir kannten die Rohheit seiner Gesinnung, die sich allerdings in seinen Gesichtszügen zur Genüge wiederspiegelt. Daß derselbe aber ein solch erbärmlich feiger Mensch sei, wie er sich bei dieser Verhandlung erwiesen hat, das hätten wir nicht gedacht. Zuerst frech in seinem Gebahren, wurde er, als er von den Vertheidigern und Auer ziemlich scharf in das Kreuzverhör genommen ward, immer unsicherer. Nachdem ihm Rechtsanwalt Bernstein unter Anderem mit dürren Worten erklärte, daß er, Gehret, zu unwissend sei, um eine Bewegung wie die sozialdemokratische zu beurtheilen, wurde unser Michel sogar grob und erwiderte unter Anderem:„ Ich bin auch nicht auf der Brennsuppen daher geschwommen. Und als ihm von Auer, Wambsganß und den Vertheidigern Stück für Stück seiner beschworenen Aussagen als vollständig erfunden oder verdreht nachgewiesen wurde, rief er, analog dem biblischen:„ Mein Gott, mein Gott, warum hast Du mich verlassen!" in fläglicher Weise vier bis fünf Mal:„ Herr Präsident, schüßen Sie mich doch, helfen Sie mir!" Sonderbare Zumuthung, einem solchen Subjekt aus dem Sumpf zu helfen, den er andern zum Verderben hergerichtet. Und doch wollte der Präsident ihm helfen, aber es war vergebliche Mühe. Das Urtheil des Gerichtshofes über diese Stüße der Gesellschaft lautet u. 2.:„ Gehret ist von einem gewissen Subjektivismus der Auffassung nicht freizusprechen, und die thatsächlichen Wahrnehmungen und seine gewagten Schlußfolgerungen sind mitunter so vermengt, daß nicht kontrolirt werden kann, was als sichere Thatsache herauszuschalten ist. Zeuge Gehret sagt zwar:" Die Polizei schenke nicht dem erst besten Glauben( aber dem erst schlechtesten, wie Rechtsanwalt Löwenfeld treffend bemerkte) allein diese persönliche Anschauung kann für sich allein das Gericht nicht veranlassen, diesen Vertrauensmännern Glauben zu schenken." So das Gericht, welches, wie die verschie= denen Gerichtsbeschlüsse zeigen, welche während der Verhandlung gefaßt wurden, unserer Sache gewiß nicht hold gesinnt war. Aber es konnte nicht anders urtheilen.
Dieser Prozeß hat, wie wohl noch keiner zuvor, den totalen moralischen Bankerott der politischen Polizeiwirthschaft an den Tag gelegt. Der Fürstenzeuge Fürst, dieser Gewährsmann der Polizei, der fich als Betrüger, Schwindler, Lumpazius vom schlechtesten Staliber entpuppte, ist seiner Brodherrn vollkommen würdig. Er hat sie allerdings
schlecht bedient, seine Aussagen waren belanglos und vom Gericht unglaubwürdig bezeichnet worden. Während der Neichstagswahl 1887 trat er oft als Redner auf, besonders in den Versammlungen der liberalen Partei. Da die Polizei unserer Partei in der gemeinsten Weise in den Weg trat, so wurde vielfach von gegnerischer Seite angenom men, daß Fürst eine leitende Rolle in der Partei während der Wahlbewegung inne habe. Diesen Umstand benußte der saubere Vogel, ging zum Kommerzienrath Hän le, dem Herrn von Schauß, zum Konsul Maison, den drei Hauptleuten der hiesigen verschiedenen Nichtungen der Liberalen, und pumpte sie um je 100 bis 200 Mark an. Und siehe da, diese Herren hatten alle drei Mitleid mit dem armen reuigen Arbeiter. Sie gaben ihm Geld zur Etablirung einer eigenen Schusteret. Der Bereuende" aber verpraßte das Sündengeld und, da er die Annehmlichkeiten der bourgeoismäßigen Fanllenzerei fennen gelernt, wollte er nicht mehr arbeiten und beging in Folge dessen Schlechtigkeiten, die ihn nun dem Gefängniß überliefert haben. Für die Polizei dürfte er immerhin noch ein brauchbares Subjekt sein, hoffentlich sehen wir ihn noch als des Meineidmichels würdigen Nachfol= ger. Die genannten drei Wohlthäter erklärten vor Gericht, daß sie das Geld aus persönlichem Mitgefühl gegeben hätten, weil Fürst gesagt habe, er sei von seinen sozialdemokratischen Ideen abgekommen und ziehe sich vom politischen Wirken zurück, aber nur Kindern kann man zumuthen, dies zu glauben, insbesondere wenn berücksichtigt wird, daß damals die Landtagswahl vor der Thüre stand. Der schäußliche Schauß hat sich übrigens im Vollglanz seiner nationalmiserabeln Gesinnungslosigkeit gezeigt. Genosse Auer hatte ihm ordentlich warm gemacht, da machte er in der Verlegenheit einige Aussagen, die werth sind, bei Gelegenheit näher erörtert zu werden.
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Eine geradezu unbegreifliche Rolle spielte der Staatsanwalt& a i= senberg. Eine größere Menge von Widersprüchen als in seiner Anklagebegründung, ist selten in einem Schriftstück vereinigt gewesen. Seine geradezu phänomenale Unwissenheit in Bezug auf politische Parteibestrebungen und bestehende Geseze ließ diesen Herrn einen Wirrwarr zusammenbringen, daß weder er noch die Angeklagten wußten, ob sie wegen ihrer politischen Anschauung oder wegen Vergehen gegen das Gesez vor Gericht standen, und beantragte unerhört hohe Strafen: für Auer 1 Jahr, Birk 9 Monate, Staubiger, Ettenberger, Altofer, Kreß, Wambsganß je 6 Monate, Birk jun., Staffelberger, Schieder und Stoffel je 3 Monate, außerdem für Birk Wirthschafts= Sperre. Zu bemerken ist noch, daß der Herr Staatsanwalt Bebel und Singer, die als Zeugen geladen waren, nicht beeidigen lassen wollte, aber seinen Zeugen Fürst, den wollte er beeidigt wissen. Glänzend vertheidigte sich Auer, ebenso waren die beiden Anwälte ihrer Aufgabe voll und ganz gewachsen. Das Brandmal eines jeden politischen Tendenzprozesses ist ein dreifaches: politisch unklug, gesetzlich unberechtigt, und menschlich ungerecht", so begann Rechtsanwalt Dr. Bernstein. Rechtsanwalt Löwenfeld unterwarf die Beweismittel einer vernichtenden Kritik. Das Urtheil ist den Lesern des„ Sozialdemokrat" bereits betannt. Die öffentliche Meinung in den unparteiischen, anständig urtheilenden Kreisen hatte die Freisprechung vorausgesagt, unter den Genoffen hatte man, trop des Bewußtseins, daß Angeklagte und Vertheidigung die Anklage in ihrem Nichts nachgewiesen, doch noch daran gezweifelt. Haben wir doch leider schon dreimal erfahren, wie unschuldig Männer, Familienväter, in's Gefängniß geworfen wurden auf Grund der ebenso unbewiesenen Angabe unseres Michel. Damals glaubten ihm die Richter, daß ein Geheimbund existire, denn er nannte seine angeblichen Zeugen nicht. Es war eine große Unvorsichtigkeit von ihm, diesen Fürst vorzuführen. Hätte er ihn nicht genannt, so hätten die Richter feine Gelegenheit gehabt, ihn als einen gesinnungslosen Lumpen kennen zu lernen, und ohne Zweifel hätten sie alsdann Gehret auf seinen Mein- Diensteid geglaubt. Gehret wäre heute kein meineidiger, sondern ein ehrenwerther Mensch, und seine Brust wahrscheinlich mit einem Orden geziert worden, unsere Genossen aber wären laut Staatsanwaltschaftsantrag zusammen auf 64 Monate in's Gefängniß gewandert! Warum? Darum!
Spricht schon das Schandgefeß nach seinem Wortlaut allem rechtlichen Denken Hohn, so gilt dies von dessen Ausführung in noch höherent Maße. Während der Verhandlung war der Polizeipräsident Müller wiederholt im Gerichtssaal sowie im Berathungszimmer bei den Nichtern erschienen, und Polizeirath Schuster belagerte mit einem ganzen Heer von Spizeln den Gerichtssaal, um ihre zukünftigen Opfer besser kennen zu lernen.
Ganz besonders gesinnungslos hat sich das Blatt der hiesigen Natio= nalmiserablen, die Neuesten Nachrichten", gezeigt. Die anderen Blätter, die darauf Anspruch erheben, eine eigene Meinung zu haben, haben sich durchweg in abfälliger Weise über den Prozeß geäußert. Die „ Neuesten" aber sind bis heute stumm. Keine Zeile gegen derartige Standalwirhschaft der Polizei. Es find ja nur Sozialdemokraten, die davon betroffen werden. Ja, wären Wahlen vor der Thüre, oder wäre gegen ihre Freunde nur der hundertste Theil davon geschehen, dann würde die herbste Kritik erfolgt sein, das heißt, so weit als diese bauchrutschende Gesellschaft eine solche sich erlauben darf, aber wozu einiger Sozialdemokraten wegen bei den oberen Regionen anstoßen? Angekündigt war zwar eine Stritik, aber sie unterblieb jedenfalls auf höheren Befehl. Auf diesem Niveau der Gesinnungslumperei steht ein Blatt, das sich ununterbrochen mit seinen 63,000 Abonnenten brüstet. Dagegen können wir ihm danken, daß es durch einen ganz verfiden Angriff auf die Privatverhältnisse des Königs von Württemberg sehr viel dazu beigetragen hat, daß es mit dem Respekt vor Krone und Gottesgnadenthum in den Schichten der denkenden Bevölkerung mit Riesenschritten abwärts geht. Was dem Wittelsbacher vor zwei Jahren und dem Würtemberger gestern billig war, das kann gar bald für den Hohenzoller gelten. Doch genug, lernen wir aus dem Allen, daß wir hart zu kämpfen haben, daß aber die Zersetzung der heutigen Gesellschaft rasch vor sich geht und uns in die Hände arbeitet. Laßt uns ohne Unterlaß wirken für unsere Sache, damit wir eines Tages im Stande find, Gesellschaftsformen durchzuführen, die der gesanimten Menschheit zum Wohle dienen. Mögen sie Prozesse anstrengen oder nicht. Troy alledem und alledem, frisch voran! bleibt unsere Losung.
Briefkasten
der Erpedition: Tybald: M. 50 p. Ufds. dkd. verwendet.
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2C.
bracht. Reklamirtes wurde unterwegs theilweise ergattert. Bitllg. folgt, bfl. Näheres. Rother Eisenwurm: Bfe. b. 20. u. 21. ant 23/11 beantw. Claudius: Ihr Verfahren ist uns unbegreiflich, da miverantwortlich. Bstllg. notirt. Weiteres am 23/11 bfl. Nthr. Huſſitie: Die Angelegenheit wird geordnet, wie wir am 23/11 bfl. meldeteit. Iserlohn : Die Liebe u. der Glaube, führwahr das ist die Schraube, unt die sich Alles dreht", sagte ein Saison- Dichter. Der dortige Fall scheint jedoch praktischer Art zu sein. Sie opferte ihre Tugend für die Seele eines Nenegaten; Er seine Sache für eine vermuckerte Schürze. Unser Gewinn bei diesem Geschäft bemißt sich nach diesen Gebrauchs= werthen. H. Nzsch. N.- York: Bstllg. nach Wunsch eingerenkt. Verzögerung der S. D. Bbtht.- Fortseßung rührt von bekannten Umständen her u. wird baldthunlichst gehoben. Mehrbestellg. folgt. Pickelhanbe: In Nr. 47 ist Gesandtes quittirt, betr. Zähleremplar irren Sie sich, wie wir bfl. zeigen werden. Bestellung notirt. Weiteres dfd. beachtet. Nachfolger: M. 20 40 Ab. 4. Qu. u. p. 1889 erh. Nachlfrg. fort. Veilchenstein: M. 100 a Cto. Ab. erh. u. bfl. am 22/11 geantwort. a Gto. erh. Wolfus: M. 45Seidenwurm: M. 25 in Ggr. a Cto. Rother Boigtl.: M. 40 a Cto. gutgebr. Weiteres bfl. Rthr. Jörg: Ab. 2c. erh. Bstllg. u. Adr. notirt. Brf. erwartet. M. 21 40 Ab. bis 1/7 89 u. Schrft. erh. Lfrg. des früheren verana Gto. Ab. u. Schrft. erh. u. bff. laßt. Arabi- Pascha: M. 200 am 27/11 das Weitere erledigt. Ch. P. Pdrs. Aarhus : 2 Shllgs. Kilian: Mk. Ab. v. 15/11 88 bis 15/2 89 erh. Sdg. abgegangen. 37 67 a Cto. 26. 2c. nach Eingang der P. K. erh. Alles folgt. Mds. Paris : Fr. 50p. Archiv- Depot erh. Gewünschtes am 26/11 an bek. Adr. besorgt. Anfrage v. 29/11 bfl. beantw. Babylon: Alles It. Vorlage v. 25/11 notirt ut. Sonstiges anderweitig aufgeklärt. Gazelle: M. 106. 4. Qu. erh. Recherche in H. veranlaßt, bff. Weiteres. Nother Apostel: M. 50- p. Verlag an Zoa. a Gto. Ab. 2c. gutgebr., bfl. am 26/11 Weiteres.
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