V. Als ein wesentliches, zum Ziel führendes Mittel hierfür, wie für die Verwirklichung der Emanzipationsbestrebungen der Arbeiterklasse überhaupt erachtet der Kongreß die Organisation der Arbeiterklasse in jeder möglichen Weise und fordert deshalb
Volle Koalitions- und Vereinigungsfreiheit.
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Antrag Lavigne- Bordeaux( gestellt im Auftrage des Komite's bes Nationalverbands der Syndifatskammern und Fachgewerkschaften der französischen Arbeiter):
1. Es möge eine große einheitliche Manifestation der Arbeiter aller Länder derart veranstaltet werden, daß an dem nämlichen, vereinbarten Tag in allen Ländern, bezw. allerorts die Arbeiter die Bertreter der herrschenden Gewalt auffordern, die gesetzliche Dauer des Arbeitstages auf acht Stunden zu beschränken.
2. In Erwägung, daß eine ähnliche Manifestation von dem im Dezember 1888 stattgehabten Kongreß der amerikanischen Federation der Arbeit für den 1. Mai 1890 beschlossen worden ist, dieses Datum für die internationale Manifestation zu bestimmen.
3. In jedem Lande sollen die Arbeiter die Manifestation in der Weise veranstalten, welche die Geseze und Verhältnisse daselbst be= dingen, bezw. ermöglichen.
Eine Resolution von W. Morris, amendirt von J. Guesde ( eine sozialistische Prinzipienerklärung), eine Resolution mit Bezug auf den dritten Punkt der Tagesordnung( Mittel und Wege, die Forderungen des Kongresses zu verwirklichen), eine Resolution über die all= gemeine Abrüstung, bezw. die Abschaffung der stehenden Heere 2c. folgt ebenfalls in nächster Nummer. Ebenso die Liste der Delegirten.
Der Possibilisten- Kongres,
der in 10 Nue de Lancry tagte, war von 606 Delegirten besucht, und zwar von 524 Franzosen und 82 Ausländern. Die große Zahl der französischen Delegirten erklärt sich daraus, daß jeder Verein das Recht hatte, drei Delegirte zu entsenden, und auch fast alle, wie aus der im„ Parti Ouvrier" veröffentlichten Liste hervorgeht, von diesem Rechte Gebrauch gemacht haben.
Nach einem offiziellen Bulletin vertreten diese D elegirten: A. Frankreich : 252 Delegirte für 92 Pariser Syndifatskammern und 52 Delegirte für 46 Syndikatskammern in der Provinz,
220 Delegirte für 50 Pariser und 24 auswärtige Studienvereine 2c. B. Ausland: Belgien 8 Delegirte, Holland 2 Delegirte, Stalten 12 Delegirte und Dänemark 2 Delegirte.
Diese vier Länder haben bekanntlich beide Kongresse beschickt und waren auf dem Kongreß der Vereinigten Sozialisten in gleicher Stärke vertreten.
Spanien : 5 Delegirte, sämmtlich für Fachvereine in Barcelona . Portugal : 3 Delegirte, darunter der Pariser Possibilist André- Gely, der nach Spanien und Portugal geschickt worden war, um Anhänger für den Possibilisten- Kongreß zu werben.
Desterreich Ungarn : 6 oder 7 Delegirte, die 67 Vereine und 35 Städte vertreten sollen. Die Namen der Delegirten verschweigt der Bericht, um ihnen jede Verfolgung von Seiten der Regierung ihres Landes zu ersparen." Merkwürdig! Die österreichischen und ungarifchen Delegirten auf dem Kongreß der Vereinigten Sozialisten haben fich durchaus nicht gescheut, ihre Namen der Oeffentlichkeit zu übergeben, und die Genossen Adler, Hybes, Pokorny 2c. erfreuen sich doch, wie Jeder weiß, keineswegs von Seiten der österreichischen Polizei besonderer Schonung. So müssen wohl andere Gründe dafür maßgebend gewesen sein, vielleicht dieselben, welche die Organisationen, die diese Delegirten vertreten sollen 3. B.„ Arbeiterverband von Oberösterreich und Salzburg "," Arbeiterverband von Böhmen , Mähren und Schlesien " 2c. selbst den Arbeitern und Sozialisten dieser Distrikte als böhmische Dörfer erscheinen lassen.
Schweiz : 3 Delegirte, bestehend aus einem Pariser Possibilisten und 2 in Paris lebenden italienischen Studenten.
Vereinigte Staaten : 4 Delegirte. Dieselben sollen 200,000 Arbeiter vertreten. So behauptet der Bericht der Possibilisten. Zur Ehre der Delegirten müssen wir hinzufügen, daß sie selbst nichts dergleichen behauptet haben, sondern ausdrücklich festgestellt haben, daß zwei von ihnen nur Distrikts- Organisationen der Arbeitsritter bezw. der Federation of Labor in Columbia vertreten. Der dritte von ihnen vertritt einen deutschen (?) Arbeiterverein in Washington und der vierte endlich war nichts als ein Schreiber des Präsidenten der Federation of Labor, der an beide Kongresse Sympathie- Adressen überbrachte.
England 39 Delegirte, darunter 15 von der Sozialdemokratischen Federation, 5 von sonstigen politischen zc. Vereinen und 19 von englischen Gewerkvereinen( darunter 5 größere Verbände). Warum diese den Possibilistenkongreß beschickt, wissen unsere Leser.
Zicht man von der ganzen Delegation die Vertreter der englischen Gewerkschaften und derjenigen Länder ab, die im Interesse der Vereinigung beide Kongresse beschickten, so stellt sich uns ein Bild dar, das im schreienden Gegensaz steht zu der Reklame, welche die Herren Possibilisten durch die zu ihrer Verfügung stehenden Bourgeoisiepresse über ihren Kongreß in die Welt geschickt, und zeigt, wie wenig der Hochmuth berechtigt war, mit dem sie dem Nachbartongreß gegen
übertraten.
Ueber die Beschlüsse dieses Kongresses ebenfalls in nächster Nummer.
Sozialpolitische Rundschau.
Ein Genosse schreibt uns:
Daß die Bedeutung des Internationaien Arbeiterkongresses weniger in den gehaltenen Reben und den gefaßten Beschlüssen besteht, als vielmehr, wie das auch gleich zu Anfang von einem Redner hervor= gehoben wurde, in der Thatsache des persönlichen Zusammen= tommens der Arbeitervertreter aller Nationen, namentlich der Deut schen und Franzosen, das haben die Feinde der Arbeitersache und des Friedens auch sehr wohl begriffen und darum geben sie sich alle erdenkliche Mühe, entweder die Arbeiten des Kongresses ins Lächerliche zu ziehen oder zu verläumden oder, was namentlich von einem Theil der französischen Presse gilt: die Verschwörung des Todtschweigens zu organisiren.
Bemerkenswerth ist, daß die gesammte Presse der internationalen Reaktion für die Possibilisten Partei ergreift. Wenn man bedenkt, daß diese Leutchen, obgleich sie bei jeder Gelegenheit das Wort:„ Revolution" im Munde führen, im Grunde zahme Philister find, die auf dem Boden des heutigen Produktionssystems durch Gewerkschaften, Einigungsämter und andere ähnliche Einrichtungen die Lage der Arbeiter zu verbessern bestrebt find, an den Ursachen des herrschenden Elends aber möglichst vorübergehen, so kann man sich über diese Parteinahme nicht wundern.
Interessant ist, daß die deutsche Reptilpresse die Poffibilisten für Lassalleaner erklärt und dadurch die deutschen Arbeiter zu verwirren sucht. Man lese nur nachstehenden Artikel der„ Nationalliberalen Korrespondenz":
Am 15. Juli ist in Paris ein Sozialisten- Rongreß zusammengetreten, zu dem die Sendboten aus aller Herren Ländern zusammenkommen werden. Eigentlich ist es ungenau, wenn man von einer solchen Versammlung spricht, denn thatsächlich werden zwei zu gleicher Zeit tagen, nämlich die Anhänger der Marrschen, anarchistischen, und die der Lassalle 'schen, sozialistischen Richtung, werden in von einander getrennten Räumen in Paris ihre Berathungen abhalten. Aber man glaubt, daß diese beiden Parteigruppen sich schließlich zu einer verschmelzen werden, obschon sie gegenwärtig noch mit einander in Feind
schaft leben. Zu den Marristen gehören die Vertreter der deutschen Sozialdemokratie ,, die sich in ungewöhnlich großer Anzahl, man rechnet 70 bis 85, einfinden werden. Diese starke Betheiligung der deutschen Sozialdemokratie an einem Kongresse, welcher der Natur der Verhältnisse nach ganz vorwiegend unter französischer Leitung stehen muß, legt Zeugniß davon ab, wie stark gegenwärtig die internationale Richtung in der deutschen Sozialdemokratie gegenüber der mehr nationalen Lassalle'schen überwiegt. Die deutschen sozialdemokratischen Führer versprechen sich offenbar von diesem Stongreß und den dabei unvermeidlichen Stundgebungen eine starke Wirkung. Der wirkliche Schwerpunkt der Pariser Kongresse wird wohl in den Verhandlungen über die internationale Aktion und Organisation liegen, worüber freilich schwerlich viel in die Deffentlichkeit dringen wird. Auf alle Fälle muß diese Massenwanderung deutscher Sozialdemokraten nach Paris als ein neues Zeichen der in diesem Lager gegenwärtig herrschenden Regiamkeit und des besonderen Werthes, der gerade auf den internationalen Zusammenschluß dieser ganzen Bewegung gelegt wird, betrachtet werden. Liebknecht hat, nach einer neuesten Pariser Meldung, diese internationale Zusammengehörigkeit auch bereits in der ersten Versammlung betont: „ Die Arbeiterschaft Deutschlands und Frankreichs vereinige sich in dem Kongresse, der nicht ein Kongreß von Ideologen, sondern ein Allianzpatt sei."
Also die Possibilisten sind Lassalleaner; und die Lassalleaner sind gute, nationalgesinnte Kinder, mit denen sich reden läßt, während an den anarchistischen" internationalen Sozialdemokraten Hopfen und Malz verloren ist. Und in letzterer Beziehung haben die Reptilien allerdings Recht.
Natürlich sind alle Versuche, die Bedeutung des Kongresses herabzusetzen, vergeblich; im Gegentheil: diese Bedeutung wird von Tag zu Tag mehr hervortreten, und ganz wesentlich zur Vereitelung der chauvinistischen Kriegspolitik beitragen.
Auf dem Banket, welches die Kongreßtheilnehmer nach gethaner Arbeit vereinigte, herrschte die gehobenste Stimmung und der Toast Liebknechts auf die Allianz der Völker und Proletarier wurde mit einer stürmischen Begeisterung aufgenommen, welche den Beweis lieferte, daß es den Vertretern des arbeitenden Volkes ernst ist mit dem„ Allianz= patt."
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Am 18. und 19. Juli versammelten sich in einem Lokale der Rue Jean Jacques Rousseau Bergarbeiter- Delegirte aus beiden Internationalen Kongressen zu einer Internationalen BergarbeiterKonferenz. Den Vorsiz führte der englische Delegirte Fenwick, Barlamentsmitglied, als Sekretär fungirte Defnet, Brüssel , und als Dolmetscher Frl. E. Simcor, Frau G. Sch a ck und Ed. Bernstein. Nachdem man gegenseitig über die Lage und Arbeitsverhältnisse der Bergarbeiter in den verschiedenen Ländern und Distrikten Bericht erstattet, wurde beschlossen, Schritte zu thun, um in nicht allzuferner Zeit eine große Internationale Bergarbeiter- Konferenz zu veranstalten. Inzwischen sollen in den einzelnen Ländern die Kameraden ihr Möglichstes aufbieten, die bestehenden Organisationen weiter zu entwickeln, und dafür zu sorgen, daß da, wo noch keine bestehen, solche geschaffen werden, und für die Schaffung großer nationaler Verbände zu wirken.
Als interessant für unsere Leser bemerken wir noch, daß von zwei oder drei Delegirten abgesehen, sämmtliche französische Bergarbeitervertreter ( darunter Basly) Delegirte des Kongresses der Vereinigten Sozialisten
waren.
Unter dem Titel ,, Gesandtschaftswesen" schreibt der Basler Arbeiterfrennd":
Gin Bundesstadtforrespondent, der sich meist den Anschein gibt, mehr als Andere hinter die Koulissen zu blicken, hat gemeldet, man empfinde im Bundesrath immer bestimmter das Bedürfniß, auch an den Höfen von Petersburg und London durch Gesandte vertreten zu sein. Wir bezweifeln das," schreibt der Winterthurer „ Landbote", Angesichts des augenscheinlich so geringen Nugens, den uns das Vortommen eines schweizerischen Ministeriums" in Berlin in jüngster Zeit gebracht. Steht man gut mit einer auswärtigen Regierung, so hat die Gesandtschaft wenig zu bedeuten, und kehrt sich das Blatt, so ist es nicht gerade nöthig, mit ziemlichen Kosten eine besondere Stelle zum Empfangen von Ohrfeigen zu unterhalten."
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Ganz richtig. Es war überhaupt für die Schweiz , nicht blos finanziell, sondern weit mehr politisch ein großer Fehler, daß sie femals das Gesandtschaftswesen den monarchischen Staaten nachgeäfft hat. Am richtigsten wäre es für unser Land, die ganze Insti tution aufzuheben. Wir wären dann nicht mehr in so hohem Grade an die heuchlerischen diplomatischen Formen im Verkehr mit anderen Ländern gebunden. Beispielsweise im vorjährigen Konflikt zwischen Deutschland und der Schweiz , anläßlich der Lockspizelenthüllungen durch Bebel und Singer im Reichstag, gestüßt auf das Zeugniß von Polizeihauptmann Fischer, hat uns die Gesandtschaft in Berlin blos geschadet. Statt daß der schweiz . Gesandte, Hr. Roth, als ihn der junge Bismarck schnöde behandelte, demselben als stolzer Republifaner energisch entgegengetreten wäre, gab er klein bei, und als gar seine Gemahlin an einer Hoffestlichkeit vernachlässigt wurde und sich schier darob zu Tode grämte, fannte seine Nachgiebigkeit bald keine Grenzen mehr. Der Bundesrath wurde von ihm bearbeitet, bis er sich endlich entschloß, unter der lumpigsten Begründung von der Welt vier Ehrenmänner des Landes zu verweisen. Und seither ist er auf der abschüssigen Bahn der politischen Polizei ganz bedenklich weiter ge= rutschf. Damit wollen wir nicht sagen, daß wir mit der Zeit die politische Polizei, diesen großen Schandfleck der Republit, nicht erhalten hätten. Denn unsere Bundesväter sehnten sich im Grunde ihres Herzens schon lange darnach, fie müßten feine Bourgeois sein; nicht die ausländische, sondern die einheimische Sozialdemokratie war ihnen schon längst ein Dorn im Auge. Allein würde sich unser Gesandte in Berlin tapferer gehalten haben, oder noch besser, hätten wir dort gar keine Gesandtschaft beseffen, so wäre der Bundesrath nicht so sehr den traurigen Einflüssen der deutschen Regierung erlegen, sondern er hätte ihren schändlichen Anforderungen wohl einen energischen und länger andauernden Widerstand entgegengesetzt.
„ Also fort mit unseren Gesandtschaften im Auslande, welche blos unser freies republikanisches Leben vergiften. Dazu gehörte allerdings auch, daß gewisse Bundesräthe nicht so oft bei den fremden Gesandten in Bern antichambriren, d. h. auf Schweizerdeutsch, den Hausknecht vor ihnen spielen; denn so werden die Gesandten der auswärtigen Mächte blos verwöhnt und zu den maßlosesten Begehren förmlich ermuthigt. Das diplomatische Wesen hat noch zu allen Zeiten den Völkern zum Verderben gereicht allen
So unser schweizerischer Kollege. Was er von den Schmerzen der Frau Roth in Berlin erzählt, klingt ja recht erbaulich, aber feineswegs unwahrscheinlich. Es wäre ja nicht das erste Mal, daß man das Geheimniß diplomatischer Erfolge" bei der Frau zu suchen hätte. Ja, wenn es unter den Männern nicht so viel-Weiber gäbe! Jedenfalls ist der Schlußsaß des„ Arbeiterfreundes" nur zu berechtigt. Fort mit dem diplomatischen Schwindelkram, dieser verhängnißvollen Erbschaft des alten Regimes!
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Die Antwortnote des Schweizerischen Bundesraths auf die tölpelhaften Angriffe Bismarcks gegen das Asylrecht und die Asylrechts praris in der Schweiz ist, soweit es sich um die Zurück weifung der Bismarc'schen Verdrehungen handelt, ziemlich kräftig gehalten. Wir laffen hier einige ihrer bemerkenswertheften Stellen folgen.
„ Nachdem der übrigens fast überflüssige Beweis geliefert worden, daß der Niederlassungsvertrag zwischen Deutschland und der Schweiz jedem beider Länder wohl das Recht gegeben habe, von den Einwanderern aus dem andern Lande ein Leumündszeugniß zu fordern, nicht aber ihm eine solche Einforderung als Verpflichtung auferlegen wollte, heißt es weiter:
umdo disid
Wir können unter solchen Umständen nur unser Befremden darüber ausdrücken, wenn heute behauptet wird, es habe schon 1876 die kaiserliche Regierung Werth darauf gelegt, durch die Bestimmungen des Niederlassungsvertrags die Schweiz daran zu hindern, deutschen Unterthanen, welche mit dortigen Behörden nicht im Frieden leben, Aufnahme zu gewähren. Hat diese Absicht damals wirklich best anden, so muß sie geheim geblieben sein, denn der deutsche Bevollmächtigte hat dieselbe nicht ausgesprochen, und im Ar
tikel 2 des Vertrages findet sie sich nicht niedergelegt. Eine solche Abficht würde übrigens dem Geiste des Vertrages widersprechen, der nicht die Erschwerung, sondern die Erleichterung der Niederlassung zum Zwecke hat und zu diesem Behufe den beiderseitigen Angehörigen das größtmögliche Maß von„ Nechten und Vortheilen"( Artikel 3 und 6) zuge= sichert hat. Wir müssen daher den Vorwurf zurückweisen, als hätten wir Bestimmungen des Vertrages vom 27. April 1876 nicht beobachtet, und der kaiserlichen Regierung entschieden das Recht ab= sprechen, diesen Vertrag als hinfällig zu erklären, weil er von unserer Seite nicht erfüllt worden sei. Es wird alsdann sehr treffend auf die ganze Nuzlosigkeit der Leumundszeugnisse hingewiesen, da ehrlichen Leuten damit zwar eine schwere Belästigung angethan wird, während allerhand Schurken( Lockspizzeln z. B.) es leicht hält, sich solche polizeiliche Dokumente zu beschaffen:
Wir müssen endlich bemerken, daß unsere kantonalen Polizeibehörden wohl daran thun, mit Bezug auf Ausweisschriften von Fremden strenge zu verfahren, um das Eindringen zweideutiger Elemente, welche so leicht zu einer Last und Gefahr für uns und unser Land werden, zu verhindern. Diese Erwägung war es auch, welche uns bei Abfaffung des Vertrages vom 28. April 1876 geleitet hat, ohne Leumunds= zeugnissen allzu große Bedeutung beizumessen. Da diese Papiere oft unter Umständen ausgestellt werden, welche ihnen jede Glaubwürdigkeit benehmen kommt es doch vor, daß anarchistische und revolutionäre Subjekte(!) schlimmster Sorte im Besize von Heimathschriften und Leumundszeugniß sich befinden und in Folge dessen arglos aufgenommen werden so sind wir doch im eigenen Interesse weit entfernt, auf diese Garantie verzichten zu wollen, und wir nehmen gern Aft davon, daß fünftig unsere fantonalen Behörden mit noch größerer Strenge auf die Leistung dieses Ausweises werden bestehen dürfen, ohne gewärtigen zu müssen, daß die kaiserliche Regierung felbft sich für Einschlagung eines milderen Verfahrens in Ausführung der besagten Vertragsbestimmung verwende.
Zum Schluß heißt es dann, den Rechtsstandpunkt der Schweiz nochmals präzisirend:
Der Unterzeichnete hofft, der Herr Reichskanzler werde aus Vorstehendem die Ueberzeugung schöpfen, daß der schweizerische Bundesrath niemals die ihm zugeschriebene Abficht gehegt hat, weder die Zulassung Deutscher in der Schweiz von dem Placet der kaiserlichen Regierung abhängig zu machen, noch das entsprechende Gegenrecht gegenüber den in Deutschland sich niederlassenden Schweizern für sich in Anspruch nehmen. Mag es auch richtig sein, wie der Grlaß vom 26. Juni ausführt, daß jeder internationale Vertrag, soweit er überhaupt Pflichten und Rechte gewährt, eine Beeinträchtigung der unbeschränkten Freiheit in Ausübung der Souveränetätsrechte enthält, so ist doch nicht minder gewiß, daß es Souveränetätsrechte gibt, deren freiwillige Einschränkung auf dem Wege internationaler Abmachungen die Schweiz niemals zugegeben hat und nun und nimmer zugeben wird, und zu diesen Rechten gehört, wie die ganze Geschichte unseres Landes beweist, die Ausübung des Asylrechts. Es handelt fich da um Grundsäße, welche wir nicht preisgeben tönnen, und welche, wir glauben dies hier betonen zu sollen, auch bei etwaigen Unterhandlungen behufs Abschlusses eines neuen Niederlassungsvertrages mit Deutschland für uns maßgebend sein werden... Der schweizerische Bundesrath hegt die Zuversicht, mit vorstehenden Auseinandersetzungen die kaiserliche Regierung vollständig beruhigt und davon überzeugt zu haben, daß für sie keine Veranlassung vorliege, außerordentliche, den Interessen beider Staaten zuwiderlaufende Maßregeln zu ergreifen. Wir bestehen umso mehr mit Festigkeit darauf, daß unsere Rechte geachtet werden, weil wir den festen Willen haben, unsere internationalen Verpflichtungen getreu zu erfüllen, und zwar namentlich auch dem Deutschen Reiche gegenüber, mit welchem wir immer die besten Beziehungen zu unterhalten veflissen waren." Gut gegeben. Die revolutionären Subjekte" hätte sich der Bundesrath der Republik allerdings sparen können. Oder sollte das auch wieder eine Umschreibung sein für Lockspiel?
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- Eine Tendenzlüge angenagelt. Wir lesen im„ St. Galler Stadtanzeiger":
,, Dementi. Am 27. Juni erschien in der„ Frankf. 3tg." eine Korrespondenz aus Bukarest , derzufolge dort ein Russin, die an einem von russischen Flüchtlingen in der Schweiz geplanten Attentat gegen den Zaren betheiligt gewesen, sich selbst das Leben genommen habe. Das Gerücht breitete sich bald über alle Welt aus, auch die meisten Schweizer Blätter brachten die betreffende Notiz und zwar ohne Kommentar, als ob sie selbst die Nachricht glaubhaft fänden. Wir zweifelten nicht daran, daß das wieder so ein Schwindel ist, wie er schon tausendfach verbreitet wurde, um die Schweiz als Mördergrube hinzustellen und dadurch das Asylrecht zu gefährden. Wir übergingen daher auch diese Denunziation eines reichstreuen" Bukarester Reporters mit Stillschweigen. In der That dementirt nun der Bundesrath dieses Gerücht auf Grund eines bezüglichen Berichts des schweizerischen Generalkonsuls in Bukarest und einer Erklärung der dortigen Staatsanwaltschaft. Das Komplot ist eine Erfindung und die Selbstmörderin hat in der Schweiz gar nie gewohnt."
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Wir freuen uns, daß hier endlich einmal der Katze die Schelle ange= hängt wurde. Unzähligemale haben wir schon von diesen Schwindelnotizen über nihilistische Ungeheuerlichkeiten gewarnt, unzählige Male den Unfug gerügt, daß gerade demokratische oder sonst als unabhängig geltende Blätter sich aus Wichtigkeitsthuerei zu ihrer Beförderung und andere Blätter aus Gedankenlosigkeit zu ihrer Weiterverbreitung hergeben. Und doch ist das immer wieder von Neuem geschehen, trotzdem es selbst dem Blindesten klar sein muß, wem allein diese Schauermärchen zu Gute kommen. Immer wieder wurden sie mit Behagen aufgenommen, immer wieder mit Seelenruhe abgedruckt. Da ist es geradezu ein Glück, daß eine Staatsbehörde einmal in der Lage war, durch eine solche Schwindelei unangenehm berührt zu werden und daher amtlich Nachfrage hielt. Jezt werden die, die es angeht, hoffentlich etwas vorsichtiger sein, wenn künftig ihnen Enten dieser Gattung zugeflogen fonimen.
Verbrechen, die in Deutschland nicht bestraft werden. Wir lesen in deutschen Blättern:„ Eine Untersuchung wegen Wahl= fälschung, welche seit etwa drei Jahren gegen den Lehrer Junghänel in Burkhardtsgrün bei Schneeberg in Sachsen und einige andere dortige Einwohner schwebte, ist laut einer Mittheilung der Staatsanwaltschaft zu Zwickau eingestellt worden. Bei der Reichstagsnachwahl des Jahres 1886, bei welcher im Wahlkreise Stollberg- Schneeberg an Stelle des konservativen Abg. Ebert der Sozialdemokrat Geyer gewählt wurde, waren in Burkhardtsgrün 53 Stimmzettel gezählt worden, von denen 50 auf den Kandidaten der Ordnungsparteien" 3schierlich und 3 auf Geyer lanteten. Burkhardtsgrün hatte insgesammt 53 stimmberechtigte Wähler, und es mußten sonach alle gewählt haben. Nun behaupteten aber 8 Wähler, von ihrem Wahlrecht keinen Gebrauch gemacht zu haben, und 6 davon bestätigten auch diese Behauptung bor Gericht. Die Sache war beinahe in Vergessenheit gerathen, als vor wenigen Wochen das„ Erzgeb. Tagebl." wieder daran erinnerte. Eine erneute Beschwerde hat zur Folge gehabt, daß den Beschwerdeführern eröffnet wurde, es liege auch für die Bezirksschulinspektion kein Anlaß vor, gegen Junghänel disziplinarisch einzuschreiten, zumal feit jener Zeit drei Jahre verflossen seien. Warum die Staatsanwaltschaft nicht rechtzeitig eingeschritten ist, darüber liegen leider feine Gründe vor."
Gründe" genug, aber keine Begründung! Fälschung und Betrug find erlaubt, sind verdienstvoll, wenn es sich darum handelt, die Stimme der Partei der Besitlosen, der Sozialdemo= fraten, zu unterdrücken. Da wird der Staatsanwalt blind, bie Gerechtigkeit" sieht nicht nur nicht die Persönlichkeit des Thäters, fie sieht überhaupt weder den Thäter, noch die That. Und da flagt man die Sozialdemokraten der„ Untergrabung des Rechtsgefühls" an!
Eine Abtrünnige. Der in Oelde ( Westfalen ) erscheinende Glaubensbote" bringt folgende Mittheilung:„ In Hoffreisen ist längst bekannt, daß die Kaiserin Augusta unmittelbar nach dem Tode Kaiser Wilhelms I. zum Katholizismus übergetreten ist. Ihr Hofmarschall, Graf Nesselrode, ein eifriger Sohn der katholischen Kirche , sowie Fürst