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lofen Vergnügen herabgedrückt wurde? Ist ihm jede ernsthafte Wahlagitation nicht„ Demagogie" nicht Umsturz"?
Genug das famose Wort des Fürsten Bismarck: der Parlamentarismus muß durch den Parlamentarismus vernichtet werden, hat sich in der schönsten Weise erfüllt freilich nicht in dem Sinn, wie der Urheber es gemeint hat.
Fort mit Schaden! Dem Scheinparlamentarismus weinen wir keine Thräne nach. Das Proletariat ist zum Glück weder parlamentsmüde noch wahlmüde und wird schon dafür sorgen, daß troß dieses elenden, von dem Bürgerthum selbst verurtheilten Scheinparlamentarismus die Interessen des arbeitenden Volkes so oder so zur Geltung gebracht werden.
keit". Und mit Ausnahme der Sigungen, in denen über das Schicksal Inzwischen laborirt der Reichstag nach wie vor an„ Beschlußunfähigdes Sozialistengesetzes und des Reichshaushalts- Etats endgiltig abge=) stimmt werden muß, wird auch keine wirklich beschlußfähige Sigung dieses Kartell- Reichstags mehr zu Stande kommen es sei denn, daß die Sozialdemokraten durch A u szählungsanträge die nationalen Faulpelze zur Erfüllung ihrer parlamentarischen Pflichten zwingen.-
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Ei! Ei! Unter dem Titel„ Baltische Trümmer" veröffentlicht der Hamburgische Korrespondent" ein Privatschreiben eines Livländers, das die Zustände in den russischen Ostseeprovinzen schildert. Nach einer Aufzählung von allerhand Mißhelligkeiten, denen die Deut schen infolge der Russifizirungsbestrebungen und der damit verbundenen Satrapenwirthschaft der russischen Beamten ausgesezt sind, heißt es fchließlich:
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Die nämlichen oder ähnliche Verhältnisse bestehen für Hunderte unserer bürgerlichen Gelehrtenfamilien und für einen Theil des bisher im ständischen Wahldienst verwendet gewesenen ärmeren Adels. Wer fein Vermögen hat und den Machthabern nicht nach dem Munde zu reden weiß, muß hungern oder nach Nußland, d. h. nach Peters burg oder in das Juuere gehen. In dem Lande, das uns seit 700 Jahren gehört, in dem wir alle Kulturarbeit gethan haben, an dem wir mit allen Wurzeln hängen, werden wir, die bisher die anerkannten Herren waren, als Eindringlinge behandelt und mißhandelt. Wie das enden wird, vermag Niemand anzugeben. Man nimmt uns unsere Sprache, unsere Schule, unser Recht, unsere Kirche, soweit das möglich ist, auch das tägliche Brot Russen werden auch unsere Kinder nicht werden vielleicht aber Nihilisten. Sie würden damit ja nur dem Beispiel folgen, das die herrschende Race" ihnen so reichlich gegeben hat. Nehm's denn seinen Gang!"
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Das ist ja eine ganz nette Drohung, die da am Schlusse ausge= sprochen wird. Und bazu gibt sich der Hamburgische Korrespont" her, dieses ordnungsliebendfte aller ordnungsliebenden Blätter, das jedesmal lebhaft einstimmt, wenn irgend ein Hartmann oder ein sonstiger Buttfämerling in jittliche Entrüstung über die deutsche Sozialdemokratie ausbricht, weil dieselbe wiederholt, Sympathie mit russischen Nihilisten" ausgedrückt habe. Das ist ja wirklich eine wunderbare Wendung". Wenn das so weiter geht, dann können wir es womöglich noch erleben, daß das ehrbare Hamburger Blatt zu Sammlungen für den Dynamitfonds der russischen Nihilisten auffordert. Uebrigens, so schofel sich die russischen Beamten gegen die Deutschen in den Ostseeprovinzen benehmen, so sind doch alle Verfolgungen", unter denen diese zu leiden haben, reines Kinderspiel gegen die brutalen Verfolgungen der ruffischen Freiheitskämpfer durch die Schergen des Zaren. Auch handelt es sich hauptsächlich nur um freilich unrechtmäßige Wegnahme von Privilegien. Trozdem jetzt das Zetergeschrei seitens derselben Leute, die es ganz in der Ordnung fanden, als das liebe Väterchen wider seine russischen Unterthanen ein Willkürregiment in Szene setzte, das an Gewaltthätigkeit und Grausamkeit nur von dem afiatischer Despoten noch erreicht wird. Aber das ist die alte Leier. Gegen das eigentliche Volk ist Alles erlaubt, wird aber den herrschenden Klassen, bezw. Leuten, die bisher die anerkannten Herren" waren, auch nur die Haut gerigt, dann ertönt alsbald ein Geschrei, als stände die Welt in Flammen.
Wilhelm II. verspricht, wenn auch nicht grade der größte, so doch der theuerste feiner Zeitgenossen zu werden. Staum, daß den preußischen Steuerzahlern eine Lohnerhöhung von 3 Mil lionen Mart für diesen Zukunfts- Helden abgezwackt worden, soll ihm jetzt vom Deutschen Reichstag eine Saiser- yacht" bewilligt werden und ist auch in der Kommission bereits bewilligt worden, die nicht weniger als vier nnd eine halbe Million Mark fosten soll. Um die ganze Unverschämtheit dieses Griffes in den Volkssäckel" zu verstehen, muß man wissen, daß der bisher als Kaiser- Yacht verwendete Aviso Hohenzollern" erst ganz fürzlich mit einem Aufwande von 262,226 Mart neu eingerichtet und ausgeschmückt worden ist, und zwar so prunkvoll, daß er, als der Reisekaiser auf ihm seine erste Kaiserreise machte, selbst von dem in solchen Dingen sehr verwöhnten russischen Hof ob seiner Pracht bewundert wurde. Er hatte seiner Zeit bereits über 2 Millionen Mart gekostet.
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Die fezige Forderung wird mit der Ausrede„ begründet", das Schiff, das den obersten Flottenbefehlshaber trage, müffe im Stande sein, längere Reifen mit größter Gefchwindigkeit zurückzulegen. Zugleich müßte es aber auch im Stande sein, das Haupt= quartier und das ganze Gefolge des Kaifers, inklusive der zur Fortführung der Staatsgeschäfte" nöthigen Beamten" aufzunehmen, sobald derselbe sich zur Leitung der maritimen Operationen der Flotte einschifft.
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Nicht übel zerfaust die Freisinnige Zeitung" diese Begründung, indem sie nachweist, daß man nach ihr beinahe annehmen müsse, daß das Marineamt einen solchen Aviso" für eine Weltumsegelung unter gleichzeitiger Fortführung der Staatsge= schäfte in Deutschland herzustellen beabsichtigt. Für den Striegsfall geht der Kaiser nicht zur See, da er als Monarch nicht den Fährnissen einer Seeschlacht ausgesetzt werden darf". Da der Aviso weder zur Jagd auf fremde Schiffe, noch zur Saperei, noch zum Adju= tantendienst verwendet wird, ist es gar nicht nöthig, daß er jedes andere Schiff an Schnelligkeit übertrifft. Sturz, es liegt der Forderung nichts zu Grunde, als die Sucht, zu Wasser wie zu Lande so großipurig wie nur möglich aufzutreten.
Damit das Land diesmal auch nicht leer ausgeht, ist in den Reichs- Etat die Forderung eingereiht, im neu zu erbauenden Post= gebäude zu Frankfurt am Main ein Absteigequartier für den Kaiser zu errichten, das allein nach dem Anschlag über etwa ein und eine halbe Millionen Mark kosten soll das ganze Gebäude ist auf 2 Millionen veranschlagt. Nach dem Plan wird es in luxuriösester Weise ausgestattet werden, und wird das eigentliche Absteigequartier" des Kaisers aus etwa 28 größeren und Heineren Zimmern im Mittelgeschoß und dem mittleren Theile des Untergeschoß bestehen. Natürlich fehlt dabei nicht der große Speisesaal für die unvermeidliche Prunktafel".
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Apropos Prunktafel. Der ehemalige Redakteur des„ Sächsischen Wochenblattes", Genosse Wittner, ist vom Dresdener Landgericht wegen ,, Majestätsbeleidigung" zu acht Monaten Gefängniß verurtheilt worden, weil er eine von der Freisinnigen Zeitung" zusammengestellte Liste der Brunkmähler" 2c., die Wilhelm II. seit seiner Thronbesteigung abgehalten, und die sich auf etwa 50 beliefen, abgedruckt, und an dieselbe wenige Worte der Bewunderung über diese königlichen Leistungen geknüpft hatte. Darin witterten die Richter, unabhängig wie sie sind, eine unerlaubte Stritit, und obwohl in der Notiz jeder beleidigende Ausdruck fehlte, hielten sie eine Verurtheilung, wenigftens zu dem Strafminimum von acht Monaten für geboten"*) Strafminimum von acht Monaten?" fragt der Leser,„ davon steht nichts im Strafgefeßbuch."
Freilich nicht, guter Freund, aber darauf kommt es auch gar nicht an, sondern auf das, was Brauch und Sitte" ist. Und Sozialdemo fraten zu mindestens acht Monaten Gefängniß zu verurtheilen, das ist ,, also bräuchlich bei den Schüßen".
nämlich des Dresdener Landgerichts. Auch gegen den Herausgeber eines, vor mehreren Monaten veröffentlichten Flugblattes an die Wähler von Dresden- Neustadt, Gen. Lewy, hat der Staatsanwalt, obwohl das Flugblatt nicht schärfer ist, als tausend andere, unbestraft und unverfolgt gebliebene, nicht weniger als acht Monate Gefängniß *) Es wird gebeten, diefem Wort keinen falschen Sinn unterzulegen. Anm. d. Sezers.
beantragt. Leßten Dienstag sollte das Urtheil verkündet werden; warten wir ab, ob die Richter sich auf der Höhe der Aufgabe gezeigt haben.
Wir sind da ganz von unserm ursprünglichen Thema abgekommen. Indeß erfordern ja auch die oben geschilderten Dinge keinen besonderen Kommentar. Sie sprechen, oder wenn man will, sie schreien für sich selbst. Und was sie schreien, das ist„ Musit in unsern Ohren." Wir können nur wünschen, daß Wilhelm II. fortfährt, in so glänzender Weise die Monarchie zu befestigen.
Wie das deutsche Unternehmerthum fich den Normalarbeitstag vorstellt. Ein deutsches Unternehmerblatt, die Baudie Herab gewerts- 3tg.", schreit nach Staatshilfe gegen Behörden einmal aussprechen, wie sie über das systematische Herabsetzen iebung des Arbeitstages. Es schreibt in allem Ernst: Nach unserer Ansicht kommt es darauf an, daß auch die bauenden der Arbeitszeit denken. Schweigen die Behörden dazu, oder wollen fie die neunständige oder achtstündige Arbeitszeit bewilligen, nun gut, dann mag es so sein, und die Vertheuerung aller Arbeitsprodukte ins Unge= messene hinein mag ihren Fortgang nehmen. Wollen aber die Behör= den aus volkswirthschaftlichen Rücksichten gegen weitere Herabsetzungen der Arbeitszeit eintreten, so können sie das sehr leicht, indem sie eine bestimmte Arbeitszeit auf ihren Bauten vorschreiben oder auch wünschen, um damit ihre Meinung fundzugeben. Den Unternehmern wird ia außer hundert anderen Bedingungen gewöhnlich auch auferlegt, auf Verlangen der Bauverwaltung so und so viele Arbeiter zu jeder be= liebigen Zeit zu stellen, da kann auch vorgeschrieben werden, wie lange gearbeitet werden soll. Es ist dies ja uur ein Vorschlag unsererseits, über welchen diskutirt werden kann; aber außer Frage steht, daß die Unternehmer allein, d. h. ohne Unterstützung der Behörden, den Kampf gegen die sozialistischen Bestrebungen kaum werden führen können." Hoffentlich haben die Behörden ein Einsehen, und wir werden in Zukunft bei Verdingungen durch Paragraphen wie die folgenden erfreut werden:
Die Arbeitszeit muß mindestens 14 Stunden pro Tag betragen. Jede Zuwiderhandlung gegen diese Bestimmung wird mit einer Stonventionalstrafe von 10,000 Mart gebüßt.
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Sonntagsarbeit ist obligatorisch und soll in keinem Fall unter acht Stunden betragen. Konventionalstrafe bei Nicht- Innehaltung wie oben. Den Arbeitern ist die Betheiligung an Fachvereinen 2c. unnachfichtlich zu verbieten. Die Unternehmer sichern die Einhaltung dieser Vorschrift durch ein sorgfältig zu organisirendes leberwachungssystem. " Jeder Arbeiter ist verpflichtet, dem am Ort befindlichen oder zu gründenden evangelischen Jünglingsverein, sowie einem der bestehenden Striegervereine beizutreten und hat sich über regelmäßigen Besuch der Sigungen, Andachten 2c. derselben auszuweisen. Die Beiträge für diese Vereine und sonstige Sammlungen zu religiösen und patriotischen Zwecken werden vom Lohn zurückgehalten."
Probatum erit es wird unfehlbar helfen. Die goldene Aera wird anbrechen, sobald sich die Regierungen entschließen, in solcher Weise an die Lösung der sozialen Frage Hand anzulegen. Schrecklich aber werden die Folgen sein, wenn sie das verabsäumen. Man höre nur:
,, Erhalten die Bauunternehmer keine Hilfe, so kommen sie nach und nach auf den Standpunkt, Alles gehen zu lassen, wie es geht, und alle Forderungen zu bewilligen, denn am Ende verlieren sie am wenigsten dabei. Es wird eben nach und nach Alles unmäßig vertheuert, Arbeitszeit und Arbeitsleistung fallen in allen Gewerben und die Produkte steigen in demselben Maße. Bald wird dann die Zeit kommen, wo Deutschland oder viele Gegenden desselben zu theuer produziren, und das Ende ist: Fremde Völker arbeiten billiger als wir und verdrängen uns vom Weltmarkt. Ist es denn nicht ein eminent soziali= stischer Grundsatz, gegen welchen doch auch die Regierenden auftreten sollten, darum die Arbeitszeit herabzusehen, um„ brodlosen" Arbeitern Arbeit zu verschaffen! Der Staat tann ja nicht immer darum bauen, um Arbeiter zu beschäftigen. So etwas geschieht wohl vorübergehend einmal, besonders wenn es sich um Arbeiten handelt, die später oder früher doch ausgeführt werden müssen; aber der Grundsatz an sich iſt äußerst gefährlich, die Arbeitszeit so lange zu verringern, bis alle Arbeiter Beschäftigung gefunden haben. Wir meinen, dann wird man noch sehr lange die Arbeitszeit herabsetzen müssen, ja das Dividiren wird überhaupt nicht aufhören, bis das Volk verarmt ist."
O schanderhaft, ganz schauderhaft, höchst schauberhaft! Scherz bei Seite, sollte man nicht meinen, in Deutschland würden die höchften Löhne bezahlt und sei die Arbeitszeit die niedrigste? Thatsächlich steht es bekanntlich in dieser Hinsicht sowohl hinter England als Frank reich zurück. Trozdem wird es weder einem englischen, noch einem französischen Unternehmer und sei er sonst ein noch so arger Arbeiter= schinder einfallen zu verlangen, daß die Behörden nicht das Maximum, sondern das Minimum von Arbeitszeit vorschreiben sollen. Dazu gehört wirklich ein in der Aera der Bismarck= fchen Sozialreform" erzogenes Ausbeutergehirn. Diese Geister sind es, welche in der erbärmlichsten aller politischen Parteien, die je in der Welt eristirt haben, im deutschen Nationalliberalismus ihre würdige Vertretung finden.
Wahrhaft rührend ist die Uneigennüßigkeit, mit der die edlen Bauunternehmer, die bei hohen Arbeitslöhnen„ am Ende am wenigsten verlieren", für die Interessen Deutschlands auf dem Weltmarkt be= sorgt sind! Es wäre aber auch wirklich Matthäi am Lezten, wenn es eines Tages hieße: Mehrere der größten Londoner , Pariser oder NewYorker Importfirmen für deutsche Miethshäuser haben ihre Zahlungen eingestellt, weil sie zu den gesunkenen Preisen nicht mehr mit anderen Ländern konkurriren können!
Man muß solche Schreckgespenster nur näher besehen, um sie als Blödsinnsprodukte zu erkennen.
In Berlin wurde einer Versammlung, in welcher der Tischler Franz Berndt, unter Bezugnahme auf den Prozeß Ihring- Mahlow und die im Reichtstage über diese Angelegenheit gefallenen Aeußer ungen, über das Thema:" Die Sozialdemokratie und der Meineid" sprechen sollte, die polizeiliche Genehmigung versagt. Wie wäre es mit dem Thema:" Die Hohenzollern und die Heiligkeit des Eides?" Es ließe sich ein erbauliches Referat darüber halten.
Sozialistendebatte und kein Ende. Wenn die Herren Ordnungsparteiler sich der Hoffnung hingaben, mit der viertägigen Sozialistengejezdebatte der vorlegten Woche seien sie für einige Zeit dieser fatalen Materie enthoben, bis der Gesezentwurf wieder aus der Stommission herausgekommen, so haben sie sich gründlich getäuscht. Die zweite Berathung des Etats und verschiedene Initiativanträge geben fast jeden Tag Anlaß zu einer Sozialistengesegdebatte. In Einzelheiten wollen wir hier nicht eingehen, sondern nur die Thatsache festgestellt haben. Dieselbe ist beiläufig auch der schlagendste Beweis für die Albernheit des reaktionären Altweiberglaubens, daß wenn das Sozialistengesetz einmal ewig" gemacht sei, die Sozialistendebatten dann aufhören würden. Die wunderlichen Schwärmer werden jetzt ihren Irrthum wohl eingesehen haben. Und die Sozialistengefeßdebatten werden, so lange das Sozialistengefeß besteht, von Session zu Session immer lebhafter und stürmischer werden. Das liegt in der Natur der Dinge, erstens weil die Giftfrüchte immer massiger wachsen, und zweitens weil die Unzufriedenheit immer mehr gesteigert, und das Rechtsgefühl des Bolts immer empfindlicher verletzt wird.
„ Ewiges" Sozialistengeses heißt ewige" Sozia= listengesegdebatten das mögen die Herren sich gesagt sein
lassen.
Das vorwärtsstrebende Element in Rußland hat es, trop der zarischen Polizei, möglich zu machen gewußt, feinem großen Lehrer Tschernyschewsky eine imposante Todtenfeier zu veranstalten. Allerdings mußte es dabei seine Zuflucht zu einer Kirche nehmen die einzige Lokalität, wo man sich in Rußland ungehindert versammeln darf.
Der Arbeiter- Wochen- Chronik" wird darüber aus Petersburg geschrieben:
Am 1. November, 4 Tage nach Tschernyschewskys Hinscheiden in Saratow , fand das Leichenbegängniß statt. Eine große Menschenmenge folgte dem Sarge, welcher von seinen Freunden und Verwandten zur legten Ruhestätte getragen wurde.
In Petersburg fand eine imposante Kundgebung in einer der großen Kirchen statt. Obgleich dieselbe durch keine Zeitung angekündigt war, begab sich eine Menge, hauptsächlich aus der Elite der russischen Ju
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gend, Universitätshörern und andern Studirenden, sowie den Hörers innen der höheren Lehrkurse, einigen Offizieren unb den der Genera tion der 60er Jahre angehörenden Sozialisten bestehend dimirkirche, gerade zur Zeit, als das Publikum aus der Messe kam. Das ungeheure Schiff wurde sofort von den Manifestirenden erfüllt, ehe die Polizei dies verhindern fonnte. Es wurde nach mehreren Prie stern geschickt, doch alle verweigerten sie, ein Requiem zu lesen. Unterdessen warteten die Manifestanten mit Ruhe und Würde; ein junger: Mann machte daselbst eine Kollekte, welche eine beträchtliche Summe ergab, und welche bestimmt ist, das Andenken Tschernyschewskys zu berewigen.dk
Nachdem man eine Stunde vergeblich auf einen Priester gewartet hatte, begann die ganze Gemeinde, wie auf Verabredung, einen TrauerChoral zu intoniren. Der Eindruck, den dies hervorbrachte, ist unbeschreiblich. Die Kirche war das einzig verfügbare Lokal, wo die Manifestirenden ihre Religion der Freiheit und Brüderlichkeit feiern konnten. Die Priester haben Recht gethan, fern zu bleiben und die Kirche jenen zu überlassen, welche nicht die traurige und trügerische christliche Demuth lehren, sondern welche den Kampf im Namen der sozialen Gerechtigkeit und der Befreiung der arbeitenden Menschheit verkünden.
Und diesem Kampf hat Tschernyschewsky seine Schriften und sein ganzes Leben geweiht. Sein Andenken wird nie vergehen!
Die in der Vorhalle in geringer Anzahl versammelte Polizei war ganz bestürzt und wußte nicht, was sie thun sollte. Sie hatte feine Kenntniß von der Sache erhalten. Der Polizei- Offizier begnügte sich, ruhig in der Vorhalle abzuwarten, bis die Menge wieder hinausströmte, und forderte sie auf, auseinander zu gehen. Mit gehobenen Gefühl und dem Bewußtsein erfüllter Ehrenpflicht begab sich Alles, ohne sich um die Polizei zu kümmern, nach Hause, ehe Gensdarmen und Stosaten Zeit gehabt hätten, ihre Pferde zu satteln und den üblichen letzten Aft russischer Demonstration zu organisiren. Von alledem kein Sterbenswörtchen in der russischen Presse!"...
Auch die bürgerliche Presse des Auslands übergeht das bemerkenswerthe Ereigniß mit Stillschweigen. In französischen Blättern las man einen Bericht aus Petersburg , daß zu Ehren eines Nihilisten, der zwanzig Jahren in Sibirien zugebracht", von seinen Genossen eine Manifestation in einer Petersburger Kirche veranstaltet worden sei. Eines Nihilisten, das ist wirklich sehr bezeichnend. Das ist unge= fähr dasselbe, als wenn man von Diderot als einem französischen Schriftsteller des vorigen Jahrhunderts" spräche. Dagegen entnehmen wir der Notiz mit Vergnügen die Nachricht, daß die erwähnte Manifestation nach einigen Tagen wiederholt worden sei. Das deutet auf eine hocherfreuliche Kräftigung der freiheitlichen Bewegung in Rußland .
Ueber die letzten Tage Tichernhjchewstys heißt es in der erwähnten Korrespondenz unseres Bruderorgans:
" Dieser außerordentliche Mann fand die Gelegenheit, täglich 16 bis 18 Stunden zu arbeiten. In der letzten Zeit, als er schon frank war, arbeitete er 14 Stunden und bewahrte trotzdem seine Arbeitslust und seine gute Laune im Verkehr mit guten Freunden. Am Tage vor seinem Tode diktirte er noch 16 Druckseiten Uebersetzung von Webers Weltgeschichte und wunderte sich bei seinem üblen Befinden über seine eigene Energie. Hierauf trat Schüttelfrost ein und einige Stunden vor seinem Tode Delirien, dabei diktirte er zeitweilig sein letztes Werk. Er arbeitend." starb, wie er gelebt hat
Das Elberfelder Monstrum nicht mit Unrecht nennt es die Elberfelder Freie Presse", im Hinblick darauf, daß die meisten deutschen Vaterländer" auf der Anklagebank vertreten sind Deutscher Reichs- Sozialistenprozeß hat also richtig am 18. ds. Mts. seinen Anfang genommen. Von den 91 Angeklagten sind am ersten 87 vor Gericht erschienen, zwei sind inzwischen ausgewandert,
Tag war durch Krankheit am Erscheinen verhindert und einer
einer war durch Gerichtsbeschluß vom Erscheinen enthoben. Das Verhör der Angeklagten bot, soweit uns Bericht vorliegt, bis jetzt nichts be= sonders Bemerkenswerthes. Bebel, der bereits am ersten Tage zunt Verhör fam, legte das frühere Verhältniß der sozialdemokratischen Reichstagsfraktion zum" Sozialdemokrat" dar, das nach dem Freiberger Erkenntniß bekanntlich vollständig gelöst wurde. Fortsetzung in nächster Nummer.
Kehren sie um? Wie dem„ Wähler" mitgetheilt wird, sind in Leipzig bei der Wahl zweier Vorsteher aus der studentischen Mitgliedschaft für die dortige studentische Lesehalle zum erstenmal die Antisemiten durchgefallen. Weiter wurde mit großer Majorität beschlossen, auf das Berliner Volksblatt" zu abon= tiren, ein Antrag, das Recht auf Arbeit" abzuschaffen, abgelehnt und das Wiederabonnement der Neuen Zeit" beschlossen. Gegner dieser Blätter", schreibt der Wähler"," waren allemal die Antisemiten. Jawohl, immer auf die Sozialdemokraten schimpfen, aber nur keine Belehrung über das Wesen und die Forderungen derselben annehmen."
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Nun, das war von diesen traurigen Helden auch nicht anders zu erwarten. Daß sie aber in Leipzig , wo sie Jahre lang vollständig den Ton angaben, so gründlich geschlagen worden, das ist ein sehr erfreu= liches Zeichen der Zeit, von dem wir mit Vergnügen Notiz nehmen. Die Reaktion hat, scheint es, auch in Deutschland ihren Höhepunkt überschritten.
Sowohl der Parteitag der Genossen Rheinlands und Westphalens als der der schlesischen Genossen beide fanden vorlegte Woche ſtatt waren glänzend besucht. In Elber feld waren 91 Orte aus 28 Wahlkreisen, in Breslau fast sämmt= liche schlesischen Wahlkreise vertreten. Die Zahl der Theilnehmer an den Verhandlungen in Elberfeld wurde auf dreitausend geschäßt. Auf einen eingehenden Bericht müssen wir für heute verzichten, und drücken daher nur unsere Genugthuung aus über diese großartigen Manifestationen der Kampfbereitschaft und Stampfesfreudigkeit der Genossen. Glückauf zum Sieg!
In der Kommission zur Prüfung des Sozialistengesetzes fizt als Vertreter der sozialdemokratischen Fraktion Genosse Singer und zwar an Stelle eines fortschrittlichen Mitgliedes, dessen Plaz die Fraktion der Deutschfreisinnigen den Sozialdemokraten eingeräumt hat. Betreffs dieses Kartells ad hoc, das leicht falsch beurtheilt werden könnte, wird uns mitgetheilt:
„ Der Gedanke, daß wir Sozialdemokraten uns in einer Kommission vertreten lassen, deren Aufgabe es ist, unserer Partei den Strick eines ewigen" Ausnahmegesezes zu drehen, hat auf den ersten Anblick etwas Abstoßendes, und dieses Moment wurde vermuthlich auch bei den Berathungen der Fraktion ins Auge gefaßt. Aber die Mehrheit sagte sich offenbar, dies sei eine falsche Auffassung der Sachlage. Die Kommission hat nicht die Aufgabe, ein Sozialistengefeß an zu fertigen, sondern den dem Reichstag vorgelegten Entwurf zu prüfen: sie kann den Entwurf annehmen, verändern, zurückweisen, ganz nach Gutdünken: sie steht also über dem Entwurf und nimmt ihm gegenüber gewissermaßen die Stellung eines Richters ein. Ein sozialdemokratischer Abgeord= neter, der in der Kommission sitt, hat demnach nicht die Stellung eines Angeklagten oder gar Verurtheilten, über dessen Abstra= fung oder Hinrichtung verhandelt wird, sondern hat vielmehr das Amt eines Richters, der über das neue Sozialistengesch zu Gericht figt. Und das kann doch unmöglich als etwas seiner Würde und der Würde seiner Partei Zuwiderlaufendes aufgefaßt werden. Es bleibt hiernach nur die Frage: liegt die Theilnahme eines Sozialdemokraten in den Und diese Kommissionsberathungen im Interesse der Partei? Frage wurde jedenfalls von der Fraktion mit Ja! beantwortet. Ein Mitglied der Fraktion hätte zwar, auch ohne der Kommission anzugehören, den Sizungen der Kommissionen regelmäßig beiwohnen können jedes Reichstagsmitglied hat dieses Recht er hätte jedoch an den Kommissionssigungen nur als stummer Zuhörer und höchstens noch als Souffleur beiwohnen können; und man sagte sich wohl, daß auf solche Weise nur in sehr ungenügendent Maße dem zu Tage liegenden Zweck: das Material vor die Kommission zu legen, hätte entsprochen werden können. Daß es aber ein Vortheil ist, der Kommission, in deren Schoße die Entscheidung getroffen werden wird, mit Material gegen das Sozialistengesez aufzuwarten, das ist so einleuchtend, daß es einer Beweisführung gar nicht bedarf.
Unter allen Umständen haben wir zu der Annahme kein Recht, der