rüstung über ein Wahlgesez auszubrechen, das alle Unter­schiede der Bildung, der Gesittung und des Besizes, die sonst im bürger­lichen Leben maßgebend sind, aufhebt, das der Stimme des Straßen= tehrers bei der Entscheidung über die wichtigsten Grundsäße, nach denen der Staat regiert werden soll, genau so viel Gewicht beilegt, wie der des Fürsten Bismarck, das nothwendig zur Herrschaft der brutalen, numerisch überlegenen Massen über das gebildete Bürgerthum, den Träger aller Wohlfahrt und Gesittung der Nation( o weh, o weh!), führen muß." Nach der Ansicht der Hamb  . Nachr." ist es allmählich auch als Irrthum erkannt worden, daß das allgemeine Wahlrecht ein heilsames Ventil für die unschädliche Verpuffung der angesammelten Unzufriedenheit, ein Manometer an dem unter starkem Dampfdruck stehenden Kessel des modernen Staatsgetriebes sei." Allmählich beginne die Meinung vielmehr dahin umzuschlagen", daß das allgemeine Wahlrecht und die dadurch gegebene Möglichkeit, Bestrebungen im poli­tischen Leben zur Geltung zu bringen, die anders nicht so zielbewußt und einheitlich hätten propagirt werden können, diesen Bestrebungen erst Boden und Wachsthum und mit der Gelegenheit, fie öffentlich zu be­thätigen, ihren Vertretern, den Sozialdemokraten, erst die breite Basis geschaffen habe, die sie jezt unter den Füßen haben."

Am bezeichnendsten aber ist der folgende Sat:

Wir haben das allgemeine gleiche und direkte Wahlrecht einmal, und es abzuschaffen oder zu verändern, ist fast unmöglich, falls nicht, was uns erspart bleiben möge, das Anschwellen der Sozialdemokratie, die Dreistigkeit ihrer Provokation über kurz oder lang zu einer Revolte, und die Niederschlagung dieser zu einer Reaktion führt, bei der es dann allerdings leicht zu einer neuen Wahlgefeßgebung kommen könnte."

Deutlicher kann man wirklich nicht ausdrücken, was die Reaktion wünscht, denn das: was uns erspart bleiben möge", steht natürlich nur da, um das Gewissen der Herren zu ſalviren.

Wären die Anarchisten fähig, etwas zu lernen, das Gezeter der Reaktionäre über das allgemeine Wahlrecht müßte ihnen die Augen öffnen.

Wenn sie die Arbeiterstimmen brauchen, dann werden die braven Unternehmer oft merkwürdig freigebig. Man fönnte wün­schen", wird der" Chemnißer Presse" aus Gersdorf   geschrieben, daß immer Reichstagswahl sein möchte, denn dann würde der Schichtlohn allmählig eine recht ansehnliche Höhe erreichen. So ist vor einigen Wochen vom 1. Februar ab jedem Bergarbeiter ein 3uschuß von 10 Pfennigen für jede Schicht auf den Schäch­ten gemacht worden. Auffallend bleibt es, daß diese Zusage nicht schon längst erfolgt ist und erst jetzt."

Auffallend ist das allerdings, aber man merkt die Absicht und wird nicht verstimmt.

Folgende zwei Notizen finden wir in ein und derselben Nummer der Frankfurter 3tg."( zweites Morgenblatt vom 19. Februar):

I. Berliner   N.- Korrespondenz:

" Die letzten Tage der Wahlbewegung bringen noch einige unlieb= same Erscheinungen, die durch sozialdemokratische Erzesse hervorgerufen sind. Nähere Nachrichten aus Liegniz und aus Mühlhausen   in Thüringen  , wo am Sonntag außer der Polizei auch das Militär gegen sozialdemokratische Sprengtolonnen hat einschreiten müssen, lassen erkennen, daß die Schuld thatsäch= lich auf Seiten der sozialdemokratischen Elemente liegt, welche, ungeachtet der Ermahnung ihrer Führer, planmäßig Tu­multe in den Versammlungen anderer Parteien hervorrufen. In Bres­ lau   ist es gestern zu ähnlichen Erzessen in einer Versammlung der Konservativen gekommen; es sind das bedauerliche Ereignisse, die wahr­scheinlich sehr bald im Reichstage gegen die Sozialdemokrate ver­werthet werden."

II. Berliner   L. Sch.- Korrespondenz( im Feuilleton): ... Die großen Versammlungen der Freisinnigen sowohl, wie der Sozial­Demokraten waren während des ganzen Wahlfeldzugs in Berlin   über­aus stark besucht, zumeist von der jüngeren Männerwelt. Ein energischer Ton herrscht in diesen Berliner   Wahlversammlungen, durch Zwischenrufe und knappe Entgegnungen sind sie häufig dramatisch be= lebt. Nicht leidenschaftlich und in brennendem Pathos, sondern meist scharf und schroff stoßen die Gegensäße anfeinander. Fast in allen frei­finnigen Versammlungen fanden sich Sozialdemokraten in größerer Zahl ein und alsbald begann zwischen der Rednertribüne und den im Saale  Anwesenden das aufregende Kampfspiel. Den phantastischen Er= zählungen, die von einer Menge von Ruhe störern, die ge= waltsam entfernt werden müssen, sprechen, darf man nicht zu großen Glauben beimessen. Es ist hier lange nicht so schlimm. Auch wo in den sozialdemokratischen Versammlungen sich die schärfere und die gemäßigtere Tonart kreuzten, gab es in Wirklichkeit die tumultuarischen Auftritte nicht, von denen man mitunter fa= beln hört."

Wie wäre es, wenn der N- Korrespondent sich mit dem L. Sch.­Korrespondent über die planmäßigen" Tumulte der Sozialdemokraten näher unterhielte? Dieses Geschwäß ist eines demokratischen Blattes wirtlich sehr würdig. Es ist Wasser auf die Mühle der Neaktion, die man zu bekämpfen behauptet.

Wir wollen durchaus nicht läugnen, daß sich hin und wieder auch Sozialisten von ihrem Temperament zu Taktlosigkeiten hinreißen lassen, aber sie thun das durchaus nicht in größerem Maße als die Anhänger der übrigen Parteien. Von planmäßigen Tumulten" kann aber gar feine Rede sein, wohl aber sehr oft von planmäßigen Pro­bokationen.

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Unerhörte Chikanen gegen Genossen, die von ihrem Wähler­recht Gebrauch machten, berichtet das Berliner Volksblatt" aus dem Wahlkreise Teltow   Beestow Stortow( südliche und süd­westliche Umgebung Berlins  ). In vielen Ortschaften", heißt es, durften unsere beaufsichtigenden Genossen gar nicht in das Wahllokal hinein. Manchen ging es noch schlimmer. So wurden 4 Mann in Rangsdorf   verhaftet, nach Günsdorf transportirt und dort bis 1/212 Uhr behalten. Dann ging es unter Eskorte von acht Mann nach Bossen, woselbst unsere Genossen bis 4 Uhr verbleiben mußten. 600 Flug­blätter und 1000 Stimmzettel wurden fonfiszirt; für die Ergreifung des ersten Flugblattvertheilers setzte der Ortsvorsteher in Rangsdorf  3 Mt. aus. In Blankenfelde   gelang es den Genossen, unter mancherlet Chikanen bis 3/45 Uhr das Wahllokal zu behaupten. Dann wurde der kontrollirende Genosse hinausgeworfen, und als ein Anderer Einlaß begehrte, sprangen ihm 2 Männer mit Stöcken entgegen, während ihn der Amtmann bei der Brust packte und er entweichen mußte. Vorher hatte der Amtmann vor dem Lokale Wache gehalten; einem Wähler, welcher einen Werner'schen Stimmmzettel nahm, denselben weggenommen und ihn zerrissen. Später äußerte er zum Chaussee= Aufseher:" Notiren Sie die Leute, welche Zettel neh= men, die mache ich alle brotlos." In Ruhlsdorf( Groß­ Beeren  ) wurde unser Genosse aus dem Wahllokal hinausgeworfen, als er vor der Thür Zettel vertheilen wollte, auch dort nicht ge= duldet. Später wurde er noch aus der Dorfschenke und mit Hunden zum Dorf hinausgehegt. In Rehhagen durfte unser Genosse bei der Stimmauszählung nicht zugegen sein. In einer Ortschaft bei 3ossen wurden die Genossen aus dem Wahllokal hinaus­gewiesen, sodann vor dem Wahllofal von Gensdarmen verjagt; in die Schenke sich flüchtend, wurden sie auch von dort vertrieben und auf der Chaussee nach Bossen vom Gensdarmen mit blanker Waffe ver­folgt. In einer andern Ortschaft schritt Gensdarmerie ein, wobei einer unserer Genossen ein paar Mal überritten wurde, eine Verrenkung der Schulter und eine klaffende Wunde am Knie davon­trug. Ein allerliebstes Exemplar ist jener Förster, der an der Spizze seiner Leute vor dem Wahllokal einen Werner'schen Stimmzettel erhielt und nun sagte: Schönes weißes Papier, aber der d'rauf steht, ist ein Königsmörber." In Pölz sind unsere Genossen beim Zettel­vertheilen vertrieben und geschlagen worden. Stimmzettel, welche in geschlossenem Kouvert an einen Genossen versandt wurden, sind dort mit zerrissenem Kouvert angekommen."

Trozzalledem sind die Stimmen des sozialistischen   Kandidaten in diesem Streise um 10,500 gestiegen, und die des Regierungsmannes um

2,900 gefallen. Und wenn die Freisinnigen sich nicht dieses Herrn erbarmen, wird in der Stichwahl der Königsmörder" Werner über den Prinzen Handjery siegen.

Wie bei der heutigen Wahlkreiseintheilung bereits die städtische Bevölkerung im Interesse des platten Landes benach= theiligt ist, geht aus folgender Zusammenstellung hervor, welche die Berl. Volkstribüne" der Voss. 3tg." entnimmt. Danach zählten die Eingeschriebene

Wahlkreise Einwohner 1885. Schaumburg- Lippe   37,204 Lauenburg

Reuß ä. 2. Waldeck  Coburg  Rapportsweiler Löwenberg

Wähler 1887

8,128

49,861

11,587

55,904

12,467

56,575

10,854

57,383

11,923

61,791

12,422

63,243

14,557

Dagegen zählten:

Hamburg   3

212,768

47,800

München   2

212,904

52,397

214,405

44,556

249,081

54,107

269,923

65,155

289,724

63,607

324,989

359,704

Dortmund Charlottenburg  Berlin   2 Bochum Berlin   4

79,222 Berlin   6 86,323 Aus diesen Zahlen ergibt sich daher, daß der eine Kreis fast zehnmal so viel Einwohner hat als ein anderer, und daß er mehr als doppelt so viel Wähler zählt als der andere über= haupt Einwohner. Die erstgenannten sechs Wahlkreise haben zusammen noch nicht so viel Einwohner wie einer der beiden zuletzt genannten."

Das hat sich seitdem noch mehr zu Ungunsten der letztgenannten Wahlkreise verschoben. So zählte bei der soeben stattgehabten Reichs­tagswahl der Wahlkreis Berlin IV 89,280 und Berlin   VI sogar 104,460 eingeschriebene Wähler, was einer Bevölkerung von beinahe einer halben Million entspricht. Nach den Vorschriften des bestehenden Wahlgesetzes sollte er mindestens fünf Abgeordnete in den Reichstag entsenden, aber es fällt natürlich den gegenwärtigen Machthaberu gar nicht ein, die schreiende ungerechtigkeit durch eine Neu- Eintheilung der Wahlkreise aus der Welt zu schaffen. Im Gegentheil, sie ist noch ein Trost für sie in dieser Jammer- Aera eines Wahlsystems, das dem erfolgreichen Spekulanten, dem emporgekommenen Streber 2c. an der Wahlurne nicht mehr Rechte einräumt als dem ersten besten Habe- Nichts von Kopfarbeiter oder Bin- Nichts von Industrie- Proletarier. Denn das platte Land" das heißt bei der heutigen Abhängigkeit des Land­arbeiters in den meisten Fällen der große Grundbesiz. Die angeführte Notiz schließt wie folgt:

" Im allgemeinen zeigt die Statistit eine starke Verschiebung der Be­völkerung zu Gunsten der großen Städte und ihrer nächsten Um­gebung, während zahlreiche ländliche Kreise einen Rückgang der Ein­wohnerzahl zu verzeichnen haben. Es ist deshalb die Behauptung zutreffend, daß durch die heutige Eintheilung der Wahlkreise dem platten Lande ein ungerechtfertigtes Üebergewicht über die Zentralpläße des Gewerbefleißes verliehen wird.

Die nämliche Verschiebung macht sich auch für ganze Staaten geltend. So gibt es im Königreich Sachsen keinen Wahlkreis, der unter der Normalziffer von 100,000 Einwohnern bliebe, dagegen sieben Kreise, welche schon 1885 einen Anspruch auf die doppelte 3 ahl von Mandaten hätten. Im Ganzen würde Sachsen   nach dem ursprünglichen Maßstabe nicht mehr 23, sondern 32 Abge= ordnete zu stellen haben."

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- Russische   Agenten haben neulich im Orient eine kleine Verschwörung angezettelt, und zwar war Bulgarien   der aus­erlesene Schauplag. Der Koburger sigt den Russen dort zu lange, er sollte daher gebattenbergert werden. Aber leider schlug die Verschwörung fehl, der Koburger und seine Freunde kamen zu früh dahinter, und sezten den Verschwörern von Väterchens Gnaden den Stuhl vor die Thür. Auf die Einzelheiten der Affäre, die in der Tagespresse ziemlich breit­getreten worden ist, gehen wir hier nicht ein, zumal diese Verschwörungen einander so fabelhaft ähnlich sehen, daß man für sie ein Schema drucken lassen könnte, in welchem bei jedem neuen Fall nur die Namen ausge­füllt zu werden brauchen. Dagegen wollen wir auf die neben der politischen einhergehende wirthschaftlichen Umtriebe Rußlands   im Südosten Europa'  s aufmerksam machen, die sich zwar weniger melo­dramatisch ausnehmen als jene, aber zehnmal wichtiger find.

In einem Jahresrückblick der Düsseldorfer  , Christlich  - sozialen Blätter" stoßen wir auf folgende Note:

" Die Dinge, die auf der unteren Donan sich vorbereiten, und die an­scheinend Handels- und Schifffahrts= Interessen betreffen, geben zu denken. Der russische   Fürst Gagarin hat bereits in Konkurrenz mit der österreichischen Donau  - Dampfschifffahrts- Gesellschaft für politische Zwecke auf der unteren Donau   eine Donau  - Dampfschifffahrt eingerichtet. Zur Zeit soll eine serbische Schifffahrts- Gesellschaft gegründet werden, welche die Strecke von Belgrad   bis Kladowo mit einigen Schiffen befahren will; bis Kladowo könnten die russischen Schiffe gelangen. Die serbische Regierung kommt dieser Gründung einer eigenen serbischen  Schifffahrts- Gesellschaft damit entgegen, daß sie 30,000 Frants für 1890 in den Staatshaushalt zur Förderung der Schifffahrt ein- und damit der neuen Gesellschaft gewissermassen eine Zinsgarantie in Aus­sicht gestellt hat. Es kommt aber noch besser. Fürst Gagarin erstrebte mit russischer Unterstüßung einen Vertrag mit der serbischen  Regierung, wonach er allein mit seinen Schiffen den serbischen  Salzbedarf zu liefern hätte, dessen Lieferung fürzlich einer öster= reichischen Gesellschaft abgenommen worden ist. Gagarin beabsichtigt, rumänisches und russisches Salz zu liefern, überdies in Kladowo rus­fische Petroleum- Niederlagen einzurichten und von Kladowo aus auf dem Landweg zur Verbindung nach Nisch   eine Eisenbahn zu bauen.

Damit gewänne Rußland   für seinen Handel neue Straßen nach den Balkanstaaten und könnte dem österreichischen Handel entsprechend Ab­bruch thun. Die Pläne des Fürsten Gagarin werden überdies durch die Absicht gekrönt, zwischen Rußland   und den Balkanstaaten einen Zoll bund aufzurichten, welcher der führenden Macht jedenfalls die Vortheile sichern würde, die Preußen thatsächlich aus dem Bestande des deutschen  Zollvereins erlangt hat. Was in dieser Weise unter dem Titel Förderung des Handels und der Schifffahrt an der unteren Donau   erstrebt wird, hat somit einen bedenklichen politischen Hintergrund. Die Mehrung der Flotte des Fürsten Gagarin unter russischer Flagge dürfte in Rußland  den Gedanken erregen, zum militärischen Schuße derselben in einen der russischen   Donauhäfen flachgehende Kanonenboote zu entsenden. Daß damit die russische   Agitation in Bulgarien   noch mehr gesteigert würde, und in den Häfen der bulgarischen Donaustrecke manche Verwickelungen zu befürchten sind, liegt auf der Hand. Wie innig übrigens die russisch serbischen   Beziehungen sich bereits gestaltet haben, mag daraus erhellen, daß nach Blättermeldungen im letzten Herbste über 300 serbische Knaben auf russische   Kosten in Rußland   staatlich erzogen werden, um späterhin selbstverständlich in ihr Land zurückzukehren und in demselben ent­sprechende Stellungen einzunehmen. Daß die russische Regierung in diesen Knaben sich Agitatoren für ihre Zwecke heranziehen will, braucht weiter nicht erwiesen zu werden. Unter allen Umständen sieht man, daß Nuß­land trotz seiner scheinbaren Zurückgezogenheit in den Balkanstaaten und insbesondere in Serbien   alle Hände beschäftigt hat."

Diese und andere Intriguen deckt das ultramontane Blatt deshalb auf, weil es in Rußland   den geschwornen und gefürchteten Gegner der nicht allzustarken Positionen des Katholizismus im Orient erblickt. Natürlich ruft es die ganze Christenheit zum Widerstand gegen die " Firnißkultur der russischen Halbbarbaren" auf und tritt mit Feuer­eifer für ein startes zentralist is ches Regiment in Desterreich ein. Diese Schwenkung, denn es ist nicht lange her, da gehörte es zur Pflicht jedes guten Katholiken in Desterreich, Föderalist zu sein ist in mehr als einer Hinsicht charakteristisch. Man höre nur, wie das Organ der katholischen Sozialdemagogie sie begründet:

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Macaulay sagte einmal treffend, die Wahrheit in der Politik sel nicht schwarz und nicht roth, sondern grau, die Farbe der Erfahrung. Die heutige Militärorganisation aller Staaten bedingt eine zentralistische Verwaltung; die ganze volkswirthschaftliche Entwickelung

fordert die Zusammenfassung großer Gebiete. Indem die öfter­reichischen Katholiken in ihrer heutigen föderalistischen Organisation als politische Partei diesen Wahrheiten sich verschließen, schwächen sie durch ihren Föderalismus die militärische Machtstellung ebenso. wie sie der natürlichen volkswirthschaftlichen Entwicklung. fünstliche Schranken ziehen. Es scheint, daß es wieder einer Niederlage auf dem Schlachtfelde bedarf, bis die maßgebenden katho= lischen Politiker von den liberal= föderalistischen(!) Schrullen geheilt werden. Der fatholische Klerus könnte an dem neuen Hussitismus in Böhmen   bereits sehen, wohin diese Pflege des Föderalismus und Nationalismus führt. Wenn Fürst Karl Schwarzenberg jüngst in böhmischen Landtage den Neuhussiten den Fehdehandschuh hinwarf, s darf der unparteiische Beobachter nicht vergessen, zu erwähnen, daß die Schwarzenberge und ihre politischen Freunde durch übertriebenen Na­tionalismus und Föderalismus   den Jungsschechen den Boden geebne: haben. Es ist die höchste Zeit, daß die österreichischen Katholiken aller Kronländer ihre bisherige politische Stellung im Sinne der Kräfti­gung der Einheit der habsburgischen Monarchic modifiziren."

"

Die Anpassungsfähigkeit des Katholizismus an alle politischen Systeme kann nicht besser illustrirt werden als durch vorstehende Zeilen. Es wird da beinahe alles umgeworfen, was bisher den Katholiken in Desterreich als Dogma gelehrt wurde. Der Förderalismus   wird als ,, liberal" denunzirt und im selben Athemzug davor gewarnt, der natür­lichen volkswirthschaftlichen Entwickelung Schraufen zu ziehen" ein Sab, der dem liberalsten aller liberalen Blätter aus der Seele ge= schrieben" ist. Es ist eben für den Katholizismus Gefahr in Verzug. und um die Kirche zu retten, schlöße er mit Bergnügen selbst mit den Teufel einen Pakt, wenn es einen Teufel gäbe.

In Frankreich   haben am vorlegten Sonntag wieder einig Nach wahlen stattgefunden, davon fünf in Paris   und Umgegend. Ver ursacht waren sie durch die Ungültigkeitserklärung verschiedener Bou langistischer Mandate durch die opportunistisch- radikale Kammermehrheit. Nun ist diese letztere bei den Wahlprüfungen im Allgemeinen und be den Prüfungen boulangistischer Mandate im Besonderen mit einer so empörenden Willkür zu Werke gegangen, daß es in der That mi einem Wunder hätte zugehen müssen, wenn die Wählerschaft nicht nur gerade erst recht die zu Unrecht ihres Mandates verlustig erklärten Ab­geordneten wiedergewählt hätten. Dieses Wunder ist aber blos in der Provinz passirt, die unabhängige Wählerschaft der Hauptstadt und ihrer Vororte hat mit Ausnahme von einem, Naquet, der im 5. Arrondisse= ment in Stichwahl kommt, alle Boulangisten wiedergewählt. Sie konnte das um so eher, als die Frage Republik   oder Nicht- Repn­blik durchaus im Sinne der Behauptung entschieden ist; es hat sich nicht um eine Abstimmung über die republikanische Regierungsform, sondern, wenn man die Frage dahin zuspißen will, um die jetzige Regierung der Republik   gehandelt. Und deren Vortrefflichkeit ist durchaus nicht so über jeden Zweifel erhaben, daß das Votum der fünf Wahlkreise des Seine- Departements nicht auch vom republikanischen Standpunkt aus sehr begreiflich wäre.

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Wir glauben das um so mehr hervorheben zu müssen, als wir in einer großen Anzahl deutscher   Blätter, und nicht blos bürgerlichen, all die dummen Redensarten wieder aufmarschiren sehen, mit denen die Regierungsrepublikaner ihre Niederlage zu bemänteln suchen. Nach diesen beständen ja überhaupt die Wähler Boulangers nur aus Camelots" ( Zeitungsausrufern, Straßenlungeren 2c.), eine Albernheit, die durch die Wahlziffern so schlagend widerlegt wird, daß es kaum der Mühe lohnt, darauf zurückzukommen. Es sind Wähler aller Gesellschaft:= leider klassen und nicht zum geringeren Theil Arbeiter, die für Boulangisten stimmen, weil sie im boulangistischen Wahlzettel deit schärfsten Protest gegen die Wirtschaft der am Nuder befindlichen Oppo tunisten erblicken. Sie würden sozialistisch stimmen, wenn die sozialistische Partei einheitlich dastünde und nicht durch die in Paris   stärkste Fra  tion die Possibilisten so schwer kompromittirt worden wäre. Es ist dies eine bedauerliche Thatsache, die aber offen konstatirt werdent muß, um falschen Auffassungen vorzubeugen. Daß auch die erklärte t Gegner der Republik   für die Boulangisten gestimmt, soll übrigens nicht geläugnet werden, ebensowenig, daß der Boulangismus von jeden prinzipienfesten Sozialisten bekämpft werden muß; denn abgesehen von seinen sonstigen Mängeln, verkörpert er den ausgeprägtesten Chauvinis mus und treibt die Liebedienerei gegenüber Rußland   bis zur ekelhaftesten Unterwürfigkeit unter das Kommando des reaktionären Zarenthums.

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Folgende sehr richtige Bemerkung knüpft das Phil. Tage­blatt" an die verschiedenen Regierungsakte in Deutschland   vor Eintrit der Reichstagswahl:

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Mit der Behauptung Nur Wahlmanöver" kann man sich da nicht abfinden, wie sich später zeigen wird. Aber angenommen, es wär alles nur Wahlmanöver, so viel ist sicher, daß sich diese lediglich au die Arbeiter bezögen. Man gibt sich feine Mühe, andere Klassen der Bevölkerung heranzuziehen; man hat es abgesehen nur auf die Arbeiter, denen man einerseits droht, andrerseits verspricht.

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Sie, die Arbeiter, politisch repräsentirt durch die Sozialdemokratie, sind der Pol, um den sich die ganze politische Lage dreht. Und wäre es also nur Wahlmanöver", nur Demagogie, so ist doch unbestreitbar, daß auch der Demagoge, und trüge er einen Purpurmantel, nur Machtfaktoren Rechnung trägt. Er fümmert sich nicht um politisch bedeutungslose Elemente; er hat es nicht nöthig, sie in seine Berech nungen aufzunehmen wir sehen das ja hier an dem Verhalten der Politiker gegen die Arbeiter. Folglich ist in den Augen der Machthaber in Deutschland  , die sich in diesem Augenblick nur mit den Arbeitern beschäftigen, die Arbeiterklasse der entscheidende Machtfaktor geworden. Darin liegt die große, die weltgeschichtliche Bedeutung, welche der Reichstags- Feldzug von 1890 hat, ganz ohne Rücksicht auf den Ausgang. Darin, daß der größte Militärstaat sich an dem Punkte angekommen sieht, wo er sich um die Gunst des verachteten Proletariats bemühen muß und seine Feindschaft zu fürchten hat. Das ist der glänzende Triumph für die Männer, welche seit 30 Jahren unablässig gearbeitet, allen Verlockungen getrogt, um eine Partei des arbeitend.n Volkes zu bilden, die unentwegt und mit beispielloser Konsequenz ihr Ziel verfolgt!

Wären es also blos Wahlmanöver", die wirkliche Bedeutung der Ereignisse würde dadurch nicht abgeschwächt."

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Zur Kritik der Berliner   Staatsanwaltschaft lesen wir in der Berliner Volks- Zeitung":

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" In hiesigen Blättern finden wir folgenden Bericht über eine vor der 93. Abtheilung des Schöffengerichts stattgehabte Verhandlung: Der auf der Anklagebant befindliche Schlosser Ang. Herm. Ziemec, der sich wegen Mißhandlung zu verantworten hatte, hatte es vorgezogen. sein ehrliches Gewerbe an den Nagel zu hängen und die saubere Zum t der Zuhälter um seine Person zu vermehren. Die 19jährige Anna se. war auf Abwege gerathen und der Angeklagte hatte sich zu ihrem Be­schüßer aufgeworfen. Das Mädchen hatte viel von seinen Mih= handlungen zu erdulden, wenn sie ihm nicht so viel Geld geben konnte, wie er es verlangte. Sie gelangte zu dem Entschluß, den unsittlichen Lebenswandel aufzugeben und wieder Arbeiterin zit werden, eines Tages verließ sie den Angeklagten heimlich. Als sie ant Abend des 16. Januar von der Arbeit kam, traf sie der Angeklagte auf der Straße. Derselbe verlangte, daß sie wieder zu ihm zurück­kehren und ihn ernähren solle; als er auf entschiedene Weigerung stieß, mißhandelte er sie in der empörendsten Weise. Der Staatsanwalt beantragte gegen den Angeklagten eine Gefängniß­strafe von vier Monaten, der Gerichtshof war aber der Ansicht, daß die gemeingefährliche und von einer bodenlos nie­drigen Gesinnung zeugende Handlungsweise des Angeklagten eine weit härtere Strafe verdiene, es wurde auf neun Monate Ge= fängniß erkannt und die sofortige Verhaftung des Angeklagten verfügt." Vier Monate Gefängniß für einen Verstoß gegen das Strafgefeß, wie er bubenhafter und schuftiger nicht gedacht werden kann! Und heute vor acht Tagen sechs Monate Gefängniß für die Veröffentlichung der Bergab"-Artikel, einer wissenschaftlichen Abhandlung über die Ent­wickelung der deutschen   Rechtspflege, in welcher der Gerichtshof nur einige allzuscharfe, aber milde zu beurtheilende und mit einer geringer Geldstrafe zu fühnende Ausdrücke zu finden wußte. Hier freilich ein un­bescholtener Redakteur und dort ein Zuhälter.

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